R2P: Ethisch gerecht“fertigt“ weil
„humanitär“?
Über die Kriegspolitik und deren
Legitimationen im dritten Jahrtausend am Beispiel der Intervention in Libyen
„Humanitär“ klingt ethisch. Weil es ethisch klingt, scheint mit diesem Adjektiv schon
das entsprechende Nomen gerechtfertigt. Ein Krieg wird humanitär. Bomben auf
Städte werden humanitär. Auch „Intervention“
klingt ethisch. Man will helfen, nicht zuschauen. Also zwei ethische Vokabel.
Also doppelt gut, und wer da noch dagegen ist, der ist ethisch nicht gut, heißt
böse, weil nicht humanitär und zuschauend. Anti-interventionistisch zu sein
wird für unethisch oder unmoralisch erklärt. Und damit nicht genug. „Responsibility to protect“, offiziell
knackig abgekürzt mit R2P, heißt die neue Doktrin, mit der gegenwärtige und
künftige Kriege im Stile der Libyen-Intervention legitimiert werden. Verantwortung klingt nochmals besser und
in Kombination mit Schutz überhaupt. Die
moralische Überlegenheit ist bei denen, die intervenieren wollen. Die Absichten
zählen für die Tat und die Absichten sind gut, selbst wenn Städte bombardiert
werden müssen, Tausende Menschen sterben und täglich Millionen in
Rüstungsanstrengungen fließen. Solche „Kollateralschäden“ werden als „kleineres
Übel“ in Kauf genommen.
Mein Nachdenken über das neue Zauberwort des
internationalen Kriegsrechtes beginnt und endet mit jenem Ereignis, das in
einem profil-Artikel Ende 2011 als „der perfekte Krieg“ bezeichnet worden ist –
dem siebenmonatigen NATO-Einsatz in Libyen. Wird er bereits als Blaupause für
künftige Militärinterventionen gesehen? Warum war die katholische Kirche mit
ihrer Friedenslehre gegen diesen Krieg, wo er doch ethisch, weil humanitär und
für bedrängte Menschen intervenierend, gewesen sein soll?
Sarkozy, Cameron und Obama
traten im März 2011 ihre militärische Intervention unter Billigung des
UN-Sicherheitsrates und unter dem Vorwand der Humanität an. Man wollte die
Zivilbevölkerung schützen. „Responsibility to Protect“, die Legitimationsformel
für die neuen Kriege, musste nicht erst erfunden werden. Zum zweiten Mal wurde
diese Formel aber nun tatsächlich angewandt, um die Koalition der Willigen in
ihrem militärischen Drängen zu unterstützen. Erstmalig wurde die R2P-Formel vom
Sicherheitsrat in der Bürgerkriegssituation in Kenya in den Jahren 2007-2008
verwendet, nachdem sie zuvor auf dem UN-Gipfel 2005 in einer Resolution als
Grundlage für das Völkerrecht definiert worden war. Doch war es nun im Frühjahr
2011 der Schutz der Zivilbevölkerung, der zur Intervention führte, und war es
humanitär, was dann geschah? Kann noch von „humanitär“
gesprochen werden, wenn die Zielsetzung dieses Krieges von Beginn an nicht nur –
oder eigentlich gar nicht – der Schutz der Zivilbevölkerung war, wie es die
UN-Resolution 1973 vorgesehen hatte, sondern ein Regimewechsel, wenn man klar
Partei ergriffen hatte für eine Bürgerkriegspartei, wenn letztlich Grundlagen
des Völkerrechts außer Kraft gesetzt wurden und vor allem angesichts von 50.000
Kriegstoten und weit mehr Kriegsinvaliden? Der Beifall für die NATO-Intervention
erscheint angesichts solcher Begleitumstände mehr als fraglich.
