Beruhigungs-Pillen
gegen atomare Gefahren?
Ein
Beipacktext zu den Kaliumjodid-Tabletten
Das österreichische Gesundheitsministerium lässt derzeit in allen Schulen Infoblätter verteilen, damit Eltern für ihre Kinder in Apotheken gehen und dort gratis Kaliumjodid-Tabletten abholen. Die Erziehungsberechtigten gaben großteils schon die Zustimmung, dass in einem Ernstfall auch an den Schulen Jodid-Pillen ausgegeben werden können. Als Lehrer nütze ich nun die Gelegenheit, folgenden Beipack-Text den Schülern und Schülerinnen mit auf den Weg zu geben.
Das österreichische Gesundheitsministerium lässt derzeit in allen Schulen Infoblätter verteilen, damit Eltern für ihre Kinder in Apotheken gehen und dort gratis Kaliumjodid-Tabletten abholen. Die Erziehungsberechtigten gaben großteils schon die Zustimmung, dass in einem Ernstfall auch an den Schulen Jodid-Pillen ausgegeben werden können. Als Lehrer nütze ich nun die Gelegenheit, folgenden Beipack-Text den Schülern und Schülerinnen mit auf den Weg zu geben.
Einmal mehr muss uns die Aktion des
Gesundheitsministerium hellhörig machen. Der Super-GAU von Fukushima ist noch keine
zwei Jahre her. Die Vergesslichkeit hat wohl die kürzeste Halbwertszeit. Nicht
so in der Gegend von Fukushima. Sie wird in den nächsten Jahrzehnten Todeszone
bleiben. Radioaktiv verstrahlt. Unbewohnbar. Für die betroffene Bevölkerung
bleibt die Angst vor einer Krebserkrankung aufgrund des radioaktiven Fallouts
am schlimmsten. Rund um Fukushima sollen
bis zu 35% der Kinder Knoten und Zysten an der Schilddrüse haben. Menschen
klagen über Haarausfall, Durchfall, Hautveränderungen.
Dennoch
rüstet die Atomlobby weltweit für eine angebliche Renaissance der Atomkraft.
Auch in Europa: von Frankreich über Tschechien und Polen bis Rußland.
Österreich ist von
Atomkraftwerken im benachbarten Ausland geradezu umzingelt. Ein großer
Teil dieser AKWs haben die nach Fukushima verordneten Stresstests nicht
bestanden. Für uns in Tirol ist der alte Reaktor Isar 1 in der Einflugszone des
Airport München die größte Gefahr.
Aus einem Szenario von Greenpeace:
„Vielleicht beginnt die Katastrophe mit einem großen Knall: Ein Flugzeug stürzt
ins Atomkraftwerk. Bei neun älteren deutschen AKWs genügt für so einen Anschlag
schon eine kleinere Maschine. Ein Gutachten der Gesellschaft für
Reaktorsicherheit zählt die Atomanlagen Brunsbüttel, Stade, Unterweser, Biblis
A und B, Neckar 1, Philippsburg 1 sowie Isar 1 zu dieser Kategorie. Entführen
Terroristen einen Jumbojet, sind auch die übrigen zehn AKWs nicht sicher. Ein
mögliches Szenario: Das tonnenschwere Flugzeug durchschlägt das Reaktorgebäude
und reißt das innere Containment auf – jenen betonarmierten Druckbehälter, der
den radioaktiven Teil des Kraftwerks abschirmen soll. Feuer bricht aus, die
Kühlung der Brennstäbe kollabiert, der Reaktorkern schmilzt. Doch für den
Super-GAU braucht es keinen spektakulären terroristischen Anschlag. Es genügt
banales menschliches Versagen, eine technische Panne bei Kühlsystem oder
Stromversorgung.“
Was tun in solchem Fall? Jod hilft
nur der Schilddrüse: Gegen Strontium-90, das sich in den Knochen ablagert,
gegen die besonders harte Strahlung des Cäsium-137, gegen Plutonium, die
giftigste Substanz überhaupt, gibt es keine Pille. Ein 1992 für die Hamburger
Umweltbehörde gemachtes Gutachten über die Folgen eines Super-GAUs in der Nähe
der Millionenstadt rechnet deshalb mit 100.000 Toten und einer Million
Evakuierten. Die Hälfte der Stadt bliebe auf mindestens 50 Jahre unbewohnbar.
Strahlenschutzvorkehrungen sind
notwendig, jedoch immer nur der zweite Schritt. Wenn Nikolaus Berlakovic Ende
Oktober 2012 im Zusammenhang mit der Zivilschutzübung „Intrex 2012“ meinte, „dass
Österreich für einen möglichen Störfall in einem angrenzenden Atomkraftwerk
bestens gerüstet sei“, so enthält diese Aussage auch einen zynischen
Beigeschmack.
Einzig wirksame Maßnahme gegen das
Schreckensszenario AKW-GAU: die AKWs abschalten. Je weniger Energie wir
verschwenden, desto mehr unterstützen wir eine solche Politik. Zu hoffen ist,
dass sich die österreichische Bundesregierung nicht auf das Verteilen von
Jod-Pillen und die Durchführung von Zivilschutzübungen beschränkt. Das würde
bedeuten, in den EU-Gremien nicht weiterhin eine Atompolitik mitzutragen,
sondern auf eine alternative Energieversorgungspolitik zu drängen. Atomkraft
ist nicht beherrschbar und überflüssig. Atomkraft behindert den Umstieg auf
Erneuerbare Energien, den wir brauchen, um den Klimawandel zu bremsen. Die
Alternativen stehen bereit und warten auf ihren Einsatz – weltweit! Die
Energieversorgung der Zukunft besteht aus dezentralen, vernetzten, erneuerbaren
Energiequellen in Bürgerhand. Eine solche Energieversorgung wird auch keinen
militärischen Sicherheitsapparat zur Absicherung benötigen und ist der
wirksamste Schutz vor terroristischen Anschlägen mit verheerenden Folgen.
Wenn künftig in den Medizin-Kästchen
österreichischer Haushalte und in den Sekretariaten der Schulen Kaliumjodid-Tabletten
zu finden sind, dann können sie als Weckruf und Mahnung, nicht aber als
Beruhigungs-Pillen dienen. Und sollte es dennoch zur Reaktorkatastrophe kommen
und eine radioaktive Wolke über unser Land getrieben werden, so helfen die
Kaliumjodid-Tabletten zumindest gegen Schilddrüsenkrebs, da Kinder und
Jugendliche auf radioaktive Strahlen besonders empfindlich reagieren. Alles
muss aber getan werden, um dies zu verhindern. Nein zu Atomkraftwerken, Ja zu
einem energiesensiblen Lebensstil und alternativen Energieformen.
Dr.
Klaus Heidegger, 29. Nov. 2012. klaus.heidegger@aon.at
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