Von der gewaltfreien und sanftmütigen Mitte des Islam
1.
Terror im Namen des Islam ist
Blasphemie
"Die Attentäter von Paris sind Kriminelle ... keine
Muslime", "...die Wesenseigenschaft des Islam ist die Sanftmut"[1] - so der
führende Imam aus Paris, Chabbar Taieb. Was in Paris durch die Terroristen
geschah, das ist tiefste Gottlosigkeit, das ist tiefste Unkenntnis vom Wesen
des Islam und seinem Glauben an die Allbarmherzigkeit Gottes. Nicht der Glaube
an Gott ist bei den Gräueln der Geschichte, bei den Kreuzzügen, den
Konfessionskriegen, bei den Gräueln des Islamischen Staates, der Shabab-Milizen
in Somalia, der Al-Kaida oder von Boko Haram heute Ursache für die
unermesslichen Grausamkeiten, sondern der Unglaube an die Kraft des Göttlichen
in den Menschen und in der Welt, die eine Kraft der Liebe, der Vergebung, der
Barmherzigkeit und der Sanftmut ist. Dort, wo mit Berufung auf den Namen Gottes
gemordet wird, dort wird der Name Gottes missbraucht. Das
jüdisch-christlich-muslimische Grundgebot, „du wirst nicht morden!“, hängt vom
Wesen dieser drei Religionen mit dem Grundgebot der Gottesliebe und der
Heiligung seines Namens zusammen.
2.
Einhellige Verurteilung des Terrors
im Namen des Islam
Mit Ausnahme der terroristischen Organisationen, die sich auf
den Islam berufen, haben weltweit alle führenden islamischen Repräsentanten und
Organisationen einhellig und unmissverständlich die Terroraktionen gegen
Charlie Hebdo verurteilt. Der gemeinsame Nenner in der islamischen Welt
gegenüber dem islamistischen Terror lautet: „Nicht in unserem Namen!“ „Nicht im
Namen Gottes!“
Die Staatsspitze der Türkei, ein Land, das durch seine
Politik wesentlich mit dem Islam verknüpft ist, distanzierte sich eindeutig.
Staatspräsident Erdogan: "Terrorismus hat keine Religion oder
Nationalität, und keine Entschuldigung kann dafür gegeben werden".[2] Der
türkische Außenminister: "Der Islam ist eine Religion des Friedens, und es
ist nicht richtig, ihn mit Terrorismus in Verbindung zu bringen.“[3]
In diesen Stellungnahmen gibt es keine
Rechtfertigungsversuche im Stile von Charlie Hebdo hätte sich in ihrem Stil
vergriffen und sie hätten mit ihren religionskritischen Satiren die Wut zu Recht
auf sich gezogen. Selbst extreme islamische Richtungen distanzierten sich von
den Paris-Attentaten. Der Hisbolla-Führer wurde mit den Worten zitiert: „Die
Extremisten schaden dem Islam mehr als die Karikaturen.“
3.
Die Feinde des Islam, Kriegstreiber
und Angstmacher
Islamfeindliche Kräfte in Europa sehen sich durch die
Terroranschläge gegenüber Charlie Hebdo bestätigt. Ob Marine le Pen in
Frankreich, die PEGIDA-Bewegung in Deutschland – mit ihren blauen Ablegern in
Österreich – oder die FPÖ in Österreich: Die islamistischen Anschläge in Paris
werden offen oder sublim mit dem Wesen des Islam in Verbindung gebracht.
So schreibt der FP-EU-Abgeordnete Harald Vilimsky unter dem
Titel „Ihr-seid-nicht-Charlie“ gegen die Menschen, die sich unter dem Motto „Je
suis Charlie“ nun zu Hunderttausenden solidarisieren: „Islamismus hat mit Islam
nichts zu tun, schreibt ihr. Ja, denn Alkoholismus braucht ja schließlich auch
keinen Alkohol, oder? … Gerade ihr Linken habt die Aufklärung verraten an eine
Religion, deren Anhänger damit zu oft nichts zu tun haben wollen.“[4]
4.
Nous sommes Charlie – Christen und
Muslime, Kirchen und Moscheen vereint
Die Reaktion auf die Terrorattentate gegen Charie Hebdo hat
die demokratischen und vernünftigen Kräfte in diesem Europa geeint. Auch die
Repräsentanten der Religionsgemeinschaften traten gemeinsam auf, standen Seite
an Seite bei Veranstaltungen mit Hunderttausenden der Zivilgesellschaft unter
dem Zeichen „nous sommes Charlie“. Die Gewalt hat nicht das letzte Wort.
