Samstag, 5. September 2015

Die Bibel, die Kirchen und die Flüchtlingskrise



Die Bibel, die Kirchen und die Flüchtlingskrise

Kirchen auf Seiten der Flüchtlinge
Im Sommer 2015, als sich die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer und entlang der Westbalkanroute mehrten, als die Regierenden der europäischen Länder mit der Fülle an Flüchtlingen nicht mehr zurechtkamen, als einige Länder begannen, mehr und mehr Zäune und Mauern zu bauen und Grenzen gegenüber den Flüchtenden zu errichten, in dieser Zeit standen kirchliche Vertreter eindeutig auf Seiten der Flüchtlinge. Schon seit seinem Amtsantritt hat Papst Franziskus seine Solidarität mit den Flüchtlingen kund getan. Symbolisch war sein erster „Auslandsbesuch“ auf der Insel Lampedusa. Kardinal Schönborn meinte angesichts der Flüchtlingstragödie von Parndorf, dass es einen „sehr ernsten Test“ gebe, ob in Österreich das christliche Erbe noch lebe. Viele Bischöfe und Kirchenvertreter nahmen die Forderungen ihrer diakonischen Einrichtungen auf. Es brauche legale Wege der Einreise für Flüchtlinge, um so das Schlepperwesen auszutrocknen. Es blieb aber nicht nur bei Worten. Caritas und Diakonie stehen ganz vorne in der Betreuung von Asylwerbern und Flüchtlingen und erweisen sich als Experten in der humanen Aufnahme von Flüchtlingen. Pfarrgemeinden und Ordensgemeinschaften öffnen ihre Türen.

Fluchtgeschichten als biblisches Grundmotiv
Flucht- und Migrationsgeschichten durchziehen die biblischen Schriften wie ein roter Faden. Im Mythos von Adam und Eva müssen beide nach dem Sündenfall ihr Paradies verlassen. Es ist Gott, der sie auf dieser Flucht schützt und ihnen eine sichere Bleibe außerhalb des Paradieses zusichert. Als Kain flüchten muss, bekommt er von Gott ein Zeichen, damit er nicht umgebracht werde. Im Mythos von der Urflut kann sich Noach mit seiner Familie und der Tierwelt vor dem ökologischen Untergang retten. Und dann kommt es mit Abraham zur Gründungsgeschichte der drei abrahamitischen Religionen. „Als über das Land eine Hungersnot kam, zog Abram nach Ägypten hinab, um dort zu bleiben; denn die Hungersnot lastete schwer auf dem Land.“ (Gen 12,10) Aus dieser Perspektive sind Abraham und seine Sippe Hungerflüchtlinge. Doch selbst unter seinen Nachkommen kommt es zum tödlichen Konflikt. Hagar nimmt ihren Sohn Ismael und flüchtet. Wieder ist es Gott, der den Schrei der Flüchtenden hört und rettend eingreift, ihnen sogar verspricht, sie zu einem großen Volk zu machen. Viktor Orbáns Stacheldrähte gab es in der biblischen Welt noch nicht, auch nicht für die unmittelbaren Nachfahren von Jakob und Rebekka. Sie finden zunächst eine sichere Aufnahme im Land Ägypten: „Josef ging also hin, berichtete dem Pharao und sagte: Mein Vater und meine Brüder sind mit ihren Schafen, Ziegen und Rindern und mit allem, was ihnen gehört, aus Kanaan gekommen. Sie sind bereits in Goschen. Der Pharao fragte Josefs Brüder: Womit beschäftigt ihr euch? Sie antworteten dem Pharao: Hirten von Schafen und Ziegen sind deine Knechte; wir sind es, und unsere Väter waren es auch schon. Weiters sagten sie zum Pharao: Wir sind gekommen, um uns als Fremde im Land aufzuhalten. Es gibt ja keine Weide für das Vieh deiner Knechte, denn schwer lastet die Hungersnot auf Kanaan. Nun möchten sich deine Knechte in Goschen niederlassen.“ (Gen 47,1-4). Mose selbst wird zum Politflüchtling und findet Aufnahme im fremden Land Midian. „Eines Tages ging Mose zu seinen Brüdern hinaus und schaute ihnen bei der Fronarbeit zu. Da sah er, wie ein Ägypter einen Hebräer erschlug, einen seiner Stammesbrüder. Mose sah sich nach allen Seiten um, und als er sah, daß sonst niemand da war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand. ... Der Pharao hörte von diesem Vorfall und wollte Mose töten; Mose aber entkam ihm. Er wollte in Midian bleiben ...“ (Ex 2,11ff) Von Beginn an stellt sich JAHWE, der Gott Israels, als Freund der Flüchtlinge und Fremden vor und erinnert sein Volk an die eigenen Erfahrungen. Das spiegelt sich in den Gesetzesvorschriften des Volkes Israel wider: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Lande lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott." (Lev 19,33f) Noomi flieht aus einer Notsituation ins Land Moab. Dort heiraten ihre Söhne Moabiterinnen. Eine von ihnen, Rut, wird die Stammmutter von David, aus dessen Geschlecht Jesus selbst stammt. Die Propheten und Prophetinnen treten dann auf, wenn diese Option für die Fremden und Flüchtlinge von den Herrschenden missachtet wird: „Das Wort des Herrn an den Propheten Jeremia: Denn nur wenn ihr ernsthaft eure Wege und eure Werke bessert, wenn ihr wirklich untereinander Recht schafft, wenn ihr Fremdlinge, Witwen und Waisen nicht bedrückt ..., dann will ich mit wohnen an diesem Ort ..." (Jer 7,5-7) „Wort Gottes an Israel durch Vermittlung des Propheten Maleachi: ‚Dann komme ich zu euch zum Gerichte und werde als ein überraschender Kläger auftreten .... gegen die, die den Fremdling abweisen ..." (Mal 3,5) Im Matthäusevangelium wird der neugeborene Jesus mit seiner Mutter und seiner Vater selbst ein Politflüchtling. Kein Sperrzaun verhindert ihre Einreise nach Ägypten. Auf Schlepper waren sie nicht angewiesen. Damals. In der zentralen Rede Jesu über das Weltgericht identifiziert sich der Messias mit den Flüchtlingen: "Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen. ... Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan ... Weg von mir, ihr Verfluchten ... denn ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Was ihr für einen meiner geringsten Brüder nicht getan habt, das habt ihr mir nicht  getan." (Mt 25) Der Auferstandene wird, so die Emmauserzählung, von den beiden Jüngern im Fremden, der aus der Stadt flieht, wiedererkannt. Schließlich wird in der neutestamentlichen Briefliteratur die Gastfreundschaft als zentraler Wert definiert: "Vergesst nicht die Gastfreundschaft; durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt." (Hebr 13,2)

