Sonntag, 23. Dezember 2012
Argumentarium gegen Wehrpflicht
Argumentarium
zur Volksbefragung
über die Wehrpflicht
am 20. Jänner 2013 –
Nein zur Wehrpflicht!
von Klaus Heidegger
Kommission Pazifismus und Antimilitarismus
von Pax Christi Österreich
Zweite überarbeitete Auflage
1 INHALTSVERZEICHNIS
2 Einleitende Zitate zur Wehrpflicht 4
3 Historische Anmerkungen zur Wehrpflicht 7
4 Weder Wehrpflichtheer noch Freiwilligenarmee: Pazifisten und Antimilitaristen in einer Dilemma-Situation 8
5 Sachpolitische Auseinandersetzung oder parteipolitisches Kalkül? 10
6 Bedeutet Berufsheer Aufrüstung ? oder: Wehrpflichtabschaffung kann zur Abrüstung beitragen 12
7 Kritik am SPÖ-Modell „Profi-Heer mit Miliz“ 13
8 System alt oder: Kritik am ÖVP-Modell „Wehrpflicht neu“ – die „Katz im Sack“-Politik der ÖVP 16
9 Ist der Zivildienst ein Erfolgsmodell? oder: bezahlte Fachkräfte statt Zwangsverpflichtete 17
10 Die echte Alternative: Freiwilligendienste und bezahlte Sozialdienste fördern und sichern 19
11 Der Katastrophenschmäh oder: Katastrophendienste neu und besser organisieren 23
12 Sicherheitslage erfordert neue Wege: Wehrpflichtabschaffung aus sicherheitspolitischen Erwägungen 25
13 Militärfreiheit und Neutralität vertragen sich, Kriegsfähigkeit und Neutralität widersprechen sich 28
14 Bedeutet die Berufsarmee Kampfeinsätze im Ausland ? oder: Wehrpflicht ist keine Garantie gegen Kampfeinsätze des österreichischen Militärs im Ausland 29
15 Wehrpflicht schützt nicht vor einem demokratiegefährdenden Missbrauch des Militärs und bedeutet keine Zivilisierung der Gesellschaft 32
16 Die „g‘sunde Watschn“ – Männer kriegen, keine Kinder oder: Wehrpflicht ist keine Schule einer friedlichen Nation 35
17 Die Kostenfrage und die Notwendigkeit der Umverteilung oder: Friedensdividende 38
18 Auch keine Berufsarmee – weder auf Basis des Wehrpflichtsystems noch einer Freiwilligenarmee 39
19 Ohne Wehrpflicht – ein Staat mit neuen Möglichkeiten 41
20 Bürgerinitiative als echte Alternative 42
21 Für das kleinere Übel bei der Volksbefragung = Freiwilligenarmee/Freiwilligensystem 43
2 Einleitende Zitate zur Wehrpflicht
Die Volksbefragung zur Wehrpflicht am 20.1.2013 gibt der Bevölkerung von Österreich eine historische Chance. Noch nie in der Geschichte und in irgendeinem Staat dieser Welt hatte ein Volk direkt die Möglichkeit, sich von einem jahrhundertealten staatlichen Instrument der „Volksbewaffnung“ und der Militarisierung des Denkens und Fühlens zu befreien. Es geht bei dieser Volksbefragung um eine „einen Akt der Ermächtigung des Souveräns, wie er vor zwanzig Jahren noch vollkommen ausgeschlossen gewesen wäre“ .
Der Fokus des folgenden Argumentariums liegt auf einer kritischen Auseinandersetzung mit der Wehrpflicht. Ich beginne daher mit einem Blick auf die Tradition der Wehrpflichtkritik anhand von Leitzitaten.
"Wenn eine Gruppe von Privatpersonen Menschen ihrer Freiheit beraubt und sie zwangsweise an einen bestimmten Ort verbringt, so nennt man diesen Vorgang Verschleppung und diese Gruppe einen Menschenhändlerring. Wenn eine Gruppe von Staatsbeamten Menschen ihrer Freiheit beraubt und sie zwangsweise an einen bestimmten Ort verbringt, so nennt man diesen Vorgang Wehrpflicht und diese Gruppe Militärverwaltung."
Kurt Tucholsky
„Der obligatorische Militärdienst ist seit mehr als einem Jahrhundert die wahre Ursache unzähliger Übel gewesen; seine gleichzeitige und gegenseitige Aufhebung wird das wirkliche Heilmittel sein.“
Papst Benedikt XV., 1917, an den englischen Premier
"Wehrpflicht ist die Fortsetzung der Sklaverei mit anderen Mitteln."
