Argumentarium
zur Volksbefragung über die Wehrpflicht
von Klaus Heidegger
Kommission Pazifismus und Antimilitarismus von Pax
Christi Österreich
(revidierte Fassung, mit Stand vom 13. November 2012)
1
Inhalt
"Wenn eine Gruppe von
Privatpersonen Menschen ihrer Freiheit beraubt und sie zwangsweise an einen
bestimmten Ort verbringt, so nennt man diesen Vorgang Verschleppung und diese
Gruppe einen Menschenhändlerring. Wenn eine Gruppe von Staatsbeamten Menschen
ihrer Freiheit beraubt und sie zwangsweise an einen bestimmten Ort verbringt,
so nennt man diesen Vorgang Wehrpflicht und diese Gruppe
Militärverwaltung."
Kurt Tucholsky
"Wer die Wehrpflicht
befürwortet, befürwortet die Unterdrückung. Warum? ... Wenn ich die Wehrpflicht
befürworte, dann verlange ich nichts anderes, als das Recht, den
Andersdenkenden gewaltsam dazu zwingen zu dürfen, entgegen seiner eigenen und
sattdessen gemäß meiner Überzeugung zu handeln."
Bertrand Russell
„Die Wehrpflicht ist ein Zwang zum
Erlernen des Kriegshandwerkes, den wir zukünftigen Generationen ersparen
möchten. Niemand soll sich unfreiwillig solch undemokratischen Strukturen, wie
die der Armee, unterwerfen müssen. Niemand soll lernen, blind zu gehorchen,
ohne selber zu denken. Niemand soll mit einer Waffe hantieren, um damit im
Ernstfall auf Menschen zu schiessen.“
Gruppe Schweiz ohne Armee, September 2012
Die
Volksbefragung zur Wehrpflicht am 20.
Jänner 2013 fordert dazu heraus, über die Sinnhaftigkeit von Zwangsdiensten und
Militär nachzudenken und Alternativen einer künftigen friedens- und sicherheitspolitischen
Zukunft Österreichs zu entwerfen. Bewusst lenkt dieses Argumentationspapier die
Frage auf die Wehrpflicht. Von dieser Perspektive ausgehend werden die
Volksbefragung und die damit verbundenen militärischen Optionen beurteilt.
Der historische und bleibende Sinn der militärischen Rekrutierung lag und liegt
darin, dass ein Staat im Kriegsfall genügend Männer hat, die mit
Maschinengewehren und Granaten hantieren können, die Panzer fahren und
Lenkwaffen bedienen können. Gegenwärtig herrscht in vielen Ländern mit einem Wehrpflichtsystem Krieg. Syrien ist ein Beispiel. Ohne Wehrpflicht gäbe es nicht diesen grausamen
Krieg, hätten Bashar al Assad und sein Regime nicht jene Männer zur Verfügung,
die seit Monaten die Befehle des Regimes befolgen müssen. Auf beiden Seiten
kämpfen Männer als Milizionäre, die das Morden in der verpflichtenden
Grundausbildung gelernt hatten. Ohne Wehrpflicht hätte auch das Hitlerregime
nicht jene Verwüstung über den Globus gebracht, an dessen Ende 80 Millionen
Kriegstote, die Shoah und unglaubliche Verwüstungen waren. Die Wehrpflicht bzw.
Kriegsdienstpflicht hat dazu geführt, dass bis zum heutigen Tag in vielen
Staaten dieser Welt Tausende Menschen verurteilt wurden, in Gefängnisse kamen oder
mit Todesstrafe belegt wurden. Kriegsdienstverpflichtete Männer wie Franz
Jägerstätter wurden als „Wehrkraftzersetzer“ hingerichtet. Zur Zeit der Nazi-Herrschaft
wurden mehr als 30.000 Wehrdienstverweigerer verurteilt. 20.000 Todesurteile
wurden vollstreckt. Auf Desertion kann im Kriegsfall in allen Staaten dieser
Welt – auch im Kriegsfall in Österreich – das Urteil Todesstrafe folgen. In der
Türkei oder in Israel werden Kriegsdienstverweigerer weiterhin strafrechtlich
verfolgt und gesellschaftlich diskriminiert.
Was Wehrpflicht bedeutet,
versinnbildlicht folgende Anektode aus meinem Lehrerdasein: Auf die Frage, was
denn auf Englisch „Wehrpflicht“ heiße, kommt die Antwort eines Schülers, der
einschlägige Erfahrungen mit Computerspielen hat: „Call of Duty“. Die Antwort
ist zwar falsch, enthält aber doch zugleich eine richtige Grunderfahrung.
Wehrpflicht bedeutet – wie diese Egoshooter-Spiele – in erster Linie die
zunächst automatische Zuteilung der männlichen Jugend für
gewaltsam-militärische Konfliktlösung. Wird der 20. 1. ein Remake für ein Call
of Duty 5 werden?
ÖVP und
SPÖ bieten mit der Formulierung des Textes der Volksbefragung nur eine
beschränkte Wahlmöglichkeit. Der Text für das Plebiszit am 20. 1. 2013, auf den
sich Norbert Darabos und Johanna Mikl-Leitner Ende Sommer 2012 geeinigt hatten,
lautet:
„Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten
freiwilligen Sozialjahres?
oder
Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des
Zivildienstes?“
Bewusst wird in dieser Fragestellung eine dritte Alternative, für
die friedensbewegte Menschen eintreten, ausgeklammert. Was ist mit jenen
Menschen und Organisationen, die weder das herkömmliche System der
Kriegsdienstpflicht noch eine Profiarmee wollen? Die nun vorliegende Diktion
für die Volksbefragung gibt ihnen nicht die Möglichkeit zur gewaltfreien
Alternative. Gewaltfreie Optionen werden ausgeblendet. Eine Frage darf
scheinbar nicht gestellt werden: Braucht ein wehrpflichtfreies Österreich
überhaupt eine professionelle Armee mit Milizelementen?
In Option 1, die von Verteidigungsminister Norbert Darabos und der SPÖ-Führung
vertreten wird, wird explizit nur gefragt, ob man für die Einführung eines
Berufsheeres ist. Ausdrücklich fehlt der
Hinweis auf die Wehrpflicht. Implizit ist jedoch in doppelter Weise klar, dass
mit der Entscheidung für Option 1 auch ein Nein zur Wehrpflicht verknüpft ist. Zur
Verunsicherung trägt weiters bei, dass in dieser Option von der „Einführung
eines Berufsheeres“ gesprochen wird. Tatsächlich aber müsste man genauer von
einer „Freiwilligenarmee“ sprechen, da weiterhin der Milizanteil einen hohen
Stellenwert in den Konzepten der SPÖ haben soll.
