Mittwoch, 20. Mai 2015

Pfingsten als sozial-ökonomische Revolution



Pfingsten als sozial-ökonomische Revolution  -
eine historisch-kritische und materialistische Exegese der biblischen Pfingsttexte und ihre Anwendung auf das Heute
(Apostelgeschichte 2,1-11 und Johannes 20,19-33)
von Klaus Heidegger

Das Pfingstwunder der Bibel
Unglaubliches, Unfassbares ist geschehen. In der Hauptstadt Judäas. In Jerusalem. Zur Zeit der Weltherrschaft des Kaisers Tiberius. Etwas mehr als 50 Tage, nachdem Jesus von Nazareth als Rebell und Aufrührer auf grausame Weise hingerichtet worden war, 50 Tage, nachdem dieser Jesus erstmals seinen Jüngern und Jüngerinnen als Auferstandener begegnet ist. Was ist geschehen?
Immer noch geschockt von den Ereignissen sitzen die Jünger und Jüngerinnen Jesu hinter verschlossenen Türen zusammen. Ja, sie wissen: Jesus ist auferstanden. Jesus ist ihnen auch schon erschienen. Auferstanden in ihren Köpfen und Herzen, in ihrem gemeinsamen Mahlhalten, im Einstehen füreinander. Ihre Angst ist damit nicht gewichen. Der Schock über Jesu Hinrichtung sitzt ihnen noch tief in den Knochen. Es war ein brutaler, ein feiger Mord, typisch für die römischen Besatzungstruppen, die das Land mit äußerster Gewalt unter Kontrolle hielten. Abertausende sind von den römischen Soldaten gekreuzigt worden; jüdische Mädchen und Frauen sind misshandelt oder als Sklavinnen verkauft worden. Jene, die mit Jesus gezogen sind, sind gefährdet.
Da hocken nun die Jünger und Jüngerinnen in einem armseligen Haus in Jerusalem zusammen. Wir kennen einige ihrer Namen. Es sind durchwegs Leute der Unterschicht. Da war der Jünger Bartimäus. Als blinder Bettler hatte ihn Jesus in die Nachfolge berufen. Weit unter dem Existenzminimum hatte er gelebt. Oder der Bruder von Jesus, Jakobus, oder die Söhne des Zebedäus, und natürlich Petrus und Andreas, ehemals Fischer aus dem Norden des Landes. Und natürlich sind da auch die Frauen, die Galiläerin Maria von Magdala, eine besondere Gefährtin von Jesus, und da sind Maria und Martha aus Betanien, Maria, die Mutter Jesu, und noch viele andere. Sie alle waren ohne Sozialprestige, ohne gesellschaftliches Ansehen, ohne materielle Sicherheiten. Sie kannten die Not in Palästina aus eigener Erfahrung und als Betroffene. Sie wussten von der groben Ungerechtigkeit. Die Botschaft ihres Meisters öffnete ihnen die Augen, um die Ausbeutungsverhältnisse zu durchschauen. Sie träumten zugleich von einem messianischen Gottesreich, in dem – wie es Maria so wunderbar besang – die Herrschenden vom Thron gestürzt, die Habenichtse aber emporgehoben werden.
Wer solche Träume und politischen Ziele hatte, galt als gefährlich. Jeden Moment mussten die Anhänger und Anhängerinnen Jesu damit rechnen, dass sie ebenfalls wie Jesus als „Revoluzzer“ und Unruhestifter verurteilt werden könnten. Kein Wunder also, dass sie vorsichtig waren, dass sie sich nicht hinauswagten.
Pfingsten als Mut zum Aufbruch
Da aber geschah das Unerwartete. Da ereignete sich Pfingsten. In diese Situation von Verzagtheit und Angst und Furcht hinein. Verzagtheit wird durch Mut ersetzt, Angst durch Zuversicht und Furcht durch Furchtlosigkeit abgelöst. Das ist Pfingsten. Das ist die Gabe des Geistes. Die Konsequenzen sind unübersehbar. So plötzlich streifen die Jünger und Jüngerinnen ihre Ängste ab. Sie haben ihre Furcht vergessen. Die einfachen Bauern und Bäuerinnen aus Galiläa, die von der Jerusalemer Stadtbevölkerung abschätzig als ungebildet, als dumm, als unzivilisiert, als unrein betrachtet wurden, kaum würdig für das Wort Gottes, diese Analphabeten und Analphabetinnen entwickeln plötzlich ein enormes Selbstvertrauen. Weit machen sie nun die Türen auf. Furchtlos treten sie vor die anderen Menschen, die so zahlreich in Jerusalem waren. Diese Männer und Frauen aus der Unterschicht Palästinas wagen den Aufbruch. Stellvertretend für die anderen, so könnten wir jetzt in der Apostelgeschichte weiterlesen, tritt dann Petrus unerschrocken vor die Menge. Er wagt es sogar, sich auf den Propheten Joel zu beziehen, und spricht vom Anbruch des messianischen Reiches, das ist nichts weniger als eine soziale und politische Revolution, die die Verhältnisse völlig umgestaltet.
Pfingsten als konkrete Eutopie
