Verantwortung zur nichtmilitärischen
Intervention in Syrien:
Keine Militärintervention in Syrien – Ja zum Kofi-Annan-Plan
Keine Militärintervention in Syrien – Ja zum Kofi-Annan-Plan
„Responsibility to Protect“ (R2P) heißt auf weltpolitischer Ebene jene
Formel, mit der die internationale Gemeinschaft, autorisiert durch einen
Beschluss des UN-Sicherheitsrates, in einem Staat intervenieren könnte, um den
Schutz von Menschen und Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die von massiven
Menschenrechtsverletzungen oder Gewalttaten betroffen sind. Diese Formel wird
mit Blick auf die Lage in Syrien von Politikern und Diplomaten in den
westlichen Staaten immer wieder in Erwägung gezogen – und wären da nicht
Russland und China, die als permanente Sicherheitsratsmitglieder mit einem Veto
eine entsprechende Resolution verhindern können, wäre eine R2P-Resolution zur
Intervention in Syrien wahrscheinlich längst beschlossen worden. Die Art und
Weise, wie vor mehr als einem Jahr die Resolution 1973 zur Errichtung einer
Flugverbotszone gegenüber Libyen von Frankreich, den USA und weiteren Staaten
in der „Koalition der Willigen“ interpretiert worden war und zum massiven Krieg
gegen Gaddafi umfunktioniert wurde, lässt jedoch Vorsicht gegenüber dem
UN-Konzept von R2P aufkommen. Wieder könnte es benützt werden, um diesmal einen
Krieg gegen Bashar al-Assad und seine Armee zu führen.
Die Vereinten Nationen und
der Sicherheitsrat könnten jedoch auch anders: Kofi Annan versucht es mit der
Umsetzung des Friedensplans in Syrien. Unbewaffnete Beobachtermissionen wurden
entsandt und der UN-Sondergesandte bemüht sich, dass alle Konfliktparteien zu
Gesprächen an einem Tisch versammelt werden. So könnten Kampfhandlungen beendet
und Wege zu einem Frieden geöffnet werden. All diese Maßnahmen zählen auch zu
jenem umfassenden Konzept, in dem sich R2P befindet. Internationale
Schutzverantwortung ist so viel mehr als militärische Intervention. Eine
solche, so die Vereinten Nationen in ihren Grundsatztexten, könnte nur als
allerletztes Mittel ergriffen werden, nur wenn es Aussicht auf Erfolg gäbe, nur
wenn eine Verhältnismäßigkeit der Mittel garantiert werden könnte, nur wenn die
Betroffenen vor Ort dies repräsentativ verlangen würden und nur wenn dies vom
Sicherheitsrat als Artikel VII-Maßnahme der UN-Charta beschlossen würde. Mit
Blick auf solche Vorgaben ist es naheliegend, zum Schluss zu kommen, dass weder
gegenwärtig noch zukünftig internationale Militärmaßnahmen gegenüber Syrien
legitimiert werden könnten.
Der bewaffnete Kampf oppositioneller Gruppierungen
trägt Mitschuld an den Massakern und verhindert eine friedliche Lösung. Es
zeigt sich, dass gerade in den Städten und Ortschaften, in denen die militanten
Widerstandsgruppen operieren – wie den Städten Homs, Mazraat und Hous – sich die
meisten Opfer befinden und die größten Menschenrechtsverletzungen geschehen.
Gewaltsam-militärischer Widerstand führt zur Aufschaukelung der Gewalt. Terroristische
Gruppen nützen dies aus, um Chaos zu erzeugen und so den geistigen Boden für
eine militärische Intervention von außen zu bereiten. Daher ist eine der ersten
Forderungen an die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Nachbarstaaten
Syriens, Waffenlieferungen an die bewaffneten Verbände, beispielsweise an die so
genannte „Freie Syrische Armee“, zu unterbinden. Dies könnte durch strenge
Grenzkontrollen gelingen. Gerade das Gegenteil geschieht jedoch. Islamistische
Gruppierungen aus anderen Ländern geben islamistischen Kräften in Syrien
militärische und waffentechnologische Unterstützung, um ihre eigenen Interessen
durchzubringen. Dies passiert insbesondere über die Schabiha-Milizen, die die
Vorherrschaft einer extrem-sunnitischen Richtung im arabischen Raum anstreben
und daher die alawitische Glaubensrichtung bekämpfen. Die US-Regierung könnte
hier beispielsweise Druck auf Saudi-Arabien und andere Golfstaaten wie Katar
ausüben, die in erster Linie den sunnitischen Verbänden in Syrien Zugänge zu
Waffen und Finanzhilfen geben.
