Sonntag, 4. März 2012

Syrien - kein zweites Libyen


Syrien darf kein zweites Libyen werden:
Massiver Gewalt und Unterdrückung ohne Gewalt begegnen

Die Situation in Syrien ist wie ein Albtraum. Das Töten von Menschen, Folterungen und massenhaftes Elend nehmen mit jedem Tag zu. Das Regime von Bashar al-Assad will sich mit äußerst brutaler Gewalt an der Macht halten. Die syrische Oppositionsbewegung hat seit einem Jahr versucht, ohne Anwendung von Gewalt für Reformen auf demokratischem Wege einzutreten. Mit Beginn des Jahres 2012 haben paramilitärische Kräfte den Kampf gegen das Assad-Regime und die reguläre syrische Armee aufgenommen. Die „Freie Syrische Armee“ (FSA) verübt Anschläge, nimmt Regierungspersonal unter Feuer und legt in Taliban-Manier Sprengfallen. Diese Gegengewalt führt zu äußerst brutalen Gewaltexzessen auf Seiten der syrischen Armee, wie vor allem der tagelange Beschuss der Stadt Homs zeigt. Die meisten Menschen sterben aufgrund der Kampfhandlungen zwischen der FSA und den syrischen Streitkräften. Hinter dem Syrischen Nationalrat, der von der Türkei aus den gewaltsamen Widerstand der FSA lenkt, stehen die Muslimbrüder. Viele Gruppen im Land wie Kurden, Alawiten, Kopten, säkulare politische Kräfte und städtisches Bürgertum sind jedoch mit dieser Entwicklung nicht einverstanden und haben Angst, wenn es dieser Seite gelingt, die Macht zu übernehmen.
Wer rüstet die bewaffneten Oppositionskräfte aus? Woher bekommen sie militärische und ideelle Unterstützung? Politische Kräfte in Frankreich und den USA haben bereits signalisiert, dass sie bereit sind, wie im Falle Libyens, sich auf die Seite der militärischen Rebellen zu stellen. Je mehr der Bürgerkrieg sich entfacht, desto mehr steigt – ebenfalls wie in Libyen – die Bereitschaft der westlichen Militärmächte zu einer Militärintervention. Es wird berichtet, dass mit Hilfe der NATO Waffen und militärlogistisches Know-how an die Aufständischen geliefert wurde – zynischerweise auch aus Beständen Libyens. Über syrischem Gebiet fliegen US-amerikanische Drohnen. Kriegserprobte libysche Kämpfer und irakische Al-Kaida-Djihadisten wollen den Aufständischen in Syrien zu Hilfe kommen.
Offensichtlich verfolgen die USA und ihre Verbündeten in Syrien und mit der Bewaffnung der Aufständischen ihre geostrategischen Ziele. Wird Assad als Gegner der westlichen Mächte gesehen, weil er die Opposition unterdrückt oder weil er ein Verbündeter des Iran ist? Jedenfalls gilt: Fällt das Assad-Regime, dann fällt zugleich der wichtigste Verbündete des Iran. Dies passt zu den wiederholten Andeutungen, dass die USA zu einem Angriffskrieg gegenüber dem Iran bereit sind. Der Weg nach Teheran führt über Damaskus.
Das Beispiel Libyen zeigt, welcher Preis bei einer Militärintervention zu zahlen wäre. Die bewaffneten Auseinandersetzungen haben in Libyen bis zu 40.000 Menschenleben gefordert. Syrien zählt dreimal so viel Einwohner, entsprechend höher würden die Opferzahlen sein.
Was würde geschehen, wenn die Muslimbrüder, unterstützt von Djihadisten aus Libyen oder dem Irak, die Macht in Syrien ergreifen würden? Die Gefahr von ethnischen Säuberungen wäre gegeben, was vor allem die 10 Prozent Christen in diesem Land treffen würde.
Die Komitees der syrischen Protestbewegung haben stets vor einer Militarisierung des Aufstands gewarnt. So heißt es in einer Stellungnahme des Zusammenschlusses der lokalen Komitees: „Eine Militarisierung der Revolution würde die Unterstützung und Beteiligung an der Revolution durch das Volk minimieren. ... Militarisierung würde die Revolution in eine Arena tragen, wo das Regime einen deutlichen Vorteil hat und die moralische Überlegenheit erodieren, die die Revolution seit ihren Anfängen charakterisiert hat.“ Die internationale Gemeinschaft muss Wege finden, den berechtigten zivilen und gewaltlosen Protest der Bürger und Bürgerinnen Syriens zu unterstützen.
Eine friedliche Lösung in Syrien wäre möglich. Die internationale Gemeinschaft müsste alles daran setzen, dass alle Kontrahenten an einen Verhandlungstisch kommen. Solange westliche Politiker eine Militärintervention nicht ausschließen und damit zu einem bewaffneten Aufstand ermutigen, wird dies erschwert. Eine Friedenslösung kann auch nicht geschehen, wenn Assad isoliert und umgangen wird. Frieden setzt nicht auf Kapitulation der gegnerischen Seite. Jedes Einlenken des Assad-Regimes auf eine Demokratisierung, auf Zugeständnisse zu einer Verfassungsänderung oder auf freie Parlamentswahlen kann als Hoffnungszeichen gesehen werden.
Primär gilt es jetzt, eine internationale humanitäre Hilfe (humanitärer Korridor) – ohne Militärintervention und mit Zustimmung von Damaskus – für die Not leidende Bevölkerung in Syrien zu organisieren. Damit verbunden braucht es unabhängige Beobachtermissionen, die weder mit russischen noch mit westlichen Interessen verknüpft werden könnten. Saudi Arabien mit seiner repressiven Politik und seinen westlichen Interessen sowie der sunnitischen Orientierung ist ein schlechter Vermittler in einem Land, das aufgrund seiner Partnerschaft mit dem Iran eine schiitische Option ergriffen hat. Neben den Vereinten Nationen könnten aber andere Staaten oder anerkannte Staatspersonen eine Vermittlerrolle einnehmen. Hier läge auch eine spezifische Rolle eines kleinen neutralen Landes wie Österreich.
Auf jeden Fall gilt: Gewalt ist keine Antwort, da sie grundlegendste Menschenrechte außer Kraft setzen würde. Kein zweites Libyen in Syrien! Nein zur Bewaffnung der Aufständischen, Nein zu Bürgerkrieg und Militärintervention! Ja zur Unterstützung der gewaltfreien Protestbewegung und zur Demokratisierung Syriens.


Beschluss des Vorstands von Pax Christi Österreich
18.2.2012

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