Wehrpflicht abschaffen!
Als Klassenvorstand bekomme ich im Laufe eines Schuljahres immer wieder
Entschuldigungen meiner Burschen: „Ich muss zu Musterung“, heißt es. „Kriegstauglichkeitsprüfung?“, frage ich oft
kryptisch nach, und schon haben wir mehr als genügend Impulse, um im Unterricht
über die historischen Wurzeln der Wehrpflicht und ihren Zusammenhang mit der
Kriegsfähigkeit von Staaten nachzudenken und zu diskutieren.
Nun haben sich aus
wahltaktischen Gründen die Regierungsparteien geeinigt, eine Volksbefragung
über die Wehrpflicht abzuhalten. Der historische Moment ist greifbar, an dem in
Österreich die prinzipielle Kriegsdienstpflicht „in Friedenszeiten“ abgeschafft
werden wird. Mein älterer Sohn erhielt zwar gerade – es war der Todestag des
seligen „Wehrkraftzersetzers“ Franz Jägerstätter – die Vorladung zur Musterung,
wird aber vielleicht schon nicht mehr zwangsverpflichtet werden. Wehrdienstverweigerer werden nicht länger als
„Ersatz“ einen Zwangs-Zivildienst ableisten, der zur Abschreckung mit einer
50prozentig längeren Strafzeit gegenüber dem Wehrdienst versehen wurde. Die
angekündigte Volksbefragung gibt Gelegenheit, über die Sinnhaftigkeit von
militärischen Zwangsdiensten nachzudenken.
Welchen Sinn macht ein
sechsmonatiges Kasernenpraktikum für junge Männer? Welchen Sinn macht eine
Angelobung, wenn mit Gänsehautgefühl unter Anwesenheit von politischer und
kirchlicher (!) Prominenz ein hundertfaches „ich gelobe“ gebrüllt wird? Welchen
Sinn macht es, dass 18-Jährige in einem militärischen Ritual eine „Waffe
ausfassen“ müssen und in der Grundausbildung trainieren, mit einem Sturmgewehr
auf Menschen zu schießen, Menschen zu töten?
Der historische und bleibende Sinn der
militärischen Rekrutierung lag und liegt darin, dass ein Staat im Kriegsfall
genügend Männer hat, die mit Maschinengewehren und Granaten hantieren können,
die Panzer fahren und Lenkwaffen bedienen können. Der Blick auf die aktuellen
Kriege zeigt, dass es gerade Staaten mit Kriegspflicht sind, in denen die
blutigsten Kriege geführt werden. Syrien ist gegenwärtig das schlimmste
Beispiel. Ohne Wehrpflicht gäbe es nicht diesen grausamen Krieg, hätten Bashar
al Assad und sein Regime nicht jene Männer zur Verfügung, die seit Monaten die
Befehle des Regimes befolgen müssen. Auf Desertion kann im Kriegsfall in allen
Staaten dieser Welt – auch im Kriegsfall in Österreich – das Urteil Todesstrafe
folgen.
Jene, die vor einem sicherheitspolitischen
Vakuum warnen, wenn das heimische Militär schrumpft und nicht jeder Mann
gelernt hat, wie Mann eine Waffe bedient, sollten von den tatsächlichen
Bedrohungsbildern ausgehen, wie sie in den jüngsten sicherheitspolitischen
Schubladenpapieren der Parteien genannt wurden: Das Bedrohungsbild Terrorismus erfordert zunächst eine präventive Außenpolitik, die dem Terror keinen Nährboden mehr liefert, und bedeutet in der Abwehr vor allem Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit. Was von Offiziersseite als neues Aufgabenfeld gesehen und als „Heimatschutz“ bezeichnet wird – beispielsweise Schutz vor terroristischen Anschlägen – muss als Aufgabenfeld der Polizei definiert werden.
Cyberwar-Attacken können nicht mit militärischen Systemen abgewehrt werden, sondern verlangen die Expertise von zivilen Fachleuten im IT-Bereich und vor allem eine Umkehr von der massiven Tendenz, sich mehr und mehr von den modernen Technologien abhängig zu machen.
Das Bedrohungsbild Angriff auf sensible wirtschaftliche Einrichtungen, wie Energieversorgungszentren, sollte dazu führen, eine dezentrale und möglichst autarke Wirtschaftsweise zu fördern, die auch den Cyberwar-Attacken und terroristischen Angriffen weniger Angriffsflächen bietet.
