Vorwissenschaftliche
Arbeiten als große Chance für eine „Matura neu“
Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle hat „Angst vor der
‚copy-paste‘-Teilmatura“ und kritisiert damit die für alle Maturanten
vorgesehene „vorwissenschaftliche Arbeit“
(DER STANDARD, 4./5. August 2012). Dabei sprechen gerade jene Argumente für
eine Maturareform, die er in seinem Kommentar anspricht, für die vorwissenschaftliche
Arbeit (VWA).
Erstens hat in dieser rund 30-seitigen Arbeit ein Schüler
die Möglichkeit, seine individuellen Fähigkeiten zu entfalten und persönliche Interessensgebiete
ins Spiel zu bringen. Dies kann ein Erproben und Austesten für eine künftige
Wahl des weiteren Ausbildungs- und Berufsweges sein. Schulspezifische
Schwerpunktsetzungen, die für den Wissenschaftsminister zu Recht bei einer
Zentralmatura zu berücksichtigen sind, können hier ihren Niederschlag finden. Es
können beispielsweise Projekte nachhaltig zum Abschluss gebracht werden, die im
Laufe der Gymnasialausbildung begonnen wurden. Mit anderen Worten: Im Kontext der
Zentralisierung bietet die VWA Raum für eine Individualisierung. Ich habe in
den vergangenen Monaten in vier sechsten Klassen an meiner Schule gemerkt, wie
breit die mögliche Themenvielfalt unter den rund 100 Schülern war. Eine „Themennot“,
die Töchterle sieht, habe ich nicht bemerkt.
Zweitens ist die Gefahr von „copy-paste“ weit weniger gegeben als behauptet. Eine VWA
entsteht in einer lebendigen Teamarbeit zwischen begleitender Lehrperson und
Schüler. Damit gibt es die von Töchterle gewünschte Möglichkeit, das
Lehrer-Schüler-Verhältnis in eine „stärkere Partnerschaft“ zu ändern. Die
Copy-paste-Gefahr ist gebannt, weil eine Lehrperson – die maximal 5 VWAs pro Maturatermin
begleiten kann – ohnehin in den Prozess des Schreibens einer VWA involviert
ist. Jede Lehrperson, die diese Aufgabe ernst nimmt, merkt von Beginn an, ob
abgeschrieben oder selbstständig gearbeitet wird. Mehr noch aber sind die
zentralen Vorgaben für eine VWA so geregelt, dass ein Copy-paste verhindert
wird. Im Zentrum steht die Wahl einer Forschungsfrage, die in vielen Fällen
einen „persönlichen Fingerprint“ des Schülers trägt. Das Forschungsfeld ist oftmals
im je eigenen Bereich zu finden und trägt dann eine persönliche Note. Ein
Schüler muss dementsprechend mit Methoden zur Beantwortung der Forschungsfrage
umgehen lernen. Methodenarbeit kann aber nicht abgeschrieben werden. Dies sind hingegen
Fingerübungen für jene, die nach der Matura ihr Studium an einer Universität
beginnen wollen, womit das gesetzlich definierte Bildungsziel von Gymnasien angestrebt wird. Tatsächlich
findet aber in der bisherigen Maturaform ein permanentes geistiges „copy-paste“
statt. Lehrpersonen klagen jedes Jahr wieder, wenn die Leistung eines Schülers
darin besteht, seitenweise Wissensstoff aus dem Internet auszudrucken und für
eine mündliche Prüfung mehr oder weniger auswendig lernen.
Drittens schließlich fordert eine VWA von einem Schüler
gerade jene Sprach- und Schreibkompetenz, die sich Töchterle wünscht. Ein
Schüler ist herausgefordert, in einem Zeitraum von mehreren Monaten Gedanken in
eine schriftliche Form zu bringen. Dazu gibt es in einer Oberstufe keine
bessere Möglichkeit. Die Kompetenzen für eine VWA müssen in vielen Fächern
bereits in den Jahren davor gelernt und eingeübt werden, womit sich in mancher
Hinsicht auch die Unterrichtsform zu mehr Schülerselbständigkeit und
Kompetenzorientierung verändern kann. Dies betrifft die Kompetenz im
Informatikunterricht mit Textverarbeitungsprogrammen arbeiten zu können, in
naturwissenschaftlichen Fächern Forschungsmethoden kennen zu lernen, in den
Sprachenfächern richtig zitieren zu lernen usw. usf.
Als Lehrer an einem Oberstufenrealgymnasium und jemand, der
seit vielen Jahren „Wissenschaftliches Arbeiten“ unterrichtet habe ich große
Erwartungen in die vorwissenschaftlichen Arbeiten und wünsche mir eine
möglichst rasche Verwirklichung.
Mag. Dr. Klaus Heidegger, Lehrer am Privaten ORG Volders St. Karl
05223-44398
6067 Absam, Bachgasse 10
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