Samstag, 30. März 2013
Mali und der Gerechte Krieg
Die französische Militärintervention in Mali
und die
Kriterien des „Gerechten Krieges“
Von Klaus Heidegger – 27. März 2013
Kommission Pazifismus/Antimilitarismus von Pax Christi Österreich
Inhaltsverzeichnis
DIE FRANZÖSISCHE MILITÄRINTERVENTION IN MALI UND DIE KRITERIEN DES „GERECHTEN KRIEGES“ 1
EIN LEGITIMER, ETHISCH GERECHTFERTIGTER, UNVERMEIDLICHER KRIEG? 2
1 MILITÄRISCHE Kampfmaßnahmen MÜSSEN ULTIMA RATIO (LETZTES MITTEL) SEIN. 5
2 DER KRIEG MUSS VON EINER LEGITIMEN AUTORITÄT AUSGEHEN. 6
3 ES MUSS EINEN SCHWERWIEGENDEN GRUND GEBEN. 7
3.1 Menschenrechtsverletzungen 7
3.2 Ausbreitung des Terrorismus 8
4 MILITÄRISCHE MAßNAHMEN MÜSSEN IN RECHTER ABSICHT ERFOLGEN. 8
4.1 Blood for Uranium – Mali und die umliegende Region als Ressourcenparadies 8
4.2 Interessen der französischen Rüstungsindustrie 9
5 DIE MITTEL MÜSSEN ANGEMESSEN UND VERHÄLTNISMÄßIG SEIN. 10
5.1 Flüchtlingselend 10
5.2 „Kollateralschäden“ 10
5.3 Millionen für Militär, Brosamen für Entwicklungshilfe 11
6 DER EINSATZ MILITÄRISCHER MITTEL MUSS AUSSICHT AUF ERFOLG HABEN. 11
6.1 Islamistische Gefahr wird nur „verlagert“ 12
6.2 Mission creep oder die Terrorgefahr wächst weltweit 12
6.3 Rache und Vergeltung – Gewalt gebiert neue Gewalt 13
6.4 Flächenbrand 14
6.5 Vom Scheitern der jüngsten Militärinterventionen 14
6.5.1 Beispiel: Krieg im Irak 14
6.5.2 Die Aussichtslosigkeit einer militärischen Lösung in Syrien 15
CONCLUSIO 15
Ein legitimer, ethisch gerechtfertigter, unvermeidlicher Krieg?
(a) Breite Unterstützung
Vor zweieinhalb Monaten, am 11. Jänner 2013, begann Frankreich mit der „Operation Serval“ seine Streitmacht gegen die aufständischen bewaffneten Einheiten im Norden von Mali einzusetzen. Präsident Francoise Hollande bekam für diesen Einsatz seitens der eigenen Bevölkerung sowie weltweit breite Unterstützung. Die betroffene Bevölkerung in Mali schien die Intervention begrüßt zu haben. Euphorisch wurde von ihr die ehemalige Kolonialmacht als Retter gefeiert. Überall fand sich in den „befreiten“ Gebieten die französischen Flagge. Vertreter der katholischen Kirche wurden zitiert, die mit Blick auf die Franzosen der „Hilfe Gottes“ dankten oder die Intervention als „unvermeidlich“ darstellten. „Die französische Militärintervention wird in ganz Mali vom Volk begrüßt. Wo die Islamisten sich bereits zurückziehen mussten, jubeln die Menschen und tanzen auf den Straßen“ , berichtete der deutsche Caritas-Afrika-Koordinator Hannes Stegemann. Schließlich habe die Bevölkerung unter der radikalen Auslegung des Islam extrem gelitten. In Frankreich war die Zustimmung breiter als das damalige Engagement im Kosovo oder in Libyen. Einhellig schien die Meinung in Afrika zu sein. Die Staatschefs aller westafrikanischen Länder jubelten über die französische Hilfe. Bis hinein in friedensbewegte Kräfte galt die vorherrschende Meinung: Dies ist ein gerechter Krieg!
