Je
suis Jesus: Jesus-Selfies, die keine Selfies sind
Die Ich-bin-Worte im
Johannes-Evangelium sind keine Worte, die Jesus selbst so gesprochen hätte. Die
moderne Bibelauslegung spricht davon, dass es keine „ipsissima verba“ seien,
das heißt keine Worte, die von Jesus selbst stammen würden. Was wir
historisch-kritisch über diesen Mann aus Nazareth sagen können, lautet: Er war
Jeschua ben Mirjam aus Nazareth in Galiläa: Jesus, Sohn der Maria, der als eine
Art Wanderrabbi mit einem bunten Haufen von Jüngern und Jüngerinnen die
prophetische Tradition des Volkes Israel aufgegriffen hat und damit bewusst
provokant die herrschende Clique aus römischer Besatzungsmacht und lokalen
Kollaborateuren und Mitläufern herausgefordert hat. Als tiefgläubiger Jude hat
er sich nicht selbst als „Gott“ inszeniert. Dies wäre in jüdischem Verständnis
„Blasphemie“ gewesen. Im ältesten Evangelium schreibt Markus mehrmals davon, dass
Jesus auch nicht als Messias bezeichnet werden wollte. Die Mitte seiner
Botschaft wird aber gleich im 1. Vers dieses Evangeliums als programmatisches
Vorzeichen deutlich: Das Reich Gottes ist angekommen. (Mk 1,1)
Jesus hat nicht dem
postmodernen Typen heutiger Zeit entsprochen. Wenn viele Worte in den
Evangelien so klingen, muss heute gesagt werden: Jesus hat keine Nabelschau
betrieben. Ihm ging es nicht darum, sich selbst in Szene zu setzen, sondern
seine Botschaft vom Reich Gottes lebendig werden zu lassen. Dieser Blick ist
wichtig, damit die Selfie-Generation heute mit ihren egozentrischen
Selbstinszenierungen nicht auch noch sagen könnte: Dieser Jesus hat sich selbst
narzisstisch überhöht.
Nein, würde dieser Jesus
heute leben, so würde er kein optimiertes Social-Media-Profil haben, in dem er
sich als „Sohn Gottes“ anpreist. Man würde keine Selfies von ihm entdecken,
dafür aber die Nobodys seiner Zeit: Jene, die als Opfer am Rand der
Gesellschaft leben mussten, die Bettler, die Kranken, die gedemütigten Frauen.
Damit entspricht Jesus so gar nicht der heutigen Ego-Generation. Er war keine
Chamäleon-Existenz, der sich von der sozialen Umwelt nicht abgehoben hätte. Die
Jesusbewegung hat sich nicht angepasst, hat sich mit Unterdrückung und
Ausbeutung nicht abgefunden. Man könnte ihn nicht mit Duckface vor dem Tempel
in Jerusalem sehen, das über facebook, Instagramm, Twitter und Co gepostet wird
und Tausende Likes erhält. Das wäre für einen Widerständler auch zu gefährlich
gewesen.
Johannes gibt mit den
Ich-bin-Worten Jesu kein Selfie von Jesus wider. Im Gegenteil. Wenn er Jesus
sprechen lässt „ich bin der gute Hirte“ (Joh 10,11), dann steht dahinter die
Erfahrung der ersten Gemeinschaften von Jüngern und Jüngerinnen, wie Jesus als
Auferstandener in ihrer Mitte erfahrbar wird. Nicht als Terminator-Gestalt, der
tabula rasa macht mit denen, die nicht in eine bestimmte Linie passen, sondern
einfühlsam hinhorchend, jeden und jede in der eigenen Existenz ernst nehmend.
Diese Jesus-Gestalt kennt jedes Blöken der Schafe, egal ob schwarz oder weiß.
Jedes Schaf hat Vertrauen in ihn. Dieser Jesus wird in der johanneischen
Gemeinde des 1. Jahrhunderts identifiziert mit einem Berufszweig, der in der
Hierarchie der jüdisch-palästinensischen Gesellschaft Jesu ganz unten stand,
galten Hirten doch im System von rein-unrein als unrein, weil sie den Kontakt
mit den Tieren pflegten. In der griechisch-römischen Antike wiederum ist der
Hirte wie Hermes der Götterbote, der ein Schaf auf seinem Rücken trägt.
Der, der im Lukasevangelium
von den Hirten begrüßt wurde, wird selbst zum Hirten. Er ist nicht
kaisergleich, sondern hirtengleich, nicht gegürtet mit Schwert, sondern mit
Hirtenstab. Was Hirten immer schon auszeichnete, ist die Verbindung mit der
Natur, denn nur so wissen sie, wie sie den Wölfen ausweichen und die
Wasserstellen finden können. Jesus wird zunächst nicht einmal als Ackerbauer
bezeichnet, weil diese Existenzweise schon stärker auf Besitz von Grund und
Boden und damit mit Sesshaftigkeit verknüpft ist. Ein Hirte hingegen war damals
unterwegs. Nomadenexistenz.
