Samstag, 22. September 2012

Friedenslehre - Zweites Vatikanum fortschreiben




    
Die Friedenslehre des Zweiten Vatikanischen Konzils fortschreiben


Klaus Heidegger
21.09.2012
Weltfriedenstag

Unterlage für das Präsidium von Pax Christi Österreich, 21. 9. 2012




Inhalt

Persönliche Vorbemerkungen
Seit den späten 70er-Jahren konnte ich friedenspolitisch tätig sein. Meine erste friedenspolitische Sozialisation hatte ich als Kriegsdienstverweigerer. Ich war unmittelbar nach der Matura Alumne im Priesterseminar in Innsbruck und daher – wie jeder Priesteramtskandidat und Priester – zunächst automatisch von der Wehrpflicht und einem möglichen Wehr- oder Zivildienst befreit. Priesterdienst und Militärdienst passen nicht zusammen, das bedeutete für mich dieses Signal. Im Herzen war ich längst schon Pazifist und konnte mit dieser Unvereinbarkeit gut umgehen. Auf der anderen Seite merkte ich schnell, dass diese Klarheit in der Realität auch anders aus sah: Rund um mich sah ich eine bewusst zelebrierte Legitimation des Militärischen von Seiten der Kirchenhierarchie. Kaum eine Leitungsstelle in meiner Diözese – Bischof, Seelsorgeamt, Schulamt, Kirchenzeitung  – in der nicht auch priesterliche Freunde des Heeres tätig waren. Was dies bedeuten kann, spürte ich dann, als ich Mitgründer der SOG – der Selbstorganisation der Wehrdienstverweigerer wurde. Der Zivildienst war noch in den Kinderschuhen. Er war erst am 1.1.1975 – also 10 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum – eingeführt worden. Von oben wurden die Wehrunwilligen misstrauisch beäugt. „Drückeberger“ war einer der Begriffe, mit denen wir abgestempelt worden waren. Wir waren vor allem damit beschäftigt, die Situation der Zivildiener zu verbessern, Zivildienstwillige auf ihrem Weg zur Zivildienstkommission zu begleiten und, wenn sie sich nicht von der Wehrpflicht befreien konnten, begleiteten wir sie oft bis ins Gefängnis. In dieser Zeit als Zivildienstberater nahm ich immer wieder einen bestimmten Text des II. Vatikanums in die Hand. Ich konnte mich auf  eine lehramtliche Stelle berufen, in der das höchste Gremium der Kirche vom Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen spricht und von der Anerkennung, die den Wehrdienstverweigerern entgegen gebracht werden sollte. Diese Stellen fanden sich auch in meiner eigenen Begründung auf Wehrdienstverweigerung vor der Zivi-Kommission. Warum sei die Kirche dann nicht gegen das Militär?, wurde ich dort mit dem Standardargument auf die Probe gestellt. Als Vertrauensperson bei den Zivildienstkommissionen hörte ich immer wieder diese Begründung und dann aber auch geschah es, dass ein Vertreter der Gegenseite ebenfalls mit dem Text des II. Vatikanums winkte, vom Recht auf Verteidigung sprach und dass sich Soldaten doch laut Lehre der Kirche als Diener des Friedens verstehen könnten. Wie nun? Was lehrt die Kirche denn, fragten mich die Zivildienstaspiranten bei den Beratungen? Können wir nicht mehr auf die Kirche bauen? Als dann die Zeit der Nato-Nachrüstung begann, als mehr und bessere – vor allem offensivere – Atomwaffen in Europa aufgestellt werden sollten und zugleich eine starke Friedensbewegung wuchs, erlebte ich wieder diese Widersprüchlichkeit: Ein Bischof, der uns – ich war damals in der Kath. Jugend aktiv – verbieten wollte, bei den großen Friedensdemos in Wien mitzuwirken. Die Kirche sei doch gegen Atomwaffen, argumentierten wir mit Blick auf Gaudium et spes. Nein, die Kirche sei nur gegen die Anwendung von Atomwaffen, nicht aber gegen die Abschreckung mit ihnen, wurden wir abgemahnt.  Das II. Vatikanum würde doch eine Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens befürworten, argumentierten wir sei konzilstreu. Nein, bekamen wir zur Antwort, mit den Kommunisten dürften wir nicht gemeinsame Sache machen. Eine Widersprüchlichkeit in Theorie und Praxis der Kirche wurde erlebbar. Ist sie in den Texten des II. Vatikanums festgelegt?




1          Die Friedens- und Kriegsethik des II. Vatikanums


1.1        Grundlegende Aussagen zu Frieden und Gewalt/Gewaltfreiheit


Das Friedensthema zählt von frühester Zeit zum Lehramt der Kirche – sei es im Bereich der Moralverkündigung oder seit „Pacem in terris“ (PT, 1963) auch als zentraler Inhalt der Katholischen Soziallehre. Beginnend mit den Zielsetzungen in der Bergpredigt über die Kirchenväter und Kirchenlehrer, insbesondere bei Augustinus und Thomas, bis zur großen Friedensenzyklika „Pacem in terris“ hat die Kirche stets gelehrt, wie Frieden gesichert oder geschaffen werden kann. In dieser Tradition steht auch das Zweite Vatikanische Konzil.
Das Zweite Vatikanische Konzil befasste sich mit Fragen einer Friedens- bzw. Kriegsethik im fünften Kapitel des zweiten Teils des Dokumentes über die Kirche in der heutigen Welt, Gaudium et spes (GS).  Die Bezeichnung dieses Kapitels, „Die Förderung des Friedens und der Aufbau der Völkergemeinschaft“, zeigt schon, dass Friedensethik stets in einen größeren Zusammenhang zu stellen ist. Dieses Kapitel gliedert sich in zwei Unterabschnitte und 14 Artikel, doch sind auch viele andere Aussagen in den Dokumenten des II. Vatikanums wichtig zum Verständnis dessen, was uns das Konzil für friedenspolitische Herausforderungen sagt.
Der Konzilstext unterstreicht den profunden Charakter des wirklichen Friedens, der nicht nur darin besteht, „daß kein Krieg ist; er läßt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heißt vielmehr mit Recht und eigentlich ein ‚Werk der Gerechtigkeit‘ (Jes 32,17). Er ist die Frucht der Ordnung, die ihr göttlicher Gründer selbst in die menschliche Gesellschaft eingestiftet hat und die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muß.“ (GS 78)
Die Zeit der Abfassung von „Gaudium et Spes“ (1962-1965) ist gekennzeichnet von einer Politik der atomaren Abschreckung der beiden Blöcke USA/Nato und Sowjetunion/Warschauer Pakt. Der Vietnam-Krieg eskalierte und mit ihm wuchs die Anti-Vietnamkriegsbewegung. Die Bischofskonferenz in den USA unterstützte in der Vietnamkriegs-Position die US-amerikanische Regierung. In den meisten lateinamerikanischen Staaten regierten diktatorische Regime und zugleich begannen die befreiungstheologischen Aufbrüche. In Südafrika herrschte das Apartheid-Regime. Zugleich ist es eine Zeit großer Aufbrüche und Hoffnungen.
Vertreter und Vertreterinnen von Friedensorganisationen, wie beispielsweise Dorothee Day von den Catholic Workers oder Jean Goss und Hildegard Goss-Mayr vom Internationalen Versöhnungsbund, konnten während der Konzilswochen beratend auf die Textfassung einwirken. Nur so ist es zu erklären, dass sich in einigen Passagen des Konzilstextes pazifistische und gewaltfreie Optionen finden.