(b) Kurzer Rückblick
Frankreich war bis 1960 Kolonialmacht und hat in der gesamten Region weiterhin große wirtschaftliche Interessen. Frankreich begann seine Intervention im Jänner 2013, wie in den modernen Interventionskriegen üblich, mit einem massiven Luftkrieg. Luftwaffe und Bodentruppen sowie auch Eliteeinheiten der französischen Fremdenlegion waren im Einsatz. Unmittelbarer Anlass war ein beginnender Vorstoß der Djihadisten in Richtung Süden auf die Millionenstadt Bamako. Den Norden hatten die Aufständischen weiträumig nach dem Militärputsch im Jahr 2012 unter ihre Kontrolle gebracht. Salafistische Extremisten hatten die zuerst von den Tuaregs kontrollierte Region Azawad unter ihre Kontrolle gebracht und im Juni 2012 in Nordmali ihre Form der Sharia eingeführt. Auf ihrer Seite kämpften unterschiedliche Gruppen wie Anhänger der Al-Kaida im islamischen Maghreb (AQIM) und der radikalislamischen Ansar Dine, von der sich allerdings die Splittergruppe MIA losgesagt hatte, die sich später zu Verhandlungen bereit erklärte. Anfangs bestanden auch Allianzen zwischen den Tuareg, die in Mali und dem benachbarten Niger seit Jahren systematisch benachteiligt werden, und den Djihadisten. Im Verlaufe der Militäroperationen stellten sich die Tuareg auf Seite der malisch-französischen Streitkräfte.
(c) Ethische Kriterien eines Gerechten Krieges
War es legitim und ethisch geboten, der grausam-militärischen Gewalt der Aufständischen in Mali mit Gewalt zu begegnen? Gab es keine anderen oder besseren Möglichkeiten, als mit Kampfhubschraubern und Kampfflugzeugen den regulären Streitkräften von Mali zu Hilfe zu kommen, um weitere Menschenrechtsverletzungen im umkämpften Gebiet zu vermeiden? Ist es in der Terminologie der katholischen Soziallehre gar ein unausweichlicher „gerechter Krieg“, mit dem den „Gotteskriegern“ begegnet werden musste? Wäre die Unterlassung einer militärischen Hilfeleistung in diesem Fall unmoralisch gewesen?
Besonders für friedensbewegte und pazifistische Menschen bzw. Organisationen wie Pax Christi und den Internationalen Versöhnungsbund waren dies unangenehme Fragen, die eine pazifistische bzw. antimilitaristische Grundhaltung in Frage stellten. Man ging diesen Fragen lieber aus dem Weg, entweder um sich nicht selbst einzugestehen, dass in „solchen Fällen“ eine schlagkräftige und höchst professionelle Armee notwendig sei, oder um nicht mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, das Leid der Betroffenen in Mali nicht wahrzunehmen.
Zeitgleich mit der französischen Militärintervention fand in Österreich eine lebhafte Diskussion über Wehrpflicht und Profi-Armee statt. Höchst widersprüchlich argumentierten nun einige plötzlich für das französische Eingreifen, obwohl sie sich in der Wehrpflichtdiskussion stets gegen den Aufbau von schlagkräftigen Interventionsgruppen ausgesprochen hatten.
Ich möchte versuchen, anhand der klassischen Kriterien der Lehre vom „Gerechten Krieg“ Antworten zu finden. Bewusst verwende ich diese Argumentationslinie, weil sie nicht darauf verzichtet, von „Krieg“ zu sprechen, ein Begriff, der im herrschenden Diskurs durch Begriffe wie „friedensschaffende Maßnahmen“, „Interventionen“ oder „Responsibility-to-Protect-Maßnamen“ ersetzt wird. Es ist Krieg, wenn wie folgt berichtet wird: „Während des Tages bombardieren die Franzosen die Rebellenstellungen mit Kampfflugzeugen. In der Nacht greifen französische Kampfhubschrauber auf viel geringerer Entfernung an. Französische Spezialkräfte bewegen sich am Tag sichtbar hinter der Frontlinie bei Niono, in der Nacht identifizieren sie Ziele bei Kommandounternehmen. Bisher gab es jedoch keinen französischen Sturmangriff durch Infanterie. Die Luftangriffe sollen den Rebellen schmerzliche Verluste bereiten. Vier Flüchtlinge aus Diabaly erklärten, dass die Leichen sich stapeln würden und mindestens acht Fahrzeuge der Rebellen bei den Bombardierungen zerstört wurden. Dennoch konnten die Luftschläge die Rebellen nicht aus ihren Stellungen vertreiben.“
1 Militärische Kampfmaßnahmen müssen ultima ratio (letztes Mittel) sein.
Was hätte alles getan werden können, um Menschenrechtsverletzungen in Mali und Blutbäder zu verhindern? Die Liste vergangener Unterlassungen ist lang. Sie beginnt in der Kolonialgeschichte Nordafrikas und geht über die Jahrzehnte, in denen afrikanische Länder ökonomisch ausgebeutet und militärisch aufgerüstet wurden.
