Dienstag, 30. Dezember 2014

Entdeckung der Unendlichkeit - The Theory of Everything



Postmoderne Gottesfrage im Biopic über Stephen Hawking –
Theologische Reflexionen zum Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“
von Klaus Heidegger

Unendlichkeit und Ewigkeit: physikalisch-religiöse Grammatik
Der deutsche Filmtitel „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ lässt schon erahnen, dass es in der Verfilmung von Stephen Hawkings Leben wesentlich um Schlüsselfragen der Theologie und Philosophie geht. In diesen Disziplinen sind „Unendlichkeit“ bzw. das auf die Zeit bezogene Synonym „Ewigkeit“ Attribute Gottes.
Tatsächlich sind auf sehr einfache und liebevolle Art im Filmskript in die Liebesgeschichte zwischen Stephen Hawking und seiner Frau Jane Wilde theologisch-philosophische Dialoge verwoben. Während der Physiker Hawking zunächst für den naturwissenschaftlichen Zugang zur Frage der Entstehung des Universums steht und er sich seiner Geliebten als Atheist outet, verkörpert seine Frau den geisteswissenschaftlichen Zugang mit Kirchenbindung und Glaube an die Religion. „Ich bin eine CE“, stellt sich Jane am Anfang des Filmes vor. „CE“, so klärt sie auf, steht für Church of England. So kann auch ein erstes Rendezvous zwischen den frisch Verliebten nicht stattfinden, weil Jane sonntags die Kirche besucht. In der Filmsprache spielt der Kirchenraum ein Kontinuum, in den sich selbst der sich zunächst als Atheist deklarierte Physiker Hawking begibt.

Stereotype Geschlechter-Rollenzuweisung
Die Genderfrage – die Rollenzuschreibung für den Mann als erfolgreichen Wissenschaftler, der Erklärungen auf intellektueller Ebene sucht und findet, und die Frau als musisch begabte, pflegende und sich aufopfernde Mutter und Hausfrau – ist sicherlich nicht unproblematisch, wenn sie nicht bewusst reflektiert wird. Die Geschichte von männlicher Geistesgröße und weiblicher Aufopferung kann und darf nicht gesehen werden als Relegitimation jahrhundertealter weiblicher Diskriminierung.

Gott nicht als Lückenbüßer-Gott
In den 123-Filmminuten wird vor allem deutlich, wie die Gottesfrage gelöst wird. Hawking macht im Film zumindest zwei U-Turns: von einer pragmatisch gewählten Distanzierung von Gott, der nicht länger als Lückenbüßer für fehlende naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Erschaffung des Universums verwendet werden darf, bis zum Bekenntnis, dass in einer anderen Dimension es doch so etwas wie Göttliches geben könne.
Gott habe, so eine erste Antwort aus der Sicht der Physik, ausgedient als letzter Grund für die Entstehung des Universums. Gott tritt aus seiner Verursacherrolle für all das, was am Beginn der Zeiten entstanden ist. In diesem Sinne – und nur in diesem Sinne – bleibt Hawking Atheist. Für ihn ist die Welt Produkt physikalischer Gesetzmäßigkeiten. Es braucht keine göttlichen Kräfte um zu erklären, wie alles entstanden ist. Hier geht Hawking über seinen großen Mentor Isaac Newton hinaus. Am Anfang – zeitlich gesehen was die Entstehung des Universums vor 13,8 Milliarden Jahren betrifft – standen also nicht ein Schöpfergott, sondern physikalische Grundgegebenheiten. Weil es physikalische Gesetzmäßigkeiten wie die Gravitationskraft gibt, kann sich die Welt selbst aus dem Nichts erschaffen.

