Freitag, 2. Januar 2015

Der gewalttätige Mose und sein rachsüchtiger Gott: Exodus: Von Göttern und Königen - die Hollywood-Interpretation



Mose als Vorbild für Batman und Co oder:
Exodus im Stil von Hollywood –
Theologische und friedenspolitische Reflexionen zum Film
„Exodus: Von Göttern und Königen“
von Klaus Heidegger

Nach den Weihnachtsferien werde ich bestimmt von etlichen meiner Schüler und Schülerinnen gefragt werden: „Herr Professor, haben Sie auch den Film gesehen …?“ „Was halten Sie davon …?“ „Steht es wirklich so in der Bibel …?“ „Können wir wirklich an einen solchen Gott glauben…?“ Als Religionslehrer freue ich mich über solche Fragen, öffnen sie doch eine Tür, um mit Jugendlichen Gespräche über eines der zentralsten religiösen Ereignisse zu führen, um die Qualität biblischer Dichtungen zu erörtern und vor allem um die Frage nach Gott und des Umgangs mit der Gewalt. Ich habe solchen Fragen vorgesorgt: Den Film – ein Weihnachtsgeschenk – habe ich gesehen und entsprechend schriftlich aufgearbeitet. Die nächsten Religionsstunden können kommen.

Gewalt-Orgien in 3D
Regisseur Ridley Scott und sein Team konnten in ihrer Exodus-Verfilmung ein Sammelsurium von Gewaltphantasien in dreidimensionaler Qualität verwirklichen. Von bluttriefenden Schlachten, permanenten Erhängungen hebräischer Sklavenfamilien, Schwertern, die sich durch blutspritzende Leiber bohren, Krokodilen, die Menschen verschlingen und dabei den Nil rot vom Blut werden lassen, bis zu einer Monsterwelle, die das Heer des Pharao zermalmt. Wie verhält sich dieser Film zur biblischen Vorlage im 2. Buch Mose?

Gewaltvoyeurismus statt Aufdecken von Gewalt
Tatsächlich versuchen die biblischen Schriften stets, die Gewaltstrukturen aufzudecken und zu kritisieren und zugleich Wege aus den Gewaltdynamiken zu finden. In drastischer Sprache stellt die Bibel dar, was Menschen an Grausamkeiten im Umgang miteinander und gegeneinander zustande bringen. Ein erster Schritt zur Aufdeckung von Gewalt besteht darin, sie nicht zu leugnen. Biblische Texte halten uns einen Spiegel vor, wie gewalttätig wir Menschen sein können, wie gewalttätige Aktionen entstehen, wie sie verlaufen und wie sie ausgehen. Biblische Erzählungen wie jene vom Exodus decken Gewalt und Gewaltstrukturen tiefgründig auf.
Im jüngsten Film aus den US-amerikanischen Studios geschieht jedoch das Gegenteil: Gewalt an sich wird nicht problematisiert, sondern letztlich als Mittel der Befreiung legitimiert. Die szenischen Darstellungen erstochener, erschlagener, zerbissener, ertränkter Menschen können einem Gewalt-Voyeurismus huldigen, nicht jedoch abschreckend oder aufklärend wirken.
Die Darstellung des Pharao-Systems in Scotts Exodus-Verfilmung kann noch in einer gewissen Weise als stimmig mit der biblischen und historischen Vorlage gewertet werden. Das Volk der Hebräer und Hebräerinnen rief ihren Gott um Hilfe an angesichts der Unterdrückung. Inmitten des ägyptischen Reiches wurden sie zu Sklaven und Sklavinnen, zu Sündenböcken, zu Opfern einer rassistischen Gewaltpolitik. Das Herrschaftssystem der Ramses-Dynastie, dessen Gewalt durch Monsterbauten versinnbildlicht wurde, verlangte nach Opfern. Ausbeutung von Arbeitskräften, politische Unterdrückung, Rassismus, Sündenbockstrukturen, Anwendung von Gewalt gegenüber den Schwachen – es sind Mechanismen, die nach 3200 Jahren auch heute noch an vielen Orten und in vielen Ländern dieser Welt vorherrschen.

Mimesis – vom blutigen Streit zwischen „Brüdern“
Schon die Filmplakate zeigen die Grundstruktur des Filmes. Sie durchzieht sich als typischer Mimesis-Konflikt im Streit zweier völlig ungleicher Brüder. Der Pharao-Nachfolger und leibliche Sohn von Ramses auf der einen Seite. Neidisch blickt er auf die Erfolge von Mose. Immer wieder betont er, dass er von seinem Vater nicht geliebt worden sei. Als neuer Pharao beginnt sein Versuch, Mose zu eliminieren. Der heldenhaft Gute gegen den grausamen Despoten: Das ist Hollywood-Kino. Das ist nicht Bibel. Was gut und was böse ist, lässt sich so leicht unterscheiden wie die US-amerikanische Dichotomie von den der guten Supermacht USA einerseits und den Schurkenstaaten andererseits.

