Postmoderne Gottesfrage im Biopic über Stephen Hawking
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Theologische Reflexionen zum Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“
Theologische Reflexionen zum Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“
von Klaus Heidegger
Unendlichkeit und
Ewigkeit: physikalisch-religiöse Grammatik
Der deutsche Filmtitel „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ lässt
schon erahnen, dass es in der Verfilmung von Stephen Hawkings Leben wesentlich
um Schlüsselfragen der Theologie und Philosophie geht. In diesen Disziplinen
sind „Unendlichkeit“ bzw. das auf die Zeit bezogene Synonym „Ewigkeit“ Attribute
Gottes.
Tatsächlich sind auf sehr einfache und liebevolle Art im
Filmskript in die Liebesgeschichte zwischen Stephen Hawking und seiner Frau
Jane Wilde theologisch-philosophische Dialoge verwoben. Während der Physiker
Hawking zunächst für den naturwissenschaftlichen Zugang zur Frage der
Entstehung des Universums steht und er sich seiner Geliebten als Atheist outet,
verkörpert seine Frau den geisteswissenschaftlichen Zugang mit Kirchenbindung
und Glaube an die Religion. „Ich bin eine CE“, stellt sich Jane am Anfang des
Filmes vor. „CE“, so klärt sie auf, steht für Church of England. So kann auch
ein erstes Rendezvous zwischen den frisch Verliebten nicht stattfinden, weil
Jane sonntags die Kirche besucht. In der Filmsprache spielt der Kirchenraum ein
Kontinuum, in den sich selbst der sich zunächst als Atheist deklarierte
Physiker Hawking begibt.
Stereotype
Geschlechter-Rollenzuweisung
Die Genderfrage – die Rollenzuschreibung für den Mann als
erfolgreichen Wissenschaftler, der Erklärungen auf intellektueller Ebene sucht
und findet, und die Frau als musisch begabte, pflegende und sich aufopfernde
Mutter und Hausfrau – ist sicherlich nicht unproblematisch, wenn sie nicht
bewusst reflektiert wird. Die Geschichte von männlicher Geistesgröße und
weiblicher Aufopferung kann und darf nicht gesehen werden als Relegitimation
jahrhundertealter weiblicher Diskriminierung.
Gott nicht als
Lückenbüßer-Gott
In den 123-Filmminuten wird vor allem deutlich, wie die Gottesfrage
gelöst wird. Hawking macht im Film zumindest zwei U-Turns: von einer
pragmatisch gewählten Distanzierung von Gott, der nicht länger als Lückenbüßer
für fehlende naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Erschaffung des
Universums verwendet werden darf, bis zum Bekenntnis, dass in einer anderen
Dimension es doch so etwas wie Göttliches geben könne.
Gott habe, so eine erste Antwort aus der Sicht der Physik,
ausgedient als letzter Grund für die Entstehung des Universums. Gott tritt aus
seiner Verursacherrolle für all das, was am Beginn der Zeiten entstanden ist. In
diesem Sinne – und nur in diesem Sinne – bleibt Hawking Atheist. Für ihn ist
die Welt Produkt physikalischer Gesetzmäßigkeiten. Es braucht keine göttlichen
Kräfte um zu erklären, wie alles entstanden ist. Hier geht Hawking über seinen
großen Mentor Isaac Newton hinaus. Am Anfang – zeitlich gesehen was die
Entstehung des Universums vor 13,8 Milliarden Jahren betrifft – standen also
nicht ein Schöpfergott, sondern physikalische Grundgegebenheiten. Weil es
physikalische Gesetzmäßigkeiten wie die Gravitationskraft gibt, kann sich die
Welt selbst aus dem Nichts erschaffen.
