Mittwoch, 4. Januar 2012

Ethischer und humanitärer Militärinterventionismus


R2P: Ethisch gerecht“fertigt“ weil „humanitär“?
Über die Kriegspolitik und deren Legitimationen im dritten Jahrtausend am Beispiel der Intervention in Libyen

„Humanitär“ klingt ethisch. Weil es ethisch klingt, scheint mit diesem Adjektiv schon das entsprechende Nomen gerechtfertigt. Ein Krieg wird humanitär. Bomben auf Städte werden humanitär. Auch „Intervention“ klingt ethisch. Man will helfen, nicht zuschauen. Also zwei ethische Vokabel. Also doppelt gut, und wer da noch dagegen ist, der ist ethisch nicht gut, heißt böse, weil nicht humanitär und zuschauend. Anti-interventionistisch zu sein wird für unethisch oder unmoralisch erklärt. Und damit nicht genug. „Responsibility to protect“, offiziell knackig abgekürzt mit R2P, heißt die neue Doktrin, mit der gegenwärtige und künftige Kriege im Stile der Libyen-Intervention legitimiert werden. Verantwortung klingt nochmals besser und in Kombination mit Schutz überhaupt. Die moralische Überlegenheit ist bei denen, die intervenieren wollen. Die Absichten zählen für die Tat und die Absichten sind gut, selbst wenn Städte bombardiert werden müssen, Tausende Menschen sterben und täglich Millionen in Rüstungsanstrengungen fließen. Solche „Kollateralschäden“ werden als „kleineres Übel“ in Kauf genommen.
Mein Nachdenken über das neue Zauberwort des internationalen Kriegsrechtes beginnt und endet mit jenem Ereignis, das in einem profil-Artikel Ende 2011 als „der perfekte Krieg“ bezeichnet worden ist – dem siebenmonatigen NATO-Einsatz in Libyen. Wird er bereits als Blaupause für künftige Militärinterventionen gesehen? Warum war die katholische Kirche mit ihrer Friedenslehre gegen diesen Krieg, wo er doch ethisch, weil humanitär und für bedrängte Menschen intervenierend, gewesen sein soll?
            Sarkozy, Cameron und Obama traten im März 2011 ihre militärische Intervention unter Billigung des UN-Sicherheitsrates und unter dem Vorwand der Humanität an. Man wollte die Zivilbevölkerung schützen. „Responsibility to Protect“, die Legitimationsformel für die neuen Kriege, musste nicht erst erfunden werden. Zum zweiten Mal wurde diese Formel aber nun tatsächlich angewandt, um die Koalition der Willigen in ihrem militärischen Drängen zu unterstützen. Erstmalig wurde die R2P-Formel vom Sicherheitsrat in der Bürgerkriegssituation in Kenya in den Jahren 2007-2008 verwendet, nachdem sie zuvor auf dem UN-Gipfel 2005 in einer Resolution als Grundlage für das Völkerrecht definiert worden war. Doch war es nun im Frühjahr 2011 der Schutz der Zivilbevölkerung, der zur Intervention führte, und war es humanitär, was dann geschah? Kann noch von „humanitär“ gesprochen werden, wenn die Zielsetzung dieses Krieges von Beginn an nicht nur – oder eigentlich gar nicht – der Schutz der Zivilbevölkerung war, wie es die UN-Resolution 1973 vorgesehen hatte, sondern ein Regimewechsel, wenn man klar Partei ergriffen hatte für eine Bürgerkriegspartei, wenn letztlich Grundlagen des Völkerrechts außer Kraft gesetzt wurden und vor allem angesichts von 50.000 Kriegstoten und weit mehr Kriegsinvaliden? Der Beifall für die NATO-Intervention erscheint angesichts solcher Begleitumstände mehr als fraglich.