Der gewaltfreie Faden des Exodus
Ridley Scott beginnt seine Mose-Verfilmung allerdings nicht, wie etwa der geniale Zeichentrickfilm „The Prince of Egypt“, mit der Geburt des Mose und seiner Rettung durch mutige Frauen. In der Bibel beginnt in dieser Phase bereits die gewaltfreie Grammatik eines Gottes, den das Volk der Israeliten und Israelitinnen in ihrer Exodus-Erfahrung mehr und mehr kennen lernen darf. Scott will in seinem Film diesen gewaltfrei-widerständischen Faden gar nicht aufgreifen, weil er so gar nicht zu seinem Gewalt-Mose und dessen Gewalt-Gott passt.
Dann nämlich hätte er mit den zwei in der Bibel namentlich genannten Hebammen beginnen müssen. Von Schiphra und Pua heißt es zu Beginn der Exodus-Geschichte ganz in der Tradition des gewaltfreien Widerstands und der Methode der Nonkooperation bzw. der Verweigerung von ungerechten Befehlen: „Aber die beiden Hebammen verehrten Gott und taten nicht das, was der ägyptische König ihnen gesagt hatte.“ (Ex 1,17) Es sind kluge, schlagfertige und listige Frauen. Und weil sie so sind, heißt es schließlich: „Deshalb ließ Gott es den Hebammen gut gehen.“ Dieser Widerstand setzt sich fort in der Mutter des Mose, die ihren Neugeborenen drei Monate versteckt hielt, um ihn nicht den ägyptischen Soldaten auszuliefern, die ihn hätten töten müssen. Ihre Tochter Mirjam hilft ihr beim Plan, Mose zu retten. Als fünfte Frau, die am Beginn dieser Rettungskette steht, tritt schließlich die Pharaonentochter auf. Sie findet den hebräischen Jungen im Binsenkorb. Sie wird von Mirjam geschickt „hintergangen“, damit Klein-Mose von seiner Mutter gestillt werden kann. Frauen übernehmen über alle ethnischen und sozialen Grenzen hinweg ihren Platz im Befreiungswerk ein.
Mirjam, die Schwester des Mose, spielt in der biblischen Geschichte vom Exodus weiterhin eine zentrale Rolle. Mit Mose und Aaron zählt sie zu den drei großen Befreiungsgestalten, die Israel aus der ägyptischen Unterdrückung herausgeführt haben. Mirjam hat auch die Courage dann Kritik zu üben, als Mose zu autoritär auftritt. Im Buch Numeri wird sie wie folgt zitiert: „Hat Jahwe etwa nur mit Mose geredet? Hat er nicht auch mit uns gesprochen?“ (Num 12,2) Im Scott-Exodus hat Mirjam diese Rolle nicht. Sie erscheint vielmehr als Frau, die den Schutz des Mose braucht, übernimmt aber nicht die Rolle einer Frau, die die Pauke in die Hand nimmt und dem Volk voranzieht (Ex 15,20b.21).
Mose wiederum wird als junger Mann schmerzlich damit konfrontiert, dass seine Gewaltanwendung gegenüber einem ägyptischen Aufseher, der einen hebräischen Sklaven schlägt, der verkehrte Weg ist. Er muss fliehen. Der in Ägypten Fremde kommt nochmals in die Fremde des Landes Midian, wird vom Priester einer fremden Religion aufgenommen, heiratet eine Fremde, und in all dem findet am Berg Horeb die so eindrucksvolle Gottesbegegnung beim brennenden Dornbusch statt. Nie und nimmer jedenfalls ergreift in all diesen Kapiteln im Buch Exodus Mose ein Schwert – wie im Film – oder Pfeil und Bogen – wie im Film, im Gegenteil. Nach seiner Berufung beim Berg Horeb beginnt Mose gemeinsam mit seinem Bruder Aaron in Verhandlungen mit dem ägyptischen König einzutreten. (Ex 5,1.3) Friedensverhandlungen würden wir es heute im Politjargon nennen. Gott hat dem Mose nicht zugesichert, ihm Legionen zu schicken, mit denen er gegen das ägyptische Heer hätte kämpfen können. Ohne Waffen schickt Gott Mose zum Pharao, einzig mit der Zusicherung des Gottesnamens: „Ich bin da, weil ich da bin!“ (Ex 3,14) und den Worten: „Ich stehe dir zur Seite!“ (Ex 3,12)
Bewusst reflektiert muss freilich die Tatsache sein, dass in der biblischen Vorlage Jahwe selbst als Kriegsherr auftritt, der die ägyptischen Feinde grausam niederschlägt.
