„Auf zum Schwur Tirolerland, heb zum Himmel
...“ –
Politische Gedanken zum Herz-Jesu-Sonntag
2012
von Klaus Heidegger
Was hat das Herz Jesu mit Politik zu
tun? Oder umgekehrt gefragt: Was hat Politik mit dem Herzen Jesu zu tun?
Das Herz Jesu schlägt für die Politik.
In unserem Land drängt sich ein
historischer Einstieg in die Betrachtung der Herz-Jesu-Verehrung auf.
Franzosenkriege und Herz-Jesu-Verehrung erscheinen als untrennbares Paar. Vor
dem geistigen Auge erscheint Andreas Hofer, der mit dem Schwur auf das Herz
Jesu seine Männer in die Schlachten kommandierte. Seither lässt sich
Herz-Jesu-Verehrung von Schützentum und antiaufklärerischen Politikinhalten
nicht mehr trennen. Aus heutiger Sicht kann Hofer, Speckbacher, Haspinger &
Co ein Missbrauch der Herz-Jesu-Verehrung und des Religiösen für militärisches
Abenteurertum vorgehalten werden. Eine kritische Geschichtsbetrachtung ist in
einem Land notwendig, wo Andreas Hofer quasi zum Volksheiligen erwählt wurde.
Also eine Entpolitisierung der Herz-Jesu-Andacht?
Nein:
Die bewusste und explizite Verbindung von Politik mit religiösen Ideen und
Praktiken ist notwendig. Geschieht diese Verbindung nicht, dann verkommt
Religion allzu leicht zu einem Opium des Volkes, zu einer schöngeistigen Idee
ohne weltgestaltende Kraft. Geschieht diese Verbindung nicht ausdrücklich, dann
können religiös-kirchliche Kräfte zwar beteuern, doch nicht politisch sein zu
wollen, in Wirklichkeit aber durch eine nach außen deklarierte Antipolitik eine
Stütze der herrschenden politischen Verhältnisse darstellen. Religion hat mit
Politik zu tun. Insbesondere sind daher auch religiöse Praktiken politische
Artikulationen und Quellen politischer Schöpfungskraft. Dies gilt genauso für
die Herz-Jesu-Verehrung.
Herz
Jesu als Ausdruck der Menschlichkeit und Leiblichkeit Gottes
Die Wurzeln der Herz-Jesu-Verehrung reichen
in die Ursprünge der Christenheit zurück. Das Herz Jesu war Symbol dafür, dass
Christus wahrer Mensch geworden ist. Ein Gott mit Haut und Haaren. Ein Gott zum
Angreifen. Keine bloße Scheingestalt. Keine pure Idee. Keine blutleere
Abstraktion. Nein, ein Gott mit menschlichen Zügen in der Gestalt des Menschen
Jesus von Nazaret. Besonders der Evangelist Markus schildert dessen zutiefst
menschlich-leiblichen Gefühle: Jesus hatte Hunger und Durst - er war daher ein
Gott, der voll an seinem eigenen Körper die Notlage seiner Landsleute erspüren
musste. Jesus konnte so müde sein, dass er selbst bei schwerem Seegang im Boot
einschlief. Jesus war furchtbar wütend, als er die Händler aus dem Tempel schmiss
und er schwitzte Blut - Ausdruck seiner Angst vor der kommenden Marter. Jesus
weinte, als er das Unglück Jerusalems herankommen sah. Das Herz Jesus fasst all
diese leiblichen Gefühle und Regungen zusammen. Ein theologischer Stehsatz
lautet ungefähr so: Weil Gott ganzer Mensch wird, ist der Mensch in seiner
Ganzheitlichkeit zu Gottes Ebenbild gemacht. Der Mensch mit Leib und Seele ist
wertvoll - und als Zentrum des Leibes gilt das Herz. Wer dies ernst nimmt, ahnt
die Konsequenzen.
Wenn
die körperliche Integrität jedes Menschen geachtet würde, dann müsste es jedem Christenmenschen
weh tun, wenn Flüchtlinge an den EU-Grenzmauern scheitern. Fast zeitgleich mit
dem Herz-Jesu-Fest wird der Internationale Tag des Flüchtlings am 20. Juni
gefeiert. Wenn die ganze Menschlichkeit der Schubhäftlinge geachtet würde, dann
würde Aufruhr in diesem Land entstehen – anders als der Aufruhr zwar unter
Andreas Hofer. Christlichkeit hat sich daher zu materialisieren in materielle
Hilfe, sei es auf der Ebene der Caritas oder auf der Ebene der Sozialpolitik.
Konkret: Ich komme von einer Herz-Jesu-Andacht ohne Umschweife zum Engagement
für sozialpolitische Anliegen. Wenn ein ausländischer Arbeiter sich um wenig
Geld krank rackern muss, wenn besonders Kinder als eine Folge der
unverantwortlichen Zerstörung der Schöpfung sich vor Sonnenstrahlen schützen
müssen, oder gar wenn irgendwo in einem der vielen kriegerischen Konflikte die
Leiber und Herzen geschändet werden, dann blutet auch heute noch das Herz Jesu.
