Montag, 11. Juni 2012

Keine Militärintervention in Syrien!


Verantwortung zur nichtmilitärischen Intervention in Syrien:
Keine Militärintervention in Syrien – Ja zum Kofi-Annan-Plan

„Responsibility to Protect“ (R2P) heißt auf weltpolitischer Ebene jene Formel, mit der die internationale Gemeinschaft, autorisiert durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates, in einem Staat intervenieren könnte, um den Schutz von Menschen und Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die von massiven Menschenrechtsverletzungen oder Gewalttaten betroffen sind. Diese Formel wird mit Blick auf die Lage in Syrien von Politikern und Diplomaten in den westlichen Staaten immer wieder in Erwägung gezogen – und wären da nicht Russland und China, die als permanente Sicherheitsratsmitglieder mit einem Veto eine entsprechende Resolution verhindern können, wäre eine R2P-Resolution zur Intervention in Syrien wahrscheinlich längst beschlossen worden. Die Art und Weise, wie vor mehr als einem Jahr die Resolution 1973 zur Errichtung einer Flugverbotszone gegenüber Libyen von Frankreich, den USA und weiteren Staaten in der „Koalition der Willigen“ interpretiert worden war und zum massiven Krieg gegen Gaddafi umfunktioniert wurde, lässt jedoch Vorsicht gegenüber dem UN-Konzept von R2P aufkommen. Wieder könnte es benützt werden, um diesmal einen Krieg gegen Bashar al-Assad und seine Armee zu führen.
            Die Vereinten Nationen und der Sicherheitsrat könnten jedoch auch anders: Kofi Annan versucht es mit der Umsetzung des Friedensplans in Syrien. Unbewaffnete Beobachtermissionen wurden entsandt und der UN-Sondergesandte bemüht sich, dass alle Konfliktparteien zu Gesprächen an einem Tisch versammelt werden. So könnten Kampfhandlungen beendet und Wege zu einem Frieden geöffnet werden. All diese Maßnahmen zählen auch zu jenem umfassenden Konzept, in dem sich R2P befindet. Internationale Schutzverantwortung ist so viel mehr als militärische Intervention. Eine solche, so die Vereinten Nationen in ihren Grundsatztexten, könnte nur als allerletztes Mittel ergriffen werden, nur wenn es Aussicht auf Erfolg gäbe, nur wenn eine Verhältnismäßigkeit der Mittel garantiert werden könnte, nur wenn die Betroffenen vor Ort dies repräsentativ verlangen würden und nur wenn dies vom Sicherheitsrat als Artikel VII-Maßnahme der UN-Charta beschlossen würde. Mit Blick auf solche Vorgaben ist es naheliegend, zum Schluss zu kommen, dass weder gegenwärtig noch zukünftig internationale Militärmaßnahmen gegenüber Syrien legitimiert werden könnten.
Der bewaffnete Kampf oppositioneller Gruppierungen trägt Mitschuld an den Massakern und verhindert eine friedliche Lösung. Es zeigt sich, dass gerade in den Städten und Ortschaften, in denen die militanten Widerstandsgruppen operieren – wie den Städten Homs, Mazraat und Hous – sich die meisten Opfer befinden und die größten Menschenrechtsverletzungen geschehen. Gewaltsam-militärischer Widerstand führt zur Aufschaukelung der Gewalt. Terroristische Gruppen nützen dies aus, um Chaos zu erzeugen und so den geistigen Boden für eine militärische Intervention von außen zu bereiten. Daher ist eine der ersten Forderungen an die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Nachbarstaaten Syriens, Waffenlieferungen an die bewaffneten Verbände, beispielsweise an die so genannte „Freie Syrische Armee“, zu unterbinden. Dies könnte durch strenge Grenzkontrollen gelingen. Gerade das Gegenteil geschieht jedoch. Islamistische Gruppierungen aus anderen Ländern geben islamistischen Kräften in Syrien militärische und waffentechnologische Unterstützung, um ihre eigenen Interessen durchzubringen. Dies passiert insbesondere über die Schabiha-Milizen, die die Vorherrschaft einer extrem-sunnitischen Richtung im arabischen Raum anstreben und daher die alawitische Glaubensrichtung bekämpfen. Die US-Regierung könnte hier beispielsweise Druck auf Saudi-Arabien und andere Golfstaaten wie Katar ausüben, die in erster Linie den sunnitischen Verbänden in Syrien Zugänge zu Waffen und Finanzhilfen geben.
