Montag, 28. Mai 2012

Pfingsten als soziale Revolution


Pfingsten als soziale Revolution!

Eine Pfingstpredigt zu den Lesungen des Pfingstfestes

von Klaus Heidegger


Haben Sie genau auf die Lesung und das Evangelium des Pfingstfestes hingehört, auf die zwei unterschiedlichen Darstellungen des Pfingstwunders, wie es vom Evangelisten Johannes überliefert wurde und wie es Lukas in seiner Apostelgeschichte schildert? Die beiden Textstellen sind zwei verschiedene Versionen des Pfingstwunders. Wie ist Ihre Stimmung? Begeistern Sie beide Textabschnitte? Denken Sie sich innerlich „wau!“ oder - in der heutigen Jugendsprache – „das ist cool!“? Werden Sie von den Textstellen berührt? Wecken sie positive Gefühle oder Ärger? Sind sie eine Ermutigung? Oder ist es Ihnen wie uns so oft ergangen: Wir haben einfach beide Stellen über-hört. Die Worte sind vorbeigeplätschert, ohne uns tränken zu können.
Unglaubliches, Unfassbares ist da geschehen, in der Hauptstadt Judäas, in Jerusalem, zur Zeit der Weltherrschaft des Kaisers Tiberius, etwas mehr als 50 Tage, nachdem Jesus von Nazaret als Rebell und Aufrührer auf grausame Weise hingerichtet worden war und seinen Jüngern und Jüngerinnen als Auferstandener begegnet war. Was ist geschehen? Immer noch geschockt von den Ereignissen sitzen die Jünger und Jüngerinnen hinter verschlossenen Türen zusammen. Ja, sie wissen: Jesus ist auferstanden. Jesus ist ihnen auch schon erschienen. Ihre Angst ist damit nicht gewichen. Das Trauma von Jesu Hinrichtung sitzt ihnen tief in den Knochen. Es war ein brutaler, ein feiger Mord, typisch für die römischen Besatzungstruppen, die das Land mit äußerster Gewalt unter Kontrolle hielten. Abertausende sind von den römischen Soldaten gekreuzigt worden; jüdische Mädchen und Frauen sind misshandelt oder als Sklavinnen verkauft worden. Jene, die mit Jesus gezogen sind, sind weiterhin gefährdet. Da hocken nun die Jünger und Jüngerinnen in einem armseligen Haus in Jerusalem zusammen. Wir kennen einige ihrer Namen. Es sind durchwegs Leute der Unterschicht. Da war der Jünger Bartimäus. Als blinden Bettler hatte ihn Jesus in die Nachfolge berufen. Weit unter dem Existenzminimum hatte er gelebt. Oder der Bruder von Jesus, Jakobus, oder die Söhne des Zebedäus, und Petrus und Andreas, ehemals Fischer aus dem Norden des Landes. Und natürlich sind da auch die Frauen, die Galiläerin Maria von Magdala, eine besondere Gefährtin von Jesus, und da sind Maria und Martha aus Betanien, Maria, die Mutter Jesu, und noch viele andere. Sie alle waren ohne Sozialprestige, ohne gesellschaftliches Ansehen, ohne materielle Sicherheiten. Sie kannten die Not in Palästina aus eigener Erfahrung und als Betroffene. Sie wussten von der groben Ungerechtigkeit. Die Botschaft ihres Meisters öffnete ihnen die Augen, um die Ausbeutungsverhältnisse zu durchschauen. Sie träumten als Juden und Jüdinnen zugleich von einem messianischen Gottesreich, in dem - wie es Maria so wunderbar besang - die Herrschenden vom Thron gestürzt, die Habenichtse aber emporgehoben werden. Wer solche Träume und politische Ziele hatte, galt als gefährlich. Jeden Moment mussten die Jünger und Jüngerinnen Jesu damit rechnen, dass sie ebenfalls – wie Jesus – als „Revoluzzer“ und Unruhestifter verurteilt werden konnten. Kein Wunder also, dass sie vorsichtig waren, dass sie sich nicht hinaus wagten. Da aber geschah das Unerwartete. Da ereignete sich Pfingsten, in diese Situation von Verzagtheit und Angst und Furcht hinein. Verzagtheit wird durch Mut ersetzt, Angst durch Zuversicht und Furcht durch Furchtlosigkeit abgelöst. Das ist Pfingsten. Das ist die Gabe des Geistes.