Albert Einstein in Anspielung auf Carl von Clausewitz
"Wer die Wehrpflicht befürwortet, befürwortet die Unterdrückung. Warum? ... Wenn ich die Wehrpflicht befürworte, dann verlange ich nichts anderes, als das Recht, den Andersdenkenden gewaltsam dazu zwingen zu dürfen, entgegen seiner eigenen und sattdessen gemäß meiner Überzeugung zu handeln."
Bertrand Russell
„Die Institution Wehrpflicht bedeutet, dass männliche Staatsbürger zum Soldatensein gezwungen werden können. Im Unterschied zur freiwilligen Verpflichtung, besteht mit der Wehrpflicht ein Zwang, der eine selektive Entrechtung, eine geschlechtsbezogene Diskriminierung und eine Legalisierung von Gewalthandlungen darstellt. Die Wehrpflicht ist mit einem modernen Verständnis von Grund- und Menschenrechten schwerlich vereinbar. Zahlreiche Grundrechte sind eingeschränkt oder werden für die Zeit des Wehrdienstes gänzlich aufgehoben. Dazu gehören: Das Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Petitions- und Beschwerderecht, das Recht auf Freiheit der Person, Freizügigkeit und Berufsfreiheit und – ganz elementar – das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“
Willi Walter
„Auf der Landkarte der Menschenrechte befindet sich ein großer weißer Fleck: Er steht für eine Menschengruppe, der die angeblich allen Menschen zukommenden Rechte aberkannt sind – Menschen denen nicht einmal das Recht auf Leben zugebilligt wird. Welche Gruppe ist das? Sind es Kurden in der Türkei oder Schwarze in den Vereinigten Staaten, die Weißen in Zimbabwe oder Frauen im Islam? Nein. Hier geht es nicht um Menschen, deren ewigen angeborenen Rechte faktisch mit Füßen getreten werden. Um Menschen geht es, die gar nicht erst in die universalistische Ideenwelt aufgenommen wurden, Menschen, denen die ewigen, angeborenen Rechte in aller Form entzogen sind: um die Outlaws der Menschenrechte. Nicht durch Hautfarbe, Nation, Religion, Stand oder Stamm sind sie gekennzeichnet, sondern durch Geschlecht und Altersgruppe: Es sind die jungen Männer. Sowie sie der mütterlichen Versorgung entwachsen sind, dürfen sie – ohne dass die universalen Menschenrechte auch nur zitterten – von Staaten gewaltsam ergriffen, unter Waffen gezwungen und dem Töten und Getötetwerden ausgeliefert werden.“
Sybille Tönnies
„Die Wehrpflicht ist ein Zwang zum Erlernen des Kriegshandwerkes, den wir zukünftigen Generationen ersparen möchten. Niemand soll sich unfreiwillig solch undemokratischen Strukturen, wie die der Armee, unterwerfen müssen. Niemand soll lernen, blind zu gehorchen, ohne selber zu denken. Niemand soll mit einer Waffe hantieren, um damit im Ernstfall auf Menschen zu schiessen.“
Gruppe Schweiz ohne Armee, September 2012
„Werden junge Männer verpflichtet, das Kriegshandwerk zu lernen, oder nicht?“
Renate Partei, AK-Rätin aus Niederösterreich
„Seit ich denken kann, halte ich die allgemeine Wehrpflicht für eine getarnte Fortsetzung der Sklaverei, fürchte aber, in Österreich werden noch Jahrzehnte vergehen, bis diese einem freien Menschen unwürdige Institution auch hier abgeschafft wird.“
Gerald Krieghofer, Philosoph, Wien
Die Volksbefragung zur Wehrpflicht am 20. Jänner 2013 fordert dazu heraus, über die Sinnhaftigkeit von Zwangsdiensten und Militär nachzudenken und Alternativen einer friedens- und sicherheitspolitischen Zukunft Österreichs zu entwerfen. Bewusst lenkt dieses Argumentationspapier die Frage auf die Wehrpflicht. Von dieser Perspektive ausgehend werden die Volksbefragung und die damit verbundenen militärischen Optionen beurteilt, wobei ich in einem dialektischen Stil den Thesen der Wehrpflichtbefürworter entsprechende Antithesen gegenüber stellen werde.