Beide Optionen beinhalten – zwar in unterschiedlichem Ausmaß – folgende
sicherheitspolitische Parameter, die aus pazifistischer oder
antimilitaristischer Sicht abzulehnen sind:
·
Orientierung der
außenpolitischen Sicherheit auf militärische Konzepte,
·
inklusive der
Fähigkeiten zu Interventionseinsätzen im Rahmen von Battle Groups,
·
und dadurch Gefährdung
der österreichischen Neutralität.
Eigentlich
sollten zuerst die sicherheitspolitischen Bedrohungsbilder klar gemacht werden,
bevor nach einem passenden Instrument dafür gesucht wird. Primär ist im
herrschenden Diskurs jedoch nicht die Frage, welche Art von Militär Österreich
hat oder ob es wirklich eines braucht. In der Frage eines künftigen Heeres und
einer passenden Heeresstruktur sind sich, abgesehen von den Größenverältnissen,
beide Konzepte sehr ähnlich. Die SPÖ-Variante könnte ohnehin besser als
Freiwilligenarmee bezeichnet werden, die ÖVP-Variante sieht andererseits mehr
Berufssoldaten vor als das SPÖ-Modell.
Abbildung 1: Berufssoldatenanzahl, Quelle: profil, Nr.
39,2012.
Der
Verdacht drängt sich auf, dass das Instrument der Volksbefragung von den beiden
Koalitionsparteien als parteipolitische Abstimmung benützt wird und
wahltaktische Überlegungen die sicherheitspolitischen Sachfragen überlagern. ÖVP
und FPÖ üben für eine künftige Koalition. Auch in dieser Frage haben sie einen Konsens und eine
gemeinsame wahltaktische Plattform gegen die SPÖ gefunden. Aus dieser
Perspektive kann die Option für das SPÖ-Modell am 20.1.2013 auch ein Signal
gegen Schwarz-Blau sein.
Die
tatsächlichen Unterschiede bzgl. der Größe eines künftigen Heeres ergeben ein
widersprüchliches Bild: Die ÖVP bringt zwar vehement Argumente gegen eine
starke Profiarmee in die Diskussion, verunglimpft Berufssoldaten in ihrer
Kampagne als „Söldner“,
zugleich sehen ihre Pläne mehr Berufssoldaten (16.000) vor als die
Darabos-Modelle (8.500). Gleichzeitig warnt die ÖVP vor den hohen Kosten einer
Berufsarmee, zugleich aber sind in ihrem Modell die Kosten höher (2 Mrd.) als
bei dem Berufsheer-Modell der SPÖ (1,9 Mrd.). Würden man also die beiden
Warnungen der ÖVP und der Wehrpflicht-Befürworter vor einer zu starken
Professionalisierung einerseits – wie er plakativ mit dem Spruch „wir brauchen
keine Söldner“ ausgedrückt wird – und
höheren Kosten andererseits ernst nehmen, müsste man für das weniger
Berufssoldaten intensive und günstigere SPÖ-Modell votieren.
Geht es
der ÖVP aber wirklich um die Sicherheit Österreichs oder nicht viel mehr um Stimmungen, die mit
dem Eintreten für eine vermeintliche militärische Sicherheit und das bestehende
Bundesheer gemacht werden? Dazu passen Bilder: Der VP-Obmann mediengerecht im
Gespräch mit Rekruten in Kampfuniform und bei einer Übungsannahme, wo Gebirgsjäger
die Erstürmung eines Gebäudes durchführen. Das findet der Vizekanzler „cool“.
Vor allem aber wird – bis hin zur Textierung des Volksbefragungstextes – der
Zivildienst populistisch instrumentalisiert. Organisationen, für die
Zivildiener früher „Drückeberger“ waren, treten nun für den Erhalt des
Zivildienstes ein, um so die Wehrpflicht zu retten.
Auf der anderen Seite sind auch Aussagen aus dem Bereich der SPÖ in sich
widersprüchlich. So sieht das Darabos-Modell weniger Berufssoldaten vor,
während das Personenkomitee zur Abschaffung der Wehrpflicht mit dem Slogan
wirbt: „Wir brauchen mehr Profis!“
In den
NATO-Ländern Frankreich, Spanien, Belgien und den Niederlanden sank seit dem
Aussetzen der Wehrpflicht der Verteidigungsetat und wurden zugleich die
Streitkräfte deutlich reduziert. So
haben die Niederlande seit 1990 ihre Streitkräfte fast halbiert, von 104.000
Soldaten und einer Wehrpflichtrate von 45 Prozent im Jahr 1990 auf eine
Sollgröße von 50.500 Soldaten im Jahr 2008. Damit verbunden war eine Halbierung
des Anteils an Berufssoldaten und eine Verdoppelung des Bedarfs an
Zeitsoldaten. Ähnliche Entwicklungen sind in Frankreich, Belgien und Spanien zu
verzeichnen.
Im
Unterschied zur ÖVP legte Darabos bereits Monate vor der Volksbefragung sein
Konzept einer Freiwilligenarmee vor. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist aus
pazifistischer Sicht der größte Mehrwert im Konzept, auf das sich die SPÖ
geeinigt hat und das zur Entscheidung vorliegt. In diesem Punkt verdient es
Unterstützung. Zugleich ist der Text der Volksbefragung so gehalten, dass im
SPÖ-Modell bewusst auf einen direkten Hinweis auf die Wehrpflicht verzichtet
wird. Dies dürfte propagandistisch motiviert sein: Gegen etwas zu sein, bringt
aus dem massenpsychologischen Blickwinkel nicht unbedingt stimmen. Wer vorgibt,
für etwas zu sein, schafft sich mehr Sympathien. Hätte die SPÖ nur auf die
Frage bestanden, wer gegen die Wehrpflicht ist, dann wäre diese Initiative von
vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Mit der Frage, ob jemand für das
Berufsheer und ein Freiwilligensystem ist, schafft sich die SPÖ automatisch
mehr Wohlwollen in der breiten Bevölkerung.
Die
eindeutige Schwäche des SPÖ-Konzeptes ist und bleibt, dass die SPÖ weiterhin für
Sicherheits- und Katastrophenaufgaben auf militärische Mittel setzen möchte. Positiv
ist das zumindest verbale Festhalten an der österreichischen Neutralität, wobei
diese gerade durch die bloße Existenz eines Heeres permanent gefährdet oder
verletzt wird.
Negativ
ist die kritiklose Erwähnung, auch für kommende Auslandseinsätze besser =
professioneller gerüstet zu sein. Dabei wird in der Diktion der SPÖ auf den
Begriff „Battle Groups“ verzichtet. Man will allerdings genauso wie im
bisherigen Wehrpflichtsystem mit 1.100 Mann dafür gerade stehen.
