Burschenschafterball in
der Hofburg, oder: den Wolf umarmen …
Wäre ich in Wien gewesen, gestern abends und nachts, als die
Burschenschafter in der Hofburg tanzten, und hätte ich irgendeinen von ihnen
getroffen, der da unter einer Hundertschaft von Polizisten sich den Weg zum Ball
bahnte, dann hätte ich ihn gerne angehalten. Ich hätte ihn unschwer als
Ballgast erkennen können. Aufgrund von Mensur und Couleur hätte ich gewusst.Einer
von ihnen. Da ich weiß, dass Burschenschafter gerne Bier trinken, hätte ich ihn
noch davor auf ein Bier im nahen „Bieradies“ am Judenplatz eingeladen. Er wäre
wahrscheinlich sehr erstaunt gewesen über diese Einladung, da ich doch – mit
meinem krausen Lockenkopf, den ausgebeulten Hosen und den Waldviertlerschuhen –
optisch dem „anderen“ Lager zugehörig schien, jenen Neuntausend, die friedlich
gegen den von der FPÖ-organisierten WKR-Ball demonstrierten. Ja, er hatte
recht, ich kam gerade von dort.
Meine verblüffende Einladung war erfolgreich. „Keine
schlechte Idee“, meinte er, „ich müsste ohnehin noch in der Kälte auf meine Begleiter
warten, die – verhindert durch die Sperren – eine Stunde später kommen würden.“
Allerdings, so gestand er, habe er Angst vor den Vermummten. War es mein großer
neuer Button, auf dem „pax christi“ stand, der ihn meine Einladung annehmen
ließ? War es die Aussicht auf ein gutes Gratisbier in einem nicht gerade
billigen Lokal? Oder war es sein Interesse an seinem einladenden GEGENÜBER, das
nicht mit feindseliger „Nazi-Raus“-Parole auftrat? Schließlich kam ich gerade
von der beeindruckenden „Jetzt-Zeichen setzen“-Kundgebung am Heldenplatz. Ich
sollte es herausfinden.
Wir hatten Glück, zwischen Polizeisperren einen Durchschlupf
zu finden. Im „Bieradies“ am Judenplatz fanden wir gerade noch einen Platz für
zwei. Georg, so hieß er, hatte gerade sein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und
ein PhD-Studium begonnen. Als Burschenschafter war es für ihn leichter, einen
Assistentenjob zu bekommen. Beziehungen funktionieren. Ich hatte mit Georg
einen Gesprächspartner gefunden, der nicht zufällig in der „Wiener Akademischen
Bruderschaft Libertas“ beheimatet war. Im Licht des Lokals war nun deutlich sein
Schmiss zu erkennen. „Das ist mein Zeichen für Ritterlichkeit und
Wehrhaftigkeit“, meinte er auf meinen Blick. „Das ist mein Zeichen für
Wehrhaftigkeit“ - und ich deutete auf meinen „pax Christi“-Button.
„Wehrhaftigkeit“: Wir hatten eine erste Gemeinsamkeit entdeckt, obwohl wir
darunter etwas Grundverschiedenes verstanden. Georg hatte den Präsenzdienst
abgeleistet, erwartungsgemäß auch das Einjährig-Freiwilligen-Jahr absolviert.
Er hätte gar nicht anders können, als den Dienst beim Bundesheer zu leisten.
Als politisch denkender und handelnder Mensch wusste ich viel über die
Burschenschafter. Niemand wird zugelassen, der den Wehrdienst verweigert. Ich
erzählte ihm von meinem Zivildienst. In jener Zeit vor drei Jahrzehnten hatten
wir als Katholische Jugend immer wieder unsere Differenzen mit
burschenschaftlichen Aktivitäten. „Sie“ waren immer auf der anderen Seite: Ob
es galt, die Schikanen für Wehrdienstverweigerer aufzuheben oder bei Friedensdemonstrationen
gegen die Nato-Aufrüstung. Als Uni-affiner Mensch wusste ich auch längst genau
zu unterscheiden zwischen den farbentragenden Studenten aus den konfessionellen
Cartellverbänden und den burschenschaftlichen Korps. An einem ihrer Häuser ging
ich auf dem Weg zwischen Uni und dem Priesterseminar, wo ich damals war,
täglich vorbei. Georg kannte auch einige Bundesbrüder von dort, bei der
Akademischen Bruderschaft Suevia. Einen würde er auf dem Hofburgball treffen,
sagte er mit Blick auf die Uhr.
