Donnerstag, 25. Juli 2013
Sanftes Reisen und brutales Reisen:
Begleitende Gedanken während meiner Radrunde durch die Schweiz im Juli 2013
Sanft reisen, das bedeutet die Höhen und Tiefen auszukosten, dem Wind und Wetter ausgesetzt zu sein, die Gerüche von Wiesen, Bäumen und Sträuchern intensiv wahrzunehmen. Eine Woche lang konnte ich es genießen. Da gab es viele Passstraßen und Wegstrecken dazwischen, um alte Kulturlandschaften und die Bergwelt zu erspüren, und Seen, um sich zu erfrischen. Wärmende Sonne nach einem Regenschauer, Hitze und die Kühle der Berghöhen wechselten sich ab.
Der Gegensatz zu sanft ist brutal. Als Radfahrer ist man immer der Schwächere, wird an den Straßenrand gedrängt, bedroht von irgendwelchen überfetten Wohnmobilen, die sich tonnenschwer bis auf die höchsten Passübergange quälen, von Horden von Motorradfahrern, für die Bergstraßen prinzipiell Rennstrecken zu sein scheinen. Die überdimensionierten PS-starken benzin- und dieselfressenden Monster werden ausgefahren. So manchen Streckenabschnitt zwischen einsamen Bergstraßen waren wir somit den giftigen Abgasen und dem Lärm der freizeitfahrenden Massen ausgesetzt.
Nach Oil-Peak ist noch lange keine Umkehr in Sicht. Die Sanften sind nicht an der Macht. Brutalität regiert die Welt. Die Masse lebt so, als gäbe es keine anthropogene Klimaveränderung. Die Gebirgswelt wird durch das Aufbrechen des Permafrostes instabil und auf den „erschlossenen“ Gletscherflächen wird das Eis mit Planen abgedeckt. Der durchschnittliche, motorisierte Erdenbürger interessiert sich nicht dafür. Es freuen sich die Öl-Giganten dieser Welt über fette Gewinne. Für die Rohstoffkriege der Gegenwart und Zukunft werden Milliarden investiert und jede Tankfüllung trägt dazu bei, dass auch Kriegsgeräte geschmiert werden, dass die Wüsten sich ausbreiten und die Massen in den Ländern des Südens in Hungersnöte katapultiert werden. Überall werden Landschaften und Städte „autogerecht“ zurecht gerichtet. Ökologische Unvernunft paart sich mit egoistischem Ausbeuterdenken und gebiert Zerstörung. Am ersten Tag nach der Rückkehr von unserer „Tour de Suisse“ lese ich, dass Tirols oberster Tourismuswerber mit einer deutschen Edelautoschmiede ein Partnerschaftsabkommen eingeht und damit wirbt, dass die heimischen Bergstraßen für diese Autos so gut geeignet wären. Eine Autofirma nennt es „Summerdrive“, wenn mit einem Auto ein Gebirgsweg entlang gefahren wird. Die Alpenkonvention besteht wohl nur auf dem Papier. Der heimische Wirtschaftsminister bezeichnet stolz Österreich als „Autoland“ und begrüßt euphorische die geplante Rückkehr der Formel 1 nach Spielberg. Warum wohl ist in Österreich der Spritpreis niedriger als in allen Nachbarländern?
Hin und wieder treffe ich auf seelenverwandte Gleichgesinnte, wenn sie entlang der Fernradwege mit Packtaschen dahin treten. Wir sind eine Minderheit. Gut ausgebaut ist das öffentliche Verkehrssystem in der Schweiz. Alternativen zum Auto gäbe es zuhauf. Selbst über den Oberalppass fährt noch die Eisenbahn oder über den Flüelapass eine Buslinie. Wer das Rad nicht wählt oder wählen kann oder wählen möchte, würde ohne ölfressenden, lärmenden Blechhaufen auskommen - Familien mit Kleinkindern, Ältere oder Behinderte ausgenommen. Nur das Land Tirol tut sich so schwer, eine vernünftige Zugverbindung zwischen zwei Tiroler Landesteilen aufrecht zu erhalten.
Ein Großteil der Politiker meidet solche Worte aus Angst, nicht gewählt zu werden. Da ist selbst ein Tempo 100 auf den Autobahnen zu viel des Guten. Regierende Politiker sind stolz, wenn eine weitere Tunnelröhre feierlich eröffnet wird – auch mit dem Segen von kirchlichen Funktionären – und der Verkehr besser fließen kann. Soll er fließen? Der Sanftheit gehöre die Zukunft! Österreich soll kein Red-Bull-Land werden!
Dr. Klaus Heidegger, Bachgasse 10, 6067 Absam, klaus.heidegger@aon.at
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