1.1.1        Weltengagement

Immer wieder mahnt das Konzil die Weltverantwortung von Kirche und Christen ein und mahnt zur Sensibilität, „Freude und  Hoffnung,  Trauer und Angst, besonders der Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1) – so die Einleitungsworte der 1965 beschlossenen Pastoralkonstitution – wahrzunehmen. Die Konzilsväter betreiben keine innerkirchliche Nabelschau, sehen Religiosität und Weltengagement nicht als getrennte Wirklichkeiten, sondern in einer untrennbaren Einheit und stellen sich den konkreten Problemen der Welt.  „Die Zeichen der Zeit“ gilt es zu erkennen und danach sein Handeln zu orientieren.

1.1.2        Verurteilung von Krieg im Angesicht moderner Waffentechnologien

Bereits in PT hatte Johannes XXIII. formuliert: „Darum widerstrebt es in unserem Zeitalter, das sich rühmt, Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten.“ (PT 127) Diese Aussage bedeutet ein Abrücken von der Lehre vom Gerechten Krieg. Allerdings ist die Formulierung von GS 79 wieder entschärft worden im Sinne der Legitimation militärischer Anstrengungen.

1.1.3        Konzept der „Menschheitsfamilie“

Das Leitbild der Menschheitsfamilie durchzieht die Pastoralkonstitution. Die Kirche soll sich als Gemeinschaft mit allen Menschen verbunden wissen, heißt es bereits in der Einleitung. Und weiters: „Alle Völker sind eine einzige Gemeinschaft, sie haben denselben Ursprung, da Gott das ganze Menschengeschlecht auf dem gesamten Erdkreis wohnen ließ (vgl. Apg 17,26); auch haben sie Gott als ein und dasselbe letzte Ziel.“ Diese Aussage schafft eine spirituelle Basis, auf deren Grundlage wir alle Menschen und Völker dieser Welt als Brüder und Schwestern wahrnehmen können und sollen. Hier wird das grundlegende Prinzip des Gemeinwohls auf die internationale Gemeinschaft ausgeweitet.

1.1.4        Feindesliebe

Deutlich spricht das Konzil im Artikel 29 das Gebot der Feindesliebe an und bezieht sich dabei auf Mt 5. In diesem Zusammenhang wird die klassische Unterscheidung der gewaltfreien Theorie gemacht, dass zwischen einem Irrtum/einer Sache und der Person unterschieden werden soll. Sehr wohl müsse ein Unrecht beim Namen genannt werden, man dürfe aber nie die Person als solche verurteilen.

1.1.5        Aufgabe der Christen, Friedensstifter zu sein

Den Einsatz für den Frieden betrachtet die Kirche als konstitutiv für christliches Handeln. Für die Aufgabe des Friedens sollen die Christen mit allen Menschen zusammen arbeiten. Das ist ein typischer Ansatzpunkt, den das Konzil für das sozial- und friedenspolitische Handeln der Kirche vorgibt: Nicht als Sondergemeinschaft eigenbrötlerisch zu arbeiten, sondern die Christen sollen sich aktiv in die Welt einmischen und auch mit Nichtchristen oder in nichtkatholischen Organisationen tätig sein, wie ein Sauerteig.  (GS 77) Insofern wird bei GS auch von einer Pastoralkonstitution gesprochen. Es geht um die politische Partizipation der Kirche und ihrer Mitglieder, die immer auch in Zusammenarbeit mit allen „Menschen guten Willens“ erfolgt.

1.1.6        Friede als „Werk der Gerechtigkeit“

Als sich die Konzilsväter trafen, beherrschte die Strategie des „Gleichgewichts des Schreckens“ das Verhältnis zwischen den beiden Blöcken. Demgegenüber formulierte das Konzil, dass Friede nicht „durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte“ (GS 78) gesichert werden könne. Vielmehr wurde Friede als „Werk der Gerechtigkeit“ definiert. In dieser  Linie argumentierten bereits „Pacem in terris“, das den untrennbaren Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden betonte.

1.1.7        Jesus Christus, der „Friedensfürst“, als Maßstab und Vorbild

Nicht mit Gewalt, sondern durch das Kreuz hat Jesus die Welt gerettet. Auf diesen einfachen theologischen Grundsatz lässt sich die jesuanische Option zusammen fassen. „Er hat den Haß an seinem eigenen Leib getötet und durch seine Auferstehung erhöht“, schreibt das Konzil.
Der Ansatz der Konzilsväter ist nicht eine kasuistische Normenlehre, sondern stellt jeder objektiven Norm das freie Gewissen gegenüber. Bereits in Artikel 16 hatte das Konzil vom großen Wert des Gewissens geschrieben:  „Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß (…) dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird. Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist. (…) Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben jedes Einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen.“ Aus diesem Ansatz folgt auch, dass das Konzil keine fertigen Konzepte vorlegen will, sondern die Christen unter Bedachtnahme ihres Gewisssens selbst einlädt, politische Sachverhalte zu beurteilen und entsprechend Maßnahmen zu ergreifen. „Aufgabe ihres dazu von vornherein richtig geschulten Gewissens ist es, das Gebot Gottes im Leben der profanen Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Von den Priestern aber dürfen die Laien Licht und geistliche Kraft erwarten. Sie mögen aber nicht meinen, ihre Seelsorger seien immer in dem Grade kompetent, daß sie in jeder, zuweilen auch schweren Frage, die gerade auftaucht, eine konkrete Lösung schon fertig haben könnten oder die Sendung dazu hätten. Die Laien selbst sollen vielmehr im Licht christlicher Weisheit und unter Berücksichtigung der Lehre des kirchlichen Lehramtes darin ihre eigene Aufgabe wahrnehmen.“ (GS 43)

1.1.9        „Anerkennung“ für Menschen, die Gewaltverzicht leben

„Vom gleichen Geist bewegt, können wir denen unsere Anerkennung nicht versagen, die bei der Wahrung ihrer Rechte darauf verzichten, Gewalt anzuwenden, sich vielmehr auf Verteidigungsmittel beschränken, so wie sie auch den Schwächeren zur Verfügung stehen, vorausgesetzt, daß dies ohne Verletzung der Rechte und Pflichten anderer oder der Gemeinschaft möglich ist.“ (GS 78) Auf eine solche Formulierung hatten Wehrdienst- und Kriegsdienstverweigerer lange gewartet. Auf dieser Grundlage konnte die Rehabilitierung der „Wehrkraftzersetzer“ erfolgen, die sich später beispielsweise in der Seligsprechung von Franz Jägerstätter verdichtete.  Allerdings beinhaltet diese Formulierung auch eine gefährliche Einschränkung. Laut Konzilstext könnte es sein, dass Rechte und Pflichten einzelner oder der Gemeinschaft über dem freiwilligen Verzicht auf Gewalt stehen. Damit könnten staatliche Gesetze und Handlungen gerechtfertigt werden, die weiterhin das Grundrecht auf Wehr- oder Kriegsdienst einschränken oder versagen.
Ein weiterer Aspekt ist sicherlich die Frage, wer der Träger des gewaltfreien Engagements ist. Der Text jedenfalls hat ein individuelles gewaltfreies Handeln im Blick, nicht aber die Möglichkeit, dass sich auch Staaten als solche für gewaltfreie Handlungsmuster entscheiden.