(a) Die Liste möglicher nichtmilitärischer Interventionsmaßnahmen ist vielfältig: Sie beginnt beim Hinhören auf die Rechte der ethnischen Gruppen in Mali. Wenn die Tuareg mehr Autonomie gewährt bekämen, wären sie auf Seiten der malischen Bevölkerung. Verhandlungen zwischen malischer Regierung und den Tuareg mit einer Anerkennung ihrer Rechte könnten stattfinden. Die Sezessionsbewegung der Tuareg im Norden, der von ihnen Azawad genannt wird, fand bereits 1963 statt. Die Tuareg erlebten seither permanentes Unrecht, Korruption und eine unfähige Staatsregierung im Süden. Eine grobe Unterlassung war es bislang, den Tuaregs ihre Rechte auf Selbstbestimmung nicht zu gewähren.
(b) Würde nur ein Bruchteil des Geldes, das ab Jänner 2013 für militärische Maßnahmen verwendet wurde, in eine ganzheitlich-nachhaltige Entwicklung Malis – in Bildung und eigenständige Ökonomie – gesteckt, so würde der Terrorismus den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Mali ist eines der ärmsten Länder der Erde.
(c) Die Europäische Union hätte so viele ökonomische und politische Mittel, um Frieden und Sicherheit in den Konfliktregionen dieser Welt zu schaffen. Dazu bräuchte es eine nicht-militärisch orientierte gemeinsame Außenpolitik. In der EU gäbe es genügend Experten, die als Berater und Vermittler in den Konfliktregionen auftreten könnten. Je mehr gebombt wird, desto weniger sind aber Worte des Dialogs möglich. Sind die islamistischen Gruppierungen im Norden von Mali wirklich menschenfressende Ungeheuer, die nur die Sprache von Sprengstoff verstehen, oder gäbe es nicht Möglichkeiten, selbst mit dem ärgsten Feind in Dialog zu treten? Wer den Feind reizt, muss sich nicht wundern, wenn seine Aggression noch größer wird. Wer einen Schritt auf den Feind zugeht, setzt einen Schritt der Entfeindung.
Nach der Intervention könnten nun jene vielen Möglichkeiten nicht-militärischer Gewaltbewältigung und eines zivilen Friedensaufbaus erfolgen, die schon zuvor beschritten werden hätten können. Der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz von Mali, Edmont Dembele, setzt dabei auf eine Zusammenarbeit mit dem „Hohen Islamischen Rat“ und glaubt an eine mögliche Aussöhnung zwischen den verfeindeten Gruppen.
2 Der Krieg muss von einer legitimen Autorität ausgehen.
Wenn Frankreich außerhalb seines Staatsgebietes und nicht aus Gründen der Selbstverteidigung agiert, so braucht es laut internationalem Völkerrecht die Legitimation des UN-Sicherheitsrates, beispielsweise für eine so genannte Responsibility-to-Protect-Intervention (R2P). Seit Sommer 2012 arbeitete Frankreich auf eine militärische Intervention hin. Die UN-Sicherheitsratsresolution 2056 (2012) sah noch keine R2P-Maßnahme vor.
Frankreich stützte sich auf die Resolution 2085 vom 20.12.2012. Die Regierung in Bamako hatte um Unterstützung und Hilfe gebeten. Darauf konnte sich die französische Regierung berufen. Allerdings sah die oben genannte UN-Resolution zunächst lediglich vor, dass es eine Intervention sei, die von afrikanischen Kräften getragen sein sollte.
Im Sinne eines Hilferufs von Seiten des Staatspräsidenten könnte das Kriterium der Legitimierung positiv abgehakt sein. Frankreich hat reagiert wie im Falle des Kosovo im Jahr 1999. Damals schritt der französische Premierminister Lionel Jospin gegen die Milizen von Milosevic ein, ohne dass er dafür ein Mandat seitens der Vereinten Nationen gehabt hätte. Zu den Grundsätzen des Völkerrechts zählt freilich, dass allein der UN-Sicherheitsrat das Mandat hat, gegen jemanden den Krieg zu erklären und zu führen. Frankreich kann sich diese auctoritas nicht allein anmaßen.
Zugleich wirft auch die militärische Orientierung des UN-Sicherheitsrates wieder einmal – wie im Falle von Libyen – die Frage auf, ob nicht die kriegsentscheidende Instanz der Vereinten Nationen zu sehr bestimmt wird von den polit-ökonomischen Interessen der fünf permanenten Sicherheitsratsmitglieder, die zugleich die größten Waffenexporteure sind.