Gott im zeit-räumlichen Kontinuum
Nach dieser Dekonstruktion fundamentalistisch-religiöser Sichtweisen – wie sie vor  allem im Kreationismus und seinem Einfluss auf das kollektive Bewusstsein zu finden sind – zeigt uns Regisseur James Warsh in eindrucksvollen Bildern und pointierten Dialogen zwischen Stephen und Jane, wo und wie Gott im Zeit-Raum des Universums zu finden ist. Gott steht nicht mehr als Schöpfer, der den Big Bang ausgelöst hat, sondern als jene Kraft und Energie, die in Zeit und Raum hineinwirkt. Schöpfung ist nicht mehr AM Anfang, im Sinne einer Zeitstrecke, sondern stets IM Anfang, also im Sinne einer creatio continua, einer fortdauernden Neuschöpfung. Schöpfung findet je neu im mathematischen Unendlichkeitszeichen statt, das letztlich keinen Anfang und kein Ende kennt, und doch kann jeder Punkt in diesem Zeichen Anfang und Ende sein. Wunderschön versinnbildlicht wird dies im Film, als Stephen und Jane über den ersten Vers des biblischen Schöpfungsberichtes reden „im Anfang erschuf Gott …“. In ihrer beginnenden Liebesbeziehung liegt jene Neuschöpfung und letztlich die zeitlich-räumliche – ständig sich wiederholende – göttliche Schöpferkraft. So wird auch die Qualität biblischer Schöpfungsberichte nicht fundamentalistisch missverstanden, sondern in ihrer bleibenden Wahrheit begriffen. Die Bibel kann nicht wie ein Physikbuch gelesen werden, obwohl in ihr viel Physik enthalten ist und die Aussagen nicht im Widerspruch zur Physik stehen. Die Bibel will ja nicht erklären, woher die Sonne ihre Energie bezieht, sondern wie ist das Verhältnis der Menschen zur Umwelt, zur Mitwelt und zu Gott. So zeigen uns die Schöpfungsberichte nicht, wie die Welt entstanden ist, sondern warum es sich lohnt, die göttlichen Werke zu achten und zu bewahren, ohne ihnen aber Verehrung entgegen zu bringen, da sie doch nur Geschaffenes sind.

Die Erfahrbarkeit Gottes
In der Verbindung von Stephen und Jane, zumindest in der Art und Weise wie dies auf sentimentale und sicherlich mit vielen Klischees gefüllt im Film geschieht, wird eine Dualität aufgehoben, die Naturwissenschaften (science) und Geisteswissenschaften (arts) voneinander trennt. Empirische Erfahrungen von Göttlichem werden Realität. In diesem Sinn ist „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ ein zutiefst weihnachtlicher Film. Die Größe Gottes besteht nicht in seiner allmächtigen Art, am Anfang der Zeiten alles geschaffen zu haben, sondern stets neu und oftmals auf ganz überraschende Weise ihre Wirkkraft zu zeigen. Inkarnation – Gott wird Mensch, das ist das Wunder von Weihnachten, in Jesus von Nazareth spürbar geworden, doch nicht nur im Leben dieses Menschen. In dieser Dimension des Denkens wird „überprüfbar“, ob und wie es Gott gibt, und damit kann Gott vor dem naturwissenschaftliche Axiom standhalten, dass nur jenes Wissen gültig ist, das auch überprüft, beobachtet, gemessen bzw. quantifziert werden kann. Vernunft, die schon der Apostel Paulus in seinen Briefen mit Blick auf die Begründung des Glaubens an Jesus Christus einforderte, steht nicht im Widerspruch zum Glauben. Es heißt nun: Ich glaube, weil ich erkenne, weil ich erfahre, weil Erfahrungen verifizierbar sind. Und nochmals soll aber festgehalten werden: Gott wird nicht dort gesucht, wo das Universum begann, weil es auch logisch nicht sein kann, in der Unendlichkeit und Ewigkeit einen Anfang festzumachen. Gott freilich wird damit nur in einem Hegelschen Sinne aufgehoben. Gott ist aufgehoben in die menschlich-historische Erfahrbarkeit, zugleich aber wird Gott immer das je Größere und Unfassbare bleiben.

