Samstag, 3. Dezember 2011

Tötungskultur


Vendetta im 21. Jahrhundert - die neue Tötungskultur
Screenshots zeigten, wie Gaddafi halbnackt, angeschossen, blutüberströmt und fast bewusstlos von einer johlenden Menge bewaffneter Rebellen durch die Straßen von Sirte gezerrt wurde, bevor er endgültig hingerichtet wurde. Er soll noch um Gnade gefleht haben und ein „Allahu akbar“ war in diesem Gejohle und Geschreie zu vernehmen. Hinrichtung vor laufenden Handykameras. Der Exekution vorangegangen waren wochenlange Bombardements von Sirte durch NATO-Kampfflugzeuge. Hunderte Menschen starben, verbluteten, wurden verstümmelt. Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen wurden getroffen und unter dem Schutz der westlichen Mächte konnten die so genannten Rebellen und neuen Machthaber mit ihren modernen Maschinengewehren aus europäischer Produktion Menschenrechtsverletzungen begehen. Ein NATO-Kampfangriff führte zum finalen Ende von Gaddafi, im Widerspruch zum UN-Mandat 1973, das lediglich den Schutz von Zivilisten durch die Koalition vorsah. Die NATO lieferte Gaddafi regelrecht den Rebellen aus, ließ ihnen sozusagen das Mordwerk über. Mit dem libyschen Despoten wurden zumindest einer seiner Söhne und einige Minister schlichtweg gelyncht. Einen Tag nach seiner Hinrichtung wurde Gaddafi wie ein Stück erlegtes Wild in einem Gemüsegefrierschank eines Supermarktes blutverkrustet zur Schau gestellt und konnte von allen begafft und fotografiert werden. Im internationalen Boulevardjournalismus wurde dem libyschen Diktator jegliche Würde genommen, indem sie selbst auf den Titelseiten Bilder des sterbenden Gaddafi zeigten. Zwei Tage später wurden Dutzende Leichen in einem Hotel entdeckt, an den Händen gefesselt, mit Schusswunden im Kopf, gelyncht von jenen Rebellen, die sich mit Hilfe der NATO zum Sieg gebombt hatten.
            Die „Gaddafi-death-shots“ prägen sich in die Köpfe der Menschen ein, wollen weggedacht und weggewischt werden, und doch bleiben sie, wie die Bilder von der Erschießung des rumänischen Diktators Ceaucescu oder der Erhängung des irakischen Diktators Saddam Hussein. Wohl wäre es besser gewesen, die Boulevardpresse hätte nicht diese grausamen Fotos sensationslüstern auf Titelseiten oder im Inneren der Zeitungen gebracht. Haben wir uns bereits daran gewöhnt?
Wir leben in einer neuen Zeit der Faustrache. Obama, Sarkozy und Cameron drückten ihre Zufriedenheit über die Ermordung von Gaddafi aus. Die US-Außenministerin reagierte auf die Todesnachricht vor laufenden Kameras mit „Wow – we saw, came and won ….“ Vor fünf Monaten hatten US-Militärs Osama bin Laden liquidiert und der Drohnenkrieg geht weiter, um weitere Terroristen zu töten. „Erfolg für die Kräfte des Friedens“, nannte es im Mai 2011 die deutsche Bundeskanzlerin. Israels Geheimdienst Mossad lässt im Iran Atomwissenschaftler ermorden.
Wir haben uns an den Paradigmenwechsel in der internationalen Politik gewöhnt und rüsten unsere Armeen zu Angriffsarmeen um. Vor 10 Jahren begann die Shoot-and-Kill-Strategie in Afghanistan. Krieg, Mord und Vertreibung gelten als legitimes Mittel der Politik. Am Heldenplatz wurde am Nationalfeiertag 2011 mit besonderem Stolz der österreichische Beitrag zu den EU-Battlegroups präsentiert.
Argumente gegen die Liquidationspolitik gibt es viele: Wer Unrecht begeht, muss vor ein Gericht gestellt werden, sein Fehlverhalten muss aufgezeigt und bestaraft werden. Dies wäre bei Osama bin Laden wie Gaddafi möglich gewesen. Wer sich auf Demokratie und Menschenrechte beruft, darf seine Politik nicht auf Tötungsstrategien aufbauen. Nie kann die Ermordung von Menschen mit dem Verweis auf Menschenrechte legitimiert werden – dies ist ein Widerspruch in sich. Vielleicht, so kann daher angenommen werden, sind die Triebfedern für die neue Tötungskultur aber auch nicht die Forderung nach Menschenrechten, sondern geostrategische Interessen verbunden mit der Gier nach Energieressourcen.