3 Es muss einen schwerwiegenden Grund geben.
3.1 Menschenrechtsverletzungen
Der „militärische Feuerwehreinsatz“ (© Hollande) in Mali schien tatsächlich legitimiert durch die schweren Verbrechen der Djihadisten, die im Norden Malis ein Terrorregime errichtet hatten, das auf den Süden ausgeweitet werden sollte. Fundamentalistische und gewalttätige Islamisten hatten weite Gebiete im Norden von Mali unter ihre Kontrolle gebracht. Zehntausende mussten fliehen, uralte Kulturgüter, die unter dem Schutz der UNESCO stehen, wurden zerstört. Berichtet wurde von Gräueltaten, von Steinigungen von Ehebrechern, dem Abhacken von Händen von Dieben – kurzum all dem, was als Gräueltaten von „Steinzeitislamisten“ bezeichnet wird. Wer nicht gehorchte, wurde massakriert. Die Situation erinnerte an Afghanistan oder Somalia. Die Regierung von Mali schien demgegenüber Anfang des Jahres 2013 ohnmächtig zu sein. Der in den USA militärisch ausgebildete Staatschef von Mali war erst Mitte 2012 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen und hatte im Norden Malis kaum Rückhalt. Alles ein gravis causa, ein schwerweigender Grund für eine Militärintervention von außen?
3.2 Ausbreitung des Terrorismus
Im Hintergrund steht auch der andauernde „Krieg gegen den Terror“, der nun nach Afghanistan, Pakistan, Somalia, Yemen auch in Nordafrika bekämpft werden sollte. Mit Mali rückte die Al Qaida ein Stück näher an Europa heran. Im Hintergrund der französischen Intervention stand daher die Angst, dass sich dieser Terror nun in Afrika ausbreiten würde – hin nach Burkina Faso, Niger, Algerien und letztlich bis an die Grenzen Europas. So erklärte Präsident Hollande noch am 11. Jänner, also zwei Tage vor der Intervention, dass Frankreich in Mali keinen anderen Zweck verfolge, als den Terrorismus zu bekämpfen. Vier Tage später gab Hollande als Hauptgrund für die Intervention an, die territoriale Integrität des Landes herzustellen und zu sichern, dass es legitime Autoritäten und einen demokratischen Prozess gäbe.
4 Militärische Maßnahmen müssen in rechter Absicht erfolgen.
Angefragt muss werden, ob die französische Regierung tatsächlich primär aus eigennützigen Interessen ihre Truppen in die Schlacht schickt. Waren humanitäre Interessen im Vordergrund?
4.1 Blood for Uranium – Mali und die umliegende Region als Ressourcenparadies
Die strategisch-ökonomischen Interessen sind offensichtlich. Rund um Mali sind seit langer Zeit französische Einheiten stationiert. Warum? Mali liegt mitten im „Goldgürtel“, der sich von Senegal über Guinea, Ghana, Mali, Burkina Faso, Niger, Nigeria und Kamerun durch ganz Westafrika zieht. Daneben gibt es Erdöl, Erdgas, Phosphat, Kupfer, Bauxit, Diamanten und andere Edelsteine. Kurzum: Wirtschaftliche Interessen sind evident. Im Westen des Landes wurde Uran gefunden. Dies nährte das Gerücht, Frankreich habe in den Konflikt eingegriffen, um seine Atomkraftwerke mit billigem Uran zu versorgen. Der staatliche Nuklearkonzern Areva bezieht sein Uran vor allem aus Minen in diesem Gebiet und dem benachbarten Niger. Geplant ist eine dritte Uranmine, in die allein bereits 1,2 Milliarden Euro investiert wurden. Zugleich nahmen in diesen Gebieten terroristische Übergriffe zu, die den Uranabbau verhinderten. Der Überfall auf das Erdgasfeld in Algerien zeigt weiters, wie in dieser Region das dominierende Interesse Europas nach Sicherung von Ressourcen durch islamistische Milizen gefährdet ist.
Faktum ist also, dass es sich mit Blick auf Mali und die französische Politik vor allem um einen Rohstoffkrieg handelt. Der Ansatzpunkt einer neuen Weltpolitik, die nicht auf Ausbeutung und Krieg beruht, würde daher in der heimischen Wirtschafts- und Energiepolitik liegen. Besonders mit Blick auf Frankreich erweist sich, dass die zivile Nutzung von Atomenergie und Kriegsbereitschaft zwei Seiten derselben Medaille sind. In Frankreich sind mit März 2013 58 Atomreaktoren in Betrieb die Zweidrittel des französischen Stroms produzieren. Beherrscht werden sie von einer mächtigen Atomlobby. Ein Drittel des Atomkraftbrennstoffs Uran bezieht Frankreich derzeit schon aus dem benachbarten Niger.