Mit dem
Begriff „Profi-Miliz“ argumentiert die SPÖ, dass eine Einbindung des Heeres in
die Bevölkerung gegeben sei. Außerdem wird die Profi-Miliz nicht für Auslandseinsätze
vorgesehen. Dabei ist interessant, dass die Profi-Miliz mit 9.300 Soldaten
höher ist als die geplante Zahl von Berufssoldaten.
Damit wiederum ist der Milizgedanke im SPÖ-Modell prozentuell stärker als im
ÖVP-Modell. Die Profimiliz ist im SP-Modell auch für den Katastrophenschutz
vorgesehen. In diesem Bereich wurden unter Darabos bereits Vorarbeiten durch
das Aufstellen einer „Versuchsmiliz“
gestartet.
Mit werbepsychologisch geschickten Begriffen will die ÖVP ihr Bundesheer-Modell
„verkaufen“. „Wehrpflicht neu“ – das klingt wie „Omo neu“, klingt gut, weil
suggeriert wird, neu sei eben besser als alt. Vielleicht ist nur die Aufschrift
auf der Verpackung neu, der Inhalt im wesentlichen aber gleich. Tatsächlich müsste
genauer mit Blick auf die ÖVP-Position gesagt werden: „System alt“, „Wehrpflicht-alt“
bleibt, „Bundesheer-alt“ bleibt, eben alt. Und mit „alt“ kann nicht geworben
werden.
Ebenso positiv will der Begriff „Österreich-Dienst“ klingen. Wer will schon
nicht dagegen sein, dass junge Männer ihren Dienst für Österreich leisten. Fast
alle, die abstimmen, wird es ohnehin nicht betreffen. Alle über 19 verordnen
eben jenen, die noch künftig wehrpflichtig sind, einen Dienst – selbst muss man
es ja nicht tun oder hat es getan, und es ist doch dann nur gerecht, wenn’s die
anderen auch tun müssen. Ausgleichende Gerechtigkeit (?).
Mit
ebenso positiven Argumenten wird nun geworben: Vor allem bräuchte man
Grundwehrdiener für den Katastrophenschutz. Dabei kamen Grundwehrdiener kaum
für solche Einsätze auf. Und was, wenn eine Krise wie damals in Jugoslawien
sei?, fragt Landeshauptmann Plattner schicksalsschwer nach. Der Tiroler Landeshauptmann lässt keine
Gelegenheit aus, um für die Wehrpflicht mit dem Katastrophenargument zu werben.
Das nach Darstellung der ÖVP noch unfertige Konzept eines
"Österreichdienstes" sieht für die Wehrpflicht in Zukunft drei Säulen
vor: jeweils fünf Monate Wehrdienst oder Katastrophendienst plus ein Monat Milizübungen,
sowie ein Zivildienst mit der Dauer von neun Monaten. Auch der
Katastrophendienst bliebe damit im Bereich des Militärischen. So würde in den
ersten 7 Wochen eine gemeinsame Ausbildung stattfinden. In den folgenden zwei
Jahren müsste bis zu einem Monat Milizübungen besucht werden – vorzugsweise an
Wochenenden. Durchschnittlich würde dies rund 6000 Präsenz- und
Katastrophendiener geben, das heißt rund 3000 für jede Seite. Die
Katastrophenhilfssoldaten hätten eine rund dreimonatige Ausbildung und Einsatzkapazität.
Wehrpflicht ist Zwang. Junge Männer werden vom Staat her gezwungen, in einer
der wichtigsten Phase ihres Lebens – dann, wenn es um eine Berufs- bzw.
Studienentscheidung geht – ein Jahr auszusetzen. Tatsächlich handelt es sich
meist um ein Jahr, da ein schräges Einsteigen in ein Studium beispielsweise
kaum möglich ist. Wer beispielsweise nach der Matura am 1. 10. einrückt,
verliert ein ganzes Studienjahr, auch wenn der Grundwehrdienst nur 6 Monate
dauert. Noch größere Verzögerungen könnte es beim neunmonatigen Zivildienst
ergeben.
Ein Großteil von wichtigen und unentbehrlichen Aufgaben, die gegenwärtig von
den Zivildienstleistenden erbracht werden, könnten durch ein finanziell und
sozial abgesichertes System von Freiwilligendiensten erledigt werden. Solche
Dienste wären weder an ein bestimmtes Geschlecht gebunden noch an eine
bestimmte Altersstufe. Für junge Menschen könnten solche Freiwilligendienste
auch eine wichtige Erprobungsphase für eine künftige Berufsentscheidung sein. Negative
Begleiterscheinungen, die auch mit dem Zivildienst verknüpft sind, würden
entfallen. Dazu zählt beispielsweise die Tatsache, dass in manchen Bereichen
Zivildiener als Billigstarbeitskräfte eingesetzt werden, wo es an notwendigen
Fachkräften fehlt.
Das
Modell „Bundesfreiwilligendienste“ in Deutschland zeigt, dass sich dort seit
Aussetzung der Wehrpflicht wesentlich mehr Menschen zu den neuen
Freiwilligendiensten meldeten, als Plätze vorhanden sind. Dies gilt auch für
Freiwilligenmeldungen für die Bundeswehr. In
Österreich haben zahlreiche Organisationen viele Erfahrungen mit
Freiwilligendiensten, die weiter entwickelt und aus den frei werdenden
finanziellen Mittel des gegenwärtigen Militär- und Zivildienstetats gut finanziert
werden könnten. Dabei ist es allerdings notwendig, dass zwischen Ehrenamt und
bezahlten Freiwilligendiensten kein Konkurrenzverhältnis entsteht bzw. dass
jene Vielzahl an ehrenamtlichen Tätigkeiten nicht durch bezahlte Dienste
zurückgedrängt würden.
Das
Modell von Sozialminister Hundstorfer des „Freiwilligen Sozialjahrs“ geht in
diese Richtung: Es wäre offen für alle Männer und Frauen ab 18 bis zur Pension,
würde mit 1.386 Euro brutto Pauschale 14x kollektivvertraglich entlohnt werden.
Pro Jahr sollen 8000 Sozialjahr-Arbeitsplätze geschaffen werden. - gegenüber
derzeit 9644 Zivildienern (auf Volljahresbeschäftigung hochgerechnet, ansonsten
13.500 Zivildiener). Die Differenz ist also geringfügig. Das
Sozialjahr könnte auch z.B. auf die Berufsausbildung angerechnet werden oder
für Aufnahmeprüfungen an Unis oder Fachhochschulen sowie beim Einstieg in den
öffentlichen Dienst als Bonus verwendet werden. Die Finanzierung solcher
Dienste könnte zum großen Teil aus dem gegenwärtigen Etat für den Zivildienst
umgeschichtet werden, für den derzeit jährlich 142 Millionen Euro vorgesehen sind. Allerdings müssen laut
Hundstorfer zu diesem Betrag noch 66 Millionen Euro hinzugerechnet werden, die
durch den Entfall von Steuerleistungen dem Budget entgehen würden. Für das
Hundstorfer-Modell wären 211 Millionen Euro aus dem Budget zu zahlen.