Ich wollte von Georg erfahren, warum sich die
Burschenschafter so schwer tun, ihre Verstrickungen in der NS-Zeit
aufzuarbeiten. Auch er wusste Bescheid über das Denkmal für Gerhard Lausegger
am Innsbrucker Westfriedhof, wo die Suevia den Mörder der Reichspogromnacht und
späteren SS-Obersturmbannführer immer noch als einen der ihren verehrt, der für
des „Deutschen Volkes Ehre“ gestorben sei.. Georg meinte, nicht zu Unrecht,
dass sich die Burschenschafter doch oft deutlich von der Zeit des Nationalsozialismus
abgegrenzt hätten. Ich bleibe hartnäckig und frage weiter: Und, was ist mit der
Zeit nach 1945? Warum haben beispielsweise 1961 Burschen der Suevia den
jüdischen Friedhof in Innsbruck verwüstet? Warum hat die Suevia erklärt,
Nichtdeutsche – und deshalb explizit auch Juden – könnten keine Mitgliedschaft
in der Suevia bekommen? Fast zeitgleich mit dem Hofburg-Ball dachte die Welt an
die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Noch nach 1945 formulierte ein
Mitglied der Suevia den Satz: “Das Feuer von Auschwitz behüten und schüren.”
Georg distanzierte sich von diesem Satz. Es war ihm zutiefst
unangenehm. Solche Rülpser waren auch für ihn zum Fremdschämen. Warum aber nur
kommen immer wieder antisemitische Sager aus dem burschenschaftlichen Eck? Ich
kann diesbezüglich leider ganz aus dem Vollen schöpfen, da aus dem Munde
freiheitlicher Bundesbrüder die meisten der entsprechenden Sager stammen. „Isst
du Schwein, kommst du rein …“ und Bundesbruder und Chef-Balleinlader HC Strache
dreht grinsend ein Spanferkel dazu.
Wir hatten viel Gesprächsstoff. Georg war auch beim Treffen
der „deutschnationalen“ und schlagenden Burschenschaften in Innsbruck im Herbst
2013 dabei, an dem ehemalige Spitzenpersönlichkeiten der FPÖ wie Andreas Mölzer
oder Ewald Stadler teilnahmen und das von der FPÖ – insbesondere der FPÖ-Tirol
– energisch verteidigt wurde. Die Bürgermeisterin wurde vom
FPÖ-Tirol-Parteichef Markus Abwerzger massiv kritisiert, weil sie andeutete, in
Zukunft für solche Treffen öffentliche Einrichtungen wie die Messehalle nicht
mehr zur Verfügung zu stellen. (Warum nur wurde die Wiener Hofburg wieder für
den Burschenschafter-Ball freigegeben??) Ein FPÖ-Bezirksparteisekretär sprach
überhaupt mit Blick auf die Bürgermeisterin von „Mörderin der
Versammlungsfreiheit“. Von der FPÖ wurde die Bürgermeisterin als „geistige
Brandstifterin“ bezeichnet und der FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache
sprach von einem „demokratiepolitischen Skandal“. Und immer wieder geschah
dabei die so bekannte Opfer-Täter-Umkehr. Wird Kritik an den Burschenschaften
geübt, so sehen diese sich sofort als unschuldige Opfer linksfaschistischer
Kreise und vergleichen sich sogar mit den Opfern des Nationalsozialismus.
Georg wusste noch besser Bescheid über die Verstrickungen
zwischen Burschenschaften und der FPÖ. Er selbst gab auch „freimütig“ – eines
seiner Lieblingsworte – zu, aktives Mitglied der Freiheitlichen zu sein. Im
freiheitlichen Parlamentsklub ist mehr als jeder Dritte einer seiner
Bundesbrüder, das sind 18 FPÖ-Nationalratsabgeordnete von insgesamt 40, im
Wiener Landtag sogar jeder Zweite. Für sie war der heutige Ball Pflichttermin.
Er würde noch viele von ihnen treffen.