3 Historische Anmerkungen zur Zwangsrekrutierung
Am 20. Jänner 2013 könnte in Österreich die Zwangsrekrutierung abgeschafft werden. Es wäre tatsächlich treffender, von „Zwang“ und nicht von einer „Pflicht“ zu sprechen. Mit dem Begriff „Pflicht“ wird verschleiert, dass es sich um „Zwang“ handelt. Nur unter diesem Vorbehalt verwende ich in diesem Argumentarium den Begriff „Wehrpflicht“.
Die Geschichte der Wehrpflicht ist nicht rühmlich. Schon Napoleon konnte auf dieser Basis Angriffskriege führen. Im 20. Jahrhundert gehörte die Wehrpflicht zum Markenzeichen aller totalitären Staaten. Der primäre historische und bleibende Sinn der militärischen Rekrutierung lag und liegt darin, dass ein Staat im Kriegsfall genügend Männer hat, die mit Maschinengewehren und Granaten hantieren können, die Panzer fahren und Lenkwaffen bedienen können. Gegenwärtig herrscht in vielen Ländern mit einem Wehrpflichtsystem Krieg. Syrien ist ein Beispiel. Ohne Wehrpflicht gäbe es nicht diesen grausamen Krieg, hätten Bashar al Assad und sein Regime nicht jene Männer zur Verfügung, die seit Monaten die Befehle des Regimes befolgen müssen. Auf beiden Seiten kämpfen Männer als Milizionäre, die das Morden in der verpflichtenden Grundausbildung gelernt hatten. Ohne Wehrpflicht hätte auch das Hitlerregime nicht jene Verwüstung über den Globus gebracht, an dessen Ende 80 Millionen Kriegstote, die Shoah und unglaubliche Verwüstungen waren. Besonders Österreich hat in den beiden Weltkriegen die furchtbarsten Erfahrungen mit der allgemeinen Wehrpflicht gemacht.
Die Zwangsrekrutierung hat dazu geführt, dass bis zum heutigen Tag in vielen Staaten dieser Welt Tausende Menschen verurteilt wurden, in Gefängnisse kamen oder mit Todesstrafe belegt wurden. Kriegsdienstverpflichtete Männer wie Franz Jägerstätter wurden als „Wehrkraftzersetzer“ hingerichtet. Zur Zeit der Nazi-Herrschaft wurden mehr als 30.000 Wehrdienstverweigerer verurteilt, 20.000 Todesurteile wurden vollstreckt. Auf Desertion bzw. „Fahnenflucht“ kann im Kriegsfall in einigen Staaten dieser Welt sogar die Todesstrafe verhängt werden. In der Türkei oder in Israel werden Kriegsdienstverweigerer weiterhin strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich diskriminiert. Über diese menschenrechtswidrigen Aspekte der Wehrpflicht und den Zusammenhang von Wehrpflicht und Krieg sowie Wehrpflicht und Militarisierung muss zunächst im Zusammenhang der Volksbefragung diskutiert werden.
Was Wehrpflicht bedeutet, versinnbildlicht folgende Anekdote aus meinem Lehrerdasein: Auf die Frage, was denn auf Englisch „Wehrpflicht“ heiße, kommt die Antwort eines Schülers, der einschlägige Erfahrungen mit einschlägigen Computerspielen hat: „Call of Duty“. Die Antwort ist zwar falsch, enthält aber doch zugleich eine richtige Grunderfahrung. Wehrpflicht bedeutet in Analogie zu den Ego-Shooter-Spielen in erster Linie die zunächst automatische Zuteilung der männlichen Jugend für gewaltsam-militärische Konfliktlösung. Wird der 20. Jänner ein Remake für ein Call of Duty 5 werden?
4 Weder Wehrpflichtheer noch Freiwilligenarmee: Pazifisten und Antimilitaristen in einer Dilemma-Situation
ÖVP und SPÖ bieten mit der Formulierung des Textes der Volksbefragung nur eine beschränkte Wahlmöglichkeit. Der Text für das Plebiszit am 20. 1. 2013, auf den sich Norbert Darabos und Johanna Mikl-Leitner Ende Sommer 2012 geeinigt hatten, lautet:
„Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?
oder
Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?“
Bewusst wird in dieser Fragestellung eine dritte Alternative, für die friedensbewegte Menschen eintreten, ausgeklammert. Was ist mit jenen Menschen und Organisationen, die weder das herkömmliche System der Kriegsdienstpflicht noch eine Profiarmee wollen? Die nun vorliegende Diktion für die Volksbefragung gibt ihnen nicht die Möglichkeit zur gewaltfreien Alternative. Gewaltfreie Optionen werden ausgeblendet. Eine Frage darf scheinbar nicht gestellt werden: Braucht ein wehrpflichtfreies Österreich überhaupt eine professionelle Armee mit Milizelementen?
