Samstag, 31. Januar 2015

Akademikerball und der gewaltfreie Widerstand



Burschenschafterball in der Hofburg, oder: den Wolf umarmen …
Wäre ich in Wien gewesen, gestern abends und nachts, als die Burschenschafter in der Hofburg tanzten, und hätte ich irgendeinen von ihnen getroffen, der da unter einer Hundertschaft von Polizisten sich den Weg zum Ball bahnte, dann hätte ich ihn gerne angehalten. Ich hätte ihn unschwer als Ballgast erkennen können. Aufgrund von Mensur und Couleur hätte ich gewusst.Einer von ihnen. Da ich weiß, dass Burschenschafter gerne Bier trinken, hätte ich ihn noch davor auf ein Bier im nahen „Bieradies“ am Judenplatz eingeladen. Er wäre wahrscheinlich sehr erstaunt gewesen über diese Einladung, da ich doch – mit meinem krausen Lockenkopf, den ausgebeulten Hosen und den Waldviertlerschuhen – optisch dem „anderen“ Lager zugehörig schien, jenen Neuntausend, die friedlich gegen den von der FPÖ-organisierten WKR-Ball demonstrierten. Ja, er hatte recht, ich kam gerade von dort.
Meine verblüffende Einladung war erfolgreich. „Keine schlechte Idee“, meinte er, „ich müsste ohnehin noch in der Kälte auf meine Begleiter warten, die – verhindert durch die Sperren – eine Stunde später kommen würden.“ Allerdings, so gestand er, habe er Angst vor den Vermummten. War es mein großer neuer Button, auf dem „pax christi“ stand, der ihn meine Einladung annehmen ließ? War es die Aussicht auf ein gutes Gratisbier in einem nicht gerade billigen Lokal? Oder war es sein Interesse an seinem einladenden GEGENÜBER, das nicht mit feindseliger „Nazi-Raus“-Parole auftrat? Schließlich kam ich gerade von der beeindruckenden „Jetzt-Zeichen setzen“-Kundgebung am Heldenplatz. Ich sollte es herausfinden.
Wir hatten Glück, zwischen Polizeisperren einen Durchschlupf zu finden. Im „Bieradies“ am Judenplatz fanden wir gerade noch einen Platz für zwei. Georg, so hieß er, hatte gerade sein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und ein PhD-Studium begonnen. Als Burschenschafter war es für ihn leichter, einen Assistentenjob zu bekommen. Beziehungen funktionieren. Ich hatte mit Georg einen Gesprächspartner gefunden, der nicht zufällig in der „Wiener Akademischen Bruderschaft Libertas“ beheimatet war. Im Licht des Lokals war nun deutlich sein Schmiss zu erkennen. „Das ist mein Zeichen für Ritterlichkeit und Wehrhaftigkeit“, meinte er auf meinen Blick. „Das ist mein Zeichen für Wehrhaftigkeit“ - und ich deutete auf meinen „pax Christi“-Button. „Wehrhaftigkeit“: Wir hatten eine erste Gemeinsamkeit entdeckt, obwohl wir darunter etwas Grundverschiedenes verstanden. Georg hatte den Präsenzdienst abgeleistet, erwartungsgemäß auch das Einjährig-Freiwilligen-Jahr absolviert. Er hätte gar nicht anders können, als den Dienst beim Bundesheer zu leisten. Als politisch denkender und handelnder Mensch wusste ich viel über die Burschenschafter. Niemand wird zugelassen, der den Wehrdienst verweigert. Ich erzählte ihm von meinem Zivildienst. In jener Zeit vor drei Jahrzehnten hatten wir als Katholische Jugend immer wieder unsere Differenzen mit burschenschaftlichen Aktivitäten. „Sie“ waren immer auf der anderen Seite: Ob es galt, die Schikanen für Wehrdienstverweigerer aufzuheben oder bei Friedensdemonstrationen gegen die Nato-Aufrüstung. Als Uni-affiner Mensch wusste ich auch längst genau zu unterscheiden zwischen den farbentragenden Studenten aus den konfessionellen Cartellverbänden und den burschenschaftlichen Korps. An einem ihrer Häuser ging ich auf dem Weg zwischen Uni und dem Priesterseminar, wo ich damals war, täglich vorbei. Georg kannte auch einige Bundesbrüder von dort, bei der Akademischen Bruderschaft Suevia. Einen würde er auf dem Hofburgball treffen, sagte er mit Blick auf die Uhr.
