Dienstag, 13. Januar 2015

Je suis Charlie - alles ist vergeben!





Alles ist vergeben!
Je suis Charlie – Teil 2
Klaus Heidegger
Meine erste Reaktion auf die Terrorattentate von Paris war eindeutig und spontan. Wie Millionen Menschen drückte ich meine Solidarität mit einem „Je suis Charlie“ aus. Bei einer österreichweiten Tagung letzte Woche in Salzburg schrieb ich diesen Schriftzug unter mein Namensschild. „Je suis Charlie“ bedeutet eben für mich ein Ja zur Meinungsfreiheit, die nicht durch Waffengewalt und Terror bekämpft werden darf. Der Schutz der Meinungsfreiheit gilt selbst dann, wenn – wie im Fall des französischen Satiremagazins – die Grenzen des Anstands und des Respekts unter dem Deckmantel der Satire systematisch verletzt wurden und zentrale Werte der Religionen und Kirche auf eine äußerst provokante Weise herabgewürdigt wurden. „Je suis Charlie“ war für mich ein Ausdruck des Protests gegen islamistischen Terror, jedoch keine Zustimmung zu den Inhalten und Bildern des Magazins eines kämpferischen Atheismus.

In den Charlie Hebdo-Karikaturen wurde ein Bild vom Islam gezeichnet, das eher den rechtsradikalen anti-islamischen Kräften entspricht. Insbesondere wurde der Prophet Muhammad auf eine Weise karikiert, die jede anti-islamische Stellungnahme von Front National bis FPÖ weit übertrifft. In Österreich gab es zu Recht eine scharfe Kritik, als Susanne Winter, nun Nationalrats-Abgeordnete der FPÖ, Muhammad als „Kinderschänder“ bezeichnet hatte. Vieles, was in den Charlie Hebdo-Magazinen publiziert worden war, hätte in Österreich unter dem Paragraphen 188 Strafgesetzbuch als „Herabwürdigung religiöser Lehren“ zur Anzeige gebracht werden müssen. Fakt ist, dass durch Charlie Hebdo islamophobe Ressentiments geschürt wurden. Pegida und ihre Claqeure und Ableger, bis zu den Hooligans gegen Salafisten in Hall, können sich über neuen Zulauf freuen. Neueste Umfragen – wie jene der Bertelsmann-Stiftung zeigen – dass in Deutschland 57 der Befragten den Islam ablehnen und ihn als „bedrohlich“ empfinden.[1]

Zu dieser anti-islamischen Stimmungsmache zählt auch der neue Roman von Michel Houellebecqs, in dem vor einer Machtergreifung der Muslime im Jahr 2022 gewarnt wird. Der Stift der Satiriker von Charlie bedeutete so oft in den vergangenen Jahren eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den religiösen Gefühlen, oftmals verbunden mit sexistischen, rassistischen oder homophoben Beiträgen. Was ist beispielsweise von einem Blatt zu halten, das anlässlich der Begeisterung beim Papstbesuch in Paris titelte "Franzosen so dumm wie Neger"? Andreas Mölzer musste jedenfalls hierzulande aufgrund seines „Neger“-Sagers als EUSpitzenkandidat im Frühjahr 2014 zurücktreten. Das Gefühl, dass Kritik sich an eine gewisse Correctness zu halten habe, ist in der Mehrheitsgesellschaft noch gut vorhanden.

Die Ausgabe von „profil“ in den Tagen nach den Schreckenstaten in Paris zeichnet gleichfallsein Bild, in dem „der“ Islam als Ursache für terroristischen Gewalttaten erscheint. Die Titelseite zeigt das Bild der Erschießung des französischen Polizisten und daneben steht in fetten Lettern: „Was den Islam so gefährlich macht.“ Im Leitartikel spricht der Chefredakteur vom „Bedrohungsfall Islam“. Und weiters schreibt Christian Rainer im Geiste der modernen Religionskritik: „Jeder Glaube an das Irrationale – also jede Religion – nährt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen irrational handeln. Beim Islam wird das zur Gefahr …“[2]
 
Mit der jüngsten Ausgabe von Charlie Hebdo scheint nun (vielleicht) ein neuer Weg zu beginnen. Ein Weg der Versöhnung. Auf dem ganz islam-grün gehaltenen Cover jener historischen Ausgabe, die in einer Ausgabe von 3 Millionen erscheint, ist der Prophet Muhammad zu sehen: jedoch nicht mehr in einer der anzüglichen Posen, mit denen er in den vergangenen Ausgaben immer wieder zu sehen war. Im Gegenteil. Muhammad hat eine Träne in den Augen. In den Händen hält er das Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“. Es ist, also wollte die Redaktion den Muslimen sagen: „Liebe Muslime, wir wissen, nicht eure Religion ist die Ursache dieser Barbarei, sondern deren Perversion. Das alles geschah nicht in eurem Namen!“ Die Überlebenden reichen die Hände zur Vergebung. Der Prophet wird als Friedensstifter stilisiert, nicht mehr wie in früheren Karikaturen als bösartiger Feind, dessen Turban eine Bombe ist, an der schon die Zündschnur brennt. Die Karikaturenstifte sind zu Friedensstiften geworden. Mit ihnen wird jene religiöse Grundtugend geschrieben, die da auch auf dem Cover des Satiremagazins steht: „Tout es pardonné – alles vergeben!“ Es ist zu hoffen, dass nun der zerbrochene Bleistift aufgenommen wird, nicht um damit zu verletzen, sondern um Bilder und Worte des Friedens zu zeichnen. In diesem Sinne sage ich: „Je suis Charlie!“ Satire muss kein Faustschlag ins Gesicht der Kritisierten sein.

„Je suis Charlie“ – das bedeutet für mich auch eine klare Abgrenzung gegenüber jenen rechtsradikalen Kräften, die dem Islam die Schuld für extremistische Anschläge geben. Charlie Hebdod wurde nicht müde, in seinen Satiren auch Marine le Pen und ihre Front National zu kritisieren. Es mutet daher seltsam an, wenn sich nun gerade jene Kräfte auf die Islamkritik von Charlie beziehen.

„Je suis Charlie“ – das heißt die wirklichen Ursachen für neue Spaltungen in diesem Europa und in der Welt zu sehen, die zum Nährboden für Gewalt werden. Es ist ein Komplex von ökonomischen und politischen Faktoren der Verarmung in den Banlieues von Paris oder der Hoffnungslosigkeit von Hunderttausenden angesichts von Arbeitslosigkeit und Armut in den Maghrebstaaten. Es sind die mangelnden Inklusionsmöglichkeiten, die zu Parallelwelten führen. Das gibt es auch hier in Österreich – und jedes Nein zu einer Gemeinsamen Schule der 10-14-Jährigen wird, beispielsweise, Segregationen weiter führen. Wenn diese Faktoren gesehen werden, dann aber wird a) nicht mehr DER Islam zum Sündenbock für Gewalt gewertet und b) werden nicht die falschen Maßnahmen ergriffen. Fragwürdig ist es nämlich, wenn nun die Innen- und Verteidigungsministerien der EU-Staaten eine großangelegte innere Aufrüstung beginnen. Würden die Millionen in sozialpolitische Programme und Inklusionsprogramme gesteckt, wäre dem Frieden und der Sicherheit so viel mehr gedient!


[1] Vgl. profil, 12.1.2015, 26.
[2] Rainer Christian (2015): Gott ist zu groß, in: profil, 12.1.2015, 13.

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