Samstag, 31. Januar 2015

Akademikerball und der gewaltfreie Widerstand



Burschenschafterball in der Hofburg, oder: den Wolf umarmen …
Wäre ich in Wien gewesen, gestern abends und nachts, als die Burschenschafter in der Hofburg tanzten, und hätte ich irgendeinen von ihnen getroffen, der da unter einer Hundertschaft von Polizisten sich den Weg zum Ball bahnte, dann hätte ich ihn gerne angehalten. Ich hätte ihn unschwer als Ballgast erkennen können. Aufgrund von Mensur und Couleur hätte ich gewusst.Einer von ihnen. Da ich weiß, dass Burschenschafter gerne Bier trinken, hätte ich ihn noch davor auf ein Bier im nahen „Bieradies“ am Judenplatz eingeladen. Er wäre wahrscheinlich sehr erstaunt gewesen über diese Einladung, da ich doch – mit meinem krausen Lockenkopf, den ausgebeulten Hosen und den Waldviertlerschuhen – optisch dem „anderen“ Lager zugehörig schien, jenen Neuntausend, die friedlich gegen den von der FPÖ-organisierten WKR-Ball demonstrierten. Ja, er hatte recht, ich kam gerade von dort.
Meine verblüffende Einladung war erfolgreich. „Keine schlechte Idee“, meinte er, „ich müsste ohnehin noch in der Kälte auf meine Begleiter warten, die – verhindert durch die Sperren – eine Stunde später kommen würden.“ Allerdings, so gestand er, habe er Angst vor den Vermummten. War es mein großer neuer Button, auf dem „pax christi“ stand, der ihn meine Einladung annehmen ließ? War es die Aussicht auf ein gutes Gratisbier in einem nicht gerade billigen Lokal? Oder war es sein Interesse an seinem einladenden GEGENÜBER, das nicht mit feindseliger „Nazi-Raus“-Parole auftrat? Schließlich kam ich gerade von der beeindruckenden „Jetzt-Zeichen setzen“-Kundgebung am Heldenplatz. Ich sollte es herausfinden.
Wir hatten Glück, zwischen Polizeisperren einen Durchschlupf zu finden. Im „Bieradies“ am Judenplatz fanden wir gerade noch einen Platz für zwei. Georg, so hieß er, hatte gerade sein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und ein PhD-Studium begonnen. Als Burschenschafter war es für ihn leichter, einen Assistentenjob zu bekommen. Beziehungen funktionieren. Ich hatte mit Georg einen Gesprächspartner gefunden, der nicht zufällig in der „Wiener Akademischen Bruderschaft Libertas“ beheimatet war. Im Licht des Lokals war nun deutlich sein Schmiss zu erkennen. „Das ist mein Zeichen für Ritterlichkeit und Wehrhaftigkeit“, meinte er auf meinen Blick. „Das ist mein Zeichen für Wehrhaftigkeit“ - und ich deutete auf meinen „pax Christi“-Button. „Wehrhaftigkeit“: Wir hatten eine erste Gemeinsamkeit entdeckt, obwohl wir darunter etwas Grundverschiedenes verstanden. Georg hatte den Präsenzdienst abgeleistet, erwartungsgemäß auch das Einjährig-Freiwilligen-Jahr absolviert. Er hätte gar nicht anders können, als den Dienst beim Bundesheer zu leisten. Als politisch denkender und handelnder Mensch wusste ich viel über die Burschenschafter. Niemand wird zugelassen, der den Wehrdienst verweigert. Ich erzählte ihm von meinem Zivildienst. In jener Zeit vor drei Jahrzehnten hatten wir als Katholische Jugend immer wieder unsere Differenzen mit burschenschaftlichen Aktivitäten. „Sie“ waren immer auf der anderen Seite: Ob es galt, die Schikanen für Wehrdienstverweigerer aufzuheben oder bei Friedensdemonstrationen gegen die Nato-Aufrüstung. Als Uni-affiner Mensch wusste ich auch längst genau zu unterscheiden zwischen den farbentragenden Studenten aus den konfessionellen Cartellverbänden und den burschenschaftlichen Korps. An einem ihrer Häuser ging ich auf dem Weg zwischen Uni und dem Priesterseminar, wo ich damals war, täglich vorbei. Georg kannte auch einige Bundesbrüder von dort, bei der Akademischen Bruderschaft Suevia. Einen würde er auf dem Hofburgball treffen, sagte er mit Blick auf die Uhr.