Ich wollte von Georg erfahren, warum sich die Burschenschafter so schwer tun, ihre Verstrickungen in der NS-Zeit aufzuarbeiten. Auch er wusste Bescheid über das Denkmal für Gerhard Lausegger am Innsbrucker Westfriedhof, wo die Suevia den Mörder der Reichspogromnacht und späteren SS-Obersturmbannführer immer noch als einen der ihren verehrt, der für des „Deutschen Volkes Ehre“ gestorben sei.. Georg meinte, nicht zu Unrecht, dass sich die Burschenschafter doch oft deutlich von der Zeit des Nationalsozialismus abgegrenzt hätten. Ich bleibe hartnäckig und frage weiter: Und, was ist mit der Zeit nach 1945? Warum haben beispielsweise 1961 Burschen der Suevia den jüdischen Friedhof in Innsbruck verwüstet? Warum hat die Suevia erklärt, Nichtdeutsche – und deshalb explizit auch Juden – könnten keine Mitgliedschaft in der Suevia bekommen? Fast zeitgleich mit dem Hofburg-Ball dachte die Welt an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Noch nach 1945 formulierte ein Mitglied der Suevia den Satz: “Das Feuer von Auschwitz behüten und schüren.”
Georg distanzierte sich von diesem Satz. Es war ihm zutiefst unangenehm. Solche Rülpser waren auch für ihn zum Fremdschämen. Warum aber nur kommen immer wieder antisemitische Sager aus dem burschenschaftlichen Eck? Ich kann diesbezüglich leider ganz aus dem Vollen schöpfen, da aus dem Munde freiheitlicher Bundesbrüder die meisten der entsprechenden Sager stammen. „Isst du Schwein, kommst du rein …“ und Bundesbruder und Chef-Balleinlader HC Strache dreht grinsend ein Spanferkel dazu.
Wir hatten viel Gesprächsstoff. Georg war auch beim Treffen der „deutschnationalen“ und schlagenden Burschenschaften in Innsbruck im Herbst 2013 dabei, an dem ehemalige Spitzenpersönlichkeiten der FPÖ wie Andreas Mölzer oder Ewald Stadler teilnahmen und das von der FPÖ – insbesondere der FPÖ-Tirol – energisch verteidigt wurde. Die Bürgermeisterin wurde vom FPÖ-Tirol-Parteichef Markus Abwerzger massiv kritisiert, weil sie andeutete, in Zukunft für solche Treffen öffentliche Einrichtungen wie die Messehalle nicht mehr zur Verfügung zu stellen. (Warum nur wurde die Wiener Hofburg wieder für den Burschenschafter-Ball freigegeben??) Ein FPÖ-Bezirksparteisekretär sprach überhaupt mit Blick auf die Bürgermeisterin von „Mörderin der Versammlungsfreiheit“. Von der FPÖ wurde die Bürgermeisterin als „geistige Brandstifterin“ bezeichnet und der FPÖ-Parteichef Heinz Christian Strache sprach von einem „demokratiepolitischen Skandal“. Und immer wieder geschah dabei die so bekannte Opfer-Täter-Umkehr. Wird Kritik an den Burschenschaften geübt, so sehen diese sich sofort als unschuldige Opfer linksfaschistischer Kreise und vergleichen sich sogar mit den Opfern des Nationalsozialismus.
Georg wusste noch besser Bescheid über die Verstrickungen zwischen Burschenschaften und der FPÖ. Er selbst gab auch „freimütig“ – eines seiner Lieblingsworte – zu, aktives Mitglied der Freiheitlichen zu sein. Im freiheitlichen Parlamentsklub ist mehr als jeder Dritte einer seiner Bundesbrüder, das sind 18 FPÖ-Nationalratsabgeordnete von insgesamt 40, im Wiener Landtag sogar jeder Zweite. Für sie war der heutige Ball Pflichttermin. Er würde noch viele von ihnen treffen.
Ich wusste, dass Georg nun mit dem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit entgegnen würde. Ich hatte bei mir einen Artikel, den ich bereits vor einem Jahr über die Ereignisse rund um den „Burschenschafterball“ geschrieben hatte. Dabei stützte ich mich auf ein Urteil des Innsbrucker Politologen Reinhold Gärtner, der zu dieser Frage meinte: „Die Crux dabei ist, dass manche von ihnen nur zu gerne einer Ideologie nachweinen, die mit Meinungsfreiheit aber schon gar nichts zu tun hatte. Sie betonen, die Freiheitsideale von 1848 hochhalten zu wollen, und