Charlie -Teil 3: Muhammad
weint
Das Thema „Terror und
Islam“ im Gespräch
Ganz tief ist das Thema „Terror“ und damit auch verknüpft die
Frage nach der Stellung von Gewalt und Krieg im Islam an meiner Schule
angekommen. Vor der Stunde. Eine Schülerin, die weint. Sie habe Angst vor dem
Terror. Der Religionsunterricht gibt Raum und Zeit, um über solche Fragen zu arbeiten.
Auch in den Chatforen und den Kommentarspalten, den Diskussionssendungen im
Fernsehen und in vielen Begegnungen auf dem Weg in die Arbeit oder im
Supermarkt wird das Thema Islam – vermischt mit der Frage nach Gewalt und
Terror – immer wieder angesprochen. Mein Anliegen ist es, im Stimmengewirr die
eigene begründete Meinung zu finden und selbst eine Stimme zu geben, aufmerksam
hinzuhören auf das, was andere sagen, ohne aber nachzuplappern, was Autoritäten
vorgeben. Das ist der Kern des „Je suis …“ „Ich bin“ „Je pense…“ „Ich denke…“
Das Recht auf Meinungsfreiheit.
Als Nicht-Muslim über
den Islam reden
Als Nicht-Muslim könne ich den Islam doch gar nicht richtig
verstehen, werfen mir nun manche vor. Als Christ soll ich mir nicht anmaßen,
über den Islam zu urteilen, wird im gleichen Stil hinzugefügt. Wer so
argumentiert, beschneidet Dialogmöglichkeiten. Im Gegenteil, so entgegne ich:
Gerade „von außen“ her kann eine Sicht oft ganz nützlich sein und weiterhelfen.
Weder bin ich Musiker noch Komponist, weder lebe ich im 18. Jahrhundert noch
spiele ich irgendein Instrument: Dennoch kann ich mich an Mozart freuen, kann
sagen, eine geniale Musik! So beginne ich mit dem Urteil von außen: Der Islam –
eine geniale Religion des Friedens!
Allah der Allerbarmer
und Barmherzige
Die Stunde beginne ich mit einer kurzen Meditation. Ich lasse
die Schüler die Augen zumachen. Sie sitzen im Kreis. Sie sollen sich einen
Gegenstand weitergeben. Er wird jeweils in die rechte Hand gelegt. Der
Gegenstand wird vorher nicht gesehen. Sie sollen ihn fühlen, ohne ein Wort
dabei zu sagen. Erst am Ende werden die Augen geöffnet. Es ist eine islamische
Gebetskette mit 99 Perlen. Die Perlen des Islam. Manche glaubten, einen
Rosenkranz in den Händen zu halten, andere tippten auf die buddhistische Schnur
– nur eine Schülerin wusste etwas über die Misbaha. Das Wesen des Islam ist
nicht, eine Kalashnikow in die Hand zu nehmen, sondern die Schnur des
Rezitierens der 99 Namen Gottes. Über diese schönsten Namen Allahs reden wir
nun: „Ar-Rahman“ – „der Gnädige“, „der Wohltätige“, „der Mitleidsvolle“ – so
der erste Name, der fast wie eine Überschrift ist. Gewalt, Krieg, Terror – das
hat so gar nichts mit diesem Namen zu tun. Das ist wie die Antithese zu „Ar-Rahman“.
Allah ist auch „Al-Quddus“, „der Friede“, so der vierte der schönsten Namen.
Und weiters: Allah ist „Al-Ghaffaar“, „der Vergebende“. Bei diesem, dem 14.
Namen, bin ich bei der aktuellen Ausgabe von Charlie Hebdo. „Tout est pardonné“
– „Alles ist verziehen“. Und noch ein zweites Mal heißt es im Koran, es ist der
34. Name, Allah ist „Al-Hhafuur“, wieder übersetzt mit „Der Vergebende“. Allah
ist „Al-Waduud“, der „Liebende“, „Ar-Ra-uuf“, der „Mitleidsvolle“ genauso wie
„As-Sabuur“, der „Geduldige“. Wenn Gott unter diesen Namen auch als „Erzeuger
der Not“ oder „der Vergelter“ bezeichnet wird, so kann dies nicht im Sinne
eines Widerspruchs zur Barmherzigkeit, Mildtätigkeit, Liebe und Vergebung
interpretiert werden.