Gott im zeit-räumlichen
Kontinuum
Nach dieser Dekonstruktion fundamentalistisch-religiöser
Sichtweisen – wie sie vor allem im
Kreationismus und seinem Einfluss auf das kollektive Bewusstsein zu finden sind
– zeigt uns Regisseur James Warsh in eindrucksvollen Bildern und pointierten
Dialogen zwischen Stephen und Jane, wo und wie Gott im Zeit-Raum des Universums
zu finden ist. Gott steht nicht mehr als Schöpfer, der den Big Bang ausgelöst hat,
sondern als jene Kraft und Energie, die in Zeit und Raum hineinwirkt. Schöpfung
ist nicht mehr AM Anfang, im Sinne
einer Zeitstrecke, sondern stets IM
Anfang, also im Sinne einer creatio continua, einer fortdauernden Neuschöpfung.
Schöpfung findet je neu im mathematischen Unendlichkeitszeichen statt, das
letztlich keinen Anfang und kein Ende kennt, und doch kann jeder Punkt in
diesem Zeichen Anfang und Ende sein. Wunderschön versinnbildlicht wird dies im
Film, als Stephen und Jane über den ersten Vers des biblischen
Schöpfungsberichtes reden „im Anfang erschuf Gott …“. In ihrer beginnenden Liebesbeziehung
liegt jene Neuschöpfung und letztlich die zeitlich-räumliche – ständig sich
wiederholende – göttliche Schöpferkraft. So wird auch die Qualität biblischer
Schöpfungsberichte nicht fundamentalistisch missverstanden, sondern in ihrer
bleibenden Wahrheit begriffen. Die Bibel kann nicht wie ein Physikbuch gelesen
werden, obwohl in ihr viel Physik enthalten ist und die Aussagen nicht im
Widerspruch zur Physik stehen. Die Bibel will ja nicht erklären, woher die
Sonne ihre Energie bezieht, sondern wie ist das Verhältnis der Menschen zur
Umwelt, zur Mitwelt und zu Gott. So zeigen uns die Schöpfungsberichte nicht,
wie die Welt entstanden ist, sondern warum es sich lohnt, die göttlichen Werke
zu achten und zu bewahren, ohne ihnen aber Verehrung entgegen zu bringen, da
sie doch nur Geschaffenes sind.
Die Erfahrbarkeit
Gottes
In der Verbindung von Stephen und Jane, zumindest in der Art
und Weise wie dies auf sentimentale und sicherlich mit vielen Klischees gefüllt
im Film geschieht, wird eine Dualität aufgehoben, die Naturwissenschaften (science)
und Geisteswissenschaften (arts) voneinander trennt. Empirische Erfahrungen von
Göttlichem werden Realität. In diesem Sinn ist „Die Entdeckung der
Unendlichkeit“ ein zutiefst weihnachtlicher Film. Die Größe Gottes besteht
nicht in seiner allmächtigen Art, am Anfang der Zeiten alles geschaffen zu
haben, sondern stets neu und oftmals auf ganz überraschende Weise ihre
Wirkkraft zu zeigen. Inkarnation – Gott wird Mensch, das ist das Wunder von
Weihnachten, in Jesus von Nazareth spürbar geworden, doch nicht nur im Leben
dieses Menschen. In dieser Dimension des Denkens wird „überprüfbar“, ob und wie
es Gott gibt, und damit kann Gott vor dem naturwissenschaftliche Axiom
standhalten, dass nur jenes Wissen gültig ist, das auch überprüft, beobachtet,
gemessen bzw. quantifziert werden kann. Vernunft, die schon der Apostel Paulus
in seinen Briefen mit Blick auf die Begründung des Glaubens an Jesus Christus
einforderte, steht nicht im Widerspruch zum Glauben. Es heißt nun: Ich glaube,
weil ich erkenne, weil ich erfahre, weil Erfahrungen verifizierbar sind. Und
nochmals soll aber festgehalten werden: Gott wird nicht dort gesucht, wo das
Universum begann, weil es auch logisch nicht sein kann, in der Unendlichkeit
und Ewigkeit einen Anfang festzumachen. Gott freilich wird damit nur in einem
Hegelschen Sinne aufgehoben. Gott ist aufgehoben in die menschlich-historische
Erfahrbarkeit, zugleich aber wird Gott immer das je Größere und Unfassbare
bleiben.