Was Frankreich und die Welt so dringend brauchen, ist ein Ausstieg aus der verbrecherischen Energiepolitik. Jeder und jede kann damit beginnen, wenn wir weniger Energie verschwenden. Die Politik wiederum muss auf die Gewinnung von Energie ohne Atomkraft setzen.
In den Blick genommen werden muss auch die Art und Weise, unter welchen Bedingungen in den umkämpften Gebieten Westafrikas das Uran abgebaut wird. In der Uranmine von Arlit in Niger bergen Arbeiter ohne Schutzkleidung das hochradioaktive Uran mit bloßen Händen, ganze Landstriche sind mit radioaktivem Staub verseucht.
4.2 Interessen der französischen Rüstungsindustrie
Die Grand Nation ist groß im Rüstungsbusiness. Offizielle Zahlen beziffern allein die Rüstungsexporte Frankreichs mit 2,4 Milliarden Euro – das ist mehr als die zweit- und drittgrößten europäischen Rüstungsginganten, Deutschland (1,2) und Großbritannien (1,2) zusammen exportieren. Frankreich steht weltweit an dritter Stelle der Rüstungsexporteure (USA 10; Russland 7,9). Der Krieg in Mali bot also eine gute Gelegenheit, um die französische Militärtechnologie anzupreisen und nicht von ungefähr war zur selben Zeit, als die Militärintervention stattfand, Präsident Hollande in den Golfstaaten unterwegs, um neue Großaufträge für den militärisch-industriellen Komplex Frankreichs zu unterzeichnen.
In dieses Schema passt auch das Drängen der französischen Regierung nach einer Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber Syrien, was heißt: Es soll den EU-Ländern möglich sein, den bewaffneten syrischen Oppositionsgruppen Kriegsmaterial zu liefern.
5 Die Mittel müssen angemessen und verhältnismäßig sein.
5.1 Flüchtlingselend
Ist mit Blick auf die Fluchtbewegungen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewährleistet? Ende Jänner 2013 waren bereits 345.000 Menschen auf der Flucht aus den Kampfgebieten Malis, davon 123.000 in Nachbarländer. Die Situation in den Flüchtlingslagern wurde als dramatisch geschildert. Im Flüchtlingslager Mbera in Ostmauretanien lebten Ende Jänner 2013 55.000 Menschen aus Mali. Ein Fünftel der hier lebenden Kinder waren unterernährt, knapp fünf Prozent sogar schwer.
5.2 „Kollateralschäden“
Was ist mit den „Kollateralschäden“, die die Luftangriffe mit sich bringen? Wie viele Menschen starben aufgrund der französischen Bombardements? Berichte darüber gibt es so gut wie nicht. Lediglich von „Ärzte ohne Grenzen“ wurde berichtet, dass die Zivilbevölkerung nicht geschont würde. Die Jubelmeldungen über die französischen Erfolge ließen Berichte über die Folgen der heftigen Bombardements zu Beginn der Intervention gar nicht aufkommen. Berichte darüber finden sich allerdings in Internet-Beiträgen.
5.3 Millionen für Militär, Brosamen für Entwicklungshilfe
Der militärische Mitteleinsatz steht in keinem Verhältnis zu den Aufwendungen für Entwicklungshilfe. Würde nur ein kleiner Teil der Aufwendungen für die Kriegsmaßnahmen in nicht-militärisches Krisenmanagement investiert, könnte damit nachhaltig ein „Erfolg“ erzielt werden. Je besser die Bildung, desto weniger Bereitschaft, der Al-Kaida und ihren Gefolgsleuten auf den Leim zu gehen. Je weniger Armut, desto kleiner die Versuchung, mit den Mitteln der Gewalt einen Ausweg aus der erbärmlichen Situation zu erreichen.