landen doch wieder bei plumpem Deutschnationalismus oder beim Arierparagraphen. Sie meinen, von den Nationalsozialisten verboten worden zu sein, verschweigen aber die feierliche Aufnahme in den NSDAP-Studentenbund. Und sie wollen ja nur Zukunftsfragen ansprechen, zeigen aber keinerlei Initiative, mit der eigenen NS-Vergangenheit aufzuräumen. Das ist das Problem: Viele der Burschenschafter wollen (oder können) partout nicht verstehen, dass Österreich nicht erst im Jahre 2014 bereit und willens ist, den Nationalsozialismus als das zu benennen, was er war: ein zutiefst verbrecherisches Regime. Und dass für dieses Regime und seine Ideologie nun einmal kein Platz in einem demokratischen System sein kann.“ Das ist der Kern, warum viele von meinen Freunden gegen den Ball in der Hofburg demonstrierten, fügte ich hinzu.
Auch Georg tat sich nun schwer, mir zu widersprechen. Er kannte keinen Burschenschafter, der im Widerstand gegen das Nazi-Regime gestorben wäre – so wie viele Mitglieder der katholischen Studentenverbindungen. Er selbst wusste auch besser Bescheid über die Tatsache, dass sich in der Zeit des Nationalsozialismus Burschenschafter im Rahmen des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenverbundes integrieren ließen. Aber das ist Vergangenheit. Wenn jedoch heute Burschenschafter in und außerhalb der FPÖ erklären „wir sind Pegida“, dann ist dies offen zur Schau getragener Anti-Islamismus. Als Tiroler bin ich dabei vor allem mit den laufenden Äußerungen des Burschenschafters Markus Abwerzger, Landesparteiobmann der Tiroler FPÖ, konfrontiert.
Georg blickte auf die Uhr. Nun war es Zeit, um zur Hofburg zu gehen. „Je suis Jeuf“, dachte ich beim Vorbeigehen am Mahnmal für die jüdischen Opfer des Holocaust am Judenplatz. Und ich musste an die Worte der Holocaust-Überlebenden Dora Schimanko und den ehemaligen KZ-Häftling Rudi Gelbard denken, die vor kurzem auf der Bühne bei der „Jetzt-Zeichen setzen“-Kundgebung standen.
Beim Michaeler-Tor war alles abgesperrt. Hundertschaften von Polizisten in Kampfmontur, Blaulicht, Arrestantenwagen, Hunde. Es war gespenstisch. Ich fühlte mit Georg. Das war für uns beide nicht das, was wir wollten. Wenn Gewalt mit Gewalt beantwortet wird, und seien es auch nur kaputte Schaufenster, aufgeschlitzte Reifen und brennende Müllkübel, dann gibt es keine Lösung, dann wird Kickl als Haus-und-Hof-Schreiber der FPÖ nur wieder einen Anlass finden, um die Burschenschafter und die FPÖ als „Opfer“ darzustellen, hoffentlich nicht so völlig pervers wie letztes Jahr, als Andreas Mölzer die Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem Akademikerball mit dem Novemberpogrom verglichen hatte. Wenn 1500 Ballbesucher von 2500 Polizisten beschützt werden müssen, dann stimmt etwas nicht – auch nicht mit dem Protest gegen diesen Ball.
Georg hatte nun keine Lust mehr auf den Ball und ich wollte nicht zwischen das idiotische Katz-und-Maus-Spiel des Schwarzen Blocks geraten. „Willst du mit mir noch auf ein Bier ins Irish-Pub gehen?“ Nun lud er mich ein. Gerne nahm er meine Goretex-Überjacke – ich hatte darunter noch meine warme Primaloft-Jacke – und so konnte er seine Balladjustierung gut verdecken. Wäre ja nicht ungefährlich für ihn gewesen, so als Burschenschafter entdeckt zu werden. Irgendwo lag am Boden ein gelbes Schild auf dem stand „MUSLIME UND FLÜCHTLINGE WILLKOMMEN“. Ich nahm es mit, als Souvenir.
An diesem Abend haben wir noch lange geredet, von Heinrich Heine und seinem Ausschluss von den Burschenschaftern bis zu HC Strache heute. Wir müssen weiter reden, noch sehr viel, ohne Angst voreinander. Bis zum nächsten Bier. Davor gehen wir gemeinsam ins Theater in der Josefstadt. „Der Boxer“. Georg war nicht mehr Wolf für mich und ich nicht mehr Wolf für ihn.