Ich wollte von Georg erfahren, warum sich die Burschenschafter so schwer tun, ihre Verstrickungen in der NS-Zeit aufzuarbeiten. Auch er wusste Bescheid über das Denkmal für Gerhard Lausegger am Innsbrucker Westfriedhof, wo die Suevia den Mörder der Reichspogromnacht und späteren SS-Obersturmbannführer immer noch als einen der ihren verehrt, der für des „Deutschen Volkes Ehre“ gestorben sei.. Georg meinte, nicht zu Unrecht, dass sich die Burschenschafter doch oft deutlich von der Zeit des Nationalsozialismus abgegrenzt hätten. Ich bleibe hartnäckig und frage weiter: Und, was ist mit der Zeit nach 1945? Warum haben beispielsweise 1961 Burschen der Suevia den jüdischen Friedhof in Innsbruck verwüstet? Warum hat die Suevia erklärt, Nichtdeutsche – und deshalb explizit auch Juden – könnten keine Mitgliedschaft in der Suevia bekommen? Fast zeitgleich mit dem Hofburg-Ball dachte die Welt an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Noch nach 1945 formulierte ein Mitglied der Suevia den Satz: “Das Feuer von Auschwitz behüten und schüren.”
Georg distanzierte sich von diesem Satz. Es war ihm zutiefst unangenehm. Solche Rülpser waren auch für ihn zum Fremdschämen. Warum aber nur kommen immer wieder antisemitische Sager aus dem burschenschaftlichen Eck? Ich kann diesbezüglich leider ganz aus dem Vollen schöpfen, da aus dem Munde freiheitlicher Bundesbrüder die meisten der entsprechenden Sager stammen. „Isst du Schwein, kommst du rein …“ und Bundesbruder und Chef-Balleinlader HC Strache dreht grinsend ein Spanferkel dazu.
Wir hatten viel Gesprächsstoff. Georg war auch beim Treffen der „deutschnationalen“ und schlagenden Burschenschaften in Innsbruck im Herbst 2013 dabei, an dem ehemalige Spitzenpersönlichkeiten der FPÖ wie Andreas Mölzer oder Ewald Stadler teilnahmen und das von der FPÖ – insbesondere der FPÖ-Tirol – energisch verteidigt wurde. Die Bürgermeisterin wurde vom FPÖ-Tirol-Parteichef Markus Abwerzger massiv kritisiert, weil sie andeutete, in Zukunft für solche Treffen öffentliche Einrichtungen wie die Messehalle nicht mehr zur Verfügung zu stellen. (Warum nur wurde die Wiener Hofburg wieder für den Burschenschafter-Ball freigegeben??) Ein FPÖ-Bezirksparteisekretär sprach überhaupt mit Blick auf die Bürgermeisterin von „Mörderin der Versammlungsfreiheit“. Von der FPÖ wurde die Bürgermeisterin als „geistige Brandstifterin“ bezeichnet und der FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache sprach von einem „demokratiepolitischen Skandal“. Und immer wieder geschah dabei die so bekannte Opfer-Täter-Umkehr. Wird Kritik an den Burschenschaften geübt, so sehen diese sich sofort als unschuldige Opfer linksfaschistischer Kreise und vergleichen sich sogar mit den Opfern des Nationalsozialismus.
Georg wusste noch besser Bescheid über die Verstrickungen zwischen Burschenschaften und der FPÖ. Er selbst gab auch „freimütig“ – eines seiner Lieblingsworte – zu, aktives Mitglied der Freiheitlichen zu sein. Im freiheitlichen Parlamentsklub ist mehr als jeder Dritte einer seiner Bundesbrüder, das sind 18 FPÖ-Nationalratsabgeordnete von insgesamt 40, im Wiener Landtag sogar jeder Zweite. Für sie war der heutige Ball Pflichttermin. Er würde noch viele von ihnen treffen.
