Mose als Vorbild für Batman und Co oder:
Exodus im Stil von Hollywood –
Exodus im Stil von Hollywood –
Theologische und
friedenspolitische Reflexionen zum Film
„Exodus: Von Göttern und Königen“
„Exodus: Von Göttern und Königen“
von Klaus Heidegger
Nach den Weihnachtsferien werde ich bestimmt von etlichen
meiner Schüler und Schülerinnen gefragt werden: „Herr Professor, haben Sie auch
den Film gesehen …?“ „Was halten Sie davon …?“ „Steht es wirklich so in der
Bibel …?“ „Können wir wirklich an einen solchen Gott glauben…?“ Als
Religionslehrer freue ich mich über solche Fragen, öffnen sie doch eine Tür, um
mit Jugendlichen Gespräche über eines der zentralsten religiösen Ereignisse zu
führen, um die Qualität biblischer Dichtungen zu erörtern und vor allem um die
Frage nach Gott und des Umgangs mit der Gewalt. Ich habe solchen Fragen vorgesorgt:
Den Film – ein Weihnachtsgeschenk – habe ich gesehen und entsprechend
schriftlich aufgearbeitet. Die nächsten Religionsstunden können kommen.
Gewalt-Orgien in 3D
Regisseur Ridley Scott und sein Team konnten in ihrer
Exodus-Verfilmung ein Sammelsurium von Gewaltphantasien in dreidimensionaler
Qualität verwirklichen. Von bluttriefenden Schlachten, permanenten Erhängungen
hebräischer Sklavenfamilien, Schwertern, die sich durch blutspritzende Leiber
bohren, Krokodilen, die Menschen verschlingen und dabei den Nil rot vom Blut
werden lassen, bis zu einer Monsterwelle, die das Heer des Pharao zermalmt. Wie
verhält sich dieser Film zur biblischen Vorlage im 2. Buch Mose?
Gewaltvoyeurismus statt
Aufdecken von Gewalt
Tatsächlich versuchen die biblischen Schriften stets, die
Gewaltstrukturen aufzudecken und zu kritisieren und zugleich Wege aus den
Gewaltdynamiken zu finden. In drastischer Sprache stellt die Bibel dar, was
Menschen an Grausamkeiten im Umgang miteinander und gegeneinander zustande
bringen. Ein erster Schritt zur Aufdeckung von Gewalt besteht darin, sie nicht
zu leugnen. Biblische Texte halten uns einen Spiegel vor, wie gewalttätig wir
Menschen sein können, wie gewalttätige Aktionen entstehen, wie sie verlaufen
und wie sie ausgehen. Biblische Erzählungen wie jene vom Exodus decken Gewalt
und Gewaltstrukturen tiefgründig auf.
Im jüngsten Film aus den US-amerikanischen Studios geschieht
jedoch das Gegenteil: Gewalt an sich wird nicht problematisiert, sondern
letztlich als Mittel der Befreiung legitimiert. Die szenischen Darstellungen
erstochener, erschlagener, zerbissener, ertränkter Menschen können einem
Gewalt-Voyeurismus huldigen, nicht jedoch abschreckend oder aufklärend wirken.
Die Darstellung des Pharao-Systems in Scotts
Exodus-Verfilmung kann noch in einer gewissen Weise als stimmig mit der
biblischen und historischen Vorlage gewertet werden. Das Volk der Hebräer und
Hebräerinnen rief ihren Gott um Hilfe an angesichts der Unterdrückung. Inmitten
des ägyptischen Reiches wurden sie zu Sklaven und Sklavinnen, zu Sündenböcken,
zu Opfern einer rassistischen Gewaltpolitik. Das Herrschaftssystem der
Ramses-Dynastie, dessen Gewalt durch Monsterbauten versinnbildlicht wurde,
verlangte nach Opfern. Ausbeutung von Arbeitskräften, politische Unterdrückung,
Rassismus, Sündenbockstrukturen, Anwendung von Gewalt gegenüber den Schwachen –
es sind Mechanismen, die nach 3200 Jahren auch heute noch an vielen Orten und
in vielen Ländern dieser Welt vorherrschen.
Mimesis – vom blutigen
Streit zwischen „Brüdern“
Schon die Filmplakate zeigen die
Grundstruktur des Filmes. Sie durchzieht sich als typischer Mimesis-Konflikt im
Streit zweier völlig ungleicher Brüder. Der Pharao-Nachfolger und leibliche
Sohn von Ramses auf der einen Seite. Neidisch blickt er auf die Erfolge von
Mose. Immer wieder betont er, dass er von seinem Vater nicht geliebt worden sei.