Der religiöse Zentralbegriff, der weltweit spürbar wurde,
lautet Auferstehung. In der Welt der Karikaturisten wird dies so dargestellt:
Ein Bleistift wird durch ein Maschinengewehr in zwei Hälften geteilt. Nun ist
die Kraft von zwei Bleistiften da.
5.
Antwort auf Gewalt ist nicht Gewalt
In den Kundgebungen,
Karikaturen und Berichten wurde ausgedrückt und dargestellt, dass die Antwort
auf Gewalt nicht ein Noch-mehr-Gewalt sein kann. Wie in diesen Karikaturen
dargestellt, liegt die Antwort auf den Terror im Festhalten an den zentralen
Werten der Meinungsfreiheit und der Solidarität.
„Marianne 2015“ ist
nicht mehr wie die berühmte Vorlage im Gemälde von Eugène Delacroix und seinem
Gemälde für die Julirevolution 1830. Die barbusige Frau, die zu einem
Nationalsymbol Frankreichs wurde, hält in der linken Hand nicht mehr ein
Schießgewehr mit aufgesetztem Bajonett. In den Karikaturen der
„Je-suis-Charlie“-Bewegung hält sie in ihrer Linken einen Karikaturstift.
Damit soll nicht ausgedrückt werden, dass Worte, Karikaturen
oder Satiren Waffen sind, mit denen andere verletzt werden könnten – im
Gegenteil: Worte können zur Kommunikation beitragen, können die herkömmlichen
Waffen überflüssig machen. Worte zählen zur „Waffenrüstung“ Gottes, von denen
der Apostel Paulus im Epheserbrief spricht.
6.
Die bleibende Frage: Der Islam und
der Frieden
Hinter der großen Solidarität der „Je-suis-Charlie“-Bewegung
bleibt, so habe ich bei vielen Gesprächen der letzten Tage entdeckt, dennoch
der Vorbehalt, ob Anschläge wie jene von Paris, ob das Morden des Islamischen
Staates in Syrien, von Boko-Haram oder der Shabab-Mililzen in Afrika nicht doch
mit DEM ISLAM in Verbindung gebracht werden müssen. Ich würde zu
„positivistisch“ denken, so eine Reaktion auf ein Posting von mir, in dem ich
Islam mit Sanftmut in Verbindung brachte. Mehrmals wurden bei einer
österreichweiten katholischen Tagung in der letzten Woche von den Referenten
Bemerkungen wie jene eingebaut: Wir Christen glauben an Jesus Christus und
seinen Gewaltverzicht, was vor allem durch die Torheit des Sterbens Jesu am
Kreuz zum Ausdruck gekommen sei, etwas, was von den Muslimen abgelehnt würde –
oder, um es direkter zu formulieren, etwas, das die Muslime nicht verstehen
würden. Hier aber läge letztlich der Schlüssel zum Gewaltverzicht. Und in einer
der führenden katholischen Wochenzeitschriften, „Christ in der Gegegenwart“,
wurde in dem Leitkommentar kurz vor dem Weihnachtsfest Jesus mit dem Propheten
Muhammad wie folgt verglichen: „Jesus Christus war ein gewaltfreier,
herrschaftskritischer Religionsstifter. Er war kein Kriegsherr und kein
Kriegstreiber wie Mohammed. Der Geburtsfehler des Islam liegt in seiner
Gründungsfigur, seinem ‚Propheten‘. Das Christentum als von der Wurzel her
selbstkritische und herrschaftskritische Religion ist – wie seine (Befreiungs-)Theologie
beweist – geistig im Jahr 2014 angekommen, der Islam in breitesten Teilen
nicht. Für Letzteres gibt es keine historische Entschuldigung mehr.“[5]
Daher mein Bemühen, aus meiner „christlichen“ Sicht den Islam
als friedliche Religion zu begreifen.