So führt eine recht verstandene Herz-Jesu-Verehrung nicht vom Menschen weg,
sondern zum Menschen hin. Somit gilt: Die Verehrung des Herzens Jesu kann dazu
beitragen, die materielle Seite des Menschlichen ernst und wichtig zu nehmen.
Herz
Jesu als Zeichen unbedingter Liebe
Es ist überflüssig festzuhalten, dass das
Herz DAS Symbol für Liebe ist. Doch geht es nicht um irgendeine Liebe. Sie hat
eine possessive Zuordnung. Es ist die Liebe Jesu, um die es sich dreht. Das
Herz Jesu andächtig verehren heißt dann auch, sich auf die Dimension der Liebe
Jesu einzulassen. Die ist mehr als ein zärtliches Gefühl jenen gegenüber, die
mir sympathisch sind. Sie umfasst auch jene in ganz besonderer Weise, die
eigentlich meine "Feinde" sind, die mir gegenüber negativ gesinnt
sind. Das christliche Reizwort lautet "FEINDESLIEBE". So könnte eine
andächtige Verehrung des Herzens Jesu bewirken, dass ich mich von seiner
Feindesliebe anstecken lasse. Sie ist eine gewaltfreie Liebe, die Eisberge
voller Hass und Entzweiung zum Schmelzen bringen könnte, die Spiralen der
Gewalt jäh unterbrechen und Auswege der Entfeindung anbieten könnte. Mit Blick
auf das Herz Jesu öffnen sich die Geschichten dieses galiläischen
Wanderpredigers. Immer wieder geht Jesus offensiv gerade auf jene zu, die quer
zu den Interessen seines Volkes und der religiösen Tradition leben: Er lässt
sich vom Zöllner Zachäus einladen; er ist bei einem römischen Hauptmann, dem
Kommandanten einer Armee, die mit brutalsten Mitteln das jüdische Volk
unterjochte. Hinter den Rollen und Funktionen sah Jesus aber stets das Herz und
erkannte das sehnsüchtig suchende Herz des Zachäus und den Hauptmann in seinem
Leiden um seine Tochter.
Herz
Jesu als notwendige Zentrierung
Zählt in der vorherrschenden
Leistungsgesellschaft das Herz? Unser Leben ist primär bestimmt von einer
kapitalorientierten Ökonomie, einem Verdrängungswettbewerb. Ideologisch
vordefinierte Schönheit, Stärke, Wissen, Macht, Reichtum, Erfolg sind die
dominierenden Parameter, um soziale Anerkennung zu bekommen. Wer hingegen
herzorientiert statt leistungsorientiert lebt, für den oder die tun sich andere
Dimensionen auf. Da sind wir dann in der Welt der jesuanischen Gleichnisse,
beim barm-HERZ-igen Samariter zum Beispiel, der nicht wie der fromme Priester
und pflichtgetreue Tempeldiener die Not seines Mitmenschen übersah. Da sind wir
in der Welt des barm-HERZ-igen Vaters, der seinem Sohn die Fehltritte nicht
moralisierend vorhält oder bei den Arbeitern im Weinberg, die nicht nach
berechenbarer Leistung entlohnt werden. Eine Herzorientierung öffnet uns vor
allem aber die Welt der Frauen um Jesus: Die Welt einer Mirjam von Magdala, die
um ihren geliebten Herrn weinen konnte und in ihrer übergroßen Verzweiflung den
Auferstandenen erspürte. Wir sind bei Maria von Betanien, die ihr Herz mit
Jesus teilte. Wenn wir nun herzorientiert leben, dann blicken wir zuerst auf
das Herz eines Menschen statt auf seine akademischen Grade und Titel. Das Herz
wird wichtiger als die dicke Brieftasche und der angesehene Beruf. Die
Schönheiten der Behinderten werden mit Blick auf deren Herz erschlossen. Es
geschieht eine Umwertung. Von "Umkehr" sprach der Mann, dessen Herz
wir verehren.
Wer
heute mit Kindern zu tun hat, wer sich auf deren Erfahrungswelt einlässt, der
oder die weiß, was Herzorientierung bedeutet. Kinder werten andere Menschen
primär nach deren Herzensqualität. Ein Kind öffnet sich nicht einem
Erwachsenen, weil diese Person etwa viel weiß, viel besitzt, mit besonderen
Leistungen aufwerten kann. Die HERZ-lichkeit ist das, was in den Begegnungen
von Kindern mit Erwachsenen zählt. Jesus hat daher bewusst ein Kind in die
Mitte gestellt, das Kindsein zum Maß-Stab des Christlichseins genommen.