Klaus Heidegger, 31.1.2015, klaus.heidegger@aon.at

Samstag, 17. Januar 2015

Muhammad weint - Je suis Charlie - Teil 3



Charlie -Teil 3: Muhammad weint
Das Thema „Terror und Islam“ im Gespräch
Ganz tief ist das Thema „Terror“ und damit auch verknüpft die Frage nach der Stellung von Gewalt und Krieg im Islam an meiner Schule angekommen. Vor der Stunde. Eine Schülerin, die weint. Sie habe Angst vor dem Terror. Der Religionsunterricht gibt Raum und Zeit, um über solche Fragen zu arbeiten. Auch in den Chatforen und den Kommentarspalten, den Diskussionssendungen im Fernsehen und in vielen Begegnungen auf dem Weg in die Arbeit oder im Supermarkt wird das Thema Islam – vermischt mit der Frage nach Gewalt und Terror – immer wieder angesprochen. Mein Anliegen ist es, im Stimmengewirr die eigene begründete Meinung zu finden und selbst eine Stimme zu geben, aufmerksam hinzuhören auf das, was andere sagen, ohne aber nachzuplappern, was Autoritäten vorgeben. Das ist der Kern des „Je suis …“ „Ich bin“ „Je pense…“ „Ich denke…“ Das Recht auf Meinungsfreiheit.
Als Nicht-Muslim über den Islam reden
Als Nicht-Muslim könne ich den Islam doch gar nicht richtig verstehen, werfen mir nun manche vor. Als Christ soll ich mir nicht anmaßen, über den Islam zu urteilen, wird im gleichen Stil hinzugefügt. Wer so argumentiert, beschneidet Dialogmöglichkeiten. Im Gegenteil, so entgegne ich: Gerade „von außen“ her kann eine Sicht oft ganz nützlich sein und weiterhelfen. Weder bin ich Musiker noch Komponist, weder lebe ich im 18. Jahrhundert noch spiele ich irgendein Instrument: Dennoch kann ich mich an Mozart freuen, kann sagen, eine geniale Musik! So beginne ich mit dem Urteil von außen: Der Islam – eine geniale Religion des Friedens!
Allah der Allerbarmer und Barmherzige
Die Stunde beginne ich mit einer kurzen Meditation. Ich lasse die Schüler die Augen zumachen. Sie sitzen im Kreis. Sie sollen sich einen Gegenstand weitergeben. Er wird jeweils in die rechte Hand gelegt. Der Gegenstand wird vorher nicht gesehen. Sie sollen ihn fühlen, ohne ein Wort dabei zu sagen. Erst am Ende werden die Augen geöffnet. Es ist eine islamische Gebetskette mit 99 Perlen. Die Perlen des Islam. Manche glaubten, einen Rosenkranz in den Händen zu halten, andere tippten auf die buddhistische Schnur – nur eine Schülerin wusste etwas über die Misbaha. Das Wesen des Islam ist nicht, eine Kalashnikow in die Hand zu nehmen, sondern die Schnur des Rezitierens der 99 Namen Gottes. Über diese schönsten Namen Allahs reden wir nun: „Ar-Rahman“ – „der Gnädige“, „der Wohltätige“, „der Mitleidsvolle“ – so der erste Name, der fast wie eine Überschrift ist. Gewalt, Krieg, Terror – das hat so gar nichts mit diesem Namen zu tun. Das ist wie die Antithese zu „Ar-Rahman“. Allah ist auch „Al-Quddus“, „der Friede“, so der vierte der schönsten Namen. Und weiters: Allah ist „Al-Ghaffaar“, „der Vergebende“. Bei diesem, dem 14. Namen, bin ich bei der aktuellen Ausgabe von Charlie Hebdo. „Tout est pardonné“ – „Alles ist verziehen“. Und noch ein zweites Mal heißt es im Koran, es ist der 34. Name, Allah ist „Al-Hhafuur“, wieder übersetzt mit „Der Vergebende“. Allah ist „Al-Waduud“, der „Liebende“, „Ar-Ra-uuf“, der „Mitleidsvolle“ genauso wie „As-Sabuur“, der „Geduldige“. Wenn Gott unter diesen Namen auch als „Erzeuger der Not“ oder „der Vergelter“ bezeichnet wird, so kann dies nicht im Sinne eines Widerspruchs zur Barmherzigkeit, Mildtätigkeit, Liebe und Vergebung interpretiert werden.