1.1.10    Vernunft und Glaube

Die Grundformel, mit der die Konzilsväter die Probleme der Welt beurteilen wollen, lautet: „im Licht des Evangeliums und der menschlichen Erfahrung“ (GS 46) Mit diesem doppelten Ansatz will sich das Konzil sowohl auf die naturgesetzlichen Vorgaben (lex naturalis) als auch auf die biblische Botschaft (das proprium christianum) beziehen.

1.1.11    Friedensreich als Utopie auf Erden

Das berühmte Wort aus den Büchern Jesaja und Micha, dass „Schwerter zu Pflugscharen....“  umgeschmiedet werden, wird als Vision, nicht aber als praktische Handlungsanleitung für die Gegenwart gewertet. Die Realität der Sünde und des Krieges bleibe hingegen „bis zur Ankunft Christi“.

1.1.12    Weltautorität

Das Konzil folgt in diesem Punkt wiederum den großen Hoffnungen, die Johannes XXIII. in PT auf eine Weltregierung setzte: „Da jedoch heute das allgemeine Wohl aller Völker Fragen aufwirft,  die alle Ethnien berühren, und da diese Fragen nur von einer solchen öffentlichen Autorität gelöst werden können, deren Macht, Form und Instrumente von entsprechender Dimension sind und deren Zuständigkeit global ist, folgt daraus, dass die moralische Ordnung selbst die Einrichtung einer globalen politischen Macht fordert.“ (PT 138) Konkret wurde diese Hoffnung auf die Vereinten Nationen gesetzt: „„Eine äußerst bedeutende Tat der Vereinten Nationen ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, verabschiedet am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen. (...) Dieses Dokument ist als bedeutender Schritt auf dem Weg der Schaffung einer rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker der Welt anzusehen. In der Erklärung wird nämlich die persönliche Würde aller Menschen feierlich anerkannt, jedem Menschen wird hier das Recht zugestanden, die Wahrheit in Freiheit zu suchen, gemäß moralischen Normen zu handeln, Gerechtigkeit einzufordern, ein menschenwürdiges Leben zu führen, sowie andere Rechte, die mit dem Genannten zusammenhängen.“
An mehreren Stellen wird im Konzilstext eine „Weltautorität“ gefordert, die allein es garantieren könnte, dass „jeder Krieg geächtet“ werden könnte. Die Konzilsväter hatten dabei vorrangig die Vereinten Nationen im Blick. Diese Einrichtung könnte dann auch bewirken, dass Staaten in Verteidigung ihrer Rechte nicht mehr auf eine eigene militärische Verteidigung zurück greifen müssten.

1.1.13    Gerechter Friede

Wie schon in Pacem in Terris von Johannes XXIII. verfolgt das II. Vatikanum einen positiven Friedensbegriff. „Entwicklung ist der neue Name für Frieden“, formulierte Paul VI. in Fortführung dieses Konzeptes. Friede also nicht länger als Abwesenheit von Krieg. Damit sind die Ansatzpunkte gegeben, wie Frieden geschaffen werden kann: Nicht durch Aufrüstung, sondern durch Schaffung von struktureller Gerechtigkeit.

1.2        Spezifische Anwendungen von grundlegenden Aussagen


1.2.1         Atomwaffen

Der Text von Art. 81 lässt die den Grenzbereich auslotende Frage der ethischen Zulässigkeit der atomaren Abschreckung als Art der Verteidigung offen. Es heißt in wahrscheinlich bewusst komplizierter Kasuistik:
„Die wissenschaftlichen Waffen werden nun allerdings nicht nur zum Einsatz im Kriegsfall angehäuft. Weil man meint, daß die Stärke der Verteidigung von der Fähigkeit abhänge, bei einem Angriff des Gegners blitzartig zurückzuschlagen, dient diese noch jährlich wachsende Anhäufung von Waffen dazu, auf diese ungewöhnliche Art mögliche Gegner abzuschrecken. Viele halten dies heute für das wirksamste Mittel, einen gewissen Frieden zwischen den Völkern zu sichern. Wie immer man auch zu dieser Methode der Abschreckung stehen mag, (…).“
Das heißt also, dass die Konzilsväter sich hinter dem anonymen Subjekt „viele“ verstecken und letztlich nicht klar die Doktrin vom Gleichgewicht des Schreckens verurteilen, sondern im Gegenteil seine mögliche ethische Legitimität zulassen. Damit aber auch kann sich das Konzil nicht zu einer prinzipiellen Verurteilung von atomaren Waffen durchringen.
Auf der anderen Seite sieht das Konzil die großen Gefahren, die vom nuklearen Gleichgewicht des Schreckens und der Atomwaffen ausgehen:
„Täuschen wir uns nicht durch eine falsche Hoffnung! Wenn Feindschaft und Haß nicht aufgegeben werden, wenn es nicht zum Abschluß fester und ehrenhafter Verträge kommt, die für die Zukunft einen allgemeinen Frieden sichern, dann geht die Menschheit, die jetzt schon in Gefahr schwebt, trotz all ihrer bewundernswürdigen Wissenschaft jener dunklen Stunde entgegen, wo sie keinen andern Frieden mehr spürt als die schaurige Ruhe des Todes.“
In GS 80 heißt es in der Abhandlung zum „totalen Krieg: „Mit der Fortentwicklung wissenschaftlicher Waffen wachsen der Schrecken und die Verwerflichkeit des Krieges ins Unermeßliche. Die Anwendung solcher Waffen im Krieg vermag ungeheure und unkontrollierbare Zerstörungen auszulösen, die die Grenzen einer gerechten Verteidigung weit überschreiten.“

Wie sonst nirgends in allen Texten des Zweiten Vatikanums wird bzgl. der Anwendung von Atomwaffen eine Verurteilungsformel ausgesprochen. Atomare Waffenanwendung wird als „ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist“ bezeichnet.
Diese Aussagen wurden in kirchenoffiziellen Stellungnahmen in den letzten Jahren immer wieder aufgegriffen. Unmissverständlich ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Ablehnung eines Einsatzes von Kernwaffen durch das Lehramt der katholischen Kirche und steht an oberster Stelle. Zur großen Enttäuschung der Antinuklearbewegung wurde es allerdings, dass beim Konzil nicht schon der Besitz von Atomwaffen verurteilt wurde, sondern lediglich die Anwendung. Hier hatte sich die kleine Gruppe um Kardinal Spellmann durchgesetzt. Eine frühere Fassung von GS hatte auch den Besitz von ABC -Waffen verurteilt. Indirekt freilich ist das Verbot der Nichtanwendung mit dem klassischen Argument, dass die Grenzen einer „gerechten Verteidigung weit überschritten“ würden, auch ein Argument zum Nichtbesitz, vor allem aber gegen die später entwickelte Doktrin von nuklearen Erstschlägen.
Nicht eindeutig war jedoch die Rezeption dieser atomwaffenkritischen Position von Gaudium et spes. Auf der einen Seite verteidigten französische Bischöfe die Atomwaffenpolitik ihrer Nation oder hatten 1981 die österreichischen Bischöfe im Gegensatz zur Friedensbewegung und der Katholischen Jugend selbst die NATO-Nachrüstung nicht verurteilt. Auf der anderen Seite aber wandten sich die US-amerikanischen Bischöfe in ihrem Pastoralbrief gegen die Nuklearstrategie Reagans.

