Pfingsten als sozial-ökonomische Revolution -
eine historisch-kritische und materialistische Exegese der biblischen Pfingsttexte und ihre Anwendung auf das Heute
(Apostelgeschichte 2,1-11 und Johannes 20,19-33)
eine historisch-kritische und materialistische Exegese der biblischen Pfingsttexte und ihre Anwendung auf das Heute
(Apostelgeschichte 2,1-11 und Johannes 20,19-33)
von
Klaus Heidegger
Das Pfingstwunder der Bibel
Unglaubliches,
Unfassbares ist geschehen. In der Hauptstadt Judäas. In Jerusalem. Zur Zeit der
Weltherrschaft des Kaisers Tiberius. Etwas mehr als 50 Tage, nachdem Jesus von
Nazareth als Rebell und Aufrührer auf grausame Weise hingerichtet worden war,
50 Tage, nachdem dieser Jesus erstmals seinen Jüngern und Jüngerinnen als
Auferstandener begegnet ist. Was ist geschehen?
Immer
noch geschockt von den Ereignissen sitzen die Jünger und Jüngerinnen Jesu
hinter verschlossenen Türen zusammen. Ja, sie wissen: Jesus ist auferstanden.
Jesus ist ihnen auch schon erschienen. Auferstanden in ihren Köpfen und Herzen,
in ihrem gemeinsamen Mahlhalten, im Einstehen füreinander. Ihre Angst ist damit
nicht gewichen. Der Schock über Jesu Hinrichtung sitzt ihnen noch tief in den Knochen.
Es war ein brutaler, ein feiger Mord, typisch für die römischen
Besatzungstruppen, die das Land mit äußerster Gewalt unter Kontrolle hielten.
Abertausende sind von den römischen Soldaten gekreuzigt worden; jüdische
Mädchen und Frauen sind misshandelt oder als Sklavinnen verkauft worden. Jene,
die mit Jesus gezogen sind, sind gefährdet.
Da
hocken nun die Jünger und Jüngerinnen in einem armseligen Haus in Jerusalem
zusammen. Wir kennen einige ihrer Namen. Es sind durchwegs Leute der
Unterschicht. Da war der Jünger Bartimäus. Als blinder Bettler hatte ihn Jesus
in die Nachfolge berufen. Weit unter dem Existenzminimum hatte er gelebt. Oder
der Bruder von Jesus, Jakobus, oder die Söhne des Zebedäus, und natürlich
Petrus und Andreas, ehemals Fischer aus dem Norden des Landes. Und natürlich
sind da auch die Frauen, die Galiläerin Maria von Magdala, eine besondere
Gefährtin von Jesus, und da sind Maria und Martha aus Betanien, Maria, die
Mutter Jesu, und noch viele andere. Sie alle waren ohne Sozialprestige, ohne
gesellschaftliches Ansehen, ohne materielle Sicherheiten. Sie kannten die Not
in Palästina aus eigener Erfahrung und als Betroffene. Sie wussten von der
groben Ungerechtigkeit. Die Botschaft ihres Meisters öffnete ihnen die Augen,
um die Ausbeutungsverhältnisse zu durchschauen. Sie träumten zugleich von einem
messianischen Gottesreich, in dem – wie es Maria so wunderbar besang – die Herrschenden
vom Thron gestürzt, die Habenichtse aber emporgehoben werden.
Wer solche Träume und politischen
Ziele hatte, galt als gefährlich. Jeden Moment mussten die Anhänger und
Anhängerinnen Jesu damit rechnen, dass sie ebenfalls wie Jesus als „Revoluzzer“
und Unruhestifter verurteilt werden könnten. Kein Wunder also, dass sie
vorsichtig waren, dass sie sich nicht hinauswagten.
Pfingsten als Mut zum Aufbruch
Da aber geschah das Unerwartete. Da
ereignete sich Pfingsten. In diese Situation von Verzagtheit und Angst und
Furcht hinein. Verzagtheit wird durch Mut ersetzt, Angst durch Zuversicht und
Furcht durch Furchtlosigkeit abgelöst. Das ist Pfingsten. Das ist die Gabe des
Geistes. Die Konsequenzen sind unübersehbar. So plötzlich streifen die Jünger
und Jüngerinnen ihre Ängste ab. Sie haben ihre Furcht vergessen. Die einfachen
Bauern und Bäuerinnen aus Galiläa, die von der Jerusalemer Stadtbevölkerung abschätzig
als ungebildet, als dumm, als unzivilisiert, als unrein betrachtet wurden, kaum
würdig für das Wort Gottes, diese Analphabeten und Analphabetinnen entwickeln
plötzlich ein enormes Selbstvertrauen. Weit machen sie nun die Türen auf.
Furchtlos treten sie vor die anderen Menschen, die so zahlreich in Jerusalem
waren. Diese Männer und Frauen aus der Unterschicht Palästinas wagen den
Aufbruch. Stellvertretend für die anderen, so könnten wir jetzt in der
Apostelgeschichte weiterlesen, tritt dann Petrus unerschrocken vor die Menge.
Er wagt es sogar, sich auf den Propheten Joel zu beziehen, und spricht vom
Anbruch des messianischen Reiches, das ist nichts weniger als eine soziale und
politische Revolution, die die Verhältnisse völlig umgestaltet.