Personalität Gottes
Wenn Hawking allerdings glaubt, damit würde sich das Theorem von der Personalität Gottes nicht mehr rechtfertigen lassen, so stimmt dies nicht überein mit jener göttlichen Dimensionalität, die im Film veranschaulicht wird. Personalität wird philosophisch-theologisch definiert als Einheit von Körper-Seele-Geist. Gott ist nicht nur Geist, ist nicht nur Seele, ist nicht nur Körper. Gott wird personal erfahrbar als Körper-Seele-Geist. Menschliche Zuwendung, die sich als roter göttlicher Faden durch den Film zieht, braucht stets alle drei personalen „Bestandteile“, die stets in einer Interaktion und Interdependenz zueinander stehen.

Göttliche Gleichung: Liebe ist Gott, Gott ist Liebe
Hawking sucht unerbittlich nach der Formel, mit der alle Rätsel des Universums gelöst werden können, nach einer Gleichung, der „Theory of Everything“ – so der englische Filmtitel. Im Laufe des Filmes wird deutlich, dass die Gleichung auf einer anderen Ebene gefunden wird. Die biblisch-religiöse Gleichung für alles lautet letztlich: Gott ist Liebe. „Die Liebe“, heißt es im 1. Korintherbrief in der Bibel, „erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.“ Jane hat diese Gleichung gefunden – gerade auch im entscheidenden Moment, als die Frage im Raum stand, nach einem Luftröhrenschnitt ihren Mann vom Leiden zu erlösen, wie es der Arzt ihr nahe legte.

Implizite Kritik gegenüber „aktiver Sterbehilfe“
In dieser Szene deutet der Film jenen Umgang mit schwerer Krankheit an, der dem beständigen Ruf nach einer Lockerung der Regelungen für „Sterbehilfe“ diametral entgegen steht. In dieser Frage bräuchte es Tausende von Janes, die nicht sofort nach Beendigung des Lebens bei schwerer unheilbarer Krankheit rufen, sondern mit ihrer Geduld und Liebe unheilbar Kranke begleiten. Im Film wird ein Bild von Stephen Hawking „gemalt“, das dem vorschnellen Ruf nach dem, was in der veröffentlichten Meinung unter dem Thema „Sterbehilfe“ diskutiert wird, widerspricht. Genau genommen würde die im Film dargestellte Szene als passive Sterbehilfe auch in Österreich gesetzlich möglich sein.

Menschliche Zuwendungen sind Annäherung an Gott
Eine Szene gegen Ende des Filmes soll hier noch besondere Erwähnung finden. Stephen Hawking spricht mittels Sprachcomputer vor einem vollen Auditorium. Souverän und auf witzige Art beantwortet er die Fragen aus dem Publikum. Da stellt ein Herr die Frage nach Gott. Stephen Hawking überlegt diesmal sehr lange. In der ersten Reihe vor sich im Publikum sieht er, wie einer jungen Frau eine rote Füllfeder zu Boden fällt. In seiner Phantasie steht er nun vom Rollstuhl auf, geht die Treppen des Podiums hinunter, bückt sich vor der Frau und gibt ihr die Füllfeder. Erst nach dieser Phantasiereise beginnt Hawking dann auf die Frage nach Gott einzusteigen. In seiner Phantasie wurde sie beantwortet. Das ist Filmkunst. Bilder, die mehr sagen als viele Worte.

