Samstag, 23. März 2013

Hoffnungspapst

Pope of Hope oder: wie ich wieder begann, das Papsttum zu schätzen Vor dem Konklave schrieb ich einen Text mit dem Titel „Mein Lieblingspapst“. Vieles, was ich darin als Wunsch und als Vision von einem ganz anderen Papst und einer reformwilligen Kirche formuliert hatte, ist in den vergangenen Tagen Wirklichkeit geworden. Rückblickend auf das Pontifikat von Benedikt XVI. fällt es mir zunächst nicht schwer, in Papst Franziskus ein großes Hoffnungszeichen für meine Kirche zu sehen. Zunächst also ein Blick zurück. Von Beginn an schlug der vormalige Papst einen restaurativen Kurs ein. Die Erwartungen waren im Jahr 2005 nicht hoch, hatte doch Benedikt bereits als Kardinal Ratzinger und Chef der Glaubenskongregation in jeder Hinsicht mit seiner Verurteilung der Befreiungstheologie viele Katholiken enttäuscht. Diese Enttäuschungslinie setzte er mit seiner Anbiederung an die Pius-Bruderschaft oder mit missverständlichen Äußerungen gegen den Islam sowie mit einem Stillstand im Verhältnis zu den protestantischen „Kirchen“ (sic!), die von ihm nicht als Kirchen gesehen wurden, fort. Mit seinem Rücktritt hat Papst Benedikt XVI. einen mutigen und zukunftsweisenden Schritt gesetzt. Ich hatte Angst, es würde dann einer der Kardinäle zum Papst gewählt werden, der die Benedikt-Linie verlängern würde. Nun aber mit Jorge Mario Bergoglio ein neuer Anfang, eine Abkehr vom bisherigen Kurs? Von Beginn seiner Ernennung an, vom ersten Auftreten auf der Loggia nach dem „Habemus Papam“ hat Papst Franziskus Signale der Hoffnung gesetzt. Überzeugend, authentisch und glaubwürdig ist seine zentrale Botschaft, als Papst vor allem für die Armen da zu sein. Sein nicht nur namentlicher Bezug auf Franz von Assisi zeigt an, dass er einen neuen Weg als Papst einschlagen möchte – ein erster Papst mit diesem Namen, ein erster Jesuit als Papst, ein erster Lateinamerikaner als Papst. Ein dreifaches Novum, es ist multiplizierte Hoffnung. Nach den ersten sieben Tagen, als eine „kleine Versammlung in Rom“ (©Clemens Sedmak) den argentinischen Kollegen zum Papst gewählt hatte, nach der ersten Euphorie für die vielen einfachen Signale, die der neue Papst ausgesendet hat, kann nun eine erste nüchterne – und zugleich immer noch so vorläufige – Einschätzung erfolgen. Erstens: Die natürlich-charismatische Art des Bergoglio-Papstes ist tatsächlich bewegend, gewinnend, faszinierend. Seine so gar nicht abgehobene Art, sondern sein einfach-bescheidener und ungezwungener Stil tut gut nach all dem Pomp, mit dem das Papsttum in der Geschichte assoziiert werden kann und belastet ist. Papst Franziskus hat mit den ersten Worten klar gemacht, mit seiner Bitte um den Segen, dass er seine Aufgabe im Dialog mit den Menschen, für die er da ist, erfüllen möchte. Nicht als Papst, sondern zunächst als Bischof von Rom hatte er sich vorgestellt. Zweitens: Papst Franziskus setzt mit seinem Lebensstil Zeichen – ganz im Sinne von Gandhis Leitspruch „my life is my message“. Schon als Kardinal in Buenos Aires lebte er bescheiden, fuhr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, wohnte in einem schlichten Apartment. Solche Zeichen sind wichtig. Sein neues Outfit in weiß bleibt ohne barocken Prunk. Keine roten Designer-Schuhe, kein schwer-goldener Ring, kein Hermelinkäppchen, keine gold-bestickte Mozzetta. Da passen auch die einfachen Grußformeln von „Guten Abend“ über „Mahlzeit“ bis „Gute Nacht“, mit denen er die Menschen anspricht. Drittens: Noch blieben die „heißen Themen“ der Familienpolitik und Sexuallehre ohne Kommentierung seitens des neuen Papstes. Kolportierte Aussagen aus der Vergangenheit machen etwas vorsichtig. Schon wird der neue Papst als konservativ in den traditionellen moraltheologischen Fragen zitiert. Gegenüber Schwulen und Lesben soll er Vorbehalte haben. Homo-Ehe hätte er gar früher einmal als „Teufelswerk“ bezeichnet. Eine Abkehr vom Pflichtzölibat und die Zulassung von Frauen zum Priesteramt werde es unter Papst Franziskus nicht geben. Für Reformkräfte in der Kirche, für „Wir sind Kirche“ oder die Pfarrerinitiative, wird dies nicht einfach sein. Ihre Anliegen werden nun gerne als sekundär hingestellt, als nachrangig gegenüber den zentralen Anliegen der Option für die Armen und für die Schöpfung oder der Herkules-Aufgabe einer Reform der Kurie. Hier gilt es allerdings, die Anliegen nicht aufzugeben, bei aller Sympathie für den neuen Papst, ihm auch diese Forderungen nach Zulassung der Frauen zu den Weiheämtern und Aufhebung des Pflichtzölibates nahe zu bringen. Es ist zu hoffen, dass ihm die Bischöfe diese Forderungen aus ihren Diözesen nahe legen werden und dass Papst Franziskus die Funktion der Bischöfe, nicht länger Befehlsempfänger aus Rom zu sein, sondern Vermittler der Anliegen aus der Ortskirche, ernst nehmen wird. Auch in einigen anderen dogmatischen Fragen ist so manche