Pfingsten als konkrete Eutopie
Alles bloß eine Utopie? Eine
charismatische Schwärmerei? Sind die Jünger und Jüngerinnen da bloß
ausgeflippt? Nein!! Wir müssen nur in der Apostelgeschichte weiter lesen, dann
erfahren wir die unmittelbaren Auswirkungen von Pfingsten. Die handgreiflichen
Wirkungen. Der Geist Jesus bewirkt erstens, dass die einzelnen Menschen Mut
bekommen, dass sie den Aufbruch - das ist die Nachfolge Jesu - wagen können,
dass sie die enorme Zuversicht bekommen, in die Fußstapfen Jesu zu treten. Der
Geist Jesu bewirkt zweitens, dass sich die einzelnen aber in Gemeinschaften
zusammentun. Deswegen ist Pfingsten der Geburtstag der Kirche, der Geburtstag
der christlichen Gemeinden. Der Geist Jesus bestimmt drittens die Art und
Weise, wie die ersten Christen und Christinnen ihr Gemeindeleben gestalten:
Diese Menschen in den urchristlichen Gemeinden, so schreibt Lukas, waren „ein
Herz und eine Seele“. In die Kirche gehen, Christ sein, Christin sein, das war
nicht - wie bei uns heute vielmals - eine bloß geistige Sache, ein schönes
Wort, ein positives Feeling - nein: das war für die ersten Christen und
Christinnen durch und durch handfest. Das hatte praktische materielle
Konsequenzen. Darin liegt das Pfingstwunder, darin liegt die Gabe des Geistes:
Die Menschen waren befähigt zur Gütergemeinschaft. Sie hatten alles gemeinsam.
Manche sprechen auch von einem Urkommunismus. Und das Wunder dieser
ökonomischen Ordnung stellte sich sofort ein: Niemand unter ihnen litt Not,
jeder und jede hatte das, was er und sie nötig hatte. Ein sozialpolitisches
Pfingstwunder. Pfingsten erweist sich für die ersten Christen und Christinnen
als soziale Revolution. Gerade in einer extremen Notsituation, in der die
ersten christlichen Gemeinde waren, wiederholte sich das, was Jesus bereits in
den Brotwundern zeigte: In Gemeinschaften, die sich am Prinzip des Teilens
orientieren, werden die sozialen Spannungen aufgehoben. Das bedeutet, dass es
keine mehr gibt, denen die Grundbedürfnisse versagt bleiben. Die Gabe des
Geistes ist daher die Fähigkeit, eine Gesellschaft und eine Wirtschaft so zu
gestalten, dass niemand mehr Not leidet, dass die zentralen Bedürfnisse aller
Menschen erfüllt werden.
Pfingstwunder im Heute
Weit sind wir heute vom Pfingstwunder
entfernt! Wie damals die Jünger und Jüngerinnen um ihr Leben bangen mussten, so
werden heute Christen und Jesiden von islamistischen Terrorbanden verfolgt. Abertausende
wollen aus Elend und Kriegssituationen fliehen und stranden an den
Wohlstandsmauern. Pfingstwunder, das wäre, wenn die Türen von Häusern und
Kasernen geöffnet würden, um Flüchtlingen Unterkunft zu geben; wenn in
Österreich nicht mehr Zeltstädte für Asylsuchende errichtet würden; wenn sich Bürgermeister
nicht mehr mit bürokratischen Tricks gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in
ihren Heimatgemeinden stellen würden – aus Angst vor Stimmenverlust bei den
nächsten Gemeinderatswahlen.
Pfingstwunder im globalen Dorf, das
wäre ein Abkehr von einer kannibalischen Weltordnung. Alle fünf Sekunden stirbt
irgendwo auf dieser Welt ein Mensch an den Folgen von Hunger und
Unterernährung. Zehntausende Menschen sind ohne Erwerbsarbeit. Das große
Teilen, das aus dem biblischen Pfingstwunder folgte, ist weit weg. Einkommensunterschiede
wachsen. Während die Reichen reicher werden, sind 15 Prozent der
österreichischen Haushalte von Armut betroffen.
Furchtlosigkeit war Folge des
pfingstlichen Wunders damals. Wer keine Furcht hat, wird sich nicht bis an die
Zähne bewaffnen. In diesem Europa wird weiter kräftig gerüstet, werden neue
Waffenstellungen aufgebaut. An Plänen für eine EU-Armee wird gebastelt und
weiterhin werden junge Männer hierzulande automatisch auf militärische
Konfliktlösungen trainiert.
Möge die Geistkraft wie ein Wirbelwind
die zerstörerischen Mechanismen unserer Wirtschaftsordnung verändern. Möge die
Geistin wie ein sanfter Windhauch uns zum Teilen befähigen. Möge der göttliche
Beistand uns mit Feuerzungen Mut zu Visionen geben, damit wir unsere Furcht und
Angst überwinden können. Möge der Geist uns zu Geschwistern machen. Möge uns der
pfingstliche Geist die Furcht nehmen, so dass wir uns entwaffnen und die Feinde
zu unseren Freunden machen.
Pfingsten 2015
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