1.2.2        Aufrüstung, Rüstungswettlauf, Abrüstung

Rüstung wird vor allem mit Blick auf die Armut in der Welt klar als Problem definiert. Die friedensbewegte Forderung nach einseitiger Abrüstung wurde im Konzilstext bewusst nicht aufgenommen. Es heißt dort hingegen: „Man soll wirklich mit der Abrüstung beginnen, nicht einseitig, sondern in vertraglich festgelegten gleichen Schritten und mit echten und wirksamen Sicherungen.“ (GS 82) Ähnlich wurde bereits in Pacem in terris formuliert, „daß ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und geichzeitig vermindert werden“ (112).
Die kirchenoffizielle Sprache ist in diesem Punkt in einer solchen Allgemeinheit gehalten, dass sie den Herrschenden nicht wirklich weh tun kann. So vermeiden es Bischöfe in den Ländern, die ganz oben im Rüstungshandel stehen, entschieden gegen die Kriegsmaterialieproduktion und den Kriegsmaterialienhandel aufzutreten.

1.2.3         Gerechter Krieg, militärische Verteidigung und Soldatendienst


Durchaus in der Tradition des Gerechten Krieges – wobei dieser Begriff nie explizit erwähnt wird – wird militärische Verteidigung und eine entsprechende Vorbereitung dazu vom Konzil als sittlich erlaubt verkündet. Der Schlüsselsatz lautet:  „Solange die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen.“ (GS 79)

In der Linie der zentralen Eckpunkte der Lehre vom Gerechten Krieg wird militärische Verteidigung als ultima ratio ausdrücklich anerkannt. Alle anderen Möglichkeiten müssen aber davor ausgeschöpft sein.  Da aber wohl kaum alle nicht-militärischen Maßnahmen ausgeschöpft sein dürften, könnte der Schluss gezogen werden, dass das Ultima-Ratio-Argument in letzter Konsequenz zur Aufhebung des Militärischen führt. Diese Schlüsse zieht das Konzil ausdrücklich nicht. Im Gegenteil: Die Wortwahl geht eindeutig in Richtung einer Legitimation von militärischer Verteidigung. Klar wird zwischen der Legitimität militärischer Verteidigung unter bestimmten Bedingungen und einem Krieg zur Erlangung von Vormachtstellung unterschieden und nur letzterer verurteilt. In dieser Linie folgt dann jener Satz, der zum Lieblingsdiktum in der katholischen Militärseelsorge wurde: „Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.“ (GS 79)
Rahner und Vorgrimler weisen ausdrücklich darauf hin, dass damit den Staaten zwar das Recht zur militärischen Verteidigung gegeben wird, nicht aber die Pflicht dazu. Im Weltkatechismus wurde allerdings diese Position zugunsten einer militärischen Verpflichtung wieder verschärft.
Die österreichischen Bischöfe und offiziell-kirchlichen Dokumente haben in den vergangenen 50 Jahren sich immer wieder auf eine Interpretation von GS 79 bezogen, die eine Rechtfertigung der heimischen militärischen Verteidigung beinhaltete. Ähnliche Interpretationen finden wir in zahlreichen offiziellen Erklärungen kirchlicher oder kirchennaher Organisationen.
Gegenüber einer zentralen Aussage in PT, in der Krieg generell als unvereinbar mit der gegenwärtigen Waffentechnologie gewertet wird, bedeutet diese Aussage jedenfalls ein Zurück zur Rechtfertigung von einer militärischen Option. Im Weltkatechismus wird genau diese Formulierung aufgenommen und mit den klassischen Elementen der Lehre vom Gerechten Krieg ergänzt, die sowohl in PT als auch in GS nicht mehr bewusst zitiert worden waren.

1.2.4        Wehrpflicht, Zivildienst


In Fortführung der Mahnung, völkerrechtliche Bestimmungen einzuhalten, kommt das Konzil ausdrücklich auf die Frage der Wehrdienstverweigerung zu sprechen. Faktum ist, dass zur Zeit des II. Vatikanums ein Großteil der Staaten mit Wehrpflicht – unter anderem auch Österreich – jene  gesetzlichen Möglichkeiten nicht hatte, die im Konzilstext nun gefordert wurden:
„Ferner scheint es angebracht, daß Gesetze für die in humaner Weise Vorsorge treffen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern, vorausgesetzt, daß sie zu einer anderen Form des Dienstes an der menschlichen Gemeinschaft bereit sind.“ 

Einerseits war das Konzil also der internationalen Vereinbarung zum Recht auf Wehrdienstverweigerung voraus, das erst 1967 beschlossen wurde, andererseits aber kam das Konzil einer Haltung nach, die in vielen Teilen dieser Welt und vor allem von Seiten der Friedenskirchen längst praktiziert worden war. In den mehrheitlich katholischen Ländern war das Recht auf Wehrdienstverweigerung jedenfalls weit mehr umstritten als in den traditionell protestantischen Ländern. Noch 1956 hatte Papst Pius XII. erklärt, dass ein katholischer Bürger „sich nicht auf sein Gewissen berufen kann, um die Dienste und Pflichten zu verweigern, die ihm vom Staat auferlegt worden waren“.
In vielen Staaten dieser Welt konnten sich nun Menschen auch mit Blick auf die katholische Kirche auf das Recht auf Wehrdienstverweigerung berufen.  Für die vielen US-amerikanischen Zwangsverpflichteten zur Zeit des Vietnam-Krieges war die neue Position der katholischen Kirche ebenfalls von großer Hilfe, wenn sie ihren Dienst verweigern wollten. Im österreichischen Gesetzbuch wurde die konziliare Forderung nach Gesetzen zur Wehrdienstverweigerung erst 10 Jahre später umgesetzt. Der Zivildienst wurde mit 1.1.1975 wirksam. Noch viel später war dann der Beschluss auf der Ebene der Vereinten Nationen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wurde 1987 von den Vereinten Nationen als Menschenrecht anerkannt.

2         Impulse zur Fortschreibung friedenspolitischer Aussagen des II. Vatikanums

Die friedensethischen und friedenspolitischen Impulse des Zweiten Vatikanums wurden in den vergangenen 50 Jahren oft recht unterschiedlich ausgelegt oder angewandt. Zurecht sieht Severin Renoldner den Grund darin, dass viele Sätze „allgemein und unverbindlich“ blieben oder dass das Konzil bewusst „zweideutig“ formuliert habe, um sich nicht „Einseitigkeit“ vorwerfen zu lassen.
Die Wirkungsgeschichte der konziliaren Friedenslehre ist daher auch im Magisterium und in der Praxis der Kirche höchst widersprüchlich. So werden im Katechismus der Katholischen Kirche im Kapitel über den Frieden (Artikel 2307-2317) vor allem Aussagen von GS wortwörtlich zitiert und als verbindliche Lehre der Kirche definiert. Zusätze, wie die Bedingungen des Gerechten Krieges (Artikel 2309), geben allerdings eine tendenziell militärfreundliche Interpretation der konziliaren Aussagen vor.

