Alles
ist vergeben!
Je suis Charlie – Teil 2
Je suis Charlie – Teil 2
Klaus Heidegger
Meine
erste Reaktion auf die Terrorattentate von Paris war eindeutig und spontan. Wie
Millionen Menschen drückte ich meine Solidarität mit einem „Je suis Charlie“
aus. Bei einer österreichweiten Tagung letzte Woche in Salzburg schrieb ich
diesen Schriftzug unter mein Namensschild. „Je suis Charlie“ bedeutet eben für
mich ein Ja zur Meinungsfreiheit, die nicht durch Waffengewalt und Terror
bekämpft werden darf. Der Schutz der Meinungsfreiheit gilt selbst dann, wenn –
wie im Fall des französischen Satiremagazins – die Grenzen des Anstands und des
Respekts unter dem Deckmantel der Satire systematisch verletzt wurden und zentrale
Werte der Religionen und Kirche auf eine äußerst provokante Weise herabgewürdigt
wurden. „Je suis Charlie“ war für mich ein Ausdruck des Protests gegen
islamistischen Terror, jedoch keine Zustimmung zu den Inhalten und Bildern des
Magazins eines kämpferischen Atheismus.
In den Charlie Hebdo-Karikaturen wurde
ein Bild vom Islam gezeichnet, das eher den rechtsradikalen anti-islamischen
Kräften entspricht. Insbesondere wurde der Prophet Muhammad auf eine Weise
karikiert, die jede anti-islamische Stellungnahme von Front National bis FPÖ
weit übertrifft. In Österreich gab es zu Recht eine scharfe Kritik, als Susanne
Winter, nun Nationalrats-Abgeordnete der FPÖ, Muhammad als „Kinderschänder“
bezeichnet hatte. Vieles, was in den Charlie Hebdo-Magazinen publiziert worden
war, hätte in Österreich unter dem Paragraphen 188 Strafgesetzbuch als „Herabwürdigung religiöser Lehren“ zur
Anzeige gebracht werden müssen. Fakt ist, dass durch Charlie Hebdo islamophobe Ressentiments
geschürt wurden. Pegida und ihre Claqeure und Ableger, bis zu den Hooligans
gegen Salafisten in Hall, können sich über neuen Zulauf freuen. Neueste
Umfragen – wie jene der Bertelsmann-Stiftung zeigen – dass in Deutschland 57
der Befragten den Islam ablehnen und ihn als „bedrohlich“ empfinden.[1]
Zu dieser anti-islamischen Stimmungsmache zählt
auch der neue Roman von Michel Houellebecqs, in dem vor einer Machtergreifung
der Muslime im Jahr 2022 gewarnt wird. Der Stift der Satiriker von Charlie bedeutete
so oft in den vergangenen Jahren eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den
religiösen Gefühlen, oftmals verbunden mit sexistischen, rassistischen oder
homophoben Beiträgen. Was ist beispielsweise von einem Blatt zu halten, das anlässlich
der Begeisterung beim Papstbesuch in Paris titelte "Franzosen so dumm wie
Neger"? Andreas Mölzer musste jedenfalls hierzulande aufgrund seines
„Neger“-Sagers als EUSpitzenkandidat im Frühjahr 2014 zurücktreten. Das Gefühl,
dass Kritik sich an eine gewisse Correctness zu halten habe, ist in der
Mehrheitsgesellschaft noch gut vorhanden.
Die Ausgabe von „profil“ in den Tagen nach den
Schreckenstaten in Paris zeichnet gleichfallsein Bild, in dem „der“ Islam als
Ursache für terroristischen Gewalttaten erscheint. Die Titelseite zeigt das Bild
der Erschießung des französischen Polizisten und daneben steht in fetten
Lettern: „Was den Islam so gefährlich macht.“ Im Leitartikel spricht der
Chefredakteur vom „Bedrohungsfall Islam“. Und weiters schreibt Christian Rainer
im Geiste der modernen Religionskritik: „Jeder Glaube an das Irrationale – also
jede Religion – nährt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen irrational handeln.
Beim Islam wird das zur Gefahr …“[2]
Mit der jüngsten Ausgabe von Charlie Hebdo scheint nun
(vielleicht) ein neuer Weg zu beginnen. Ein Weg der Versöhnung. Auf dem ganz
islam-grün gehaltenen Cover jener historischen Ausgabe, die in einer Ausgabe
von 3 Millionen erscheint, ist der Prophet Muhammad zu sehen: jedoch nicht mehr
in einer der anzüglichen Posen, mit denen er in den vergangenen Ausgaben immer
wieder zu sehen war. Im Gegenteil. Muhammad hat eine Träne in den Augen. In den
Händen hält er das Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“. Es ist, also
wollte die Redaktion den Muslimen sagen: „Liebe Muslime, wir wissen, nicht eure
Religion ist die Ursache dieser Barbarei, sondern deren Perversion. Das alles
geschah nicht in eurem Namen!“ Die Überlebenden reichen die Hände zur
Vergebung. Der Prophet wird als Friedensstifter stilisiert, nicht mehr wie in
früheren Karikaturen als bösartiger Feind, dessen Turban eine Bombe ist, an der
schon die Zündschnur brennt. Die Karikaturenstifte sind zu Friedensstiften
geworden. Mit ihnen wird jene religiöse Grundtugend geschrieben, die da auch
auf dem Cover des Satiremagazins steht: „Tout es pardonné – alles vergeben!“ Es
ist zu hoffen, dass nun der zerbrochene Bleistift aufgenommen wird, nicht um
damit zu verletzen, sondern um Bilder und Worte des Friedens zu zeichnen. In
diesem Sinne sage ich: „Je suis Charlie!“ Satire muss kein Faustschlag ins
Gesicht der Kritisierten sein.
„Je suis Charlie“ – das bedeutet für mich auch eine
klare Abgrenzung gegenüber jenen rechtsradikalen Kräften, die dem Islam die
Schuld für extremistische Anschläge geben. Charlie Hebdod wurde nicht müde, in seinen
Satiren auch Marine le Pen und ihre Front National zu kritisieren. Es mutet
daher seltsam an, wenn sich nun gerade jene Kräfte auf die Islamkritik von
Charlie beziehen.
„Je suis Charlie“ – das heißt die wirklichen
Ursachen für neue Spaltungen in diesem Europa und in der Welt zu sehen, die zum
Nährboden für Gewalt werden. Es ist ein Komplex von ökonomischen und
politischen Faktoren der Verarmung in den Banlieues von Paris oder der
Hoffnungslosigkeit von Hunderttausenden angesichts von Arbeitslosigkeit und
Armut in den Maghrebstaaten. Es sind die mangelnden Inklusionsmöglichkeiten,
die zu Parallelwelten führen. Das gibt es auch hier in Österreich – und jedes
Nein zu einer Gemeinsamen Schule der 10-14-Jährigen wird, beispielsweise,
Segregationen weiter führen. Wenn diese Faktoren gesehen werden, dann aber wird
a) nicht mehr DER Islam zum Sündenbock für Gewalt gewertet und b) werden nicht
die falschen Maßnahmen ergriffen. Fragwürdig ist es nämlich, wenn nun die
Innen- und Verteidigungsministerien der EU-Staaten eine großangelegte innere
Aufrüstung beginnen. Würden die Millionen in sozialpolitische Programme und
Inklusionsprogramme gesteckt, wäre dem Frieden und der Sicherheit so viel mehr
gedient!
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