Laut dieser Rechnung wäre das Sozialjahr-Modell von Hundstorfer also nicht
teurer als das alte Zivildienstmodell und würde zudem mehr Effizienz bedeuten.
Von
ÖVP-Seite wurde das Hundstorfer-Modell völlig abgelehnt. Es sei ein „Schlag ins
Gesicht der Ehrenamtlichen“,
meinte der ÖVP-Generalsekretär. In Sorge waren weiters Rettungsorganisationen,
weil sie meinten, damit würde zuwenig Nachwuchs für kommende Freiwillige
rekrutiert.
Das Grüne Modell „Freiwilliger Zivildienst“ entspricht in den Grundzügen dem Konzept
von Sozialminister Hundstorfer. Von Seiten des Österreichischen Roten Kreuzes wurde befürchtet, dass mit Wegfall des
Zivildienstes eine wichtige Rekrutierungsmöglichkeit für künftige Freiwillige
wegfallen würde. Dagegen kann aber argumentiert werden, dass genauso Menschen, die
das Freiwillige Sozialjahr gemacht hatten, sich für ein weiteres ehrenamtliches
Engagement entscheiden könnten.
Gegenüber den SPÖ-Modellen gilt es jedoch festzuhalten: Ein Junktim von
Freiwilligendiensten und Berufsarmee muss nicht sein. Im Gegenteil:
Freiwilligkeit und beispielsweise Soziales Jahr wären genauso denkbar ohne
freiwillige Militärdienste und Berufssoldaten.
Zugleich könnte durch gesetzliche und finanzielle Maßnahmen in vielen Bereichen
die Freiwilligendienste – wie Gedenk-, Auslands- oder Friedensdienste –
gefördert werden. Die finanziell einfachste Lösung zur Förderung der
Freiwilligenarbeit wäre die Schaffung eines erwerbsunabhängigen
Grundeinkommens, wie es beispielsweise die Katholische Sozialakademie
Österreichs seit vielen Jahren fordert.
Rund ein Drittel der österreichischen Wehrpflichtigen leistete mit Herbst 2012 den neunmonatigen
Zivildienst als Wehrersatzdienst. Um diesen Dienst zu erhalten, befürworten
viele die Fortsetzung des Wehrpflichtsystems, was sich auch in der
Fragestellung von ÖVP/FPÖ ausdrücklich findet. Es ist allerdings ein falscher
Ansatzpunkt, wenn über die Schiene Zivildienst eine sicherheitspolitische
Entscheidung getroffen werden soll. Welche Art von Sicherheitssystem Österreich
braucht, kann nicht abhängig sein von der Frage, ob wir einen Zivildienst
brauchen oder nicht. Unabhängig von der
sicherheitspolitischen Diskussion können wir argumentieren, dass die
herkömmliche Form des Zivildienstes nicht notwendig ist für ein
funktionierendes Gesundheits- und Sozialsystem in Österreich. Es gibt viele
Argumente, die für einen Ersatz des Zivildienstes im Falle des Wegfalls von der
Wehrpflicht sprechen.
Ein
Teil von Diensten, die gegenwärtig von Zivildienern erledigt werden, könnte
durch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im Sozial- und Gesundheitsbereich substituiert
werden, was eine Professionalisierung dieser Dienstleistungen bewirken würde
zugunsten von jenen Menschen, die dieser Dienste bedürfen. Zwangsdienste wären
hingegen auch im Widerspruch zum Grundrecht der Freiheit von Zwangsarbeit.
Viele Befürworter eines Wehrpflicht-Zivildienstmodells sind nicht bereit, für
ein ausreichendes Sozialsystem zu sorgen und wollen lieber zwangsverpflichtete
18-Jährige als fair bezahlte und gut ausgebildete Fachkräfte. Dies passt zu
einer Entwicklung, in der unbezahlte Praktika und Schnupperlehren enorm
zugenommen haben, anstatt klare arbeitsrechtliche Verhältnisse einzufordern.
Nicht richtig wäre es, wenn Trägerorganisationen und Zivildiensteinrichtungen die
Institution Zivildienst für ihre Eigentinteressen benützen würden.
Die Wehrpflichtbefürworter argumentieren, man bräuchte ein starkes Heer, um in
Katastrophenfällen genügend Männer zu haben. Ohne Wehrpflichtheer, so die
Angstmache, würden im Ernstfall – bei Überschwemmungen, Vermurungen,
Lawinenunglücken etc. zu wenig Einsatzkräfte vorhanden sein.
Dagegen
gilt: Das Aufgabengebiet Katastrophenschutz zählt nicht zum Kernbereich des Militärischen. Eine Armee ist keine freiwillige Feuerwehr. Katastophenschutz kann von zivilen Einrichtungen – beispielsweise den Feuerwehren – besser und kostengünstiger organisiert werden. Motto: Für
das Sandsäcke-Tragen braucht es keine Ausbildung mit der Waffe, für den Hochwasserschutz sind Panzer ungeeignet.
Aus
demokratiepolitischer Sicht ist es zugleich bedenklich, wenn der
Aufgabenbereich Katastrophenschutz ganz zentral zum Aufgabenprofil des Militärs
gerechnet wird. Selbst in Österreich ist laut herrschendem Recht das Militär
für Katastrophenhilfe lediglich auf Antrag des Innenministeriums bzw. des
Bundeskanzleramtes für Assistenzleistungen berechtigt. Insofern wäre es
sinnvoller, den Bereich Katastrophenschutz ganz im Innenministerium und/oder
Bundeskanzleramt anzusiedeln und ihm dafür entsprechende Mittel und
Infrastruktur – aus den Mitteln des Militärs – zur Verfügung zu stellen.
Ein Blick zurück
entlarvt die Propaganda, man bräuchte unbedingt ein Heer für Katastrophenfälle:
Die
Zahlen, die das Verteidigungsressort zu den vergangenen fünf Jahren vorgelegt
hat, relativieren jedenfalls Befürchtungen dieser Art. Demnach waren in diesem Zeitraum nämlich nur 1400
Grundwehrdiener tatsächlich in einem Katastropheneinsatz, was etwa 6,3 Prozent
entspricht. Oder anders ausgedrückt: 93,7 Prozent der Rekruten bekamen während
ihres Wehrdienstes keine Katastrophe aus der Nähe zu sehen. In 90% der Fälle
rückt in Österreich – obwohl es eine Wehrpflichtarmee gibt und propagandistisch
genützt werden könnte – bei Katastrophenfällen nur die Feuerwehr aus.