2.1        Ausstieg aus jeglicher militärischer Logik


Deutlich hält sich in GS die Position, dass Militär bzw. Soldatendienst „im Dienste des Friedens“ sein können bzw. dass in einer Welt voller Gewalt Staaten das Recht haben können, aus Verteidigungssgründen militärische Vorbereitungen zu treffen. Es gibt zwar Kritik an den Auswüchsen der militärischen Logik – wie Verurteilung der Anwendung von ABC-Waffen oder Kritik an den enormen Rüstungsausgaben – , aber keine grundlegende Infragestellung jeglicher militärischer Maßnahmen. Das heißt: Das II. Vatikanum sieht militärische Gewaltanwendung durchaus als Ultima ratio vor, womit die Legitimität von Militär und Rüstung gegeben ist.
Wenn es jedoch nicht gelingt, der militärischen Logik an sich jedwede Legitimation zu nehmen, werden die Auswüchse und Konsequenzen von Krieg und Kriegsvorbereitungen weiter unsere Welt beherrschen. Es gibt nicht ein bisschen militärische Gewalt, genauso wenig wie es ein bisschen schwanger gibt. Wer verbissen gegen die horizontale und vertikale atomare Proliferation kämpft, ohne die Logik militärischen Denkens zu kritisieren, wer gegen die Drohnenpolitik der US-Regierung ist, weil Hunderte zivile Opfer zu beklagen sind, ohne die Fragwürdigkeit militärischen Denkens in Erwägung zu ziehen, der oder die kämpft nur gegen die neunfachen Arme der militärischen Hydra. Ihr Kopf ist militärische Logik, ein Denken, kriegerische Gewalt mit kriegerischen Mitteln lösen zu können. Kaum haben friedensbewegte Menschen einen ihrer Köpfe abgeschlagen, wachsen woanders zwei noch gefährlichere Köpfe hervor.
Der klassische Verteidigungsbegriff, von dem noch Gaudium et spes ausgegangen ist, ist durch die militärstrategischen Entwicklungen der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte von anderen Prioritäten ersetzt worden. Teils laufen sie unter den Begrifflichkeiten „präventive Verteidigung“, „präeemptive Verteidigung“ oder „Vorwärtsverteidigung“, wobei der Verdacht besteht, dass hier nicht mehr der Mut besteht zu benennen, worum es geht: Nämlich um Angriffskriege, letztlich etwas, was die kriegs- und friedensethischen Aussagen von GS verurteilt haben. Es stellt sich die Frage, wie die so genannten humanitäre Intervention im ehemaligen Jugoslawien oder der „Krieg gegen den Terror“, mit dem unmittelbar nach 9/11 US-Präsident George W. Bush den Krieg im Afghanistan begann, oder wie der „Responsibility to Protect“-Krieg gegen das libysche Regime auf der Basis der Friedensaussagen von Vatikanum II beurteilt werden könnten.
Waren „Enduring Freedom“ in Afghanistan oder Desert Storm im Irak aus der Sicht der Friedenslehre der Kirche legitim? Letzte zwei Beispiele zeigen, dass es sicher keine Verteidigungskriege sind, sehr wohl aber wird das Kriterium der „Ultima ratio“, das in GS als einzige Legitimation für eine militärische Gewaltanwendung im Sinne eines „ius ad bellum“ ausdrücklich genannt wird, auf die kriegerischen Interventionen der Gegenwart gerne angewandt. Mehr noch aber werden Interventionskriege der Gegenwart mit dem Argument der Verteidigung gerechtfertigt: So wurde der Vertreter des Hl. Stuhls bei den Vereinten Nationen mit folgenden Worten zitiert „Eine höhere Stufe internationaler Ordnung könnte dadurch erzielt werden, dass man zum Beispiel eine Organisation wie die UNO mit speziellen Vollmachten ausstattet, die in internationalen Krisen präventive Aktionen gegen das Entstehen von Konflikten und, wenn dies absolut unausweichlich sein sollte, auch eine humanitäre Intervention, also eine Aktion zur Entwaffnung des Aggressors, ermöglichen würden.“
Mit solchen Aussagen leistet die katholische Kirche einen Bärendienst für Rüstungskonzerne und Militärbefürworter. Damit könnte sogar eine US-amerikanische Drohne, mit der Bomben auf ein angebliches Terrornest geschickt werden, abgesegnet werden.


Es stellt sich die Frage, ob im Bereich der Friedenslehre des II. Vatikanums das „Proprium Christianum“, nämlich der Gewaltverzicht Jesu und seine kompromisslose Lehre von der Feindesliebe, nicht zugunsten der Tradition des bellum iustum unterbelichtet geblieben ist und in einer neuen Lehre der Kirche zu Krieg und Frieden stärker zu berücksichtigen ist. Die Bergpredigt und die Botschaft von der bedingungslosen Vergebung sind und bleiben Maßstab für politisches Handeln und können durch philosophisch-ethische Erwägungen letztlich nicht korrigiert oder abgeschwächt werden. Andererseits wählte das Konzil durchaus auch den richtigen Weg, dass ethische Maßstäbe sich den Kriterien der Vernunft und einer allgemeinen Moral zu unterziehen haben, um so in einer Öffnung zur Welt auch gegenüber Menschen kommunikabel zu sein, die nicht der eigenen Kirche angehören, Mitglieder einer anderen Glaubensgemeinschaft sind oder sich als Atheisten verstehen.
Um die Kernfrage auf den Punkt zu bringen: Der Krieg gegen den Terror, Angriffe auf Afghanistan, Drohnen, mit denen Terroristen erschossen werden unter Inkaufnahme von Kollateralschäden, dies ließe sich auf der Grundlage einer autonomen Moral oder mit ethischen Kriterien durchaus rechtfertigen. Aus der Perspektive einer Ethik von Christen, die den Mann aus Nazareth als Maßstab haben, ist dies jedoch nicht mehr möglich.

Zum Kern der christlichen Botschaft gehört die Botschaft vom Kreuz. Die Erlösung kommt durch das Kreuz, nicht durch eine erfolgreich geschlagene Schlacht. Die Nachfolge Jesu bedeutet im letzten auch eine Absage an die Gewaltphantasien, an ein Denken, Gewalt durch Gegengewalt in den Griff zu bekommen. Um es zutiefst theologisch auszudrücken: Gott hat seinen Sohn nicht vor dem Kreuz bewahrt. Jesus hat weder Gewalt angewandt noch ist er vor der Gewalt gewichen. Bedeutet dies auch die Bereitschaft, eher durch Gewalt zu sterben als selbst Gewalt anzuwenden? Solche Fragen heben letztlich ethische Erwägungen auf und verlangen eine existentiell religiöse Antwort, eine Antwort freilich, die nicht von oben verordnet werden kann, sondern zunächst subjektiv zu geschehen ist. Freilich sollte die Kirche Räume geben, in der zu diesen subjektiven Entscheidungen ermutigt wird, in der sich Menschen für solche radikal-pazifistischen Entscheidungen nicht mehr rechtfertigen oder gar schämen müssen. Von Jesus ist bekannt, dass er keine Halbheiten und kein Ausweichen geduldet hat und gerade seine Aufforderungen zum Gewaltverzicht wirken erschreckend mit ihrer fordernden Unbedingtheit.

Die Lebenspraxis Jesu geht über die Morallehre des Johannes des Täufers hinaus, der von den Soldaten verlangte, sie sollten bei ihrem Dienst nicht rauben und plündern. (Lk 3,14) Diese Weisung entspräche wohl der Formulierung des II. Vatikanums, dass sich „Soldaten als Diener des Friedens“ wähnen können. Eine solche Aussage liegt auf der Ethik des Johannes des Täufers. Verlangt Jesus aber nicht mehr? Kann ich von der Eucharistie kommen und dann später mit den gleichen Händen ein Sturmgewehr bedienen oder Lenkwaffen adjustieren?