Unsicherheit gegeben. Verdeckt der Charme des neuen Papstes und die Euphorie für ihn vielleicht gar eine religiöse Sichtweise, die so gar nicht den Erwartungen entsprechen, die viele Menschen in einen neuen Papst setzen??? Viertens: Theologen, denen ich vertraue, die so viel mehr Ein- und Durchblicke haben, teilen mit mir die Hoffnung, dass mit Bergoglio ein neuer Frühling für die Kirche anbrechen könnte. Leonardo Boff nahm ihn gegenüber der Kritik, zur Zeit der Militärdiktatur seine eigenen Mitbrüder verraten zu haben, in Schutz. In der Wahl des Namens Franziskus sieht Boff das Programm des neuen Papstes, die Kirche in einem franziskanischen Sinne neu aufzubauen. Boff schreibt in seinem Blog: „Es muss erwähnt werden, dass dies ein Papst ist, der aus dem tiefen Süden kommt, wo die ärmsten Menschen leben und sich 60% der Katholiken befinden. Mit seiner pastoralen Erfahrung und seiner Sichtweise ‘von unten` kann er die Kurie umgestalten, die Verwaltung dezentralisieren und der Kirche ein neues, glaubwürdiges Gesicht verleihen.“ Auch Hans Küng spricht sehr positiv von einem „radikalen Wandel“ für die Kirche. Bischof Erwin Kräutler schloss ebenfalls aus, dass Bergoglio zur Zeit der Militärdiktatur mit den Machthabern paktiert habe. Voll des Lobes sind auch die Theologen vor Ort. Jozef Niewiadomski erwartet sich eine tiefgreifende Kurienreform. Viele trauen dies dem neuen Papst zu, da er selbst nicht aus den Kurienkreisen stammt und zugleich als sehr durchsetzungsfähig gilt. Der Wunsch nach einer Kurienreform eint die Katholiken von Kardinal Schönborn angefangen bis hin zur Plattform „Wir sind Kirche“. Fünftens und nochmals: Im Zentrum der Botschaft von Papst Franziskus steht wie beim Povorello aus Assisi die Liebe zu den Armen. Folgende einfache Worte an die Medienvertreter, also in der ersten Pressekonferenz des neuen Papstes, sind programmatisch klar und eindeutig, Worte, wie ich sie mir nicht sehnlicher von einem Papst erwartete: „Manche wussten nicht, warum der Bischof von Rom sich Franziskus nennen wollte. Einige dachten an Franz Xaver, an Franz von Sales und auch an Franz von Assisi. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte. Bei der Wahl saß neben mir der emeritierte Erzbischof von São Paolo und frühere Präfekt der Kongregation für den Klerus Kardinal Claudio Hummes – ein großer Freund, ein großer Freund! Als die Sache sich etwas zuspitzte, hat er mich bestärkt. Und als die Stimmen zwei Drittel erreichten, erscholl der übliche Applaus, da der Papst gewählt war. Und er umarmte, küsste mich und sagte mir: ‚Vergiss die Armen nicht!‘ Und da setzte sich dieses Wort in mir fest: die Armen, die Armen. Dann sofort habe ich in Bezug auf die Armen an Franz von Assisi gedacht. Dann habe ich an die Kriege gedacht, während die Auszählung voranschritt bis zu allen Stimmen. Und Franziskus ist der Mann des Friedens. So ist mir der Name ins Herz gedrungen: Franz von Assisi. Er ist für mich der Mann der Armut, der Mann des Friedens, der Mann, der die Schöpfung liebt und bewahrt. Gegenwärtig haben auch wir eine nicht sehr gute Beziehung zur Schöpfung, oder? Er ist der Mann, der uns diesen Geist des Friedens gibt, der Mann der Armut. … Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“ Angesichts solcher Worte, verbunden mit den klaren Zeichen, kann ich im Religionsunterricht meinen Schülern und Schülerinnen endlich die Bedeutsamkeit des Papstamtes mit Freude und Zustimmung nahe bringen. Ich merke, dass sie meine Hoffnung teilen und dass damit Kirche auch für sie glaubwürdiger wird. Freilich bleibt mein Grundansatz, dass das Erleben von Kirche nicht von einem Papst abhängt, sondern Kirchesein in den Familien, in den Freundeskreisen, der Schule und in den Gemeinden gelebt wird – und das alles können wir mit oder ohne Papst. Gut, wenn dies nicht gegen sondern mit einem Hoffnungspapst geschehen kann. Für das alltägliche Glaubensleben ist ein Papst zunächst unbedeutsam. Und dennoch kann die atmosphärische Veränderung im Vatikan auch die Atmosphäre in einer x-beliebigen Kirchengemeinde verändern. Im ersten Sonntagsgottesdienst meiner Heimatgemeinde nach der Papstwahl reichten sich erstmalig in der 1000-jährigen Geschichte dieser Gemeinde die Gläubigen beim Vaterunser die Hände. Mit Spannung blicke ich auf die nächsten Monate und Jahre. Was folgt nach der päpstlichen Charmeoffensive? Nein, ich setze nicht meine ganze Hoffnung für eine Erneuerung der Kirche in diesen Mann – im Gegenteil. So kann ihm das Schicksal erspart werden, zum „Sündenbock“ zu werden. Wie Petrus darf auch Petrus Franziskus fehlbar sein. Ich habe aber dennoch sehr viel Hoffnung – eine kritische Hoffnung. Papst Franziskus hat als Brückenbauer jedenfalls auch eine Brücke zu meinen Hoffnungen geschaffen. Es beginnt etwas Neues. Klaus Heidegger, 23. März 2013

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