Bei der Konversion des Heeres können militärisches Personal und Infrastruktur
teilweise für Aufgaben im Bereich des Katastrophenschutzes
genützt werden. Ein wesentlicher Teil der Unwetterkatastrophen
ist bedingt von den klimatischen Veränderungen. Gerade militärische Apparate
haben aber einen riesigen ökologischen Fußabdruck. Militärabschaffung fällt
daher in den Bereich der Katastrophenprävention.
Die Befürworter einer
Freiwilligenarmee argumentieren hingegen mit pragmatischen Argumenten ganz auf
der Linie des bisherigen Konzeptes: Auch die künftige Freiwilligenarmee würde
den Katastrophenschutz übernehmen - jedoch wesentlich effizienter.12.500 Mann
würden weiterhin für den Katastrophenschutz zur Verfügung stehen.
Eine neue Sicherheitsstrategie soll die noch gültige Verteidigungsdoktrin
aus dem Jahr 2001 ersetzen. Sie liegt vor, wurde jedoch noch nicht vom
Parlament beschlossen.
Ein Kernsatz lautet, dass sich „... die aktuellen und absehbaren
Rahmenbedingungen für die Sicherheit Österreichs und der Europäischen Union ...
grundlegend von jenen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“
unterscheiden. Wichtigster Unterschied zu früher: „Konventionelle Angriffe auf
Österreich sind bis auf Weiteres unwahrscheinlich ...“ Hingegen gebe es globale „Herausforderungen,
Risiken und Bedrohungen“, von denen Österreich und die EU betroffen seien. Genannt werden u.a. instabile Regionen und
Staaten, verwundbares Nuklearmaterial, Menschen- und Drogenhandel,
Naturkatastrophen und die Gefährdung der Umwelt, der Nahrungs-, Wasser- und
Energieversorgung; relevante Infrastruktur muss vor Angriffen aus dem Internet
oder terroristischen Anschlägen geschützt werden.
Jene, die vor einem sicherheitspolitischen Vakuum warnen, wenn das
heimische Militär schrumpft und nicht jeder Mann gelernt hat, wie „Mann“ eine
Waffe bedient, sollten von den tatsächlichen Bedrohungsbildern ausgehen, wie
sie in den jüngsten sicherheitspolitischen Schubladenpapieren der Parteien
genannt wurden. Die
SPÖ antwortet mit Blick auf diese Entwicklungen mit dem Hinweis, dass es für
diese Bedrohungsbilder keine Wehrpflicht mehr brauchen würde sondern ein
professionelles Heer mit ausgeprägten Milizkomponenten. Heinz Gärtner folgert
daraus: „Keines dieser Probleme kann mit traditionellen Massenarmeen gelöst
werden.“ Die ÖVP hält hingegen ungeachtet solcher Rahmenbedingungen am Konzept
der Wehrpflicht fest. Es wären allerdings auch nicht-militärischen Antworten
auf diese Bedrohungsbilder möglich.
Das Bedrohungsbild Terrorismus erfordert zunächst eine präventive Außenpolitik, die dem Terror keinen Nährboden mehr liefert, und bedeutet in der Abwehr vor allem Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit. Was von Offiziersseite als neues Aufgabenfeld gesehen und als „Heimatschutz“ bezeichnet wird – beispielsweise Schutz vor terroristischen Anschlägen – muss als Aufgabenfeld der Polizei definiert werden.
Cyberwar-Attacken können nicht mit militärischen Systemen abgewehrt werden, sondern verlangen die Expertise von zivilen Fachleuten im IT-Bereich und vor allem eine Umkehr von der massiven Tendenz, sich mehr und mehr von den modernen Technologien abhängig zu machen.
Das Bedrohungsbild Angriff auf sensible wirtschaftliche Einrichtungen, wie Energieversorgungszentren, sollte dazu führen, eine dezentrale und möglichst autarke Wirtschaftsweise zu fördern, die auch den Cyberwar-Attacken und terroristischen Angriffen weniger Angriffsflächen bietet.
Bleibt noch die Frage, wie künftige Staatsbesuche ablaufen werden. Eine militärische Ehrenformation wird nicht mehr abgeschritten werden, was jedoch zugleich eine wichtige politische Signalwirkung haben könnte. Vielleicht werden Abordnungen von Kindern mit Friedenssymbolen die Staatsgäste empfangen.
Gegenüber den vom Staat kolportierten
Bedrohungsszenarien gilt es aber vor allem festzuhalten: Die Bedrohungen und Risiken unserer Zeit liegen in den
Folgen von Klimawandel, sozialer Ungerechtigkeit und in der Abhängigkeit von
fossilen Rohstoffen. Angesichts solcher Bedrohungen sind militärische Maßnahmen
kontraproduktiv.
Die von SPÖ-Seite in Option 1 geplante Umstellung auf eine Freiwilligenarmee
geschieht jedenfalls nicht, wie Wehrpflichtbefürworter – auch aus
friedensbewegter Seite – behaupten, um effizienter für neue militärische
Aufgabenfelder wie Out-of-Area-Missionen gerüstet zu sein. In dieser
Argumentation wird die Ursache mit der Wirkung vertauscht. Die Ursache für
diese Umstellung erfolgt unabhängig vom Wehrsystem und liegt in den
sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen verbunden mit neuen
Kriegstechnologien. Die Zeit der Massenarmeen für eine Raumverteidigung, wie
sie bis zum Ende des Kalten Krieges die österreichische Verteidigungsdoktrinen
bestimmte, ist längst überfällig.
Gegner des SPÖ-Modells und Befürworter der Wehrpflicht argumentieren, dass die
Abschaffung der Wehrpflicht verbunden mit der Art und Weise, wie im SPÖ-Modell
eine Profi-Armee vorgesehen ist, eine NATO-Integration vorantreiben würde und
die österreichische Neutralität noch mehr gefährden würde. Dabei wird daraufhin
gewiesen, dass die meisten EU-Länder mit Berufsheer bzw. ohne Wehrpflicht auch
NATO-Mitglieder seien.
Dagegen gilt erstens, dass es auch EU-Staaten ohne Wehrpflicht gibt, die
bündnisfrei oder neutral sind. Dazu zählen Schweden und Irland. Andererseits
gibt es Wehrpflichtstaaten wie Griechenland, die Türkei, Estland, Norwegen und
Dänemark, die Mitglieder des NATO-Paktes sind. Das heißt: Es gibt keinen
zwingenden Zusammenhang zwischen Wehrpflicht und einer Zugehörigkeit zur NATO.
Prinzipiell ist das Wehrsystem unabhängig von Bündnismitgliedschaft und
Neutralität.
Zweitens
ist eine schleichende NATO-Integration in den vergangenen Jahrzehnten auch
unter Wehrpflichtbedingungen geschehen. Von Beginn an hat das Österreichische
Bundesheer neutralitätswidrige Aktionen gesetzt – erinnert sei an die Zeit des
Kalten Krieges, wo Österreich für die NATO-Spionageabwehr mit der Goldhaube
wichtige Dienstleistungen erfüllte. Heute zeigt es sich, dass mit oder ohne
Wehrpflicht das Bundesheer umorientiert wird auf eine Kompatibilität mit der im
Aufbau befindlichen EU-Armee. Damit werden die Kernelemente der
völkerrechtlichen Neutralität unterlaufen.