Als neuer Pharao beginnt sein Versuch, Mose zu eliminieren. Der heldenhaft Gute
gegen den grausamen Despoten: Das ist Hollywood-Kino. Das ist nicht Bibel. Was
gut und was böse ist, lässt sich so leicht unterscheiden wie die
US-amerikanische Dichotomie von den der guten Supermacht USA einerseits und den
Schurkenstaaten andererseits.
Der gewaltfreie Faden
des Exodus
Ridley Scott beginnt seine Mose-Verfilmung allerdings nicht,
wie etwa der geniale Zeichentrickfilm „The Prince of Egypt“, mit der Geburt des
Mose und seiner Rettung durch mutige Frauen. In der Bibel beginnt in dieser
Phase bereits die gewaltfreie Grammatik eines Gottes, den das Volk der
Israeliten und Israelitinnen in ihrer Exodus-Erfahrung mehr und mehr kennen
lernen darf. Scott will in seinem Film diesen gewaltfrei-widerständischen Faden
gar nicht aufgreifen, weil er so gar nicht zu seinem Gewalt-Mose und dessen
Gewalt-Gott passt.
Dann nämlich hätte er mit den zwei in der Bibel namentlich
genannten Hebammen beginnen müssen. Von Schiphra und Pua heißt es zu Beginn der
Exodus-Geschichte ganz in der Tradition des gewaltfreien Widerstands und der
Methode der Nonkooperation bzw. der Verweigerung von ungerechten Befehlen:
„Aber die beiden Hebammen verehrten Gott und taten nicht das, was der
ägyptische König ihnen gesagt hatte.“ (Ex 1,17) Es sind kluge, schlagfertige
und listige Frauen. Und weil sie so sind, heißt es schließlich: „Deshalb ließ
Gott es den Hebammen gut gehen.“ Dieser Widerstand setzt sich fort in der
Mutter des Mose, die ihren Neugeborenen drei Monate versteckt hielt, um ihn
nicht den ägyptischen Soldaten auszuliefern, die ihn hätten töten müssen. Ihre
Tochter Mirjam hilft ihr beim Plan, Mose zu retten. Als fünfte Frau, die am
Beginn dieser Rettungskette steht, tritt schließlich die Pharaonentochter auf.
Sie findet den hebräischen Jungen im Binsenkorb. Sie wird von Mirjam geschickt
„hintergangen“, damit Klein-Mose von seiner Mutter gestillt werden kann. Frauen
übernehmen über alle ethnischen und sozialen Grenzen hinweg ihren Platz im
Befreiungswerk ein.
Mirjam, die Schwester des Mose, spielt in der biblischen
Geschichte vom Exodus weiterhin eine zentrale Rolle. Mit Mose und Aaron zählt
sie zu den drei großen Befreiungsgestalten, die Israel aus der ägyptischen
Unterdrückung herausgeführt haben. Mirjam hat auch die Courage dann Kritik zu
üben, als Mose zu autoritär auftritt. Im Buch Numeri wird sie wie folgt
zitiert: „Hat Jahwe etwa nur mit Mose geredet? Hat er nicht auch mit uns
gesprochen?“ (Num 12,2) Im Scott-Exodus hat Mirjam diese Rolle nicht. Sie
erscheint vielmehr als Frau, die den Schutz des Mose braucht, übernimmt aber
nicht die Rolle einer Frau, die die Pauke in die Hand nimmt und dem Volk
voranzieht (Ex 15,20b.21).
Mose wiederum wird als junger Mann schmerzlich damit
konfrontiert, dass seine Gewaltanwendung gegenüber einem ägyptischen Aufseher, der
einen hebräischen Sklaven schlägt, der verkehrte Weg ist. Er muss fliehen. Der
in Ägypten Fremde kommt nochmals in die Fremde des Landes Midian, wird vom
Priester einer fremden Religion aufgenommen, heiratet eine Fremde, und in all
dem findet am Berg Horeb die so eindrucksvolle Gottesbegegnung beim brennenden
Dornbusch statt. Nie und nimmer jedenfalls ergreift in all diesen Kapiteln im
Buch Exodus Mose ein Schwert – wie im Film – oder Pfeil und Bogen – wie im Film,
im Gegenteil. Nach seiner Berufung beim Berg Horeb beginnt Mose gemeinsam mit
seinem Bruder Aaron in Verhandlungen mit dem ägyptischen König einzutreten. (Ex
5,1.3) Friedensverhandlungen würden wir es heute im Politjargon nennen. Gott
hat dem Mose nicht zugesichert, ihm Legionen zu schicken, mit denen er gegen
das ägyptische Heer hätte kämpfen können. Ohne Waffen schickt Gott Mose zum
Pharao, einzig mit der Zusicherung des Gottesnamens: „Ich bin da, weil ich da
bin!“ (Ex 3,14) und den Worten: „Ich stehe dir zur Seite!“ (Ex 3,12)
Bewusst reflektiert muss freilich die Tatsache sein, dass in
der biblischen Vorlage Jahwe selbst als Kriegsherr auftritt, der die
ägyptischen Feinde grausam niederschlägt.