Samstag, 22. November 2014

Christkönigssonntag und Interstellar



Interstellar, Christkönigssonntag und die Herrschaft des Neuen, oder: Lemminge auf vier Rädern
Christkönigssonntag 2014: Benzin- und Dieseljunkies hinterlassen ihre Spuren der Zerstörung. Für kurze Zeit entfliehe ich in die Höhe hinauf zur Hinterhornalm. In der Inntalfurche liegt in diesen Novembertagen die bekannte Smogdecke. Tausende leben in dem Giftcocktail aus den Auspuffen – Stickoxide, Blei und andere Staube fressen sich in den Lungen fest, schwächen vor allem Kinder und alte Menschen. Lärm macht die Menschen krank. Doch die Show must go on. Auch an diesem Wochenende stauen sich autofahrende Sportler, um im Ziller-, Stubai-, Ötz-, Pitz- oder Kaunertal auf die Gletscher zu kommen. Die Parkplätze vor den Einkaufszentren sind voll. Der Himmel ist durchfurcht von Flugzeugen. Kerosin verbrennt tonnenweise. Die herrschende Wirtschaft boomt. Die Ölkonzerne streifen ihre Gewinne ein. Letzte Ölressourcen werden angezapft. Einige tausend Kilometer südlich: Der spanische Erdölkonzern Repsol ignoriert alle Gefahren und beginnt mit den Offshore-Bohrungen vor den Kanarischen Inseln. Einsam ist ein Greenpeace-Boot zwischen den Riesenschiffen von Rapsol. Es wurde gekentert. Wer denkt schon an die verletzten Greenpeace-Aktivisten, wenn er oder sie den Zündschlüssel dreht oder sein High-Tech-„Schlüssel“ in High-Tech-Armaturenbrett steckt, an die Gefährdung der Arktis durch neue Ölbohrungen. Die Intelligenz vieler Autofahrer reicht eben nicht bis zum Klimakollaps und jeder und jede hat zig Ausreden parat, warum er oder sie unbedingt mit dem Auto fahren muss. Die Tausenden Gründe, doch auf eine Autofahrt zu verzichten, werden verdrängt. In den Händen der Ölindustrie stirbt unser Planet – und die Masse der Menschen gleicht dem Zug der Lemminge in den Abgrund.
Die Christen feiern das Ende des Kirchenjahres und damit Christkönigssonntag. Der Kern dieses Festes: Jesus Christus wird diese Welt und mit ihr die Menschheit retten. Wie hohl ist doch dieser Glaube geworden! Die kollektiven Massen glauben – sofern ein Glaube überhaupt reflektiert wird – mehr an die Zerstörung dieses Planeten.
Der neue Blockbuster „Interstellar“ beginnt mit den Sätzen: „Wir sind besorgt über unseren Planeten. Nichts in unserem Sonnensystem kann uns noch retten!“ Coop, der heroische Raumfahrer, bringt die No-future-Stimmung wie folgt auf den Punkt: „Es ist nicht unser Schicksal, die Welt zu retten, sondern sie zu verlassen.“ Der Defätismus vieler Zeitgenossen angesichts von Klimaveränderung und ökologischen Katstrophen ist der geistige Hintergrund dieses Filmes. Die planetare Katastrophe, so die Analyse zu Beginn dies Filmopus, werde verursacht durch 6 Milliarden Menschen, von denen jeder nur an sich denke. Christopher Nolan sieht den Retter des zerstörten Planeten Erde nicht in einem Christus, sondern in Gestalt des Raumfahrers Cooper, der durch ein Wurmloch schießt, um dort einen Planeten zu finden, der als Ersatz für die verlorene Erde dienen kann. Es versteht sich von selbst, dass diese Mission verknüpft ist mit dem US-amerikanischen Weltrettungspathos.
Interstellar hat aber – wenn die äußere Rahmenhandlung von Weltraumfahrten, Schwarzen Löchern und negativer Energie weggelassen wird – in der Tiefe eine bleibende Kernbotschaft, die doch zum Christkönigsfest passt. Es ist letztlich die väterliche Liebe von Cooper zu seiner Tochter, in der das ganze Erlösungspotenzial steckt. Letztlich will Regisseur Christopher Nolan die Kinobesucher mit einer großen Portion Hoffnung entlassen: Menschliche Liebe und Beziehungsfähigkeit sind stets stärker als die Monströsitäten dieser Welt. Anders als in Interstellar wird die Wiederkunft Christi jedoch nicht verlagert in eine ferne Zukunft auf einen fernen Planeten. Das Weltgericht, das Matthäus im 25. Kapitel seines Evangeliums beschreibt, ist ein Gericht, das im Hier und Jetzt stattfindet. Es ist eben nicht egal, wie ein Mensch handelt. Wichtigster Maßstab ist dabei – so das Evangelium – die Sorge um jene, die in Not sind als Arme, Kranke, Obdachlose oder Hungrige. Nie geht es um eine Flucht aus dieser Welt, sondern um jenen Himmel, der hier auf Erden stets Gestalt annehmen will. Das Wurmloch, das es dabei zu überwinden gilt, ist der eigene Egoismus und die Angst, selbst zu kurz zu kommen. Da müssen wir durch, um die Freiheit des Evangeliums zu entdecken, die stets eine Freiheit für andere ist. Wir brauchen dazu keine Raumanzüge und keine Raumschiffe. Und noch ein skandalöser Unterschied besteht: Die Krone des Christkönigs ist kein Raumfahrerhelm, sondern es bleibt die paradoxe Dornenkrone eines Mannes, der gerade durch seine Ohnmacht die Mächtigen dieser Welt entmachtet hat.
Advent steht vor der Tür. Vielleicht doch ein Neubeginn? Die Katholische Jugend Oberösterreich propagiert an diesem Wochenende unter dem Motto "Wir FAIRdrehen die Welt!" eine andere Haltung. Sie entspricht dem Evangelium vom Christkönigssonntag. Diese unsere Welt lässt sich jetzt schon fair-ändern, dass sie mehr und mehr ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens wird, ein Ort, in der ein gutes Leben für alle möglich sein wird. Für unsere Erde gibt es eben keinen Planeten B.
Klaus Heidegger, 22. Nov. 2014