Die jüngsten Massaker in syrischen Ortschaften werden genützt als Vorwand oder Anlass, um eine militärische Intervention durch die „Freunde Syriens“ zu rechtfertigen. Ähnliches geschah 1999 nach dem Massaker in Racak, dem die NATO-Intervention in Jugoslawien folgte, sowie dem Massaker in Ost-Bengasi, das als Anlass zum Krieg gegen Libyen genommen wurde. Längst schon ist erwiesen, dass auch die Rebellenseite nicht vor grausamen Hinrichtungen zurückschreckt. So sollen bei dem Massaker in Houla am 25. Mai nicht, wie dies von den westlichen Medien als Propaganda gegen Assad verwendet wurde, sunnitische Zivilisten ermordet worden sein, sondern fast ausschließlich Angehörige von Alawiten, also Gefolgsleuten des Regimes von Assad. Wem dient es, dass jedes Massaker sofort in die Verantwortung von Assad und seinen Truppen gelegt wird? Warum geschah das jüngste Massaker gerade am Vorabend des Tages, an dem im UN-Sicherheitsrat der Annan-Bericht zur Diskussion stand?
Die Bilanz des 10-jährigen Krieges in Afghanistan zeigt, dass mit Waffengewalt – auch wenn sie mit höchstem Aufwand geschieht – eine bürgerkriegsähnliche Situation von außen nicht bewältigt werden kann. Daher gilt es alle nur denkbaren nicht-militärischen und politischen Maßnahmen zu ergreifen, um das Blutvergießen in Syrien zu stoppen. Das bedeutet beispielsweise ein deutliches Aufstocken der Beobachtermission (UNSMIS) auf bis zu 2000 Personen. Diese ist bis jetzt nicht gescheitert, weil sie vom Ansatz her falsch wäre, sondern weil sie mit zu wenig Aufwand ausgestattet wurde. Die Staaten dieser Welt hätten genügend Fachkräfte zur Verfügung, um eine solche Aufgabe zu bewältigen. So könnten wirklich an allen Orten des Landes unabhängige Beobachter eine Konfliktverminderung erreichen und würden auch zu einer objektiven Einschätzung der Lage beitragen, was zudem einer oftmals einseitigen Berichterstattung entgegen laufen würde. Genauso wenig ist der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan, der vom UN-Sicherheitsrat in den Resolutionen 2042 und 2043 angenommen worden ist, weder gescheitert noch hinfällig, sondern wurde bislang von beiden Seiten torpediert. Es gilt daher weiterhin, von allen Seiten eine Umsetzung dieses Plans zu verlangen, wie dies von UN-Generalsekretär Ban-Ki-Moon oder Ländern wie Indien, Brasilien und Südafrika gefordert wird. Begrüßenswert ist auch die Idee einer UN-Syrien-Konferenz.
Mehr als 10.000 Tote in Syrien seit Beginn des Aufstands vor 15 Monaten, einige Zehntausend Flüchtlinge und Vertriebene: Es ist bereits viel zu viel Blut geflossen und Zerstörung geschehen. Daher braucht es mehr Mut und Phantasie seitens der internationalen Gemeinschaft, um dem Töten und Sterben ein Ende zu bereiten. Militärische Mittel – von welcher Seite auch immer – sind jedoch stets Öl ins Feuer der Vernichtung. Hunderttausende Tote und Verletzte der Kriege gegen den Irak und Libyen zeigen: Nie wieder Krieg!

Dr. Klaus Heidegger,
Arbeitsgruppe Pazifismus und Antimilitarismus von Pax Christi Österreich
(11. Juni 2012)



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