Jedes Mal zucke ich in der Osternacht zusammen, wenn der Text
gelesen wird, dass Gott die pharaonische Streitmacht im Schilfmeer ersaufen
lässt. Eine einfache Übersetzungserklärung lautet jedoch so: Ursprünglich hieß
es im Mirjamlied: „Singt Jahwe, hocherhaben ist er, Ross und Wagen warf er ins
Meer.“ Später jedoch wurde aus „Wagen“ „Reiter“ und damit gehen nicht mehr die
kriegerischen Geräte im Schilfmeer unter, sondern Menschen ertrinken. Dies ist
aus dem Hebräischen leicht zu erklären, da die hebräischen Wort Reiter und Wagen
die gleichen Konsonanten haben, also lediglich ein Vokal Differenz besteht,
Vokale wiederum aber nicht geschrieben wurden. Im gewaltfreien Diskurs macht
dieser Unterschied jedoch sehr viel aus. So lässt Gott nicht mehr Menschen
ertrinken, sondern es bleibt – bildlich gesprochen – die kriegerische Streitmacht
im Sumpf stecken. Die kriegerischen Mittel taugen nichts mehr, und so gelingt
Befreiung. Nicht durch einen Kampf, sondern indem sich die militärischen Mittel
selbst ad absurdum führen. Es sterben nicht Menschen, nicht die Ägypter,
sondern das Ägypten der Unterdrückung geht unter! Die Bibel unterscheidet klar
zwischen Opfern und Tätern. Erstere werden gerettet! Das ist die gefährliche
Erinnerung für die gewalttätigen Herrschenden aller Zeiten. Daher erinnert das
Mirjamlied des Exodus an das Magnifikat der Mirjam von Nazareth im
Lukasevangelium: „Sie hat Mächtigen von ihren Thronen gestürzt und erhebt die
Niedrigen….“ (Lk 1,52)
Dieses Befreiungserlebnis muss immer wieder rückgebunden
werden an den Anfang der Exodus-Geschichte, in dem letztlich von einem Genozid
die Rede ist, der am hebräischen Volk verübt wird, ähnlich wie heute Jesiden
und Christen im Norden des Irak und Syriens von den Terrormilizen des
Islamischen Staates massakriert werden. Die Rede ist von Zwangsversklavungen –
und wieder gibt es dazu eine Parallele in den Nahen Osten, wo Mädchen und
Frauen von islamistischen Terrorgruppen als Sexsklavinnen missbraucht werden.
Der zivilisatorische Fortschritt und Glaubenszuwachs besteht
jedoch im Buch Exodus darin, dass nicht mehr die Menschen legitimiert sind,
Gewalt anzuwenden, sondern Gewaltanwendung an die Macht Gottes gebunden wird.
Dies ist freilich noch nicht jener zärtliche Abba-Gott, von dem dann der neue
Mose, Jesus Christus, erzählen wird. Im Buch Exodus geschieht noch jene
Projektion menschlicher Gewalt in das Gottesbild hinein. Der Film trägt
keinesfalls dazu bei, diese Projektion aufzudecken. Im Gegenteil. Das Bild
eines rachsüchtigen, extrem grausamen Gottes wird verfestigt. Jene, die jetzt
schon Schwierigkeiten im Glauben haben, werden sich angewidert von einem
solchen Gottesbild vom jüdisch-christlichen Glauben abwenden, wenn sie diese
Vorlage als Maßstab nehmen.
Der Exodus im jüdisch-christlichen Kontext ist vor allem ein
Symbol des Sieges der Schwachen über die Starken, der Unterdrückten über die
Herrschenden, der Kleinen über die Großen. Dieses Leitmotiv geht in den
Gewaltorgien der neuesten Exodus-Verfilmung fast gänzlich unter. Die biblische
Vorlage zeichnet ein Bild von einem völlig wehrlosen hebräischen Barfußvolk,
das einer übermächtigen, bestens gerüsteten Streitmacht gegenübersteht. Es
kommt in der Bibel zu keiner Niederlage – auch deswegen nicht, weil es zu
keiner Schlacht kommt. Wäre diese Lektion in den vergangen drei Jahrtausenden
geschichtsmächtig geworden, so wäre der Menschheit unermesslich viel Leid
erspart worden!
Die Wahrheit der biblischen Texte liegt nicht in ihrer
Historisierung, dem Versuch, den Exodus historisch zu begreifen und
darzustellen, sondern in ihrer theologisch-bedeutsamen Sprache. Damit soll
nicht geleugnet werden, dass es das Faktum eines befreienden Eingreifens Gottes
in unsere Geschichte – verbunden mit dem Handeln der Menschen – gibt und immer
wieder geben wird.
