Die
Bibel, die Kirchen und die Flüchtlingskrise
Kirchen
auf Seiten der Flüchtlinge
Im Sommer 2015, als sich die
Flüchtlingstragödien im Mittelmeer und entlang der Westbalkanroute mehrten, als
die Regierenden der europäischen Länder mit der Fülle an Flüchtlingen nicht
mehr zurechtkamen, als einige Länder begannen, mehr und mehr Zäune und Mauern
zu bauen und Grenzen gegenüber den Flüchtenden zu errichten, in dieser Zeit
standen kirchliche Vertreter eindeutig auf Seiten der Flüchtlinge. Schon seit
seinem Amtsantritt hat Papst Franziskus seine Solidarität mit den Flüchtlingen
kund getan. Symbolisch war sein erster „Auslandsbesuch“ auf der Insel
Lampedusa. Kardinal Schönborn meinte angesichts der Flüchtlingstragödie von
Parndorf, dass es einen „sehr ernsten Test“ gebe, ob in Österreich das christliche
Erbe noch lebe. Viele Bischöfe und Kirchenvertreter nahmen die Forderungen
ihrer diakonischen Einrichtungen auf. Es brauche legale Wege der Einreise für
Flüchtlinge, um so das Schlepperwesen auszutrocknen. Es blieb aber nicht nur
bei Worten. Caritas und Diakonie stehen ganz vorne in der Betreuung von
Asylwerbern und Flüchtlingen und erweisen sich als Experten in der humanen
Aufnahme von Flüchtlingen. Pfarrgemeinden und Ordensgemeinschaften öffnen ihre
Türen.
Fluchtgeschichten
als biblisches Grundmotiv
Flucht- und Migrationsgeschichten
durchziehen die biblischen Schriften wie ein roter Faden. Im Mythos von Adam
und Eva müssen beide nach dem Sündenfall ihr Paradies verlassen. Es ist Gott,
der sie auf dieser Flucht schützt und ihnen eine sichere Bleibe außerhalb des
Paradieses zusichert. Als Kain flüchten muss, bekommt er von Gott ein Zeichen,
damit er nicht umgebracht werde. Im Mythos von der Urflut kann sich Noach mit
seiner Familie und der Tierwelt vor dem ökologischen Untergang retten. Und dann
kommt es mit Abraham zur Gründungsgeschichte der drei abrahamitischen
Religionen. „Als über das Land eine
Hungersnot kam, zog Abram nach Ägypten hinab, um dort zu bleiben; denn die
Hungersnot lastete schwer auf dem Land.“ (Gen 12,10) Aus dieser Perspektive
sind Abraham und seine Sippe Hungerflüchtlinge. Doch selbst unter seinen
Nachkommen kommt es zum tödlichen Konflikt. Hagar nimmt ihren Sohn Ismael und
flüchtet. Wieder ist es Gott, der den Schrei der Flüchtenden hört und rettend
eingreift, ihnen sogar verspricht, sie zu einem großen Volk zu machen. Viktor Orbáns
Stacheldrähte gab es in der biblischen Welt noch nicht, auch nicht für die
unmittelbaren Nachfahren von Jakob und Rebekka. Sie finden zunächst eine
sichere Aufnahme im Land Ägypten: „Josef
ging also hin, berichtete dem Pharao und sagte: Mein Vater und meine Brüder
sind mit ihren Schafen, Ziegen und Rindern und mit allem, was ihnen gehört, aus
Kanaan gekommen. Sie sind bereits in Goschen. Der Pharao fragte Josefs Brüder:
Womit beschäftigt ihr euch? Sie antworteten dem Pharao: Hirten von Schafen und
Ziegen sind deine Knechte; wir sind es, und unsere Väter waren es auch schon.