Ohne eigene Armee könnte sich Österreich andererseits gar nicht kriegerisch an
fremden Kriegen beteiligen. Daraus folgt: Nicht eine unbewaffnete Neutralität
ist völkerrechtswidrig, sondern die faktische Umsetzung der österreichischen
Militärpolitik. Es gilt die Formel: Je weniger Militär, desto weniger
Neutralitätsgefährdung!
Auch
der Blick in die Schweiz kann in diesem Fall nützlich sein. Die größte
antimilitaristische und pazifistisch orientierte Organisation in der Schweiz,
die GSOA, tritt für die Abschaffung der
Wehrpflicht eintritt, wissend, dass damit unter den realen Bedingungen eine
Freiwilligenarmee kommen würde.
Zunächst muss bei diesem Argument klar unterschieden
werden, auf welche Art und Weise österreichische Soldaten im Ausland tätig sind
oder tätig sein sollten. Peacekeeping-Einsätze unter dem Mandat der Vereinten
Nationen sind anders zu bewerten als Battlegroup-Einsätze im Rahmen der EU oder
in Anbindung an die NATO. Im Herbst 2012 waren rund 1200 österreichische
Soldaten in ausländischen Missionen tätig. Darunter 494 Soldaten im Rahmen der
Nato-geführten internationalen Schutztruppe Kfor und 310 Soldaten bei der
Bosnien-Friedensmission Eufor-Althea. In Afghanistan waren 3 Österreicher als
Stabsoffiziere tätig. Wer sich heute unter den Bedingungen der Wehrpflichtarmee
für Auslandseinsätze meldet, macht dies jetzt schon freiwillig bzw. auf einer
professionellen Basis. In dieser Hinsicht gibt es daher keine gravierenden
Unterschiede zwischen einer Wehrpflicht- und einer Freiwilligenarmee.
Grundwehrdiener sind aus mehreren Gründen ungeeignet für Auslandseinsätze.
Gegner der Wehrpflichtabschaffung warnen jedoch, dass eine Freiwilligenarmee
die Ausrichtung auf eine Interventionsfähigkeit im Sinne von
Peace-Enforcement-Einsätzen beschleunigen würde. Vor allem linke
Friedensgruppen argumentieren, dass durch das Festhalten an der Wehrpflicht die
Anpassung des heimischen Heeres an die EU-Verteidigungsarchitektur auf dem Weg
von Battlegroups verhindert werden könnte. Doch
schon unter den real-existierenden Bedingungen der Wehrpflichtarmee geschieht
der Umbau der Streitkräfte auf Interventionsfähigkeit. Ob Berufs- oder
Zeitsoldaten oder freiwillig Verlängerte ... die Verpflichtung für
Auslandseinsätze ist auch jetzt schon gegeben.
Wenn
Grundwehrdiener für Katastropheneinsätze oder militärische Sicherung im Inland
dienen müssen, dann kann ein Berufsheeranteil der Wehrpflichtarmee auch
leichter für Auslandsmissionen abkommandiert werden. Tatsächlich warnte der
leidenschaftliche Wehrpflichtbefürworter Generalstabschef Entacher mit dem
Argument, dass eine Berufsarmee „die außenpolitischen Möglichkeiten“
einschränken würde.
Der
Aufbau einer schlagkräftigen EU-Armee für Interventionseinsätze geht
ungebrochen voran. Dies geschah in den vergangenen Jahren jedoch unabhängig von
der Frage ob Wehrpflicht- oder Berufsheersystem. Das bisherige
Wehrpflichtsystem hat nicht verhindert, dass sich die österreichische Armee
mehr und mehr unter Verletzung von neutralitätsrechtlichen Bestimmungen auf
internationale Kriegseinsätze hin orientiert hat. Mit oder ohne Wehrpflicht hat
sich die Bundesregierung zur Beteiligung an den EU-Battlegroups entschieden und
wurde zuvor das nötige Bundesverfassungsgesetz geschaffen. Die immerwährende
Neutralität Österreichs mit ihren drei Grundpfeilern – Nichtbeteiligung an
Kriegen, militärische Bündnisfreiheit und Verbot der Stationierung fremder
Truppen auf heimischem Territorium – könnte am verlässlichsten ohne eigenes
Militär realisiert werden.
Stimmt die These, dass eine Freiwilligenarmee „leichter“ für „partikulare
Interessen“ instrumentalisiert werden
könnte als eine Wehrpflichtigenarmee? Stimmt es, dass durch Wehrpflichtige das
Militär „gezähmt“ würde? Unermüdlich wird dieses Argument wiederholt – meist
mit Blick auf die Situation in Österreich 1934. Damals
haben Berufssoldaten auf Arbeiter geschossen. Dieses Ereignis ging als Trauma
in die Geschichte der sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegungen in
Österreich ein. Im Nachhinein kann jedoch auch gefragt werden: Hätte eine
Wehrpflicht diese Aktion der Berufsarmee verhindern können? Es bleibt
jedenfalls eine Behauptung, sicherlich aber kein Beweis dafür, dass mit
Wehrpflicht ein Schutz vor Militärmissbrauch gegeben sei. Weiters wird dadurch
weder mitbedacht, dass die Hauptschuld bei der Regierung Dollfuß gesehen werden
muss und dass anfangs der Polizei und der Gendarmerie der Befehl für den
Angriff gegeben wurde, der von der Heimwehr unterstützt wurde.
Der wiederholte Hinweis auf dieses Ereignis macht die These, dass mit
Wehrpflicht eine Demokratiegefährdung durch das Militärs oder dessen Einsatz
gegen eigene Bevölkerungsteile verhindert werden könnte, nicht richtiger. Eine
Gegenthese zeigt der Blick auf die Wehrpflicht-Landkarte. Beispiel Türkei:
Zweifelsohne ein Land mit einer starken Wehrpflichtkomponente. Zugleich ist die
Türkei jener Staat, wo in jüngster Zeit besonders häufig militärische
Staatsstreiche stattgefunden hatten. Die Wehrpflicht hat wohl nicht dazu
beigetragen, dass in Militärgefängnissen weniger gefoltert worden ist. Amnesty
international und andere Menschenrechtsgruppen haben in den vergangenen
Jahrzehnten bis zum heutigen Tag junge Männer in Schutz genommen, die in der
Türkei Opfer der Wehrpflicht geworden sind. Wer
war in den kurdischen Gebieten im Einsatz? Wehrpflichtige haben nicht
verhindert, dass kurdische Dörfer niedergebrannt worden sind. An den
Vergewaltigungen waren auch Wehrpflichtige beteiligt. Es wäre ein
nationalistischer Chauvinismus, wenn behauptet würde, dass dies eben die Türkei
ist und dass wir ÖsterreicherInnen so anders seien, so etwas nicht täten. Es
liegt nicht an der Nationalität. Es liegt auch in militaristischem Denken – und
in vielen Fällen sind es Berufssoldaten, die gerade wegen ihrer
Professionalität im Umgang mit Gewaltsituationen einen „kühleren Kopf“ bewahren
als In-den- Krieg-Gezwungene.