            Der Blick auf ein Land südlicher von Libyyen hätte gezeigt, wie ein diktatorisches Regime ohne Waffengewalt gestürzt werden kann. Der Friedensnobelpreis an Ellen Johnson Sirleave und Leymah Gbowee macht uns darauf aufmerksam. Charles Taylor, der ehemalige Despot von Liberia, war gewiss um vieles brutaler als ein Gaddafi. Die Friedensfrauen von Liberia hatten es ohne Waffengewalt geschafft, einen Bürgerkrieg zu beenden und Charles Taylor und sein Regime zum Abdanken zu zwingen. Auf den Krieg folgte der Friedyen, auf die Diktatur folgte Demokratie. Charles Taylor wurde nicht gelyncht, sondern vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht. Die Friedensfrauen wurden dabei von den benachbarten Staaten und der internationalen Gemeinschaft unterstützt, den Weg zum Frieden auf dem Verhandlungsweg zu suchen.
Es wäre auch für Libyen möglich gewesen. Es war auch der Wunsch vieler afrikanischer Staaten, wie in Liberia den Weg der Verhandlungen zu gehen. Es passte jedoch nicht zur Kill-Mission, die seit dem März 2011 in Libyen herrschte. Die Bilanz des Krieges ist katastrophal. Allein die USA gaben für den siebenmonatigen Einsatz 800 Millionen Euro aus – rund 4 Millionen pro Tag. Die täglichen militärischen Ausgaben Frankreichs beliefen sich auf 1,2 Millionen. Das sind unvorstellbare Summen angesichts der Schuldenkrise, die wesentlich durch die militärischen Ausgaben in die Höhe getrieben wird. Man darf behaupten und das Gegenteil kann nicht mehr bewiesen werden: Wäre ein Bruchteil der Millionen in die zivile und nichtmilitärische Konfliktintervention geflossen, so hätte ohne Bürgerkrieg und bestialisches Abschlachten eine Änderung in Libyen herbeigeführt werden können. Was vor einem Jahr durch die Jasmin-Revolution in Tunesien und etwas später in Ägypten möglich war, wäre auch in Libyen möglich gewesen, doch unterstützt von den westlichen Mächten setzten die Aufständischen von Beginn bis zum vorläufigen Ende auf die Karte militärischer Gewalt.
Die nachträglichen Rechtfertigungen für die Ermordung von Gaddafi sind fragwürdig. Es wird berichtet, wie groß das Finanzvermögen sei, das der Gaddafi-Clan auf irgendwelchen Banken angehäuft hat. Dies wäre ein Schuldeingeständnis für die Großbanken der westlichen Welt, die über Jahrzehnte ihre fetten Finanzgeschäfte mit dem libyschen Diktator machten. Es wird behauptet, man hätte Gaddafi nicht vor ein Gericht bringen können. Wo aber liegt der Unterschied zu Milosevic oder Charles Taylor? Das Beispiel Südafrika zeigt, wie wichtig es ist, durch „Wahrheitskommissionen“ Schuld aufzuarbeiten.
Die Hinrichtung von Gaddafi wird von den Massen nicht kritisch hinterfragt, sondern als Vorbild genommen. Werden Assad in Syrien oder Saleh im Jemen die nächsten sein? Leben wir in einer Welt, die Tyrannenmord gutheißt und in der politisch motivierte Gewalt quer durch die Bevölkerungsschichten und Ideologien chic geworden ist? Bei aller Sympathie für die Occupy-Bewegung und deren Inhalte muss heute auch gefragt werden, ob die Verwendung von Guy Fawkes-Masken nicht auch Unsensibilität in der Frage der politischen Gewalt ausdrückt.
            Mitgliedsorganisationen von Pax Christi International haben seit Beginn der Militärintervention immer wieder friedliche Konfliktlösungswege eingemahnt. Krieg kann aus friedensethischer Sicht niemals ein Mittel der Politik sein und die unbedingte Würde menschlichen Lebens gilt selbst den Feinden. Pax Christi versucht der Grundaussage des Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2306, zu folgen: „Wer auf gewaltsame und blutige Handlungen verzichtet und zur Wahrung und Verteidigung der Menschenrechte Mittel einsetzt, die auch den Schwächsten zur Verfügung stehen, legt Zeugnis ab für die Liebe des Evangeliums, sofern dabei nicht die Rechte und Pflichten der anderen Menschen verletzt werden. Er bezeugt zu Recht, welch schwerwiegende physische und moralische Gefahren der Einsatz gewaltsamer Mittel mit sich bringt, der immer Zerstörungen und Tote hinterlässt.“
Dr. Klaus Heidegger, Vorsitzender der Kommission für Sicherheit und Abrüstung von
Pax Christi Österreich, klaus.heidegger@aon.at, 23. Oktober 2011

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