Weiters sagten sie zum Pharao: Wir sind gekommen, um uns als Fremde im Land
aufzuhalten. Es gibt ja keine Weide für das Vieh deiner Knechte, denn schwer
lastet die Hungersnot auf Kanaan. Nun möchten sich deine Knechte in Goschen
niederlassen.“ (Gen 47,1-4). Mose selbst wird zum Politflüchtling und findet
Aufnahme im fremden Land Midian. „Eines
Tages ging Mose zu seinen Brüdern hinaus und schaute ihnen bei der Fronarbeit
zu. Da sah er, wie ein Ägypter einen Hebräer erschlug, einen seiner
Stammesbrüder. Mose sah sich nach allen Seiten um, und als er sah, daß sonst
niemand da war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand. ... Der
Pharao hörte von diesem Vorfall und wollte Mose töten; Mose aber entkam ihm. Er
wollte in Midian bleiben ...“ (Ex 2,11ff) Von Beginn an stellt sich JAHWE,
der Gott Israels, als Freund der Flüchtlinge und Fremden vor und erinnert sein
Volk an die eigenen Erfahrungen. Das spiegelt sich in den Gesetzesvorschriften
des Volkes Israel wider: „Wenn bei dir
ein Fremder in eurem Lande lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde,
der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du
sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten
gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott." (Lev 19,33f) Noomi flieht aus
einer Notsituation ins Land Moab. Dort heiraten ihre Söhne Moabiterinnen. Eine
von ihnen, Rut, wird die Stammmutter von David, aus dessen Geschlecht Jesus
selbst stammt. Die Propheten und Prophetinnen treten dann auf, wenn diese
Option für die Fremden und Flüchtlinge von den Herrschenden missachtet wird: „Das Wort des Herrn an den Propheten Jeremia:
Denn nur wenn ihr ernsthaft eure Wege und eure Werke bessert, wenn ihr wirklich
untereinander Recht schafft, wenn ihr Fremdlinge, Witwen und Waisen nicht bedrückt
..., dann will ich mit wohnen an diesem Ort ..." (Jer 7,5-7) „Wort
Gottes an Israel durch Vermittlung des Propheten Maleachi: ‚Dann komme ich zu euch zum Gerichte und werde als ein überraschender
Kläger auftreten .... gegen die, die den Fremdling abweisen ..." (Mal
3,5) Im Matthäusevangelium wird der neugeborene Jesus mit seiner Mutter und
seiner Vater selbst ein Politflüchtling. Kein Sperrzaun verhindert ihre Einreise
nach Ägypten. Auf Schlepper waren sie nicht angewiesen. Damals. In der
zentralen Rede Jesu über das Weltgericht identifiziert sich der Messias mit den
Flüchtlingen: "Ich war fremd und
obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen. ... Was ihr für einen meiner
geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan ... Weg von mir, ihr
Verfluchten ... denn ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich nicht
aufgenommen. Was ihr für einen meiner geringsten Brüder nicht getan habt, das
habt ihr mir nicht getan." (Mt
25) Der Auferstandene wird, so die Emmauserzählung, von den beiden Jüngern im
Fremden, der aus der Stadt flieht, wiedererkannt. Schließlich wird in der
neutestamentlichen Briefliteratur die Gastfreundschaft als zentraler Wert
definiert: "Vergesst nicht die Gastfreundschaft;
durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt." (Hebr
13,2)
Verkündigung der
biblischen Botschaft der Gast- und Flüchtlingsfreundschaft
In vielen Ansprachen und Hirtenworten haben seither die
Kirchenleitungen diese Botschaft weiter verkündet: "Für Gott gibt es keine Ausländer und Fremde. Gott liebt alle
Menschen. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass wir zu kurz kommen. Wir
dürfen aber auch nicht andere ausgrenzen. Wer sich zum Glauben bekennt, kann
nicht gleichzeitig aussperrende Mauern errichten, wenn Menschen unsere Hilfe
brauchen." So sprach der damalige Bischof der Diözese Linz, Maximilian
Aichern, an die Adresse jener Menschen gerichtet, die bereits vor 20 Jahren
Mauern und Stacheldrähte im Kopf hatten. Der verstorbene Kardinal Franz König
meinte: „Mehr als jede weltliche
Gesellschaft muss sich eine religiöse Gemeinschaft am Umgang mit dem Fremden
messen lassen. Denn sie selbst leitet ja ihren Anspruch von der Begegnung mit
dem ‚Ganz-Anderen, dem Transzendenten, dem Absolut-Fremden‘ ab. Gott begegnet
uns sinnenhaft im Fremden, das uns übersteigt und oft den Weg in die Zukunft
weist. Gott, der Fremde, ruft uns immer wieder..."
Das Kirchenvolk –
auf welcher Seite?
Flüchtlinge scheitern an einem Europa, das sich als das christliche
definiert. In Österreich schwingt der Parteiobmann der FPÖ, Heinz-Christian
Strache, das Kreuz, predigt das „christliche Abendland“ und zugleich fordert er
stärkere und effizientere Flüchtlingsabwehr. Es scheint, dass eine größer
werdende Zahl von Katholiken und Katholikinnen auf dem Weg von der Kirche ins
Wahllokal die Botschaft der Bibel aus den Augen verloren. Andere hingegen, und
das ist das Evangelium, die frohe Botschaft im Jetzt, ergreifen den Kairos,
engagieren sich für Flüchtlinge, demonstrieren „refugees welcome“, sind bereit
zu teilen, ohne Angst, etwas vom eigenen Überfluss zu verlieren.
Klaus Heidegger