Wenn die islamistischen Gotteskrieger die Waffen in die Hände nehmen, so müssen sie im buchstäblichen Sinn des Wortes die Gebetsschnur weit weglegen. Dann verraten sie die Mitte ihrer Religion. „Allahu-akbar“ zu rufen und zu morden und zu massakrieren ist im Widerspruch zu den schönsten Namen Gottes. Wenn vor vielen Jahren Ayatollah Khomeini seinen Anhängern verordnete, die Gebetsschnur wegzulegen und das Gewehr in die Hand zu nehmen, so ist dies genau jene anti-göttliche Strategie, die bei Boko Harem, den Terrormilizen des Islamischen Staates oder den islamistischen Terrorzellen in Europa endet. Allah ist nicht die Rache! Dann können wir auch als Christen zu den selbsternannten „Gotteskriegern“ sagen: Ihr seid gar keine Muslime! Sie sind, wie es jemand vor kurzem formulierte, „ent-muslimisiert“. In diesem Sinne sind nach den Massakern von Paris weltweit Muslime aufgestanden und haben gesagt und geschrieben: „Nicht in unserem Namen!“
Allah ist Vergebung
„Islam“ bedeutet „Unterwerfung unter den Frieden“. In diesem Begriff steckt das Wort „Salam“, so meine Deutung für die Schüler und Schülerinnen. Es ist nicht Unterwerfung unter einen Imam oder eine Fatwa-Behörde, es ist nicht die Unterwerfung von Frauen gegenüber Männern, es ist auch nicht die Unterwerfung von Ungläubigen mit Feuer und Schwert, Granaten und Kalashnikows. All dies wäre letztlich Blasphemie, Gotteslästerung. „Djihad“ bedeutet auch nicht „Heiliger Krieg“, sondern die „Anstrengung“ des Herzens, der Hände und der Zunge, das Gute zu tun. In diesem Sinne missbrauchen selbsternannte „Djihadisten“ einen zentralen Begriff des Islam.
Das Titelbild der „Charlie Hebdo“-Ausgabe vom 14.1.2015 mit dem weinenden Muhammad, seinem „Je suis Charlie“-Schild und der Titelzeile „Tout est pardonné“ wurde in sich widersprüchlich aufgenommen. Der Islamwissenschafter Khorchide steht auf der einen Seite. Er sieht in dieser Karikatur „keineswegs eine Beleidigung“, sondern dass der Prophet weinend dargestellt wird, zeige, dass er Mitgefühl mit den Opfern empfindet, dass er nicht auf der Seite der Terroristen steht, sondern auf Seiten der freiheitlich-demokratischen Ordnung und Werte. Das wiederum sei, so Khorchide in einem ZIB-2-Interview, eine Anerkennung, dass der Prophet Muhammad ein Prophet des Friedens sei. Der Prophet würde keineswegs in einer negativen Haltung gezeigt. Die zentrale Botschaft liegt in der Aussage, dass nun „Vergebung“ angesagt sei. Das Bild passt nicht zur landläufigen Meinung, dass Muhammad seine Feinde wenn nötig mit Gewalt verfolgt.
Da freilich sind wir wiederum bei der islamischen Theologie: Gott ist der „Gnädige und Barmherzige“ (Sure 4,16) und wird als solcher zu Beginn von jeder der 114 Suren – mit einer Ausnahme – genannt. Vergebung und nicht Gewalt ist daher die rote Schnur durch den Koran. „Tout est pardonné“ könnte auch in einer französischen Ausgabe des Korans stehen. Wenn der Mensch sich von der Sünde abkehrt, wird Gott alle seine Verfehlungen verzeihen, seien es große oder kleine, denn Gottes Barmherzigkeit "kennt keine Grenzen" (Sure 7,156).
Klaus Heidegger, 17.1.2015