Bleibt noch die Frage, wie künftige Staatsbesuche ablaufen werden. Eine militärische Ehrenformation wird nicht mehr abgeschritten werden, was jedoch zugleich eine wichtige politische Signalwirkung haben könnte. Vielleicht werden Abordnungen von Kindern mit Friedenssymbolen die Staatsgäste empfangen.
Jenen, die vor einem reinen Berufsheer warnen, sei
gesagt: Nirgendwo lässt sich eine pazifizierende Wirkung einer
Werhrpflichtarmee behaupten. Das Argument, dass durch die wehrpflichtbedingte Verankerung
eines Heeres in einer Bevölkerung weniger leicht eine Armee missbräuchlich zum
Einsatz käme, stimmt einfach nicht mit Blick auf vergangene oder gegenwärtige
Kriegssituationen.
Jene, die an der Wehrpflicht festhalten, weil nur
so in Katastrophensituationen genügend Mannschaftsstärke vorhanden sei, sollten
hinhören, was Verantwortliche von zivilen Katastropheneinrichtungen seit vielen
Jahren meinen: Das Aufgabengebiet Katastrophenschutz zählt nicht zum Kernbereich des Militärischen. Es kann von zivilen Einrichtungen – beispielsweise den Feuerwehren – besser und kostengünstiger organisiert werden. Motto: Für
das Sandsäcke-Tragen braucht es keine Ausbildung mit der Waffe, für den Hochwasserschutz sind Panzer ungeeignet usw. Bei der Konversion des Heeres können
militärisches Personal und Infrastruktur teilweise für Aufgaben im Bereich des Katastrophenschutzes
genützt werden.
Wie sieht eine Zukunft nach der
Wehrpflicht aus? Die roten und schwarzen Schubladenpläne für eine künftige Form
des Bundesheeres sind wenig verheißungsvoll. Das Nachdenken für den Tag nach
der Wehrpflicht könnte jedoch genützt werden für zukunftstaugliche Konzepte. Die Befreiung vom Kriegsdienstzwang wird eine Politik beenden, in der versucht wurde, alle jungen Männer auf gewalttätige Konfliktlösungsmuster festzulegen. Die Wehrpflichtabschaffung kann dazu beitragen, dass in allen Bereichen – privat wie öffentlich – nicht mehr auf die Karte der Gewalt gesetzt wird und gewaltfreie Konfliktstrategien eingeübt werden.
Wenn es keine Wehrpflicht mehr gibt, können jene nichtmilitärischen Konzepte und Ideen mehr Platz bekommen, die durch eine Fixierung auf gewaltsame Modelle in den Hintergrund gerückt wurden. Es ist eine Zukunft, in der Männer und Frauen ausgebildet
werden, Kriegsursachen zu beseitigen, und trainiert werden, wie im „Ernstfall“
ohne Waffengewalt Verteidigung geschehen kann, wie Feinde zu Freunden werden
können, wie Versöhnung geschehen kann. Es ist eine Zukunft mit einer Fülle an
freiwilligen Diensten, die staatlicherseits gefördert und teilweise finanziert
werden – gerade auch um Lücken zu füllen, die durch den Wegfall der Zivildiener
entstehen. Die Alternative zur Abschaffung der Wehrpflicht ist weder eine Berufsarmee
mit Freiwilligenkomponenten noch die Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht, sondern die Vision des schrittweisen Umbaus der Wehrpflichtarmee auf nichtmilitärische Aufgabenfelder und die Etablierung eines ausreichend finanzierten Freiwilligensystems. Insofern könnte der Staat Österreich ein Modell
realisieren, das einzigartig auf dieser Welt wäre und als Modell für eine
vollständige Entmilitarisierung dienen könnte. Kleine Länder wie Österreich haben größere Chancen für die konkrete Vision eines armeefreien und dennoch und gerade deswegen ausreichend gesicherten Landes. Ein armeefreies Land ist kein wehrloses Land, sondern baut seine Sicherheit präventiv auf Konfliktvermeidung und seine Verteidigung auf dem Instrumentarium der gewaltfreien Konflikttransformation, nichtmilitärischer Gewaltintervention und Gewaltabwehr auf. Die Bereitschaft dazu steigt, je weniger auf die vermeintliche und täuschende Sicherheit der militärischen Systeme mit ihrem demokratiefeindlichen Potenzial und ressourcenintensiven Apparat gesetzt wird.
Dr. Klaus Heidegger, Kommission für Antimilitarismus
und Pazifismus von Pax Christi Österreich
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