Der NATO-Krieg in Libyen steht heute für eine Entwicklung, in der sich das Völkerrecht unter der Doktrin von R2P zu einem Instrument verwandelt, mit dem sich die militärisch potentesten Staaten ihre hegemoniale Politik legalisieren können. Seit die UN 1990 den USA und ihren Verbündeten das Recht einräumten, gegen den Irak mit „all necessary means“ vorzugehen, ist ein Bombenkrieg wieder salonfähig geworden. Die militärischen Intervenienten definieren für sich, was diese notwendigen Mittel sind, interpretieren die Resolutionen selbst, wie sie es für nötig finden, und alles wird möglich, alles scheint plötzlich legitim zu sein. Unter dem Vorwand der „Schutzpflicht“ – siehe Libyen – wird ein Regime weggebombt. Schon im Vorfeld der UN-Resolution wurde überlegt, ob sich selbst ohne eine Legitimierung durch die Vereinten Nationen eine „Koalition der Willligen“ bilden könnte, um militärisch auf Seiten der Rebellen gegen Gaddafi zu intervenieren. Hier wird sichtbar: Das Prinzip R2P wird über eine Legitimierung durch den UN-Sicherheitsrat gestellt und gibt den Weg frei, um selbst über einen Kriegsbeginn zu entscheiden, womit das generelle Gewaltverbot der UN-Charta ausgehebelt wird.
Die Mandatierung zur Anwendung militärischer Gewalt findet so eine permanente Ausweitung und führt zur Ausweichung des generellen Kriegsverbots. Mit dem „Krieg gegen den Terror“ werden längst schon – und nicht nur in Afghanistan – auf einer substaatlichen Ebene mit der Begründung des Selbstverteidigungsrechtes militärische Operationen auch gegen nicht-staatliche Einheiten auf fremdem Staatsgebiet geführt. Aus dem Responsibility to Protect wird beinahe automatisch eine Responsibility to Kill.
Waren die Kriege vergangener Jahrhunderte oft mit fragwürdigen Argumenten auch von Seiten der Kirchen mit der „bellum iustum“-Konstruktion legitimiert worden, so hat inzwischen ein radikaler politischer Wechsel eingesetzt. Die säkulare Variante des bellum iustum ist das mit gleichen Argumenten versehene Konstrukt der Responsibility to Protect. Faktum ist freilich, dass sich hinter der Rhetorik vom Schutz der Menschenrechte und der Pflicht zum Schutz der Zivilbevölkerung meist politisch-ökonomische Interessen verbergen. Dies zeigt die Selektivität der Interventionen: in Libyen wurde interveniert, während in Syrien – dessen Regime wochenlang mit roher Gewalt eine Demokratiebewegung niederhielt – nicht interveniert wurde. Was ist mit dem Schutzbedürfnis der Tibeter, mit den Menschen in Tschetschenien usw. usf.? Wer entscheidet wann und wie und wo interveniert wird und wie diese Intervention abläuft? Im Falle Libyens hat Obama jedenfalls demokratische Instanzen – wie den Kongress – schlichtweg übergangen. Die Entscheidungsmacht lag bei der NATO – eine Organisation letztlich, die vom Volk nicht abgewählt werden kann, deren Politik sich weitgehend demokratischer Kontrolle entzieht.
Die Anwendung der R2P-Doktrin hat im Falle Libyens ihre Grenzen und Schwächen gezeigt. Ihre Gefahr liegt erstens darin, dass eine bewaffnete Gruppe bewusst ein Blutvergießen provozieren könnte, um so R2P-Maßnahmen zu erzwingen. Zweitens stellen sich die Intervenienten auf eine Seite des Konflikts und verspielen damit die Chance auf Mediation zwischen den Konfliktparteien. Die Alternative läge für die internationale Gemeinschaft vielmehr darin, auf zivilgesellschaftliche Strukturen zu setzen und so friedliche Lösungen zu finden. Eine R2P könnte durchaus auch auf gewaltfreiem und zivilen Wege umgesetzt werden. Dies wäre wirklich ethisch und humanitär.

Dr. Klaus Heidegger,
Kommission für Sicherheit und Abrüstung von Pax Christi Österreich

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