Nirgendwo lässt sich eine pazifizierende
Wirkung einer Wehrpflichtarmee behaupten. Das Argument, dass durch die
wehrpflichtbedingte Verankerung eines Heeres in einer Bevölkerung weniger
leicht eine Armee missbräuchlich zum Einsatz käme, stimmt einfach nicht mit
Blick auf vergangene oder gegenwärtige Kriegssituationen. Dem Argument, dass
Profi-Soldaten „skrupelloser“ wären als
Wehrpflichtige und Milizionäre, muss mit Blick auf die vielen Kriege in
Geschichte und Gegenwart widersprochen werden. Die „Professionalität“ von
Soldaten zeigt sich vielmehr immer wieder darin, dass sie in kriegerischen
Extremsituationen nicht so leicht einem nationalistischen Blutrausch
unterliegen.
Hartnäckig
hält sich das Argument, die Jugendlichen würden beim Bundesheer (endlich)
wichtige Werte wie Disziplin oder Kameradschaft lernen. Der Grundwehrdienst
würde auch zur Integration beitragen.
Diese Argumente mögen teilweise ihre Berechtigung haben. Zwei
Argumentationslinien sprechen jedoch dagegen. Im Rahmen des Grundwehrdienstes werden auch
andere Werte vermittelt als Disziplin, Pünktlichkeit, Ordnung oder
Kameradschaft. Die Zwangsrekrutierung dient vornehmlich dazu, dass möglichst
viele männliche Bürger auf eine bestimmte Art und Weise der gewaltsamen
Konfliktlösung indoktriniert werden. Als oberstes Ziel wird im Soldatenhandbuch
2011 für die Ausbildung die „Feldverwendungsfähigkeit“ des Rekruten genannt. Das
Tötungstabu muss gebrochen werden, wenn 18-Jährige zu Beginn der
Grundausbildung lernen, auf Pappkameraden zu schießen. Welches
Gesellschaftsmodell steckt weiters hinter einer militärischen „Erziehung“? Nach
wie vor gilt als Leitbild die Unterordnung unter eine Befehlskette. Befehlsverweigerung ist strafbar. Wehrpflichtige werden gezwungen, das Kriegshandwerk zu
erlernen. Dieser Zwang ist mit einer freiheitlichen Gesellschaft nicht
vereinbar.
Zweitens
ist zu bedenken, wo das Erlernen grundlegender Werte und demokratischer
Grundhaltungen wirklich erfolgen soll. Hier sind die primären
Erziehungseinrichtungen das Familienhaus und die Schule oder der Lehrplatz. Aus
einer Genderperspektive gilt es, das Argument der Erziehungsfunktion auf
folgende Weise zu hinterfragen: Sind Frauen prinzipiell weniger „erzogen“, weil
sie nicht durch die Schule des Bundesheeres gegangen sind? Haben Untaugliche
eine schlechtere Erziehung usw. Fakt ist allerdings, dass gerade „sanfte“
Burschen nicht den Weg zum Bundesheer wählen, sondern lieber Zivildienst
leisten. Umgekehrt muss daher gefragt werden: Werden nicht harte
Durchsetzungsstrategien gerade im Grundwehrdienst gefördert?
Gegner
des Darabos-Modells argumentieren, das eine Freiwilligenarmee wesentlich
kostspieliger sei als ein System auf der Basis der Wehrpflicht. Dagegen
sprechen jedoch etliche Argumente.
a)
Es gilt der Beschluss,
Reformen nur so weit vom Gesamtbudget her zu planen, als sie kostenneutral
sind. Laut budgetären Vorgaben dürfte eine Abkehr von der Wehrpflichtarmee
keinesfalls teurer kommen.
b)
Diese Gefahr besteht aus
mehreren Gründen nicht. Erstens werden durch den Wegfall des Wehrpflichtsystems
neue Mittel und auch finanzielle Ressourcen frei, die jetzt durch die
Ausbildung der Grundwehrdiener gebunden
sind.
c)
Aus antimilitaristischer
Sicht gilt vor allem das Argument, dass es besser ist die Aufgaben des Militärs
einzuschränken, statt sie auszuweiten.
d)
0,27% des BNE beträgt
derzeit die Entwicklungshilfe des österreichischen Staates. 0,7% müssten es
sein. Die direkte Entwicklungshilfe beträgt derzeit 90 Millionen Euro und soll
noch bis 2014 auf 60 Millionen gekürzt werden. Sieben Mal mehr, nämlich an die
450 Millionen Euro, kostet den Staat Österreich derzeit das Wehrpflichtsystem
mit Ausbildung, Verpflegung und Entgang von Sozialleistungen.
Angesichts des Hungers in der Welt ist es ein Skandal, dass unvergleichlich
mehr für Rüstung und Militär als für den Kampf gegen Hunger und Krankheiten und
fehlende Bildungsmöglichkeiten ausgegeben wird. Abschaffung des Militärs würde
Phantasien und Geld für wirklich friedensfördernde Investitionen frei machen.
Die oben angeführten Argumente gegen ein Wehrpflichtsystem und damit gegen eine
Wehrpflichtarmee treffen im wesentlichen auch auf eine Berufsarmee zu. Im Kern
ist schon das real existierende Bundesheer eine Profiarmee mit rund 16.000
Berufssoldaten, um das sich wie ein schützender Speckgürtel zunächst die freiwillig
Verlängerten und außen die Wehrpflichtigen angelagert haben. In der
militärischen Hierarchie entscheidend ist der Berufskader. Wenn also die ÖVP
und mit ihr die Wehrpflicht-Zivildienst-Befürworter gegen ein Berufsheer
votieren, dann betrifft dies auch ihren eigenen innersten Kern – womit die ÖVP/FPÖ-Argumentation
in sich unglaubwürdig ist.
Wer die demokratiepolitisch gefährliche Seite einer Berufsarmee anspricht, darf
nicht übersehen, welche Macht auch das heimische Militär in unserer Gesellschaft
hat – und wie es bereits jetzt schon missbräuchlich verwendet werden könnte.