6 Der Einsatz militärischer Mittel muss Aussicht auf Erfolg haben.
„Jamais ces guerres n’ont bâti un Etat solide et démocratique. Au contraire, elles favorisent les séparatismes, les Etats faillis, la loi d’airain des milices armées.“
„Diese Kriege haben niemals zur Schaffung eines soliden und demokratischen Staates geführt. Im Gegenteil, sie neigen dazu, Separatismus, gescheiterte Staaten und bewaffnete Milizen zu fördern.“
Die Geschichte der jüngsten militärischen Interventionen des Westens zeigt, wie erfolglos und kontraproduktiv sie gewesen sind. Afghanistan ist ein Lehrbeispiel dafür, dass die mächtigsten militärischen Mächte mit den größten Militärapparaten und einem horrenden Mitteleinsatz in einem jahrzehntelangen Krieg keinen Frieden schaffen können. Wird Mali das afrikanische Afghanistan? Frankreich stellte Anfang Februar mit 4600 Soldaten ein größeres Kontingent, als dies in Afghanistan mit 4000 geschah.
6.1 Islamistische Gefahr wird nur „verlagert“
Die gewalttätigen Terrorgruppen werden sich mit den größten Militärapparaten nicht zerschlagen lassen. Einerseits werden sie nur aus dem umkämpften Gebiet zurückweichen, um dann irgendwo anders, nun sich selbst legitimierend aus Rache und Vergeltung, neu loszuschlagen. Als die französischen und malischen Truppen Ende Jänner in die Stadt Kidal vordrangen, waren die Rebellengruppen bereits weg – sie hatten sich in die Gebirgswüste zurückgezogen. Berichte zeigten zugleich, dass selbst islamistische Gruppierungen zu Verhandlungen bereit seien.
Nach einigen Wochen französischer Militärintervention mag die Freude im Norden Malis groß sein, die brutalen Steinzeitislamisten los geworden zu sein. Es ist jedoch lediglich eine Verlagerung. Eine nachhaltige Lösung würde darin bestehen, wenn es gelänge, sie nicht zu vertreiben und zu „eliminieren“, sondern auf dem Weg von Verhandlungen und Gesprächen Wege zu einem friedlichen Miteinander zu finden. Sollte es gelingen, durch eine Ausweitung des Krieges die Islamisten und salafistischen Milizen ganz aus den Städten und Dörfern Nordmalis zu vertreiben, so müsste dieses riesige Gebiet weiterhin von einer nicht unbeträchtlichen Präsenz der französischen Streitmacht über viele Monate, vielleicht sogar Jahre gesichert werden.
Mehr als zwei Monate nach der französischen Intervention, Ende März 2013, zeigen fast tägliche Berichte in den Medien jedenfalls, dass der Krieg an der Tagesordnung ist. „Tote bei Kämpfen in Nordmali“, lautet eine Schlagzeile in der Tageszeitung vom 26.3.2013.
6.2 Mission creep oder die Terrorgefahr wächst weltweit
"Mission creep" ist ein nützlicher Begriff, der umschreibt, was bei Militärinterventionen gegen terroristische Gruppierungen von Afghanistan über Irak bis Libyen und Mali geschieht. Die westlichen Interventionsgruppen mögen zwar anfängliche Erfolge feiern, finden sich aber dann später in einer Situation wieder, in der sich die Terrorgruppen nur versteckt oder sich in anderen Gebieten ausgebreitet haben. Es wird trotz vermehrtem Mitteleinsatz zu einem ausweglosen Kampf. Der militärische Kampf gegen den Terror gleicht dem Kampf gegen die vielköpfige Hydra. Wird ein Kopf abgeschlagen, wachsen anderswo zwei neue nach. Die französische Armee wird nicht der Herkules sein und den Kopf des Terrorismus mit Feuer und Schwert auslöschen können.
Frankreichs Sicherheitspolitik ist geprägt vom Bedrohungsbild „Kampf gegen den Terrorismus“. „Terrorbekämpfung“ steht daher ganz oben auf den Agenden des französischen Staates. Hollande beschwört sein Volk darauf ein, beim Kampf gegen den Terror hart zu bleiben. „Der Kampf gegen den Terrorismus erlaubt kein Nachgeben, keine Schwäche, keine Nachlässigeit ...“ Gleich zu Beginn der Kämpfe im Jänner stieg jedoch die Terrorgefahr in Frankreich an. In Algerien geschah eine Geiselnahme, die in einem Blutbad endete.
Als gefährlich kontraproduktiver Weg erwies es sich wieder einmal, wenn westliche Mächte eine Armee in einem Bürgerkriegsland aufrüsten. So dürfte die von den USA unterstützte Aufrüstung der regulären malischen Armee zunächst zum Putsch geführt haben. Ab April 2013 sollen die regulären Truppen Malis mit internationaler Hilfe ausgebildet und aufgerüstet werden. Auch Österreich ist im Rahmen eines UN-Kontingentes mit dabei.