Montag, 27. Oktober 2014

Bundesheer - wofür?



Bundesheer wofür?
Jeden Nationalfeiertag drängen sich die Repräsentanten und Proponenten des Bundesheeres in den Vordergrund, wollen demonstrieren, wie unverzichtbar und wichtig die heimische Armee für die Sicherheit und das Wohlbefinden dieser Republik sei.
(a)  Man verweist erstens geschickt auf den Terror des IS, der vor der eigenen Haustüre nicht ernst machen würde. Das Grauen vor diesen Terrorbanden kann dann zur kollektiven Unterstützung für militärische Aufrüstung im Inneren instrumentalisiert werden.
In einem Artikel in der „Kurier“-Sonntagsausgabe (19.10.2014) schreibt ein Journalist von der „Heimatfront des IS“ und malt ein entsprechendes Bedrohungsszenario aus. In diesem Zusammenhang wird dann auf die Sicherheitsdoktrin verwiesen, die den „Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen“, gemeint sei damit das Sichern von Regierungsgebäuden und der kritischen Infrastruktur, gebiete.
Die kritische Nachfrage lautet jedoch: Fällt diese Aufgabe nicht in den Bereich der Inneren Sicherheit? Ist dafür nicht das Innenministerium mit seiner Polizei und entsprechenden Institutionen zuständig?
Schutz vor Terror im Inneren kann und soll nicht zur Aufgabe des Militärs werden.
(b)  Seitens des Bundesheeres wird zweitens auf den Katastrophenschutz verwiesen.
Und wieder müsste es doch ein kritisches Nachfragen geben. Wäre es nicht so viel sinnvoller, die Katastropheneinrichtungen – Feuerwehr, Rotes Kreuz usw. – mehr zu fördern, besser auszustatten, die tatsächlich bis in die kleinsten Ortschaften aufgestellt sind? Wofür brauchen wir militärisch topausgerüstete Kampfeinheiten, wenn es gilt, den Menschen in Katastrophensituationen beizustehen?
Die militärischen Shows am Nationalfeiertag entpuppen sich letztlich als Propagandaveransaltungen für eine Armee, deren Beitrag zum Gesamtwohl mehr als fraglich geworden ist.
Klaus Heidegger