Das
Herz des biblischen Jesu
Und wie kommen wir zu dieser Achtung des
Menschlich-Leiblichen, dieser Feindesliebe und Herzorientierung. Von
"Imitatio Dei", "Nachahmung Gottes", sprachen christliche
Theologen und Theologinnen. "Nachfolge" nannte es Jesus in der
religiösen Sprache seines Volkes. Wenn ich nun den biblischen Jesus und den
historischen Jesus von Nazaret als Maßstab nehme, dann kann die
Herz-Jesu-Verehrung zu einer befreienden Praxis verhelfen. Sie dient dann nicht
der Konservierung bestehender ungerechter Verhältnisse, sondern revolutioniert
uns zum Aufbruch in das Reich Gottes. Die negative Verquickung von
Herz-Jesu-Verehrung mit der Stützung der
politisch-klerikal-militärisch-wirtschaftlichen Elite von Tirol wird nicht
dadurch durchbrochen, dass wir diesen Kult entpolitisieren. Das Leitbild sollte
hingegen lauten: Re-politisieren wir die Herz-Jesu-Verehrung im Sinne der
befreiungstheologischen Impulse und aus einer vorrangigen Option für die
Verarmten hier und in der Dritten Welt. Wenn uns dies nicht gelingt, dann
vergessen wir lieber auf die Herz-Jesu-Symbolik. Wenn wir sie nicht befreien
können von dem Missbrauch für kriegerische Zwecke, beginnend mit Andreas Hofer
und dem Kriegsjahr 1796, dann überlassen wir das Gebet zur
Herz-Jesu-Bundeserneuerung jenen, die mit einer Politik des Weiter-so nicht
bereit für grundlegende Veränderungen orientiert am Maßstab des Herzens sind.
Herz-Jesu-Verehrung
als Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Gewalt
Herz-Jesu-Bergfeuer brennen zu Beginn des
Herz-Jesu-Sonntags. Ein typisches Bild für Tirol. Zeichen der Verbundenheit mit
Christus sind die Feuer, die da an einem Frühsommerwochenende von Berggipfeln
und Bergkämmen ins Tal zu den Menschen herunter funkeln. 1796 gab es keine
modernen Kommunikationsmittel. Die Feuer waren Signalfeuer für den Landsturm. Mit
Bergfeuern machen heute Umweltschutzgruppen auf die drohende Zerstörung des
Alpenraumes aufmerksam. Warnfeuer. Es sind vor allem die Kinder, die heute
angesichts der Zerstörung der Umwelt kaum mehr verkraftbaren Schädigungen
ausgesetzt sind. Sinnbild unserer Zeit sind Ozonwarnungen zur Sommerzeit und
Hinweise, Kleinkinder zu bestimmten Zeiten an bestimmten Tagen nicht dem
Sonnenlicht auszusetzen. All dies wissend, werden von den Mächtigen im Land
nach wie vor Autobahnspuren dazu gebaut, wird der Verkehrsfluss erleichtert
statt rigoros eingedämmt. Herz-Jesu-Andachten sollten sich heute um diese
Wirklichkeiten nicht herumdrücken. In diesem Sinn soll gelten: Auch Herz-Jesu-Feuer
sind zu Warnfeuer geworden.
Aufruf
zur Herz-Jesu-Bundeserneuerung
Eine "Herz-Jesu-Bundeserneuerung"
tut daher not. Als politisch bewusste Menschen können wir das alte
Herz-Jesu-Gebet sprechen. Wenn wir um den Segen für unsere Familien und unser
Land beten, dann auch darum, dass sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene ohne
provinzielle Repressionen, ohne krankmachende Regelungen und
leistungsorientierte Vorgaben frei entfalten können. Daher brauchen wir
Kindergärten, Schulen und Spielplätze, wo die Bedürfnisse der Kleinen unserer
Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Wenn wir um Stärke zum Guten beten, dann
auch darum, dass wir Kraft zum Widerstand haben gegenüber dem, was uns
kaputtmacht. Die Transitlawine nur als ein Beispiel. Wenn wir um Hilfe zum
Dienst in Gerechtigkeit und Frieden bitten, dann kann schon die Tat beginnen,
zum Beispiel der Einsatz für gewaltfreie Friedensdienste. Wenn, wie es
schließlich im Herz-Jesu-Gebet heißt, unser Land nach dem Willen des Herzens
Jesu gestaltet sein soll, dann wird der ganze Veränderungsbedarf der
politischen Wirklichkeiten greif- und fühlbar. Dann sehen wir auch die
Zigtausenden kleinen und großen Wirklichkeiten, die heute schon, zumindest
ansatzweise, dem Willen Jesu konkrete Gestalt geben. Wer sich dem Herzen Jesu
anvertraut, wird nicht zur Waffen greifen, sondern die Hand zur Versöhnung
reichen. "Darum bitten wir dich um der Liebe deines Herzens willen."
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