Was wäre beispielsweise, wenn rechtsnationalistische Kräfte wirklich in
Regierungsfunktionen kämen? Ist es nur Zufall, dass die FPÖ an vorderster Front
der Wehrpflichtverteidiger steht? Das Militär ist zunächst und per Verfassung ein
Instrument des Staates. Regierung und Parlament entscheiden über den Einsatz
der Armee. In einem wirklich demokratischen und liberalen Staat muss daher die
Bevölkerung eine Armee nicht fürchten. Das Problem ist jedoch ein Staat, der
repressiv gegen die Bevölkerung oder Bevölkerungsteile ist. In diesem
demokratiepolitischen Grundsatz liegt auch der Schlüssel. Entscheidend ist die
Frage nach den politischen Machtverhältnissen in einem Land und nicht jene des
Wehrsystems.
Wer zu Recht die höchst bedenklichen Einsatzpläne einer Berufsarmee kritisiert
– wie Angriffskriege aus wirtschaftlichen Interessen – muss zugleich
wahrnehmen, dass bereits die gegenwärtige Wehrpflichtarmee auf diese
Angriffsszenarien geschult wird. Solche Einsätze werden allerdings mit einem
Wehrpflichtsystem noch leichter möglich sein, weil dann können die
militärischen Amateure an der Heimatfront tätig sein – vom Objektschutz bis zum
Katastrophenschutz, während die Profis in fernen Ländern kämpfen können.
Als
weiteres Argument gegen ein „Berufsheer“ führen Wehrpflichtbefürworter gerne
an, dass etliche „verkrachte Existenzen“ oder zwielichtige, gewaltbereite
Menschen sich für einen Dienst in der Armee bewerben würden. Dies geschieht mit
dem Unterton: Vernünftige Menschen würden doch nicht zur Armee gehen. Zum einen
ist dies eine Beleidigung gegen die Berufssoldaten, die jetzt schon ihren
soldatischen Dienst leisten. Vor allem aber kann dagegen gehalten werden:
Jederzeit hat eine Armee die Möglichkeit – wie schon jetzt – genaue
psychologische Tests durchzuführen, um herauszufinden, wie geeignet jemand für
einen soldatischen Dienst wirklich ist.
Die Befreiung vom Kriegsdienstzwang wird eine Politik beenden, in der versucht wurde, alle jungen Männer auf gewalttätige Konfliktlösungsmuster festzulegen. Die Wehrpflichtabschaffung kann dazu beitragen, dass in allen Bereichen – privat wie öffentlich – nicht mehr auf die Karte der Gewalt gesetzt wird und gewaltfreie Konfliktstrategien eingeübt werden. Wenn es keine Wehrpflicht mehr gibt, können jene nichtmilitärischen Konzepte und Ideen mehr Platz bekommen, die durch eine Fixierung auf gewaltsame Modelle in den Hintergrund gerückt wurden. Es ist eine Zukunft, in der Männer und Frauen
ausgebildet werden, Kriegsursachen zu beseitigen, und trainiert werden, wie im
„Ernstfall“ ohne Waffengewalt Verteidigung geschehen kann, wie Feinde zu
Freunden werden können, wie Versöhnung geschehen kann. Es ist eine Zukunft mit
einer Fülle an freiwilligen Diensten, die staatlicherseits gefördert und
teilweise finanziert werden – gerade auch um Lücken zu füllen, die durch den
Wegfall der Zivildiener entstehen. Der Verzicht auf militärische Verteidigung
schafft eine Friedensdividende, finanzielle Mittel, die so dringend gebraucht
werden für gewaltfreie Konzepte und für ökologische und soziale Maßnahmen. Die Alternative zur Abschaffung der Wehrpflicht ist weder eine Berufsarmee
mit Freiwilligenkomponenten noch die Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht, sondern die Vision des schrittweisen Umbaus der Wehrpflichtarmee auf nichtmilitärische Aufgabenfelder und die Etablierung eines ausreichend finanzierten Freiwilligensystems. Insofern
könnte der Staat Österreich ein Modell realisieren, das einzigartig auf dieser
Welt wäre und als Modell für eine vollständige Entmilitarisierung dienen
könnte. Kleine Länder wie Österreich haben größere Chancen für die konkrete Vision eines armeefreien und dennoch und gerade deswegen ausreichend gesicherten Landes. Ein armeefreies Land ist kein wehrloses Land, sondern baut seine Sicherheit präventiv auf Konfliktvermeidung und seine Verteidigung auf dem Instrumentarium der gewaltfreien Konflikttransformation, nichtmilitärischer Gewaltintervention und Gewaltabwehr auf. Die Bereitschaft dazu steigt, je weniger auf die vermeintliche und täuschende Sicherheit der militärischen Systeme mit ihrem demokratiefeindlichen Potenzial und ressourcenintensiven Apparat gesetzt wird. Dann werden die Menschen
auch erkennen, wo die wirklichen Gefahren für die Welt und die Gesellschaft
liegen, weil sie nicht mehr den Staub von Panzerkolonnen in den Augen und das
Gedröhne der Kampfjets in den Ohren haben. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht
es jedoch auf demokratischem Wege Änderungen. Die regierende Politik wird erst
zu fundamentalen Änderungen bereit sein, wenn die Pazifisten und Pazifistinnen
in diesem Land eine kritische Masse
erreicht haben.
Die vom
Internationalen Versöhnungsbund Österreichischer Zweig und Arge
Wehrdienstverweigerung gestartete Bürgerinitiative ist für Pazifistinnen und
Kritiker eines militärischen Systems eine wichtige Ergänzung.
Damit wird die Vorstellung für ein Österreich ohne jedes Heer auf öffentliche
Weise hörbar. Freilich löst sie nicht das Dilemma des 20.1.2013, für eines der
Modelle votieren zu müssen, das weniger militärisch aber doch militärisch
orientiert ist.
Am 20. Jänner 2013
haben wir nur die Wahl zwischen „Berufsheer“ (Freiwilligenarmee) / Freiwilligensystem
einerseits oder Wehrpflicht / Bundesheer / Zwangszivildienst andererseits.
Damit wird nochmals mehr suggeriert, es gäbe keine weiteren Möglichkeiten und
das kollektive Denken wird auf diese Wahlmöglichkeiten hin reduziert. Dennoch: In
dieser Situation gilt es, sich für das kleinere Übel zu entscheiden und für die
Abschaffung der Wehrpflicht / Berufsheer-Variante das Kreuzerl zu machen. Diese
Option bedeutet vor allem ein Nein zur Wehrpflicht, in zweiter Linie ist es
aber auch ein Nein zu einem starken Heer mit größerem Berufsheeranteil als im
SPÖ-Modell – das heißt ein Ja zu weniger Militär. Aus parteipolitischer Sicht
ist es ein Nein zu einer drohenden schwarz-blauen Regierung. Nach der
Wehrpflichtabschaffung gilt es um so mehr, die antimilitaristischen und
pazifistischen Möglichkeiten verstärkt einzubringen.