Ich wusste, dass Georg nun mit dem Recht auf Meinungs- und
Versammlungsfreiheit entgegnen würde. Ich hatte bei mir einen Artikel, den ich
bereits vor einem Jahr über die Ereignisse rund um den „Burschenschafterball“
geschrieben hatte. Dabei stützte ich mich auf ein Urteil des Innsbrucker
Politologen Reinhold Gärtner, der zu dieser Frage meinte: „Die Crux dabei ist,
dass manche von ihnen nur zu gerne einer Ideologie nachweinen, die mit
Meinungsfreiheit aber schon gar nichts zu tun hatte. Sie betonen, die
Freiheitsideale von 1848 hochhalten zu wollen, und landen doch wieder bei
plumpem Deutschnationalismus oder beim Arierparagraphen. Sie meinen, von den
Nationalsozialisten verboten worden zu sein, verschweigen aber die feierliche
Aufnahme in den NSDAP-Studentenbund. Und sie wollen ja nur Zukunftsfragen
ansprechen, zeigen aber keinerlei Initiative, mit der eigenen NS-Vergangenheit
aufzuräumen. Das ist das Problem: Viele der Burschenschafter wollen (oder
können) partout nicht verstehen, dass Österreich nicht erst im Jahre 2014
bereit und willens ist, den Nationalsozialismus als das zu benennen, was er
war: ein zutiefst verbrecherisches Regime. Und dass für dieses Regime und seine
Ideologie nun einmal kein Platz in einem demokratischen System sein kann.“ Das
ist der Kern, warum viele von meinen Freunden gegen den Ball in der Hofburg
demonstrierten, fügte ich hinzu.
Auch Georg tat sich nun schwer, mir zu widersprechen. Er
kannte keinen Burschenschafter, der im Widerstand gegen das Nazi-Regime
gestorben wäre – so wie viele Mitglieder der katholischen
Studentenverbindungen. Er selbst wusste auch besser Bescheid über die Tatsache,
dass sich in der Zeit des Nationalsozialismus Burschenschafter im Rahmen des
Nationalsozialistischen Deutschen Studentenverbundes integrieren ließen. Aber
das ist Vergangenheit. Wenn jedoch heute Burschenschafter in und außerhalb der
FPÖ erklären „wir sind Pegida“, dann ist dies offen zur Schau getragener
Anti-Islamismus. Als Tiroler bin ich dabei vor allem mit den laufenden
Äußerungen des Burschenschafters Markus Abwerzger, Landesparteiobmann der
Tiroler FPÖ, konfrontiert.
Georg blickte auf die Uhr. Nun war es Zeit, um zur Hofburg zu
gehen. „Je suis Jeuf“, dachte ich beim Vorbeigehen am Mahnmal für die jüdischen
Opfer des Holocaust am Judenplatz. Und ich musste an die Worte der
Holocaust-Überlebenden Dora Schimanko und den ehemaligen KZ-Häftling Rudi
Gelbard denken, die vor kurzem auf der Bühne bei der „Jetzt-Zeichen setzen“-Kundgebung
standen.
Beim Michaeler-Tor war alles abgesperrt. Hundertschaften von
Polizisten in Kampfmontur, Blaulicht, Arrestantenwagen, Hunde. Es war gespenstisch.
Ich fühlte mit Georg. Das war für uns beide nicht das, was wir wollten. Wenn
Gewalt mit Gewalt beantwortet wird, und seien es auch nur kaputte Schaufenster,
aufgeschlitzte Reifen und brennende Müllkübel, dann gibt es keine Lösung, dann
wird Kickl als Haus-und-Hof-Schreiber der FPÖ nur wieder einen Anlass finden,
um die Burschenschafter und die FPÖ als „Opfer“ darzustellen, hoffentlich nicht
so völlig pervers wie letztes Jahr, als Andreas Mölzer die Ausschreitungen im
Zusammenhang mit dem Akademikerball mit dem Novemberpogrom verglichen hatte.
Wenn 1500 Ballbesucher von 2500 Polizisten beschützt werden müssen, dann stimmt
etwas nicht – auch nicht mit dem Protest gegen diesen Ball.
Georg hatte nun keine Lust mehr auf den Ball und ich wollte
nicht zwischen das idiotische Katz-und-Maus-Spiel des Schwarzen Blocks geraten.
„Willst du mit mir noch auf ein Bier ins Irish-Pub gehen?“ Nun lud er mich ein.
Gerne nahm er meine Goretex-Überjacke – ich hatte darunter noch meine warme
Primaloft-Jacke – und so konnte er seine Balladjustierung gut verdecken. Wäre
ja nicht ungefährlich für ihn gewesen, so als Burschenschafter entdeckt zu
werden. Irgendwo lag am Boden ein gelbes Schild auf dem stand „MUSLIME UND
FLÜCHTLINGE WILLKOMMEN“. Ich nahm es mit, als Souvenir.
An diesem Abend haben wir noch lange geredet, von Heinrich
Heine und seinem Ausschluss von den Burschenschaftern bis zu HC Strache heute.
Wir müssen weiter reden, noch sehr viel, ohne Angst voreinander. Bis zum
nächsten Bier. Davor gehen wir gemeinsam ins Theater in der Josefstadt. „Der
Boxer“. Georg war nicht mehr Wolf für mich und ich nicht mehr Wolf für ihn.
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