Jesus war kein zweiter Elija, der ein Reich der Gleichheit und Gerechtigkeit mit den Mitteln der Gewalt angestrebt hat.

Kirchliche Repräsentanten müssen sich in ihrem Reden und Tun die Frage stellen, ob sie mehr den Mächten dieser Welt trauen mit ihren Waffenarsenalen und Militärkonzepten oder der Macht der Liebe, von der Jesus gesprochen hat. Jesus schickt seine Jünger und Jüngerinnen letztlich nicht hochgerüstet in die Welt, sondern „wie Schafe mitten unter Wölfe“ (Mt 10,16), nicht aber, um von ihnen gefressen zu werden, sondern um sich mit den Wölfen anzufreunden.
Widersprüchliche Signale aus dem Magisterium und dem Handeln der Kirche werden von militärischen Kreisen benützt werden, um Legitimationen für ihre eigenen militärischen Unternehmungen zu gewinnen. So haben wir auf der einen Seite gerade unter dem Pontifikat von Johannes Paul II. deutliche Distanzierungen von den kriegerischen Handlungen der westlichen Mächte. Als George W. Bush nach 9/11 den Krieg gegen den Terror erklärte, sagte der Papst bei der Generalaudienz am 12. September 2001: „Ich schließe mich den vielen, die in diesen Stunden ihre Verbitterung und Ablehnung zum Ausdruck bringen, an. Und gleichzeitig weise ich erneut deutlich darauf hin, dass die Wege der Gewalt niemals zu einer wirklichen Lösung der Probleme der Menschen führen.“ Mit ähnlichen Worte hatte Johannes Paul II. bereits 10 Jahre vorher zu Beginn des Jahres 1991 vor einem Krieg am Persischen Golf gewarnt. Und im September 2012 besuchte Papst Benedikt XVI. den Libanon, während im benachbarten Syrien der Bürgerkrieg täglich neu Dutzende Menschenleben kostet und ungeheures Leid und Zerstörung verursacht und während in der arabischen Welt gewalttätige Proteste gegen ein beleidigendes Video gegen den Propheten Muhammad aufbrachen. In diese Situation hinein redet der Papst Klartext, sprach vom Verzicht auf Gewalt, auch vom Verzicht auf Vergeltung.
Auf der anderen Seite gibt es auf die friedensethische Kernfrage der Gegenwart, wie der Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt werden kann, auch Worte, die für militärische Kampfhandlungen benützt werden können. In der Botschaft zum Weltfriedenstag 2002 meinte Johannes Paul II.: „Daher gibt es ein Recht auf Verteidigung gegen den Terrorismus. Es ist ein Recht, das sich, wie jedes andere, sowohl bei der Wahl der Ziele als auch der Mittel nach moralischen und juristischen Regeln richten muss.”
50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum betragen die weltweiten Rüstungsausgaben fast 2 Billionen Euro und gibt es fast 40 kriegerische Konflikte, Zahlen, die jene zur Zeit des II. Vatikanums weit übersteigen. Die USA, die mit 711 Milliarden Dollar fast die Hälfte der weltweiten Rüstungsausgaben stellen, begründen diese Aufwendungen durchaus ethisch – vor allem als Kampf gegen den Terrorismus und zur Sicherung der eigenen Wirtschaftsinteressen. Paul Ryan, der sich als Katholik bezeichnet, ist als Running Mate von Mitt Romney zugleich einer der glühendsten Vertreter einer weiteren Aufrüstung der USA.
Die Kirche muss sich fragen, warum gerade in den Staaten mit einem überwiegenden Anteil von Katholiken, so ist die katholische Kirche in den USA die weitaus stärkste Glaubensgemeinschaft oder stellen in Frankreich, einer atomaren Großmacht, in Deutschland, das zu den stets aufsteigenden Top Ten-Staaten im Rüstungsexport zählt, in Italien, das ebenfalls im Rahmen der NATO in den vergangenen Jahren immer wieder kriegerisch aufgetreten ist und einen großen Rüstungsexportanteil hat, warum also gerade in diesen Staaten  kaum Widerstand gegen die Rüstungs- und Kriegspolitik von Seiten der katholischen Kirche zu finden ist.
Meines Erachtens ist diese Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit auch in Formulierungen von Gaudium et spes noch zu finden. Heute sollte die Kirche anders als vor 50 Jahren formulieren, dass nach christlicher Auffassung militärische Gewaltanwendung niemals ein Weg sein darf, um Frieden zu sichern oder zu schaffen. Wer sich auf eine Legitimation militärischer Gewaltanwendung einlässt, lässt sich auf Aufrüstung, Rüstungshandel und letztlich auch auf eine Anwendung von militärischer Gewalt ein. Über die Jahrhunderte wurde von kirchlichen Obrigkeiten scheinbar unveränderbare Gegebenheiten wie Sklaverei oder Todesstrafe gerechtfertigt, was aus heutiger Sicht nie mehr geschehen würde. Analog dazu muss nun jener Schritt kommen, der auch militärischer Gewaltanwendung jegliche Legitimation nimmt.