Der NATO-Krieg in Libyen steht heute für eine
Entwicklung, in der sich das Völkerrecht unter der Doktrin von R2P zu einem
Instrument verwandelt, mit dem sich die militärisch potentesten Staaten ihre
hegemoniale Politik legalisieren können. Seit die UN 1990 den USA und ihren
Verbündeten das Recht einräumten, gegen den Irak mit „all necessary means“
vorzugehen, ist ein Bombenkrieg wieder salonfähig geworden. Die militärischen
Intervenienten definieren für sich, was diese notwendigen Mittel sind,
interpretieren die Resolutionen selbst, wie sie es für nötig finden, und alles
wird möglich, alles scheint plötzlich legitim zu sein. Unter dem Vorwand der
„Schutzpflicht“ – siehe Libyen – wird ein Regime weggebombt. Schon im Vorfeld
der UN-Resolution wurde überlegt, ob sich selbst ohne eine Legitimierung durch
die Vereinten Nationen eine „Koalition der Willligen“ bilden könnte, um
militärisch auf Seiten der Rebellen gegen Gaddafi zu intervenieren. Hier wird
sichtbar: Das Prinzip R2P wird über eine Legitimierung durch den
UN-Sicherheitsrat gestellt und gibt den Weg frei, um selbst über einen Kriegsbeginn
zu entscheiden, womit das generelle Gewaltverbot der UN-Charta ausgehebelt
wird.
Die Mandatierung zur Anwendung militärischer
Gewalt findet so eine permanente Ausweitung und führt zur Ausweichung des generellen
Kriegsverbots. Mit dem „Krieg gegen den Terror“ werden längst schon – und nicht
nur in Afghanistan – auf einer substaatlichen Ebene mit der Begründung des
Selbstverteidigungsrechtes militärische Operationen auch gegen nicht-staatliche
Einheiten auf fremdem Staatsgebiet geführt. Aus dem Responsibility to Protect
wird beinahe automatisch eine Responsibility to Kill.
Waren die Kriege vergangener Jahrhunderte oft mit
fragwürdigen Argumenten auch von Seiten der Kirchen mit der „bellum
iustum“-Konstruktion legitimiert worden, so hat inzwischen ein radikaler
politischer Wechsel eingesetzt. Die säkulare Variante des bellum iustum ist das
mit gleichen Argumenten versehene Konstrukt der Responsibility to Protect. Faktum
ist freilich, dass sich hinter der Rhetorik vom Schutz der Menschenrechte und
der Pflicht zum Schutz der Zivilbevölkerung meist politisch-ökonomische
Interessen verbergen. Dies zeigt die Selektivität der Interventionen: in Libyen
wurde interveniert, während in Syrien – dessen Regime wochenlang mit roher
Gewalt eine Demokratiebewegung niederhielt – nicht interveniert wurde. Was ist
mit dem Schutzbedürfnis der Tibeter, mit den Menschen in Tschetschenien usw.
usf.? Wer entscheidet wann und wie und wo interveniert wird und wie diese Intervention
abläuft? Im Falle Libyens hat Obama jedenfalls demokratische Instanzen – wie
den Kongress – schlichtweg übergangen. Die Entscheidungsmacht lag bei der NATO
– eine Organisation letztlich, die vom Volk nicht abgewählt werden kann, deren
Politik sich weitgehend demokratischer Kontrolle entzieht.
Die Anwendung der R2P-Doktrin hat im Falle Libyens
ihre Grenzen und Schwächen gezeigt. Ihre Gefahr liegt erstens darin, dass eine
bewaffnete Gruppe bewusst ein Blutvergießen provozieren könnte, um so
R2P-Maßnahmen zu erzwingen. Zweitens stellen sich die Intervenienten auf eine
Seite des Konflikts und verspielen damit die Chance auf Mediation zwischen den
Konfliktparteien. Die Alternative läge für die internationale Gemeinschaft
vielmehr darin, auf zivilgesellschaftliche Strukturen zu setzen und so
friedliche Lösungen zu finden. Eine R2P könnte durchaus auch auf gewaltfreiem
und zivilen Wege umgesetzt werden. Dies wäre wirklich ethisch und humanitär.
Dr. Klaus Heidegger,
Kommission für Sicherheit und Abrüstung von Pax Christi Österreich
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