Samstag, 25. Oktober 2014

Desertion und Neutralität



All alone – ein Deserteursdenkmal in Wien
Die „Enthüllung“ des Denkmals für Deserteure in Wien im Vorfeld des Nationalfeiertages 2014 ist ein Hoffnungszeichen. Die Zeit im Jahreslauf der politischen Gedenktage ist gut gewählt. Der Nationalfeiertag und das Denken an die österreichische Neutralität haben mit Kriegsdienstverweigerung zu tun. Neutralität bedeutet im innersten Kern ein Nein zu kriegerischen Beteiligungen. Das haben die Deserteure aller Kriege mit ihrem Einsatz bekundet. Wenn der oberste Befehlshaber des Bundesheeres feierlich die Eröffnung dieses Denkmals vornimmt, so ist dies Signal, dass selbst die Spitze dieser Republik demonstriert, dass über jedem militärischem Befehl das eigene Gewissen zählt, oder, um es dialektisch zu formulieren, dass Widerstand zur Pflicht wird, wo Recht zu Unrecht wird.
70 Jahre hat es gedauert, bis so ein Denkmal errichtet werden konnte. Während des Zweiten Weltkrieges hatten Zehntausende den Kriegsdienst verweigert, gegen 30.000 wurden von den NS-Militärgerichten Todesurteile verhängt, die meisten davon wegen Desertion und „Wehrkraftzersetzung“, 3000 wurden hingerichtet, viele von ihnen ohne Prozess standrechtlich erschossen. Hunderte weitere Dienstverweigerer und Deserteure wurden zum Tode oder Lagerhaft verurteilt. Ich denke an die Biographien mancher dieser Männer, vor allem aber an Franz Jägerstätter. Jene, die überlebten, wurden gegenüber jenen, die im Krieg dienten, benachteiligt. Deserteure galten als Vaterlandsverräter, als Feiglinge, hatten keinen Rentenanspruch für die Kriegsjahre – wie dies selbst NSDAP-Mitglieder beanspruchen konnten.
Seit dem Krieg wurden die Tausenden „Heldendenkmäler“ in den österreichischen Ortschaften gepflegt und gehegt und mit ihnen die Ideologie eines heldenhaftes Todes. Bis zum heutigen Tag wird bei Denkmälern der „gefallenen“ Kameraden gedacht, die in ihrem Dienst in der Wehrmacht zugleich Opfer und Täter waren. Es sei eine „Desavouierung der gefallenen Kameraden“, kritisiert der Kameradschaftsbund die Enthüllung des Deserteursdenkmals. Desertion sei in „allen Rechtsstaaten ein Strafdelikt“, wird hinzugefügt. Und wes Geistes Kind der Führer der Freiheitlichen in Österreich ist, wurde wieder einmal sichtbar, wenn das Deserteursdenkmal als „katastrophaler Fehler“ bezeichnet wird. „Kameradenmörder“ seien viele der Deserteure gewesen. Das ist wie ein Code für die Ewiggestrigen, verschlüsselte Sprache, um das Verbotsgesetz zu umgehen.
Der Blick zurück muss auch ein Blick in das Heute sein. Kriegsdienstverweigerung wird 2014 in der Republik Österreich nicht mehr mit standrechtlichen Verurteilungen bestraft. Sie geschieht rechtlich institutionalisiert und diszipliniert im Zivildienst. Dort wird sie als wertvoller Sozialdienst gesehen, nicht jedoch als Verweigerung eines militärischen Dienstes. So wird ihr der militärkritische Stachel genommen. Aus dem Kriegsdienstverweigerer wurde der salonfähige Zivildiener. Ein wenig wirkt der militärische Drang, Kriegsdienstverweigerung zu ahnden, trotz schöner Reden weiter fort. Zivildiener haben eine 50-prozentige längere Dienstdauer als jene, die sich zum Dienst mit der Waffe verpflichten.