Aus der Perspektive einer christlichen Friedensethik sollte unmissverständlich formuliert werden, dass militärische Gewalt keine adäquate „Verteidigung“ gegen terroristische Bedrohungen darstellt. Der Einsatz militärischer Gewalt produziert nicht nur Gewaltspiralen, eine Verschärfung des Konfliktes und eine Übertragung auf die Ebene des Konfliktes der Religionen und Kulturen. Man kann Tod und Leiden einer gewaltigen Zahl unschuldiger Menschen in den vom Elend geplagten Ländern, deren Regierungen Terroristen verstecken, nicht als unbeabsichtigte Kollateralschäden hinnehmen. Eine der grundsätzlichen Ursachen des Terrorismus ist die gewaltige Ungerechtigkeit im Eigentum an irdischem Reichtum, und diese muss geändert werden. So äußerte sich auch der Vatikan kritisch gegenüber den Angriffen auf Afghanistan im Gefolge von 9/11. Von Papst Johannes Paul II. stammt folgende Äußerung: „Daher erklären wir, dass eine der wesentlichen Antworten auf diese Anschläge für die reichen Länder in einer Überprüfung und radikalen Veränderung ihrer Beziehung zu den Menschen besteht, denen die Mittel für ein würdiges Leben fehlen.“ Auch Krieg gegen den Terror, so muss es die Kirche klar formulieren, ist kein „gerechter Krieg“, nicht nur weil er den klassischen Kriterien eines gerechten Krieges nicht genügen kann, sondern auch weil jeder Krieg im Widerspruch zu den Vorgaben der biblischen Botschaft und des Mannes von Nazareth ist.
„Krieg ist immer eine Niederlage für die Menschheit ... Krieg ist nie nur ein Mittel, das jemand wählen kann, um Differenzen zwischen den Staaten zu lösen ...“. So lauteten die Worte von Johannes Paul II. im Zusammenhang mit dem Golfkrieg 1992. Sie wurden auch 10 Jahre später wieder aktuell, als der amerikanische Präsident einen neuerlichen Angriff auf den Irak begann, um das vermeintliche Atomwaffenprogramm unter Saddam Hussein zu zerstören. Am Beispiel des Irak-Krieges 2003 kann eine kritische Haltung der Kirche gegen militärische Interventionen sichtbar gemacht werden. Auf der Grundlage der klassischen Lehre der Kirche, wie sie in GS und im KKK festgelegt ist, hat Papst Johannes Paul II. die militärischen Gewaltmaßnahmen gegen den Irak abgelehnt: Als Zusammenfassung der Positionen des Heiligen Stuhls kann man die Erklärung von Pius Laghi, Gesandter des Papstes, gegenüber Präsident Bush nach seinem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten am 5.3.2003 auffassen: „Der Heilige Stuhl vertritt die Ansicht, dass es noch immer friedliche Ansätze im Kontext des reichen Erbes des Völkerrechts und der Institutionen, die zu diesem Zweck existieren, gibt. Eine Entscheidung über den Einsatz militärischer Gewalt kann nur auf der Ebene der Vereinten Nationen getroffen werden, doch immer müssen dabei die schwerwiegenden Folgen eines solchen bewaffneten Konflikts in Betracht gezogen werden: das Leid des irakischen Volkes und jener, die in die militärischen Operationen einbezogen werden, ferner die Instabilität in der Region und ein neuer Graben zwischen dem Islam und dem Christentum.“ Hier erwies sich das Ultima-ratio-Kriterium als kriegsablehnend: Selbst die tendenziell militärfreundliche Französische Bischofskonferenz kam zum Schluss: „Aus den bisherigen Informationen lässt sich nicht ableiten, dass diese sehr strengen Bedingungen – wie sie im Katechismus der katholischen Kirche genannt werden – erfüllt sind. (...) Stellt der Irak eine tatsächliche Bedrohung dar, so dass es sich um einen klaren Fall von Selbstverteidigung handelt? Wenn er eine reale Bedrohung darstellen würde, müssten dann nicht alle anderen, nichtmilitärischen Mittel ausgeschöpft werden, um diese Bedrohung zu beseitigen?” Aber auch die anderen Kriterien des gerechten Krieges wurden von katholischen Organisationen angewandt, um gegen den Irak-Krieg Stellung zu beziehen. Es sei eben kein „gerechter Grund“, einen Regimewechsel durchzuführen. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel sei nicht gegeben, wenn es zu einer weiteren Destabilisierung der gesamten Region führen würde. An diesem Beispiel wird sichtbar, dass selbst eine pragmatische Anwendung der Kriteriologie des KKK zur „gerechten Verteidigung“  pazifistische Positionen unterstützt.

Die zumindest implizite Ablehnung militärischer Interventionswütigkeit wurde jüngst beim Besuch von Papst Benendikt XVI. im Libanon so deutlich sichtbar. Mit keinem Wort signalisierte der Papst, man müsse mit militärischen Mitteln einschreiten. Im Gegenteil: Er betete für das „Schweigen der Waffen und das Aufhören jeder Gewalt“, ermahnte zur Versöhnung statt Vergeltung und wandte sich auch an die Muslime mit den Worten: „Es ist Zeit, dass Muslime und Christen sich vereinen, um der Gewalt und den kriegen ein Ende zu setzen.“

2.1.6        Abgrenzung von einem militärischen „R2P“


Die traditionelle katholische Friedenslehre kennt keine Legitimation für einen Krieg, der präventiv geführt wird. Lediglich eine „sittlich erlaubte Verteidigung“ im klassischen Sinne, also nachdem ein Angriff erfolgt ist, wird zugestanden. Präventivkrieg ist kein Thema im Katechismus der Katholischen Kirche.
Der direkte militärische Interventionismus seit den beiden Golfkriegen, den Interventionen am Balkan, in Afghanistan und in Libyen – oftmals unter dem neuen Begriff eines „Responsibility to Protect“ – war vor 50 Jahren noch unbekannt. Manche Befürworter eines R2P interpretieren die vatikanischen Worte über den Soldaten, der sich „als Diener der Sicherheit und der Freiheit der Völker“, nicht mehr also aus nationalistischen Motiven, durchaus im Sinne einer Legitimation für R2P. Für eine solche Interpretation fehlen allerdings lehramtliche Zustimmungen. Damit sind auch Angriffe ausgeschlossen, um beispielsweise ein missliebiges Regime los zu werden.


Gaudium et spes enthält eine Mischung aus Elementen der gewaltfreien Theorie mit Elementen aus der Lehre vom Gerechten Krieg. Aus diesem Hybridmodell folgt, dass der Konzilstext Deutungsspielraum für „eine sittlich erlaubte Verteidigung“ lässt. Die Deutungsherrschaft wiederum haben jeweils die Mächtigen. Fast jeder Staat dieser Welt interpretiert diese „Doppeldeutigkeit“  als Recht oder gar als Pflicht zu einer militärischen Verteidigung und letztlich in Folge der militärischen Logik auch zu Aufrüstung bis hin zur atomaren Bewaffnung oder zu Angriffskriegen.
Eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre und des kirchlichen Handels muss in einer Vermeidung dieser Doppeldeutigkeiten gehen. Gerade die militärstrategischen und militärtechnischen Entwicklungen der vergangenen Jahre legen dies nahe. Immer mehr wurde Die klassischen Elemente der Territorialverteidigung, die noch im Hauptblickpunkt von Vatikan II waren, sind überwiegend obsolet geworden und von Konzepte einer präventiven Kriegsführung, von Angriffskriegen im Zusammenhang mit Konzepten wie Responsibility to Protect oder dem Krieg gegen den Terror ersetzt worden.
Die vergangenen fünf Jahrzehnte zeigen auch, dass Clausewitz mit seinem Grundsatz Recht hatte, dass es letztlich nicht möglich ist, nur defensiv – sich verteidigend – Krieg zu führen. „... jeder Krieg zielt, wenn er nicht durch besondere Umstände in seiner logischen Entfaltung gehindert wird, auf die Niederwerfung des Gegners; die chinesische Mauer oder der römische Limes bieten auf die Dauer keinen Schutz, da sie die bleibende Gefahr des Gegners niemals wirklich abwenden. Siegreich bleibt stets der stärkere Angreifer, und so dient die menschliche Vernunft und Moralität jedesmal nur der besseren, rationalisierten Form der Kriegsführung.“ Mit anderen Worten: Aus der Logik militärischer Verteidigung folgt militärischer Angriff. Dies materialisierte sich in den vergangenen Jahrzehnten in den Erstschlagsoptionen und präventiven Angriffskonzepten.
Insofern wird es notwendig sein, die im Zweiten Vatikanischen Konzil formulierte Option der Gewaltlosigkeit stärker und konsequenter anzuwenden auf die sicherheits- und friedenspolitischen Fragestellungen, wie dies auch schon in der Politik des Vatikans unter Johannes Paul II. geschah. Dieser Papst hatte in besonderer Weise miterlebt, wie durch eine breite gewaltfreie Bewegung 1989 das Sowjetsystem zum Einsturz gebracht werden konnte. In Centesimus Annus (1991) kommt er direkt darauf zu sprechen. Für das individuelle Verhalten ist die gewaltfreie Option eindeutig. So heißt es in CA (25): „Indem der Mensch sein Leiden für die Wahrheit und die Freiheit dem Leiden Christi am Kreuz hinzufügt, vermag er das Wunder des Friedens zu vollbringen und ist imstande, den schmalen Pfad zu erkennen zwischen der Feigheit, die dem Bösen weicht, und der Gewalt, die sich zwar einbildet, das Böse zu bekämpfen, es aber in Wirklichkeit verschlimmert.“  Krieg wird als Mittel der Politik eindeutig verurteilt. Johannes Paul II. schrieb in CA (52): „Ich selber habe anläßlich des jüngsten dramatischen Krieges im Persischen Golf den Ruf wiederholt: Nie wieder Krieg! Nein, nie wieder ein Krieg, der das Leben der Unschuldigen vernichtet; der töten lehrt und das Leben derer, die töten, gleichfalls zerstört; der eine Dauerspur von Zorn und Haß zurückläßt und die gerechte Lösung jener Probleme, die ihn ausgelöst haben, erschwert!“ Auf der Ebene der internationalen Politik kritisierte der  Vatikan die beiden Kriege der USA und ihrer Verbündeten im Golf, war auch kritisch gegenüber den Angriffen auf Libyen und im Bürgerkrieg in Syrien setzte der Vatikan wieder auf Vermittlungsstrategien.  Auch im Hirtenbrief der US-amerikanischen Bischöfe, The Harvest of Justice is Sown in Peace (1993), wird die Doppelposition von GS weiter geführt, allerdings die Priorität eindeutig auf gewaltfreie und nichtmilitärische Modelle gelegt. Dies geschah bereits 10 Jahre vorher im Hirtenbrief „The Challenge of  Peace“ (1983).