Jedes Mal zucke ich in der Osternacht zusammen, wenn der Text gelesen wird, dass Gott die pharaonische Streitmacht im Schilfmeer ersaufen lässt. Eine einfache Übersetzungserklärung lautet jedoch so: Ursprünglich hieß es im Mirjamlied: „Singt Jahwe, hocherhaben ist er, Ross und Wagen warf er ins Meer.“ Später jedoch wurde aus „Wagen“ „Reiter“ und damit gehen nicht mehr die kriegerischen Geräte im Schilfmeer unter, sondern Menschen ertrinken. Dies ist aus dem Hebräischen leicht zu erklären, da die hebräischen Wort Reiter und Wagen die gleichen Konsonanten haben, also lediglich ein Vokal Differenz besteht, Vokale wiederum aber nicht geschrieben wurden. Im gewaltfreien Diskurs macht dieser Unterschied jedoch sehr viel aus. So lässt Gott nicht mehr Menschen ertrinken, sondern es bleibt – bildlich gesprochen – die kriegerische Streitmacht im Sumpf stecken. Die kriegerischen Mittel taugen nichts mehr, und so gelingt Befreiung. Nicht durch einen Kampf, sondern indem sich die militärischen Mittel selbst ad absurdum führen. Es sterben nicht Menschen, nicht die Ägypter, sondern das Ägypten der Unterdrückung geht unter! Die Bibel unterscheidet klar zwischen Opfern und Tätern. Erstere werden gerettet! Das ist die gefährliche Erinnerung für die gewalttätigen Herrschenden aller Zeiten. Daher erinnert das Mirjamlied des Exodus an das Magnifikat der Mirjam von Nazareth im Lukasevangelium: „Sie hat Mächtigen von ihren Thronen gestürzt und erhebt die Niedrigen….“ (Lk 1,52)
Dieses Befreiungserlebnis muss immer wieder rückgebunden werden an den Anfang der Exodus-Geschichte, in dem letztlich von einem Genozid die Rede ist, der am hebräischen Volk verübt wird, ähnlich wie heute Jesiden und Christen im Norden des Irak und Syriens von den Terrormilizen des Islamischen Staates massakriert werden. Die Rede ist von Zwangsversklavungen – und wieder gibt es dazu eine Parallele in den Nahen Osten, wo Mädchen und Frauen von islamistischen Terrorgruppen als Sexsklavinnen missbraucht werden.
Der zivilisatorische Fortschritt und Glaubenszuwachs besteht jedoch im Buch Exodus darin, dass nicht mehr die Menschen legitimiert sind, Gewalt anzuwenden, sondern Gewaltanwendung an die Macht Gottes gebunden wird. Dies ist freilich noch nicht jener zärtliche Abba-Gott, von dem dann der neue Mose, Jesus Christus, erzählen wird. Im Buch Exodus geschieht noch jene Projektion menschlicher Gewalt in das Gottesbild hinein. Der Film trägt keinesfalls dazu bei, diese Projektion aufzudecken. Im Gegenteil. Das Bild eines rachsüchtigen, extrem grausamen Gottes wird verfestigt. Jene, die jetzt schon Schwierigkeiten im Glauben haben, werden sich angewidert von einem solchen Gottesbild vom jüdisch-christlichen Glauben abwenden, wenn sie diese Vorlage als Maßstab nehmen.
Der Exodus im jüdisch-christlichen Kontext ist vor allem ein Symbol des Sieges der Schwachen über die Starken, der Unterdrückten über die Herrschenden, der Kleinen über die Großen. Dieses Leitmotiv geht in den Gewaltorgien der neuesten Exodus-Verfilmung fast gänzlich unter. Die biblische Vorlage zeichnet ein Bild von einem völlig wehrlosen hebräischen Barfußvolk, das einer übermächtigen, bestens gerüsteten Streitmacht gegenübersteht. Es kommt in der Bibel zu keiner Niederlage – auch deswegen nicht, weil es zu keiner Schlacht kommt. Wäre diese Lektion in den vergangen drei Jahrtausenden geschichtsmächtig geworden, so wäre der Menschheit unermesslich viel Leid erspart worden!
Die Wahrheit der biblischen Texte liegt nicht in ihrer Historisierung, dem Versuch, den Exodus historisch zu begreifen und darzustellen, sondern in ihrer theologisch-bedeutsamen Sprache. Damit soll nicht geleugnet werden, dass es das Faktum eines befreienden Eingreifens Gottes in unsere Geschichte – verbunden mit dem Handeln der Menschen – gibt und immer wieder geben wird.