Klaus Heidegger, 25. Oktober 2014, klaus.heidegger@aon.at

Sonntag, 14. September 2014

Obama und Herkleios - Gedanken zum heutigen Fest der Kreuzerhöhung, 14. 9. 2014



Obama und Herkleios - Gedanken zum heutigen Fest der Kreuzerhöhung, 14. 9. 2014
Vor fast vierzehnhundert Jahren, man schrieb das Jahr 627, herrschte im oströmischen Reich Herkleios. Dieser als „christlich“ apostrophierte griechische Kaiser führte einen militärisch höchst erfolgreichen Abwehrkampf gegen die äußeren Aggressoren, zuerst gegen die Perser, dann gegen die Araber. Er kam durch einen grausamen Putsch an die Macht in Konstantinopel. Vor dem Töten und Ermordenlassen schreckte dieser Mann nicht zurück. Die Perser hatten inzwischen Syrien und Jerusalem erobert und dabei auch – so die Geschichte – das Heilige Kreuz in ihren Besitz gebracht, das seit Kaiser Konstantin und Helena in der Grabeskirche verehrt worden war. Herkleios führte einen „Kreuzzug“ gegen die Perser, wobei Christusbilder in der Mitte der Heereslager mitgeführt wurden. Städte und Dörfer wurden auf diesen Schlachtzügen komplett zerstört, Ganzaka, eine blühende Stadt des Zoroastrismus, wurde verwüstet und die Feuertempel zerstört. Dass Konstantinopel vor einem neuerlichen Ansturm der Awaren und Perser gerettet werden konnte, wurde der Hilfe der Gottesmutter Maria zugeschrieben. Bei Ninive schließlich war die letzte kriegsentscheidende Schlacht. Daraufhin konnte Herkleios im Zusammenhang mit den Friedensvereinbarungen mit den Persern verlangen, dass das Heilige Kreuz zurückgegeben werde. In diesem Zusammenhang schließlich finden wir in der Legenda aurea eine höchst symbolträchtige Geschichte. Herakleios wollte das Kreuz selbst wieder an seinen ursprünglichen Platz in der Grabeskirche zurückbringen, doch – so geht die Legende:
„Der Kaiser war bekleidet mit einem golddurchwirkten Ornat, trug auf dem Kopf die Krone Ostroms, und in den Händen hielt er einen silbernen, gold- und edelsteingeschmückten Schrein, die Reliquie des Heiligen Kreuzes. Doch vor dem Stadttor stoppte plötzlich der feierliche Zug. Irgendetwas hielt den Kaiser auf, vielleicht ein tiefer, innerer Zweifel, und er sagte zu Zacharias: So hat der Heiland sein Holz nicht auf den Berg getragen! Herakleios stieg von seinem Ross, legte sein Prunkgewand und all seinen Schmuck ab und zog selbst die Schuhe aus. Sein ganzer Hofstaat folgte seinem Beispiel. Barfuß und nur mit weißem Linnen bekleidet durchschritt der Kaiser das Tor und trug das Kreuzholz in die heilige Stadt, in die wiederaufgebaute Martyrionskirche. Dort wurde es feierlich in weihrauchhaltiger Luft ausgestellt, damit die Volksmenge es jubelnd verehren konnte.“
Was bedeutet diese Geschichte für heute? Im Nahen und Mittleren Osten wird geschlachtet, gemordet, entführt, gebrandschatzt, vergewaltigt – wie damals. Wie damals fehlen auch – auf beiden Seiten – nicht die religiösen Legitimationen. Die Schlachtfelder von heute – im Irak und in Syrien – gleichen jenen von Kaiser Herkleios. Heute sind es Christen, die aus diesen Gegenden vertrieben werden. Die Zorastrierverfolgung erlebt im Genozid der Terrormiliz IS an den Yesiden eine Neuauflage. Wo Herkleios in Ninive die Entscheidungsschlacht führte, ist heute Kampfgebiet zwischen Kurden und IS. Der heutige „Kreuzzug“ wird als „Krieg gegen den Terror“ bezeichnet und der IS führt einen „Heiligen Krieg“. Notwendend wäre die Erinnerung an die Legende. Wer den Willen Christi tun will, der muss die Rüstung und den Prunk ablegen. So tun sich versperrte Tore wie von selbst auf.
Klaus Heidegger