Bei der Option 1, die von Verteidigungsminister Norbert Darabos und der SPÖ-Führung vertreten wird, wird explizit nur gefragt, ob man für die Einführung eines Berufsheeres ist. Ausdrücklich fehlt der Hinweis auf die Wehrpflicht. Implizit ist jedoch in doppelter Weise klar, dass mit der Entscheidung für Option 1 auch ein Nein zur Wehrpflicht verknüpft ist. Zur Verunsicherung trägt weiters bei, dass in dieser Option von der „Einführung eines Berufsheeres“ gesprochen wird. Tatsächlich aber müsste man genauer von einer „Freiwilligenarmee“ sprechen, da beispielsweise weiterhin der Milizanteil einen hohen Stellenwert im BMLV/Darabos-Modell haben soll.
Beide Optionen beinhalten – zwar in unterschiedlichem Ausmaß – folgende sicherheitspolitischen Parameter, die aus pazifistischer oder antimilitaristischer Sicht abzulehnen sind:
• Orientierung der außenpolitischen Sicherheit auf militärische Konzepte,
• inklusive der Fähigkeiten zu Interventionseinsätzen im Rahmen von Battle Groups,
• und dadurch Gefährdung der österreichischen Neutralität.
Eigentlich sollten zuerst die sicherheitspolitischen Bedrohungsbilder klar gemacht werden, bevor nach einem passenden Instrument dafür gesucht wird. Primär ist im herrschenden Diskurs jedoch nicht die Frage, welche Art von Militär Österreich hat oder ob es wirklich eines braucht. In der Frage eines künftigen Heeres und einer passenden Heeresstruktur sind sich, abgesehen von den Größenverhältnissen, beide Konzepte sehr ähnlich. Die SPÖ-Variante könnte ohnehin besser als Freiwilligenarmee bezeichnet werden, die ÖVP-Variante sieht andererseits mehr Berufssoldaten vor als das SPÖ-Modell.
5 Sachpolitische Auseinandersetzung oder parteipolitisches Kalkül?
Der Verdacht drängt sich auf, dass das Instrument der Volksbefragung von den beiden Koalitionsparteien als parteipolitische Abstimmung benützt wird und wahltaktische Überlegungen die sicherheitspolitischen Sachfragen überlagern. ÖVP und FPÖ üben für eine künftige Koalition. Auch in dieser Frage haben sie einen Konsens und eine gemeinsame wahltaktische Plattform gegen die SPÖ gefunden. Aus dieser Perspektive kann die Option für das SPÖ-Modell am 20.1.2013 auch ein Signal gegen Schwarz-Blau sein.
Die tatsächlichen Unterschiede bzgl. der Größe eines künftigen Heeres ergeben ein widersprüchliches Bild: Die ÖVP bringt zwar vehement Argumente gegen eine starke Profiarmee in die Diskussion, verunglimpft Berufssoldaten in ihrer Kampagne als „Söldner“, zugleich sehen ihre Pläne mehr Berufssoldaten (16.000) vor als die Darabos-Modelle (8.500). Gleichzeitig warnt die ÖVP vor den hohen Kosten einer Berufsarmee, zugleich aber sind in ihrem Modell die Kosten höher (2,1 Mrd.) als bei dem Berufsheer-Modell der SPÖ (1,9 Mrd.). Würden man also die beiden Warnungen der ÖVP und der Wehrpflicht-Befürworter vor einer zu starken Professionalisierung einerseits – wie er plakativ mit dem Spruch „wir brauchen keine Söldner“ ausgedrückt wird – und höheren Kosten andererseits ernst nehmen, müsste man für das weniger Berufssoldaten intensive und günstigere SPÖ-Modell votieren.
