Die andere Fronleichnamsprozession
Es
war der 4. Juni 2015. Dieser Tag wird in der Geschichte der burgenländischen
Marktgemeinde unvergesslich bleiben. Es war der Tag nach dem burgenländischen
Tabubruch, dem Verrat an dem sozialdemokratischen Grundwert der Solidarität,
einem Verrat, der auch von den Spitzen der heimischen Parteiführung zur
Kenntnis genommen worden war. An diesem katholischen Festtag war vieles anders.
Der Pfarrgemeinderat hatte sich am Tag nach den Wahlergebnissen vom Sonntag in
einer Art außerordentlicher Sitzung zusammen gefunden und beraten, wie die
diesjährige Fronleichnamsprozession ihrem tiefsten Kern entsprechen könnte. Würde
Jesus in diesen Ort kommen, würde er durch die schmucken Straßen gehen, würde
er selbst mit den Menschen reden, was wäre dann wohl?
An
den Straßen standen viele Menschen. Die Kurhotels waren an diesem verlängerten
Wochenende ausgebucht. Viele konnten den Zwickeltag für einen Kurzurlaub nutzen
und nun standen sie am Straßenrand in der Erwartung eines farbenfrohen Spektakels,
zufrieden nach dem reichen Angebot an den Frühstücksbuffets.
Am
auffälligsten bei dieser Prozession war diesmal wohl die Mitte. Die Monstranz,
in der das Allerheiligste mitgetragen wurde, war nicht jene aus dem 16.
Jahrhundert, ein schweres goldenes Ding, wohl das kostbarste Kunstwerk des
Ortes. Diesmal trug der Pfarrer ein hölzernes Kreuz, in dessen Mitte eine
Öffnung für die große Hostie war. Das Holz war verwittert. Es war in der
heimischen Tischlerei aus den Brettern von einem alten Bewachungsturm an der
nahen Grenze gezimmert worden. Die Symbolik war klar. Dieser Jesus passt
einfach nicht in das Gold, das in der damaligen Zeit den lateinamerikanischen
Völkern geraubt worden war, eine Geschichte, die mit Genozid und Ausbeutung
verknüpft werden muss. Heute ist Gold jenes Material mit dem wohl größten
ökologischen Fußabdruck. Die Lebensgrundlagen der Indigenen am Amazonas werden auch
heute noch des Goldes wegen zerstört; in den Goldminen in Afrika schuften
Kinder und gefährden ihr Leben. Ein wenig erinnerte die diesjährige Holzmonstranz
auch an die Schiffsplanken von Flüchtlingsbooten, die an die Küsten von
Lampedusa, Malta oder Sizilien geschwemmt werden. Diese Assoziation lag auch
nahe.
So
anders waren die Himmelträger. Links vorne ging Ahmed. In der juridischen
Fachsprache ist er ein UMF – ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Sein
Heimatdorf liegt heute dort, wo der Islamische Staat die Kontrolle hat. Seine
Eltern konnten nicht fliehen. Sein Vater wurde von einer Bombe zerfetzt, seine
Mutter dürfte mit seinen Geschwistern in einem Flüchtlingslager in Jordanien
sein. Ahmed lebt heute wie der andere Himmelträger im Pfarrhof. Er muss mit
seinen 16 Jahren nicht fürchten, abgeschoben zu werden. Er könnte eine
leidvolle Geschichte der Flucht über den griechisch-türkischen Grenzfluss Evros
erzählen. Er hatte es geschafft – und schließlich kam er an dem verwitterten
Grenzturm vorbei über die Grüne Grenze ins Burgenland. Anders aber der Somali
rechts von ihm, der sich bemüht, die Stange des Himmels im Lot zu halten. Er
kam über das Mittelmeer. Als Dublin-III-Flüchtling hat er Angst, nach Italien
abgeschoben zu werden. In der Zib-2-sprach am Tag zuvor die Innenministerin von
der Notwendigkeit, Dublin-Flüchtlinge schneller abzuschieben. Dieser Somali
rechts vorne Himmel tragend hat allerdings einen Schutzengel. Der Pfarrer hatte
bereits zugesichert, ihm in diesem Fall Kirchenasyl anzubieten. In der
Sakristei war für alle Fälle schon eine Notschlafstelle eingerichtet. Die
beiden hinteren Himmelträger waren im Ort gut bekannt. Es war ein Vertreter der
heimischen Roma und die Pfarrgemeinderatsobfrau in burgenländischer Tracht.
Vorbei
ging die Prozession an FPÖ-Wahlplakaten, die absichtlich oder unabsichtlich
noch nicht weggeräumt worden waren. „Heimvorteil für Burgenländer“ hieß es da.
Hinter dem Himmel zogen Jugendliche der Pfarre ein Holzboot auf einem Anhänger.
Mit weißer Schrift stand auf den Holzplanken: „Das Boot ist nicht voll“. Bunt
gemischt folgte das Volk, unter ihnen auch Flüchtlinge aus dem nahen
Flüchtlingsheim und Roma aus der Siedlung am Rand des Dorfes. Die Abordnungen
des Dorfes hatten wie immer ihre Trachten, die Musikkapelle spielte, ein Bursch
trug eine Regenbogenfahne mit.
5:00 morgens. Böllerschüsse in meinem Heimatdorf wecken
mich. Ich hatte von einer Fronleichnamsprozession geträumt, die so anders sein
könnte.
Klaus
Heidegger, Fronleichnam,
4. Juni 2015
4. Juni 2015
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