Scott-Mose, der gewaltbereite General
Die Produktion aus dem Haus von 20th Century Fox bringt eine Exodus-Interpretation, die in den entscheidendsten Punkten, vor allem der Frage der Gewalt, den theologischen Anliegen des Exodus-Motivs im Judentum-Christentum widerspricht.
Im Film wird Mose immer wieder als „General“ bezeichnet. Er wird als unerschrockener Krieger im Dienst der Eroberungsfeldzüge des Pharaos charakterisiert, jemand, der kaltblütig Widersacher ersticht, und später dann aus den Männern seines Volkes eine Art Guerilla-Armee bildet, die der Übermacht der ägyptischen Streitmacht mit Gegengewalt begegnen wollen. Während der biblische Mose von Jahwe-Gott einen wundersamen Stock erhält, klammert sich Christian Bale alias Mose an sein goldenes Schwert mit funkelnder Klinge, das sich eignet, um Leiber aufzuschlitzen.

Exodus im Mainstream US-amerikanischer Politik
Es ist kein Zufall, dass der Mose-Darsteller Christian Bale zugleich Batman-Darsteller war. Die Gewaltlogik von Batman entspricht der Gewaltlogik der Interpretation von Mose von Ridley Scott. So wie Batman die Verbrecher unermüdlich verfolgt, tritt Mose in die Heroen-Rolle. „Exodus: Von Göttern und Königen“ reiht sich somit ein in die US-Filmindustrie, passt zum Genre der Gewaltspektakel der „Die Hard“-Trilogie über „Universal Soldier“ bis zu Terminator. Die Heroen werden stets – wie der Mose im Scott-Exodus – mit viel körperbetontem Schweiß und Blut in die Szenen geschickt.
Der Umgang mit der biblischen Vorlage ist horrend. Dort, wo sie dem Gewaltmuster entspricht, wird die Bibel als Drehbuch in fundamentalistischer Manier missverstanden, so als gäbe es nicht eine jahrzehntealte historisch-kritische Exegese. Sämtliche archetypischen Bilder werden wortwörtlich genommen. Man konstruiert seltsame Geschichten, um beispielsweise das Rotwerden des Nils zu erklären – Krokodile fressen zuhauf Menschen auf. Gegen Ende des Filmes sitzt Mose auf einem Berg und ritzt mit einem Meißel den Gesetzestext in Steintafeln. Dies erinnert mehr an die satirische Darstellung im Stil von „Das Leben des Brian“, als an eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Fakt, dass der Dekalog für das Volk der Israeliten und Israelitinnen „in Stein gemeißelt“ ist.
Die politisch Mächtigen genauso wie alle gewaltsamen Befreiungsbewegungen können sich nun in ihren Gewalt-Denkmustern religiös bestätigt fühlen. Die Feinde müssen vernichtet werden – so die Devise des Islamischen Staates und Köpfe werden abgeschlagen. Die Feinde vernichten, und wieder geht irgendwo eine Bombe los und zerfetzt Menschen, die als Feinde oder als Freunde der Feinde betrachtet werden. Die ägyptischen Streitwagen sind heute die Drohnen, die ihre Bomben über afghanischen Dörfen abwerfen, die Schwerter von damals sind heute Waffen mit ihrer Potentialität zum Overkill, der die Schlachten von Scotts Exodus alt aussehen lässt. Die Filmsprache Hollywoods, so scheint es, kann sich selbst bei biblischen Stoffen nicht von einer Gewaltfixierung lösen. Gewalt aber – so die Warnung – entsteht vielfach im Kopf.
Auch Gewaltfreiheit kann im Kopf beginnen. Insofern gilt auch die Hoffnung, dass eine kritische Sichtweise des Exodus, eine Interpretation wie sie im Laufe der Jahrhunderte in jüdisch-christlichem Denken immer wieder geschah, dazu beitragen kann, dass die Unterdrückten und Geschundenen dieser Welt heute gewaltfreie Exodus-Erfahrungen machen werden. Wie dies funktioniert, haben Befreiungsbewegungen immer wieder vorgelebt: Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung war gewaltfrei erfolgreich mit ihrem „Let my people go …“ – auch wenn das Land Kanaan in vieler Hinsicht noch nicht erreicht ist. Nelson Mandela war jener Mose, der dem südafrikanischen Volk Hoffnung und Orientierung gab und die Apartheid zum Einsturz brachte. klaus.heidegger@aon.at, 2.1.2015

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