Die Johannes-Gemeinde hat
noch weitere Metaphern, um die Auferstehungsexistenz Jesu zu versinnbildlichen.
Johannes legt Jesus die Worte in den Mund: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die
Reben“. Und wieder steckt dahinter Erfahrung, Empirie. Die Erfahrung, dass in
der Verbundenheit mit Jesus Christus das Leben gelingen kann. Die Erfahrung,
dass das Leben gelingt, wenn wir in unseren Gemeinschaften, in der Kirche, in
den Dörfern und Stadtteilen, in den Schulen und Klassenzimmern, in den Fabriken
und Arbeitsstätten rebengleich wie ein Team zusammen arbeiten. Solches wird
„Frucht“ bringen können. In die heutige Sprache übersetzt könnten die
Johannes-Worte lauten: Ich bin der Coach, der euch zu Teamplayern macht, und
eure Arbeit wird gelingen. Die Erfahrung mit Auferstehung zeigt, dass
Jesusnachfolge ein gutes Leben für alle zum Ziel hat. Dies kann nicht erreicht
werden durch Einzelgängertum, durch egoistische Ellbogentaktik, durch
Win-lose-Strategien. Die sauren Weinbeeren an den Reben sind die
Karrieresüchtigen und jene, die nur auf den eigenen Gewinn achten.
Johannes schrieb für eine
Gemeinde, die brutaler Verfolgung ausgesetzt war. Sie sind vergleichbar mit den
Jesiden und Christen, die heute unter dem Terror des Islamischen Staates
leiden. Sie wurden damals aus den „Synagogen“ ausgeschlossen und mit Steinen
beworfen. Von der römischen Zentralmacht wurden Christen und Christinnen
gnadenlos verfolgt, die Säulen der ersten Gemeinden wurden umgebracht, Petrus
gekreuzigt, Paulus geköpft, Stefanus gesteinigt. Trotzdem wuchs die Zahl jener,
die sich zu Christus bekannten, weil sie wussten: Seine Botschaft funktioniert.
Da gibt es niemanden mehr, der in diesen Gemeinden Not leidet, weil man zu
teilen begonnen hat. Da werden die Häuser zu Orten der Gastfreundschaft und das
Gerücht über die ersten Christen verbreitete sich im ganzen römischen Reich:
Seht, wie sie einander lieben! Ich bin der Löwenzahn, der in einem Spalt
zwischen Asphalt und Mauer zu blühen beginnt.
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Welche Ich-bin-Worte, oder
im Polit-Jargon unserer Zeit, welche „Je-suis-Worte“ Jesu entsprächen heute den
Erfahrungen von Auferstehung Jesu Christi? Wie würden wir heute, die wir in
einem Land leben, in der es gerade drei Prozent Bauern gibt, und die wir nicht
mehr in den Kategorien von „guter Hirte“ und „Weinstock“ denken, das Profil von
Jesus wiedergeben?
Ich bin das Rettungsboot für
die Flüchtlinge, die bei der lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer in
Seenot geraten sind. Ich bin die Schülerin, die einer verzweifelten
Mitschülerin Nachhilfe in Mathe gibt, damit sie das Klassenziel doch noch
erreichen wird. Ich war der Deserteur aus dem Vomperloch, der sich dem
Kriegszwang verweigerte. Ich bin die Caritas, die sich der konkreten Not in
dieser Gesellschaft annimmt, der größer werdenden Zahl von Menschen, die unter
der Armutsgrenze leben. Ich bin die Schwangere, die sich keine Abtreibung
einreden lässt, weil ihr werdendes Kind mit Down-Syndrom auf die Welt kommen
wird. Ich bin die Biobäuerin, die darauf achtet, dass es ihren Tieren gut geht
und die Pflanzen ohne Großeinsatz von Chemie wachsen können. Ich bin der
Unternehmer, der für ein gutes Arbeitsklima in seinem Betrieb sorgt und auf
faire Produktionsverhältnisse achtet. Ich bin die Green-Peace-Aktivistin, die
sich an Kampagnen gegen Atomkraftwerke beteiligt und selbst achtsam mit den
Ressourcen dieser Welt umgeht, die auf Flugreisen um des Klimas willen
verzichtet und selbst vegetarisch lebt. Ich war Bertha von Suttner, die gegen
den Krieg anschrieb und sich enttäuscht über die Kriegsbegeisterung in der
Kirche zeigte. Ich bin der Demonstrant gegen TTIP und schreibe gegen den
grenzenlosen Kapitalismus an. Ich bin die Krankenschwester, die für die
Patienten und Patientinnen stets ein aufmunterndes Wort und liebevolle Pflege
hat. Ich bin. Ich bin. Ich bin. … Wer ist Jesus für dich? Welche Erfahrungen
hast du selbst und deine Gemeinschaft mit ihm? Möge der Auferstandene in dir
lebendig werden. Möge der Auferstandene in deinen Gemeinschaften lebendig
werden.
Klaus Heidegger, zu den
Sonntagsevangelien im Mai 2015
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