Die Konsequenzen sind unübersehbar. So plötzlich streifen die Jünger und Jüngerinnen ihre Ängste ab. Sie haben ihre Furcht vergessen. Die einfachen Bauern und Bäuerinnen aus Galiläa, die von der Jerusalemer Stadtbevölkerung abschätzig als ungebildet, als dumm, als unzivilisiert betrachtet wurden, kaum würdig für das Wort Gottes, entwickeln plötzlich ein enormes Selbstvertrauen. Weit machen sie nun die Türen auf. Furchtlos treten sie vor die anderen Menschen, die so zahlreich in Jerusalem waren. Diese Männer und Frauen aus der Unterschicht Palästinas wagen den Aufbruch. Stellvertretend für die anderen, so könnten wir jetzt in der Apostelgeschichte weiter lesen, tritt dann Petrus unerschrocken vor die Menge. Er wagt es sogar, sich auf den Propheten Joel zu beziehen und spricht vom Anbruch des messianischen Reiches, das ist nichts weniger als eine soziale und politische Revolution, die die Verhältnisse völlig umgestaltet.
Alles bloß eine Utopie? Eine charismatische Schwärmerei? Sind die Jünger und Jüngerinnen bloß ausgeflippt? Nein, wir müssen nur in der Apostelgeschichte weiter lesen, um die unmittelbaren Auswirkungen von Pfingsten zu begreifen – die handgreiflichen Wirkungen. Der Geist Jesus bewirkt erstens, dass die einzelnen Menschen Mut bekommen, dass sie den Aufbruch, das ist die Nachfolge Jesu, wagen können, dass sie die enorme Zuversicht bekommen, in die Fußstapfen Jesu zu treten.
            Der Geist Jesu bewirkt zweitens, dass sich die Einzelnen in Gemeinschaften zusammentun. Die Begeisterten bleiben nicht allein. Deswegen ist Pfingsten der Geburtstag der Kirche; der Geburtstag der christlichen Gemeinden.
            Der Geist Jesus bestimmt drittens die Art und Weise, wie die ersten Christen und Christinnen ihr Gemeindeleben gestalten: Diese Menschen in den urchristlichen Gemeinden, so schreibt Lukas, waren „ein Herz und eine Seele“. Können wir das von uns heute behaupten? In die Kirche gehen, Christ sein, das war nicht, wie bei uns heute vielmals, eine bloß geistige Sache, ein schönes Wort, ein positives Feeling, nein, das war für die ersten Christen und Christinnen durch und durch handfest. Das hatte praktische materielle Konsequenzen.
Darin liegt das Pfingstwunder, darin liegt die Gabe des Geistes: Die Menschen waren befähigt zur Gütergemeinschaft. Sie hatten alles gemeinsam. Manche sprechen auch von einem Urkommunismus. Und das Wunder dieser ökonomischen Ordnung stellte sich sofort ein: Niemand unter ihnen litt Not, jeder und jede hatte das, was er und sie nötig hatte. Ein sozialpolitisches Pfingstwunder. Pfingsten erweist sich für die ersten Christen und Christinnen als soziale Revolution. Gerade in einer extremen Notsituation, in der die ersten christlichen Gemeinde waren, wiederholte sich das, was Jesus bereits in den Brotwundern zeigte: In Gemeinschaften, die sich am Prinzip des Teilens orientieren, werden die sozialen Spannungen aufgehoben. Das bedeutet, dass es keine mehr gibt, denen die Grundbedürfnisse versagt bleiben. Die Gabe des Geistes ist daher die Fähigkeit, eine Gesellschaft und eine Wirtschaft so zu gestalten, dass niemand mehr Not leidet, dass die zentralen Bedürfnisse aller Menschen erfüllt werden.
Weit sind wir heute vom Pfingstwunder entfernt! Konsolidierungspakete werden auf dem Rücken von ohnehin Armen geschnürt. Reiche wollen Arme hinaus drängen, anstatt den Reichtum zu teilen. Unfassbare Not in der Sahelzone – 15 Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht. Die Liste von Ungerechtigkeiten ist lang. Pfingsten tut not. Es bleibt daher die pfingstliche Bitte: Möge die Geistin wie ein Wirbelwind die zerstörerischen Mechanismen unserer Wirtschaftsordnung verändern; möge die Geistin wie ein sanfter Windhauch uns zum Teilen befähigen. Möge die Geistin uns mit Feuerzungen Mut zu Visionen geben, damit wir unsere Furcht und Angst überwinden können. Möge die Geistin uns zu Geschwistern machen. Amen


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