Scott-Mose, der gewaltbereite
General
Die Produktion aus dem Haus von 20th Century Fox bringt eine
Exodus-Interpretation, die in den entscheidendsten Punkten, vor allem der Frage
der Gewalt, den theologischen Anliegen des Exodus-Motivs im
Judentum-Christentum widerspricht.
Im Film wird Mose immer wieder als „General“ bezeichnet. Er
wird als unerschrockener Krieger im Dienst der Eroberungsfeldzüge des Pharaos
charakterisiert, jemand, der kaltblütig Widersacher ersticht, und später dann
aus den Männern seines Volkes eine Art Guerilla-Armee bildet, die der Übermacht
der ägyptischen Streitmacht mit Gegengewalt begegnen wollen. Während der
biblische Mose von Jahwe-Gott einen wundersamen Stock erhält, klammert sich
Christian Bale alias Mose an sein goldenes Schwert mit funkelnder Klinge, das
sich eignet, um Leiber aufzuschlitzen.
Exodus im Mainstream
US-amerikanischer Politik
Es ist kein Zufall, dass der Mose-Darsteller Christian Bale
zugleich Batman-Darsteller war. Die Gewaltlogik von Batman entspricht der
Gewaltlogik der Interpretation von Mose von Ridley Scott. So wie Batman die
Verbrecher unermüdlich verfolgt, tritt Mose in die Heroen-Rolle. „Exodus: Von
Göttern und Königen“ reiht sich somit ein in die US-Filmindustrie, passt zum
Genre der Gewaltspektakel der „Die Hard“-Trilogie über „Universal Soldier“ bis
zu Terminator. Die Heroen werden stets – wie der Mose im Scott-Exodus – mit
viel körperbetontem Schweiß und Blut in die Szenen geschickt.
Der Umgang mit der biblischen Vorlage ist horrend. Dort, wo
sie dem Gewaltmuster entspricht, wird die Bibel als Drehbuch in
fundamentalistischer Manier missverstanden, so als gäbe es nicht eine
jahrzehntealte historisch-kritische Exegese. Sämtliche archetypischen Bilder
werden wortwörtlich genommen. Man konstruiert seltsame Geschichten, um
beispielsweise das Rotwerden des Nils zu erklären – Krokodile fressen zuhauf
Menschen auf. Gegen Ende des Filmes sitzt Mose auf einem Berg und ritzt mit
einem Meißel den Gesetzestext in Steintafeln. Dies erinnert mehr an die
satirische Darstellung im Stil von „Das Leben des Brian“, als an eine
ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Fakt, dass der Dekalog für das Volk der
Israeliten und Israelitinnen „in Stein gemeißelt“ ist.
Die politisch Mächtigen genauso wie alle gewaltsamen
Befreiungsbewegungen können sich nun in ihren Gewalt-Denkmustern religiös
bestätigt fühlen. Die Feinde müssen vernichtet werden – so die Devise des
Islamischen Staates und Köpfe werden abgeschlagen. Die Feinde vernichten, und
wieder geht irgendwo eine Bombe los und zerfetzt Menschen, die als Feinde oder
als Freunde der Feinde betrachtet werden. Die ägyptischen Streitwagen sind
heute die Drohnen, die ihre Bomben über afghanischen Dörfen abwerfen, die
Schwerter von damals sind heute Waffen mit ihrer Potentialität zum Overkill,
der die Schlachten von Scotts Exodus alt aussehen lässt. Die Filmsprache
Hollywoods, so scheint es, kann sich selbst bei biblischen Stoffen nicht von
einer Gewaltfixierung lösen. Gewalt aber – so die Warnung – entsteht vielfach
im Kopf.
Auch Gewaltfreiheit kann im Kopf beginnen. Insofern gilt auch
die Hoffnung, dass eine kritische Sichtweise des Exodus, eine Interpretation
wie sie im Laufe der Jahrhunderte in jüdisch-christlichem Denken immer wieder
geschah, dazu beitragen kann, dass die Unterdrückten und Geschundenen dieser
Welt heute gewaltfreie Exodus-Erfahrungen machen werden. Wie dies funktioniert,
haben Befreiungsbewegungen immer wieder vorgelebt: Die amerikanische
Bürgerrechtsbewegung war gewaltfrei erfolgreich mit ihrem „Let my people go …“
– auch wenn das Land Kanaan in vieler Hinsicht noch nicht erreicht ist. Nelson
Mandela war jener Mose, der dem südafrikanischen Volk Hoffnung und Orientierung
gab und die Apartheid zum Einsturz brachte. klaus.heidegger@aon.at, 2.1.2015
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