Wenn die islamistischen Gotteskrieger die Waffen in die Hände
nehmen, so müssen sie im buchstäblichen Sinn des Wortes die Gebetsschnur weit
weglegen. Dann verraten sie die Mitte ihrer Religion. „Allahu-akbar“ zu rufen
und zu morden und zu massakrieren ist im Widerspruch zu den schönsten Namen
Gottes. Wenn vor vielen Jahren Ayatollah Khomeini seinen Anhängern verordnete,
die Gebetsschnur wegzulegen und das Gewehr in die Hand zu nehmen, so ist dies
genau jene anti-göttliche Strategie, die bei Boko Harem, den Terrormilizen des
Islamischen Staates oder den islamistischen Terrorzellen in Europa endet. Allah
ist nicht die Rache! Dann können wir auch als Christen zu
den selbsternannten „Gotteskriegern“ sagen: Ihr seid gar keine Muslime! Sie
sind, wie es jemand vor kurzem formulierte, „ent-muslimisiert“. In diesem Sinne
sind nach den Massakern von Paris weltweit Muslime aufgestanden und haben
gesagt und geschrieben: „Nicht in unserem Namen!“
Allah ist Vergebung
„Islam“ bedeutet „Unterwerfung unter den Frieden“. In diesem
Begriff steckt das Wort „Salam“, so meine Deutung für die Schüler und
Schülerinnen. Es ist nicht Unterwerfung unter einen Imam oder eine
Fatwa-Behörde, es ist nicht die Unterwerfung von Frauen gegenüber Männern, es
ist auch nicht die Unterwerfung von Ungläubigen mit Feuer und Schwert, Granaten
und Kalashnikows. All dies wäre letztlich Blasphemie, Gotteslästerung. „Djihad“
bedeutet auch nicht „Heiliger Krieg“, sondern die „Anstrengung“ des Herzens,
der Hände und der Zunge, das Gute zu tun. In diesem Sinne missbrauchen
selbsternannte „Djihadisten“ einen zentralen Begriff des Islam.
Das Titelbild der „Charlie Hebdo“-Ausgabe vom 14.1.2015 mit
dem weinenden Muhammad, seinem „Je suis Charlie“-Schild und der Titelzeile
„Tout est pardonné“ wurde in sich widersprüchlich aufgenommen. Der
Islamwissenschafter Khorchide steht auf der einen Seite. Er sieht in dieser
Karikatur „keineswegs eine Beleidigung“, sondern dass der Prophet weinend
dargestellt wird, zeige, dass er Mitgefühl mit den Opfern empfindet, dass er
nicht auf der Seite der Terroristen steht, sondern auf Seiten der
freiheitlich-demokratischen Ordnung und Werte. Das wiederum sei, so Khorchide
in einem ZIB-2-Interview, eine Anerkennung, dass der Prophet Muhammad ein
Prophet des Friedens sei. Der Prophet würde keineswegs in einer negativen
Haltung gezeigt. Die zentrale Botschaft liegt in der Aussage, dass nun
„Vergebung“ angesagt sei. Das Bild passt nicht zur landläufigen Meinung, dass
Muhammad seine Feinde wenn nötig mit Gewalt verfolgt.
Da freilich sind wir wiederum bei der islamischen Theologie:
Gott ist der „Gnädige und Barmherzige“ (Sure 4,16) und wird als solcher zu
Beginn von jeder der 114 Suren – mit einer Ausnahme – genannt. Vergebung und
nicht Gewalt ist daher die rote Schnur durch den Koran. „Tout est pardonné“
könnte auch in einer französischen Ausgabe des Korans stehen. Wenn der Mensch sich
von der Sünde abkehrt, wird Gott alle seine Verfehlungen verzeihen, seien es
große oder kleine, denn Gottes Barmherzigkeit "kennt keine Grenzen"
(Sure 7,156).
Klaus Heidegger, 17.1.2015
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