Verkündigung der biblischen Botschaft der Gast- und Flüchtlingsfreundschaft
In vielen Ansprachen und Hirtenworten haben seither die Kirchenleitungen diese Botschaft weiter verkündet: "Für Gott gibt es keine Ausländer und Fremde. Gott liebt alle Menschen. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir zu kurz kommen. Wir dürfen aber auch nicht andere ausgrenzen. Wer sich zum Glauben bekennt, kann nicht gleichzeitig aussperrende Mauern errichten, wenn Menschen unsere Hilfe brauchen." So sprach der damalige Bischof der Diözese Linz, Maximilian Aichern, an die Adresse jener Menschen gerichtet, die bereits vor 20 Jahren Mauern und Stacheldrähte im Kopf hatten. Der verstorbene Kardinal Franz König meinte: „Mehr als jede weltliche Gesellschaft muss sich eine religiöse Gemeinschaft am Umgang mit dem Fremden messen lassen. Denn sie selbst leitet ja ihren Anspruch von der Begegnung mit dem ‚Ganz-Anderen, dem Transzendenten, dem Absolut-Fremden‘ ab. Gott begegnet uns sinnenhaft im Fremden, das uns übersteigt und oft den Weg in die Zukunft weist. Gott, der Fremde, ruft uns immer wieder..."

Das Kirchenvolk – auf welcher Seite?
Flüchtlinge scheitern an einem Europa, das sich als das christliche definiert. In Österreich schwingt der Parteiobmann der FPÖ, Heinz-Christian Strache, das Kreuz, predigt das „christliche Abendland“ und zugleich fordert er stärkere und effizientere Flüchtlingsabwehr. Es scheint, dass eine größer werdende Zahl von Katholiken und Katholikinnen auf dem Weg von der Kirche ins Wahllokal die Botschaft der Bibel aus den Augen verloren. Andere hingegen, und das ist das Evangelium, die frohe Botschaft im Jetzt, ergreifen den Kairos, engagieren sich für Flüchtlinge, demonstrieren „refugees welcome“, sind bereit zu teilen, ohne Angst, etwas vom eigenen Überfluss zu verlieren.

Klaus Heidegger

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