Personalität Gottes
Wenn Hawking allerdings glaubt, damit würde sich das Theorem
von der Personalität Gottes nicht mehr rechtfertigen lassen, so stimmt dies
nicht überein mit jener göttlichen Dimensionalität, die im Film veranschaulicht
wird. Personalität wird philosophisch-theologisch definiert als Einheit von
Körper-Seele-Geist. Gott ist nicht nur Geist, ist nicht nur Seele, ist nicht
nur Körper. Gott wird personal erfahrbar als Körper-Seele-Geist. Menschliche
Zuwendung, die sich als roter göttlicher Faden durch den Film zieht, braucht
stets alle drei personalen „Bestandteile“, die stets in einer Interaktion und
Interdependenz zueinander stehen.
Göttliche Gleichung:
Liebe ist Gott, Gott ist Liebe
Hawking sucht unerbittlich nach der Formel, mit der alle
Rätsel des Universums gelöst werden können, nach einer Gleichung, der „Theory
of Everything“ – so der englische Filmtitel. Im Laufe des Filmes wird deutlich,
dass die Gleichung auf einer anderen Ebene gefunden wird. Die
biblisch-religiöse Gleichung für alles lautet letztlich: Gott ist Liebe. „Die
Liebe“, heißt es im 1. Korintherbrief in der Bibel, „erträgt alles, glaubt
alles, hofft alles, hält allem stand.“ Jane hat diese Gleichung gefunden – gerade
auch im entscheidenden Moment, als die Frage im Raum stand, nach einem
Luftröhrenschnitt ihren Mann vom Leiden zu erlösen, wie es der Arzt ihr nahe
legte.
Implizite Kritik
gegenüber „aktiver Sterbehilfe“
In dieser Szene deutet der Film jenen Umgang mit schwerer
Krankheit an, der dem beständigen Ruf nach einer Lockerung der Regelungen für „Sterbehilfe“
diametral entgegen steht. In dieser Frage bräuchte es Tausende von Janes, die
nicht sofort nach Beendigung des Lebens bei schwerer unheilbarer Krankheit
rufen, sondern mit ihrer Geduld und Liebe unheilbar Kranke begleiten. Im Film
wird ein Bild von Stephen Hawking „gemalt“, das dem vorschnellen Ruf nach dem,
was in der veröffentlichten Meinung unter dem Thema „Sterbehilfe“ diskutiert
wird, widerspricht. Genau genommen würde die im Film dargestellte Szene als
passive Sterbehilfe auch in Österreich gesetzlich möglich sein.
Menschliche Zuwendungen
sind Annäherung an Gott
Eine Szene gegen Ende des Filmes soll hier noch besondere
Erwähnung finden. Stephen Hawking spricht mittels Sprachcomputer vor einem
vollen Auditorium. Souverän und auf witzige Art beantwortet er die Fragen aus
dem Publikum. Da stellt ein Herr die Frage nach Gott. Stephen Hawking überlegt
diesmal sehr lange. In der ersten Reihe vor sich im Publikum sieht er, wie
einer jungen Frau eine rote Füllfeder zu Boden fällt. In seiner Phantasie steht
er nun vom Rollstuhl auf, geht die Treppen des Podiums hinunter, bückt sich vor
der Frau und gibt ihr die Füllfeder. Erst nach dieser Phantasiereise beginnt
Hawking dann auf die Frage nach Gott einzusteigen. In seiner Phantasie wurde
sie beantwortet. Das ist Filmkunst. Bilder, die mehr sagen als viele Worte.
klaus.heidegger@aon.at , 30.12.2014
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