a)
Islam ist Unterwerfung unter den Willen eines
barmherzigen Gottes
Ein Muslim bzw. eine Muslima - die
sich an Allah richtet – wendet sich in ihrem Glauben an jenen Gott, zu dem auch
ein Christ eine Beziehung hat. Daraus folgt: Wenn mein Gott auch Allah ist, dann
kann aus meiner christlichen "Unterwerfung" unter Gott - wenn sie von
Gott geleitet ist - doch nichts Anderes herauskommen, wie wenn sich Muslime
ihrem Gott unterwerfen. Beide sind gleich! Das ist mein Grundansatz, aus dem
dann konsequent logisch gefolgert werden kann: Wenn der barmherzige Abba-Gott
Jesu Christi Feindesliebe und Gewaltverzicht fordert, so kann der Allah-Gott
Mohammeds doch letztlich nicht etwas anderes fordern, es sei denn, dieser Gott
leidet an ausgeprägter Schizophrenie. Das gilt in gleicher Weise zumindest auch
für das Judentum - meines Erachtens aber für jede Religion.
Es gilt also die Formel: Islam =
Unterwerfung unter Gott = Unterwerfung unter den Gott der Liebe und
Gewaltfreiheit.
b)
Jesus als Prophet und damit Vorbild im Islam
Zuwenig wird meist bedacht, dass
für die Muslime auch Jesus als Prophet und damit als Vorbild im Glauben gilt.
Damit freilich, so der einfache logische Schluss, ist auch Jesus mit seiner
klaren Gewaltverzichtsstrategie und seiner Feindesliebe Vorbild im Glauben.
c)
Gewaltfreie Aspekte im Leben des Propheten
Muhammad
Ein Muslim oder eine Muslima
orientiert sich am Leben des Propheten Muhammad. Wenn er wirklich ein
"Gesandter Gottes" ist, dann müsste er - in Fortsetzung des zuvor
genannten Arguments vom gewaltfreien Gott - auch ein Gesandter der
Gewaltfreiheit sein. Damit ergibt sich freilich das Problem der Interpretation
des Lebens des Propheten Mohammed. Hier ergeben sich zwei unterschiedliche
Interpretationsmuster.
Wer dem
Islam eine inhärente aggressive und kriegerische Eigenschaft zuschreibt,
beschreibt das Leben des Propheten als Feldherr, seine Niederlagen und Siege in
den bewaffneten Auseinandersetzungen,
oder erwähnt beispielsweise, dass der Prophet einmal den Befehl gegeben
hätte, 600 Gegner zu töten. Dem könnte nun das pazifistische Auftreten des
Jesus von Nazaret entgegengehalten werden, und schwupps: schon wird wieder die
Fahne der Überlegenheit des Christlichen emporgehalten.