Dienstag, 13. Januar 2015

Je suis Charlie - alles ist vergeben!





Alles ist vergeben!
Je suis Charlie – Teil 2
Klaus Heidegger
Meine erste Reaktion auf die Terrorattentate von Paris war eindeutig und spontan. Wie Millionen Menschen drückte ich meine Solidarität mit einem „Je suis Charlie“ aus. Bei einer österreichweiten Tagung letzte Woche in Salzburg schrieb ich diesen Schriftzug unter mein Namensschild. „Je suis Charlie“ bedeutet eben für mich ein Ja zur Meinungsfreiheit, die nicht durch Waffengewalt und Terror bekämpft werden darf. Der Schutz der Meinungsfreiheit gilt selbst dann, wenn – wie im Fall des französischen Satiremagazins – die Grenzen des Anstands und des Respekts unter dem Deckmantel der Satire systematisch verletzt wurden und zentrale Werte der Religionen und Kirche auf eine äußerst provokante Weise herabgewürdigt wurden. „Je suis Charlie“ war für mich ein Ausdruck des Protests gegen islamistischen Terror, jedoch keine Zustimmung zu den Inhalten und Bildern des Magazins eines kämpferischen Atheismus.

In den Charlie Hebdo-Karikaturen wurde ein Bild vom Islam gezeichnet, das eher den rechtsradikalen anti-islamischen Kräften entspricht. Insbesondere wurde der Prophet Muhammad auf eine Weise karikiert, die jede anti-islamische Stellungnahme von Front National bis FPÖ weit übertrifft. In Österreich gab es zu Recht eine scharfe Kritik, als Susanne Winter, nun Nationalrats-Abgeordnete der FPÖ, Muhammad als „Kinderschänder“ bezeichnet hatte. Vieles, was in den Charlie Hebdo-Magazinen publiziert worden war, hätte in Österreich unter dem Paragraphen 188 Strafgesetzbuch als „Herabwürdigung religiöser Lehren“ zur Anzeige gebracht werden müssen. Fakt ist, dass durch Charlie Hebdo islamophobe Ressentiments geschürt wurden. Pegida und ihre Claqeure und Ableger, bis zu den Hooligans gegen Salafisten in Hall, können sich über neuen Zulauf freuen. Neueste Umfragen – wie jene der Bertelsmann-Stiftung zeigen – dass in Deutschland 57 der Befragten den Islam ablehnen und ihn als „bedrohlich“ empfinden.[1]

Zu dieser anti-islamischen Stimmungsmache zählt auch der neue Roman von Michel Houellebecqs, in dem vor einer Machtergreifung der Muslime im Jahr 2022 gewarnt wird. Der Stift der Satiriker von Charlie bedeutete so oft in den vergangenen Jahren eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den religiösen Gefühlen, oftmals verbunden mit sexistischen, rassistischen oder homophoben Beiträgen. Was ist beispielsweise von einem Blatt zu halten, das anlässlich der Begeisterung beim Papstbesuch in Paris titelte "Franzosen so dumm wie Neger"? Andreas Mölzer musste jedenfalls hierzulande aufgrund seines „Neger“-Sagers als EUSpitzenkandidat im Frühjahr 2014 zurücktreten. Das Gefühl, dass Kritik sich an eine gewisse Correctness zu halten habe, ist in der Mehrheitsgesellschaft noch gut vorhanden.