2.2        Positionierung der Kirche in Einzelfragen in Fortschreibung des II. Vatikanums

2.2.1        Atomwaffen

50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum sind weit mehr Nuklearwaffen im Einsatz und der Kreis der Atomwaffenstaaten hat sich mit Israel, Pakistan und Indien wesentlich erweitert. Die vertikale und horizontale Proliferation schreitet voran. Alle Atomwaffenstaaten modernisieren ihre Atomwaffen. Vor allem aber wurde mehr und mehr auf die Einsatzfähigkeit von Atomwaffen – beispielsweise mit taktischen Atomwaffen – gesetzt. Bomben werden präziser und lenkfähier. Für die kirchliche Lehre und kirchliches Handeln bedeutet dies:
Ein Nein ohne jedes Ja zu den Atomwaffen, wie dies stets der Slogan der Antinuklearwaffen-Bewegung war. Dies bedeutet, dass jegliche direkte oder implizite Rechtfertigung von Atomwaffen im kirchlichen Reden nicht mehr sein kann. Das bedeutet die ausdrückliche Verurteilung auch der Produktion und der Stationierung von Atomwaffen.

2.2.2        Aufhebung der Wehrpflicht

Als das Konzil das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus individuellen Gewissensgründen verlangte, hatten fast alle Staaten Europas auf ein Wehrpflichtsystem. Das Konzil hat das System der Allgemeinen Wehrpflicht nicht in Frage gestellt. Eine wirkliche Anerkennung des Rechts auf eine freie Gewissensentscheidung müsste jedoch eine explizite Infragestellung des Kriegsdienstzwanges beinhalten. Zugleich würde dann die Wehrdienstverweigerung nicht mehr länger nur als individuelle Tat gesehen, sondern als objektive Notwendigkeit definiert werden können.

2.3        Definition von Kirchen als Friedenskirchen – der Auftrag an sich selbst


Die Formulierung, jenen Anerkennung zu zollen, die auf gewaltfreie Wege setzen, ist wohl zu wenig. Es braucht so deutliche Worte, wie sie im Kontext des konziliaren Prozesses genannt wurden. Die Kirchen müssten endlich ihren Männern die Waffen aus den Händen nehmen. Priester und Bischöfe in Militäruniform sind ein Widerspruch zur Friedenslehre der Kirche. Vielmehr müsste die Kirche ihr riesiges Potenzial nützen für Hunderttausende Friedensinitiativen, wie sie beispielhaft etwa Basisgemeinschaften wie Sant‘ Egidio seit vielen Jahren vorleben. Damit könnte sich die Kirche von einem historischen Ballast lösen. Allzu oft hat die Kirche Krieg und Kriegsvorbereitungen abgesegnet. Nun kann endlich der Zeitpunkt kommen, wo Pazifismus nicht eine Randerscheinung im katholischen Mainstream ist, sondern wieder zum Herzstück der Kirche wird. Bischöfe, Kirchenvertreter, kirchliche Gemeinden werden zu MitarbeiterInnen in den zahlreichen Anti-Kriegsinitiativen, Abrüstungsbewegungen, Friedensorganisationen, und jene Zeit, in der sich

2.4        Mut zu prophetischem Handeln


Schon die Impulse von Gaudium et spes geben den Ortskirchen, den Bischofskonferenzen und kirchlichen Organisationen sowie den Katholiken und Katholikinnen vor Ort vielfältige Hinweise, wie Frieden geschaffen werden kann. Ihre Aufgabe ist es, die oft allgemein gehaltenen konziliaren Aussagen auf die konkreten Herausforderungen vor Ort anzuwenden. Das Bekenntnis zu Jesus Christus ist im tiefsten Wesen keine Frage des Intellektes und der schönen Worte, sondern der Nachfolge und des praktischen Handelns. Dies könnte sein, dass sich ein Bischof gegen einen Rüstungskonzern in seiner Diözese wendet, weil der Bischof als Vertreter der Kirche die Abrüstungsforderungen von Gaudium et spes ernst nimmt. Dies könnte sein, dass sich eine Gemeinde gegen ein militärisches Manöver wendet, weil ein Interventionseinsatz vorbereitet wird, was im klaren Widerspruch zum kirchlichen Nein zu präventiver Kriegsführung wäre. Notwendig ist es freilich, lehramtliche Hybrid-Versionen – nämlich Mischungen von gewaltfreien Optionen mit militärischen Notwendigkeiten – zu überwinden und zu gewaltfreier Klarheit zu kommen. Dies muss Konsequenzen haben im Verhalten von Katholiken und Katholikinnen. Dies wird die Art und Weise, wie sich Katholische Militärseelsorge innerhalb der Kirche etabliert hat, in Frage stellen. Das oftmals innige Verhältnis von Kirchenhierarchie und Militär, das bei diversen staatstragenden Zeremonien bis zum heutigen Tag zelebriert wird, wird endlich der Vergangenheit angehören. Der kirchenoffizielle, kurzfristig angepasste Pragmatismus, der von der der Heil-Hitler-Unterschrift Innitzers bis zum Salutieren geistlicher Würdenträger bei Militärparaden der Gegenwart reicht, wird nicht mehr sein. Die Stimme des vor kurzem verstorbenen Mailänder Kardinals wird gehört werden, der sagte: „Wo sind die einzelnen Menschen, die Neues wagen ... Die Kirche, angefangen bei Papst und Bischöfen, muss sich zu ihren Fehlern bekennen und einen radikalen Weg der Veränderung gehen. ... Die Kirche ist 200 Jahre stehen geblieben. Warum bewegt sie sich nicht? Haben wir Angst? Angst statt Mut?“ Pazifisten werden sich innerhalb ihrer Kirche nicht länger als Störenfriede empfinden müssen, sondern werden verstanden. Die so eindeutig neutestamentliche Botschaft vom Gewaltverzicht wird nicht mehr verwässert werden oder hinter staatsphilosophischen Gedankengebäuden versteckt werden.

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