Die jüngsten Massaker in syrischen Ortschaften werden
genützt als Vorwand oder Anlass, um eine militärische Intervention durch die „Freunde
Syriens“ zu rechtfertigen. Ähnliches geschah 1999 nach dem Massaker in Racak,
dem die NATO-Intervention in Jugoslawien folgte, sowie dem Massaker in
Ost-Bengasi, das als Anlass zum Krieg gegen Libyen genommen wurde. Längst schon
ist erwiesen, dass auch die Rebellenseite nicht vor grausamen Hinrichtungen
zurückschreckt. So sollen bei dem Massaker in Houla am 25. Mai nicht, wie dies
von den westlichen Medien als Propaganda gegen Assad verwendet wurde,
sunnitische Zivilisten ermordet worden sein, sondern fast ausschließlich
Angehörige von Alawiten, also Gefolgsleuten des Regimes von Assad. Wem dient
es, dass jedes Massaker sofort in die Verantwortung von Assad und seinen
Truppen gelegt wird? Warum geschah das jüngste Massaker gerade am Vorabend des
Tages, an dem im UN-Sicherheitsrat der Annan-Bericht zur Diskussion stand?
Die Bilanz des 10-jährigen Krieges in Afghanistan
zeigt, dass mit Waffengewalt – auch wenn sie mit höchstem Aufwand geschieht –
eine bürgerkriegsähnliche Situation von außen nicht bewältigt werden kann.
Daher gilt es alle nur denkbaren nicht-militärischen und politischen Maßnahmen
zu ergreifen, um das Blutvergießen in Syrien zu stoppen. Das bedeutet
beispielsweise ein deutliches Aufstocken der Beobachtermission (UNSMIS) auf bis
zu 2000 Personen. Diese ist bis jetzt nicht gescheitert, weil sie vom Ansatz her
falsch wäre, sondern weil sie mit zu wenig Aufwand ausgestattet wurde. Die Staaten
dieser Welt hätten genügend Fachkräfte zur Verfügung, um eine solche Aufgabe zu
bewältigen. So könnten wirklich an allen Orten des Landes unabhängige
Beobachter eine Konfliktverminderung erreichen und würden auch zu einer
objektiven Einschätzung der Lage beitragen, was zudem einer oftmals einseitigen
Berichterstattung entgegen laufen würde. Genauso wenig ist der Sechs-Punkte-Plan
von Kofi Annan, der vom UN-Sicherheitsrat in den Resolutionen 2042 und 2043
angenommen worden ist, weder gescheitert noch hinfällig, sondern wurde bislang
von beiden Seiten torpediert. Es gilt daher weiterhin, von allen Seiten eine Umsetzung
dieses Plans zu verlangen, wie dies von UN-Generalsekretär Ban-Ki-Moon oder
Ländern wie Indien, Brasilien und Südafrika gefordert wird. Begrüßenswert ist
auch die Idee einer UN-Syrien-Konferenz.
Mehr als 10.000 Tote in Syrien seit Beginn des
Aufstands vor 15 Monaten, einige Zehntausend Flüchtlinge und Vertriebene: Es
ist bereits viel zu viel Blut geflossen und Zerstörung geschehen. Daher braucht
es mehr Mut und Phantasie seitens der internationalen Gemeinschaft, um dem
Töten und Sterben ein Ende zu bereiten. Militärische Mittel – von welcher Seite
auch immer – sind jedoch stets Öl ins Feuer der Vernichtung. Hunderttausende
Tote und Verletzte der Kriege gegen den Irak und Libyen zeigen: Nie wieder
Krieg!
Dr. Klaus Heidegger,
Arbeitsgruppe Pazifismus und Antimilitarismus von Pax Christi Österreich
(11. Juni 2012)
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