Alles bloß eine Utopie? Eine charismatische Schwärmerei? Sind die Jünger und Jüngerinnen da bloß ausgeflippt? Nein!! Wir müssen nur in der Apostelgeschichte weiter lesen, dann erfahren wir die unmittelbaren Auswirkungen von Pfingsten. Die handgreiflichen Wirkungen. Der Geist Jesus bewirkt erstens, dass die einzelnen Menschen Mut bekommen, dass sie den Aufbruch - das ist die Nachfolge Jesu - wagen können, dass sie die enorme Zuversicht bekommen, in die Fußstapfen Jesu zu treten. Der Geist Jesu bewirkt zweitens, dass sich die einzelnen aber in Gemeinschaften zusammentun. Deswegen ist Pfingsten der Geburtstag der Kirche, der Geburtstag der christlichen Gemeinden. Der Geist Jesus bestimmt drittens die Art und Weise, wie die ersten Christen und Christinnen ihr Gemeindeleben gestalten: Diese Menschen in den urchristlichen Gemeinden, so schreibt Lukas, waren „ein Herz und eine Seele“. In die Kirche gehen, Christ sein, Christin sein, das war nicht - wie bei uns heute vielmals - eine bloß geistige Sache, ein schönes Wort, ein positives Feeling - nein: das war für die ersten Christen und Christinnen durch und durch handfest. Das hatte praktische materielle Konsequenzen. Darin liegt das Pfingstwunder, darin liegt die Gabe des Geistes: Die Menschen waren befähigt zur Gütergemeinschaft. Sie hatten alles gemeinsam. Manche sprechen auch von einem Urkommunismus. Und das Wunder dieser ökonomischen Ordnung stellte sich sofort ein: Niemand unter ihnen litt Not, jeder und jede hatte das, was er und sie nötig hatte. Ein sozialpolitisches Pfingstwunder. Pfingsten erweist sich für die ersten Christen und Christinnen als soziale Revolution. Gerade in einer extremen Notsituation, in der die ersten christlichen Gemeinde waren, wiederholte sich das, was Jesus bereits in den Brotwundern zeigte: In Gemeinschaften, die sich am Prinzip des Teilens orientieren, werden die sozialen Spannungen aufgehoben. Das bedeutet, dass es keine mehr gibt, denen die Grundbedürfnisse versagt bleiben. Die Gabe des Geistes ist daher die Fähigkeit, eine Gesellschaft und eine Wirtschaft so zu gestalten, dass niemand mehr Not leidet, dass die zentralen Bedürfnisse aller Menschen erfüllt werden.
Pfingstwunder im Heute
Weit sind wir heute vom Pfingstwunder entfernt! Wie damals die Jünger und Jüngerinnen um ihr Leben bangen mussten, so werden heute Christen und Jesiden von islamistischen Terrorbanden verfolgt. Abertausende wollen aus Elend und Kriegssituationen fliehen und stranden an den Wohlstandsmauern. Pfingstwunder, das wäre, wenn die Türen von Häusern und Kasernen geöffnet würden, um Flüchtlingen Unterkunft zu geben; wenn in Österreich nicht mehr Zeltstädte für Asylsuchende errichtet würden; wenn sich Bürgermeister nicht mehr mit bürokratischen Tricks gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in ihren Heimatgemeinden stellen würden – aus Angst vor Stimmenverlust bei den nächsten Gemeinderatswahlen.
Pfingstwunder im globalen Dorf, das wäre ein Abkehr von einer kannibalischen Weltordnung. Alle fünf Sekunden stirbt irgendwo auf dieser Welt ein Mensch an den Folgen von Hunger und Unterernährung. Zehntausende Menschen sind ohne Erwerbsarbeit. Das große Teilen, das aus dem biblischen Pfingstwunder folgte, ist weit weg. Einkommensunterschiede wachsen. Während die Reichen reicher werden, sind 15 Prozent der österreichischen Haushalte von Armut betroffen.
Furchtlosigkeit war Folge des pfingstlichen Wunders damals. Wer keine Furcht hat, wird sich nicht bis an die Zähne bewaffnen. In diesem Europa wird weiter kräftig gerüstet, werden neue Waffenstellungen aufgebaut. An Plänen für eine EU-Armee wird gebastelt und weiterhin werden junge Männer hierzulande automatisch auf militärische Konfliktlösungen trainiert.
Möge die Geistkraft wie ein Wirbelwind die zerstörerischen Mechanismen unserer Wirtschaftsordnung verändern. Möge die Geistin wie ein sanfter Windhauch uns zum Teilen befähigen. Möge der göttliche Beistand uns mit Feuerzungen Mut zu Visionen geben, damit wir unsere Furcht und Angst überwinden können. Möge der Geist uns zu Geschwistern machen. Möge uns der pfingstliche Geist die Furcht nehmen, so dass wir uns entwaffnen und die Feinde zu unseren Freunden machen.
Pfingsten 2015

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