Ich wusste, dass Georg nun mit dem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit entgegnen würde. Ich hatte bei mir einen Artikel, den ich bereits vor einem Jahr über die Ereignisse rund um den „Burschenschafterball“ geschrieben hatte. Dabei stützte ich mich auf ein Urteil des Innsbrucker Politologen Reinhold Gärtner, der zu dieser Frage meinte: „Die Crux dabei ist, dass manche von ihnen nur zu gerne einer Ideologie nachweinen, die mit Meinungsfreiheit aber schon gar nichts zu tun hatte. Sie betonen, die Freiheitsideale von 1848 hochhalten zu wollen, und landen doch wieder bei plumpem Deutschnationalismus oder beim Arierparagraphen. Sie meinen, von den Nationalsozialisten verboten worden zu sein, verschweigen aber die feierliche Aufnahme in den NSDAP-Studentenbund. Und sie wollen ja nur Zukunftsfragen ansprechen, zeigen aber keinerlei Initiative, mit der eigenen NS-Vergangenheit aufzuräumen. Das ist das Problem: Viele der Burschenschafter wollen (oder können) partout nicht verstehen, dass Österreich nicht erst im Jahre 2014 bereit und willens ist, den Nationalsozialismus als das zu benennen, was er war: ein zutiefst verbrecherisches Regime. Und dass für dieses Regime und seine Ideologie nun einmal kein Platz in einem demokratischen System sein kann.“ Das ist der Kern, warum viele von meinen Freunden gegen den Ball in der Hofburg demonstrierten, fügte ich hinzu.
Auch Georg tat sich nun schwer, mir zu widersprechen. Er kannte keinen Burschenschafter, der im Widerstand gegen das Nazi-Regime gestorben wäre – so wie viele Mitglieder der katholischen Studentenverbindungen. Er selbst wusste auch besser Bescheid über die Tatsache, dass sich in der Zeit des Nationalsozialismus Burschenschafter im Rahmen des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenverbundes integrieren ließen. Aber das ist Vergangenheit. Wenn jedoch heute Burschenschafter in und außerhalb der FPÖ erklären „wir sind Pegida“, dann ist dies offen zur Schau getragener Anti-Islamismus. Als Tiroler bin ich dabei vor allem mit den laufenden Äußerungen des Burschenschafters Markus Abwerzger, Landesparteiobmann der Tiroler FPÖ, konfrontiert.
Georg blickte auf die Uhr. Nun war es Zeit, um zur Hofburg zu gehen. „Je suis Jeuf“, dachte ich beim Vorbeigehen am Mahnmal für die jüdischen Opfer des Holocaust am Judenplatz. Und ich musste an die Worte der Holocaust-Überlebenden Dora Schimanko und den ehemaligen KZ-Häftling Rudi Gelbard denken, die vor kurzem auf der Bühne bei der „Jetzt-Zeichen setzen“-Kundgebung standen.
Beim Michaeler-Tor war alles abgesperrt. Hundertschaften von Polizisten in Kampfmontur, Blaulicht, Arrestantenwagen, Hunde. Es war gespenstisch. Ich fühlte mit Georg. Das war für uns beide nicht das, was wir wollten. Wenn Gewalt mit Gewalt beantwortet wird, und seien es auch nur kaputte Schaufenster, aufgeschlitzte Reifen und brennende Müllkübel, dann gibt es keine Lösung, dann wird Kickl als Haus-und-Hof-Schreiber der FPÖ nur wieder einen Anlass finden, um die Burschenschafter und die FPÖ als „Opfer“ darzustellen, hoffentlich nicht so völlig pervers wie letztes Jahr, als Andreas Mölzer die Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem Akademikerball mit dem Novemberpogrom verglichen hatte. Wenn 1500 Ballbesucher von 2500 Polizisten beschützt werden müssen, dann stimmt etwas nicht – auch nicht mit dem Protest gegen diesen Ball.
Georg hatte nun keine Lust mehr auf den Ball und ich wollte nicht zwischen das idiotische Katz-und-Maus-Spiel des Schwarzen Blocks geraten. „Willst du mit mir noch auf ein Bier ins Irish-Pub gehen?“ Nun lud er mich ein. Gerne nahm er meine Goretex-Überjacke – ich hatte darunter noch meine warme Primaloft-Jacke – und so konnte er seine Balladjustierung gut verdecken. Wäre ja nicht ungefährlich für ihn gewesen, so als Burschenschafter entdeckt zu werden. Irgendwo lag am Boden ein gelbes Schild auf dem stand „MUSLIME UND FLÜCHTLINGE WILLKOMMEN“. Ich nahm es mit, als Souvenir.
An diesem Abend haben wir noch lange geredet, von Heinrich Heine und seinem Ausschluss von den Burschenschaftern bis zu HC Strache heute. Wir müssen weiter reden, noch sehr viel, ohne Angst voreinander. Bis zum nächsten Bier. Davor gehen wir gemeinsam ins Theater in der Josefstadt. „Der Boxer“. Georg war nicht mehr Wolf für mich und ich nicht mehr Wolf für ihn.

Klaus Heidegger, 31.1.2015, klaus.heidegger@aon.at

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