6.3 Rache und Vergeltung – Gewalt gebiert neue Gewalt
Im Zuge der Kämpfe kam es immer wieder zu Übergriffen auf mutmaßliche Djihadisten bis hin zu Lynchmorden. Auch der malischen Armee wurden unter anderem von dem in Paris ansässigen Menschenrechtsdachverband FIDH (Fédération Internationale des Ligues des Droits de l’Homme) Misshandlungen vorgeworfen. Teils wurden Gräueltaten wie Leichenschändungen an vermeintlichen Kämpfern der Islamisten auch bildlich dokumentiert. Moussag Ag Assarid, Sprecher der Tuareg, gab in einem Interview zu Protokoll, dass die malische Armee der französischen Armee folgt und dann Massaker an Zivilisten verübt. Die Soldaten würden Rache üben, vor allem auch gegenüber der arabischsstämmigen Bevölkerung und den Tuaregs.
6.4 Flächenbrand
In einem Artikel der „Solidarwerkstatt“ wird prägnant formuliert: „Die Brandstifter rufen sich selbst als Feuerwehr - um mit Benzin zu löschen.“ In diesem Statement stecken zwei Behauptungen: Zum einen wäre die französische Politik selbst hauptverursachend für die gegenwärtige Konfliktlage, zum anderen würde durch die französische Militärintervention nicht gelöscht, sondern gefackelt.
6.5 Vom Scheitern der jüngsten Militärinterventionen
6.5.1 Beispiel: Krieg im Irak
Der Blick auf die jüngste Geschichte von Militärinterventionen zeigt, dass mit militärischer Gewalt kein Frieden geschaffen werden kann. In diesen Tagen denken wir an den Beginn des Golfkrieges gegen den Irak am 20. März 2003. Bombenanschläge sind seit dem Sturz von Saddam Hussein an der Tagesordnung. Um den 10. Jahrestag des 2. Golfkrieges gab es eine ganze Bomenserie. Am 16./17. März gab es mehrere Autobomben und Selbstmordanschläge im Zentrum von Bagdad. Dutzende Menschen kamen ums Leben. Am 14. März starben 18 Menschen bei einem Anschlag von Extremisten im Regierungsviertel von Bagdad. Am 10. März stirbt ein Oppositioneller bei einer Kundgebung gegen den amtierenden Präsidenten. Am 8. März erschießt die Polizei 3 Teilnehmer bei einer Protestkundgebung.
Die „Operation Iraqi Freedom“ hat in allen Aspekten ihre propagandistischen Begründungen und Versprechungen nicht eingehalten. Die Behauptungen, der Irak habe Massenvernichtungswaffen produziert, erwies sich als falsch genauso wie der Verdacht, Saddam Hussein hätte Verbindungen zur Al Qaida. Die Pläne von George W. Bush, einen demokratischen Staat mit militärischer Gewalt und mit der Strategie von „Shock and Awe“ aus dem Boden zu schießen, sind desaströs gescheitert. Es folgten ein blutiger Guerilla-Aufstand und ein Bürgerkrieg entlang der konfessionellen Grenzziehungen. Die Zahlen der seit 2003 getöteten Menschen reicht von 113.000 bis 600.000. 4488 US-Soldaten starben, an die 35.000 wurden körperlich verletzt oder verstümmelt. 9500 irakische Sicherheitskräfte kamen ums Leben. Weiterhin sind 10.000 US-Soldaten im Irak stationiert. Der Irak ist heute de facto in 3 Teile geteilt. 60% der Bevölkerung hat keine Arbeit. Der Ruf von George W. Bush am 1. Mai 2003 „Mission accomplished“ hat sich als tragischer Irrtum erwiesen. Die schlimmsten Auseinandersetzungen folgten erst. Allein die USA gaben für diesen Krieg bisher weit mehr als zwei Billionen Dollar aus.
6.5.2 Die Aussichtslosigkeit einer militärischen Lösung in Syrien
Zwei Jahre nach dem Aufstand in Syrien ist nach wie vor keine Lösung in Sicht. Je mehr die Opposition von paramilitärischen Gruppen übernommen worden ist, desto mehr eskalierte der Bürgerkrieg. Verrückterweise ist es gerade wieder Frankreich, das gemeinsam mit Großbritannien für eine Aufhebung des Waffenembargos eintritt und die syrische Opposition mit Waffen gegen Assad ausrüsten möchte. Am Beispiel Syrien zeigt sich die Doppelmoral der französischen Haltung: In Mali werden die salafistisch orientierten Rebellen bekämpft, in Syrien werden die salafistisch orientierten Rebellen unterstützt.