Ist aber
nicht auch eine vorsichtigere Interpretation des historischen Muhammad möglich,
in der die friedensliebende Seite des "Gesandten Gottes" entdeckt
werden könnte? Das Anliegen des Propheten war nicht der Kampf, sondern die
Hinführung der Menschen zu Gott und einem gottesfürchtigen Leben. Hier schließt
sich der Kreis zum erstgenannten Argument. Bekannt aus der Frühgeschichte des
Propheten ist seine Fähigkeit, bei Streitigkeiten zu schlichten. Zu den
gewaltsamen Auseinandersetzungen kam es erst aufgrund der Verfolgungssituation
des Propheten und seiner Gemeinde. Immer wieder versuchte der Prophet Frieden
zu stiften und sich mit den Mekkanern zu versöhnen. Als Muhammed mit einem
großen Heer um 630 nach Mekka zog, fiel die Stadt letztlich ohne
Schwertstreich. Der Prophet Muhammed bot den Mekkanern sofort Versöhnung an und
verzichtete sogar auf die Besitztümer, die sie zuvor weggenommen hatten. In den
10 Kriegsjahren - so wird geschätzt - hatten die Nicht-Muslime nicht mehr als
250 Tote zu beklagen."
d)
Friedensbotschaften im Koran
Um die aggressiven Absichten des
Koran aufzudecken, wird zumeist mit dem so genannten "Schwertvers",
der Sure 9, argumentiert, die den Kampf gegen die Feinde vorschreibt. Solche
und ähnliche Stellen werden zum "Totschlagargument", wenn sie:
einseitig aus dem Zusammenhang gerissen und für allgemeingültig betrachtet
werden, ohne sie einer Korrektur durch die friedlichen Stellen zu unterziehen
und ohne die geschichtlichen Umstände sowie die dahinter stehenden Anliegen ins
Kalkül zu nehmen. Tatsächlich muss der der Koran als Chronik der Ereignisse in
Arabien während der islamischen Religionsstiftung gelesen werden. Wegen dieser
wechselvollen Zeit kann man vom Koran kein konsistentes Konzept zur Bestimmung
von Frieden und Krieg erhalten. Historisch gesehen ist es kein Widerspruch,
dass es im Koran Verse gibt, die zum Frieden aufrufen, wie auch solche, die
nach Krieg rufen. Der Koran ist in gewisser Hinsicht ein arabisches
Geschichtsbuch der Jahre 610-632. Alle Koranpassagen, die aus der Zeit vor der
Hidjra (622) stammen - also aus der Mekka-Epoche - enthalten keine Aufrufe oder
Bestimmungen zum Krieg.
Der Koran enthält viele Stellen,
die heute als friedliche Gesprächsstrategie tituliert werden könnten. Es heißt
beispielsweise: "Ruf zum Weg deines
Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung, und streite mit ihnen auf die beste
Art." (16,125) "Es ist nicht deine Aufgabe, sie rechtzuleiten,
sondern Gott leitet recht, wen Er will." (2,272) "Und wenn du
diejenigen siehst, die auf unsere Zeichen (spottend) eingehen, dann wende dich
von ihnen ab, bis sie auf ein anderes Gespräch eingehen." (6,68) "...
Gott weiß besser, was ihr tut. Gott wird am Tag der Auferstehung zwischen euch
über das urteilen, worüber ihr uneins wart." (22,67-69) Für das
Verhalten der muslimischen Gemeinschaft bedeutet dies, dass sie den so
genannten "Ungläubigen" mit Milde entgegenkommen sollten und nicht
als gnadenlose Richter. Der Gewaltausübung werden im Koran klare Vorschriften
und enge Grenzen gesetzt. Sie haben das Ziel, nicht Gewalt zu legitimieren,
sondern Gerechtigkeit und Frieden durch eine Eindämmung von Gewalt zu
erreichen. Zwei Beispiele mögen an dieser Stelle genügen: "Wenn jemand einen tötet, ... so ist es, als hätte er alle
Menschen getötet. Und wenn ihn jemand am Leben erhält, so ist es, als hätte er
alle Menschen am Leben erhalten." (5,31) "...wenn die Gegner sich dem
Frieden zuneigen, dann neige auch du dich ihm zu und vertrau auf Gott. Er ist
der, der alles hört und weiß: Und wenn sie dich betrügen wollen, dann genügt
dir Gott." (8,61.62)
e)
Islamische Friedenstheorie
Eine islamische Friedenstheorie
beginnt schon mit der Achtsamkeit in der Sprache. Djihad bedeutet demnach nicht
"Krieg", sondern "Anstrengung". Nicht von ungefähr gibt es
im Arabischen ein anderes Wort für Krieg (Harb) und bewaffnete
Auseinandersetzung (Qital). Djihad muss deswegen als die "Heilige
Anstrengung" bezeichnet werden - und kann als Eintreten für die Sache
Gottes gewertet werden, sprich: für Frieden und Gerechtigkeit.
Als Friedensbewegte können wir
heute zuversichtlich den Blick auf jene Bewegungen und Personen richten, die
eine pazifistische und gewaltfreie Interpretation des Islam leben. In den Tagen
nach dem Attentat von Paris haben sich Millionen von Muslimen und deren
Repräsentanten eindrucksvoll gegen den Terror islamistischer Kräfte gerichtet.
Auch wenn sich Muslime durch die Satiren von Charlie Hebdo in den vergangenen
Jahren so oft beleidigt gefühlt hatten, weil in vielen Darstellungen der Islam
als Religion gewaltverherrlichend karikiert wurde, so haben sie sich jetzt in
der „Nous-sommes-Charlie“-Bewegung Seite an Seite mit allen demokratischen
Kräften wieder gefunden und zeugen von einem Islam, der nicht die Gewalt,
sondern den Frieden will. Islam ist Salam.
[1]
Tiroler Tageszeitung, 10.1.2015,1.
[2]
Zit. in: http://derstandard.at/2000010149677/Charlie-Hebdo-und-die-Tuerkei,
online 10.1.2015.
[3]
Ebd.
[5]
Christ in der Gegenwart, Nr.51, 21.12.2014,1.
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