Die Ausgabe von „profil“ in den Tagen nach den Schreckenstaten in Paris zeichnet gleichfallsein Bild, in dem „der“ Islam als Ursache für terroristischen Gewalttaten erscheint. Die Titelseite zeigt das Bild der Erschießung des französischen Polizisten und daneben steht in fetten Lettern: „Was den Islam so gefährlich macht.“ Im Leitartikel spricht der Chefredakteur vom „Bedrohungsfall Islam“. Und weiters schreibt Christian Rainer im Geiste der modernen Religionskritik: „Jeder Glaube an das Irrationale – also jede Religion – nährt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen irrational handeln. Beim Islam wird das zur Gefahr …“[2]
 
Mit der jüngsten Ausgabe von Charlie Hebdo scheint nun (vielleicht) ein neuer Weg zu beginnen. Ein Weg der Versöhnung. Auf dem ganz islam-grün gehaltenen Cover jener historischen Ausgabe, die in einer Ausgabe von 3 Millionen erscheint, ist der Prophet Muhammad zu sehen: jedoch nicht mehr in einer der anzüglichen Posen, mit denen er in den vergangenen Ausgaben immer wieder zu sehen war. Im Gegenteil. Muhammad hat eine Träne in den Augen. In den Händen hält er das Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“. Es ist, also wollte die Redaktion den Muslimen sagen: „Liebe Muslime, wir wissen, nicht eure Religion ist die Ursache dieser Barbarei, sondern deren Perversion. Das alles geschah nicht in eurem Namen!“ Die Überlebenden reichen die Hände zur Vergebung. Der Prophet wird als Friedensstifter stilisiert, nicht mehr wie in früheren Karikaturen als bösartiger Feind, dessen Turban eine Bombe ist, an der schon die Zündschnur brennt. Die Karikaturenstifte sind zu Friedensstiften geworden. Mit ihnen wird jene religiöse Grundtugend geschrieben, die da auch auf dem Cover des Satiremagazins steht: „Tout es pardonné – alles vergeben!“ Es ist zu hoffen, dass nun der zerbrochene Bleistift aufgenommen wird, nicht um damit zu verletzen, sondern um Bilder und Worte des Friedens zu zeichnen. In diesem Sinne sage ich: „Je suis Charlie!“ Satire muss kein Faustschlag ins Gesicht der Kritisierten sein.

„Je suis Charlie“ – das bedeutet für mich auch eine klare Abgrenzung gegenüber jenen rechtsradikalen Kräften, die dem Islam die Schuld für extremistische Anschläge geben. Charlie Hebdod wurde nicht müde, in seinen Satiren auch Marine le Pen und ihre Front National zu kritisieren. Es mutet daher seltsam an, wenn sich nun gerade jene Kräfte auf die Islamkritik von Charlie beziehen.

„Je suis Charlie“ – das heißt die wirklichen Ursachen für neue Spaltungen in diesem Europa und in der Welt zu sehen, die zum Nährboden für Gewalt werden. Es ist ein Komplex von ökonomischen und politischen Faktoren der Verarmung in den Banlieues von Paris oder der Hoffnungslosigkeit von Hunderttausenden angesichts von Arbeitslosigkeit und Armut in den Maghrebstaaten. Es sind die mangelnden Inklusionsmöglichkeiten, die zu Parallelwelten führen. Das gibt es auch hier in Österreich – und jedes Nein zu einer Gemeinsamen Schule der 10-14-Jährigen wird, beispielsweise, Segregationen weiter führen. Wenn diese Faktoren gesehen werden, dann aber wird a) nicht mehr DER Islam zum Sündenbock für Gewalt gewertet und b) werden nicht die falschen Maßnahmen ergriffen. Fragwürdig ist es nämlich, wenn nun die Innen- und Verteidigungsministerien der EU-Staaten eine großangelegte innere Aufrüstung beginnen. Würden die Millionen in sozialpolitische Programme und Inklusionsprogramme gesteckt, wäre dem Frieden und der Sicherheit so viel mehr gedient!


[1] Vgl. profil, 12.1.2015, 26.
[2] Rainer Christian (2015): Gott ist zu groß, in: profil, 12.1.2015, 13.