Conclusio
Das philosophisch-ethische Konzept des Gerechten Krieges geht davon aus, dass ein Krieg nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn alle oben genannten Kriterien bzw. Prinzipien erfüllt werden. Mag auch mit Blick auf Mali ein „schwerwiegender Grund“ vorhanden sein, das heißt mag dieses Kriterium angesichts der Menschenrechtsverletzungen und der Terrorgefahr zutreffen, so zeigt sich jedoch in allen anderen Kriterien, dass zumindest von einem „gerechten Krieg“ nicht gesprochen werden kann.
a) Es kann nicht von einer ultima ratio gesprochen werden.
b) Die Legitimation durch die Vereinten Nationen ist fragwürdig.
c) Die rechte Absicht der französischen Regierung muss angesichts der ökonomischen und geopolitischen Interessen zumindest infrage gestellt werden.
d) Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist aufgrund der Verluste, Zerstörungen und des enormen Mitteleinsatzes nicht gerechtfertigt.
e) Ein Erfolg ist nicht in Sicht.
Daraus folgt: Die Anwendung der Gerechte-Krieg-Lehre würde zur Kriegsverhinderung führen. Es ist eine Ironie, dass jene, die rhetorisch die Lehre vom Gerechten Krieg ablehnen, zugleich dessen Kriterien ablehnen und daher neue Formen eines Gerechten Kriegs, vor allem in Gestalt von humanitären Interventionen, legitimieren. Jene wiederum, die kriegskritisch denken, berufen sich auf die Kriterien des Gerechten Krieges, weil sie taugliche Argumentationsmuster gegen das Kriegsführen bieten. Wenn man also die Kriterien des gerechten Krieges sorgsam anwendet, selbst im Fall von Mali, muss man keine Angst haben, dass daraus ein schnelles Kriegführen kommt. Im Gegenteil!
Für die friedensbewegten Kräfte zeigt der Krieg in Mali, wie die künftigen Militärinterventionen ablaufen werden. Nicht mehr im Stile großer und langwieriger Interventionen wie in Afghanistan, sondern ein rasches und gezieltes Eingreifen steht am Beginn. Für diese Strategie passt dann der Aufbau der EU-Battlegroups. Eine UN-Mandatierung ist nicht mehr automatisch vorgesehen. Zur Kampfstrategie zählt zunächst, mit massiven Luftangriffen die gegnerische Seite zu schwächen und zu demoralisieren, dann Kampftruppen nachzuschicken. Der Einsatz von Drohnen gehört zur neuen Kriegsstrategie.
Friedensbewegte Menschen fordern, dass Militärinterventionen stets an letzter Stelle stehen sollten. Die vergangenen Jahrzehnte militärischer Interventionen – Irak, Afghanistan, Somalia, Libyen – haben gezeigt, dass mit militärischer Einmischung von außen kein Staat und kein Frieden zu machen sind, dass jedoch damit stets unendlich viel menschliches Leid, Zerstörung und Vergeudung von Ressourcen verknüpft sind. Frankreich wäre aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit und seiner Interessen in der Region zu militärischer Zurückhaltung verpflichtet. Die französisch dominierte Intervention bietet den islamistischen Kräften nur neuen Vorwand für ihre terroristischen Aktivitäten. Auch Libyen ist kein Beispiel für eine gelungene Intervention von außen angesichts von 30.000 Opfern des Kampfes um die Macht in Libyen, einem bis heute tief gespaltenen Land, das stets am Rande eines neuerlichen Bürgerkriegs steht, und einer immer noch zerstörten Infrastruktur. Gewalt gebiert neue Gewalt. Aus der Gewalt führt nur der Weg der Gewaltfreiheit. Es bräuchte eine Politik, die nicht mehr auf militärische Konfliktbewältigung setzt.
Wer sich hingegen auf das Denkmuster einlässt, von außen mit militärischen Mitteln bei Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten, wird sich fragen müssen oder muss sich gefallen lassen gefragt zu werden: Warum eine Intervention in Mali, nicht aber auch in Syrien oder in Israel/Palästina? Wenn die Option in Mali gerechtfertigt ist, warum dann dieses apodiktische Nein zu EU-Battle-Groups seitens friedensbewegter Menschen? Warum dann Festhalten an der Neutralität? ...
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