Geht es der ÖVP aber wirklich um die Sicherheit Österreichs oder nicht viel mehr um Stimmungen, die mit dem Eintreten für eine vermeintliche militärische Sicherheit und das bestehende Bundesheer gemacht werden? Dazu passen Bilder: Der VP-Obmann mediengerecht im Gespräch mit Rekruten in Kampfuniform und bei einer Übungsannahme, wo Gebirgsjäger die Erstürmung eines Gebäudes durchführen. Das findet der Vizekanzler „cool“. Vor allem aber wird – bis hin zur Textierung des Volksbefragungstextes – der Zivildienst populistisch instrumentalisiert. Organisationen und schwarze Parteienvertreter, für die Zivildiener früher „Drückeberger“ waren, treten nun für den Erhalt des Zivildienstes ein, um so die Wehrpflicht zu retten.
Auf der anderen Seite sind auch Aussagen aus dem Bereich der SPÖ in sich widersprüchlich. So sieht das Darabos-Modell weniger Berufssoldaten vor, während das Personenkomitee zur Abschaffung der Wehrpflicht mit dem Slogan wirbt: „Wir brauchen mehr Profis!“
Die Grünen haben gerade aufgrund ihrer Ablehnung eines starken Berufsheeres sich nicht sofort leicht getan, trotzdem für eine Abschaffung der Wehrpflicht aufzurufen. Je näher die Abstimmung kam, desto mehr erklärten aber VertreterInnen der Grünen, für die Abschaffung der Wehrpflicht zu stimmen. So beispielsweise sagte Klubobfrau Eva Glawischnig: „Ich bin sehr dafür aufzurufen, hinzugehen und für die Abschaffung der Wehrpflicht zu stimmen.“
Die Verantwortlichen der beiden Regierungsparteien haben zugesichert, dass das Ergebnis der Volksbefragung „bindend“ sein soll. Würde es allerdings zu einer Abschaffung der Wehrpflicht kommen, dann wäre dies nur mit entsprechenden Gesetzesänderungen möglich, die im Parlament mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu beschließen wären. Angesichts der Positionierung von ÖVP/FPÖ wäre ein solcher Beschluss höchst unwahrscheinlich. Der Ausweg bestünde in diesem Fall nicht in einer gesetzlichen Abschaffung der Wehrpflicht, sondern im „Aussetzen“. Laut Plänen von BMLV-Darabos könnte ein Aussetzen der Wehrpflicht mit Jänner 2014 beginnen.
6 Bedeutet Berufsheer Aufrüstung ? oder: Wehrpflichtabschaffung kann zur Abrüstung beitragen
Wehrpflichtbefürworter argumentieren, dass der Umstieg auf eine Berufsarmee eine Erhöhung des Wehretats nach sich zöge. Mit Blick auf Fakten lässt sich diese Argumentation leicht widerlegen.
Erstens: In den NATO-Ländern Frankreich, Spanien, Belgien und den Niederlanden sank seit dem Aussetzen der Wehrpflicht der Verteidigungsetat und wurden zugleich die Streitkräfte deutlich reduziert. So haben die Niederlande seit 1990 ihre Streitkräfte fast halbiert: von 104.000 Soldaten und einer Wehrpflichtrate von 45 Prozent im Jahr 1990 auf eine Sollgröße von 50.500 Soldaten im Jahr 2008. Damit verbunden war eine Halbierung des Anteils an Berufssoldaten und eine Verdoppelung des Bedarfs an Zeitsoldaten. Ähnliche Entwicklungen sind in Frankreich, Belgien und Spanien zu verzeichnen.
Zweitens: Verbunden mit der Umstellung auf eine Berufs/Freiwilligenarmee ist auch eine Reduktion der Aufgabengebiete. Der überwiegende Aufgabenbereich des Bundesheeres liegt derzeit in der Ausbildung der wehrpflichtigen Rekruten. Auch in vielen anderen Bereichen – wie dem Katastrophenschutz – könnten und sollten Aufgaben aus dem militärischen Bereich in zivile Bereiche verlegt werden. Damit könnte Österreich mit einem weitaus kleineren militärischen Apparat auskommen.
Drittens: Eine Wehrpflichtarmee kann aufgrund ihrer Beschaffenheit nur sehr begrenzt reduziert werden. Sie wird immer einen großen Ausbildungs- und Systemerhaltungsapparat benötigen.
Viertens: Die Budgetvorgaben und damit die finanziellen Möglichkeiten werden von Regierung und Parlament beschlossen. So sind auch schon – unabhängig von der Wehrform – bis 2016 die budgetären Rahmenbedingungen beschlossen worden und könnten auch in einer geänderten Wehrform nicht überschritten werden.
7 Kritik am SPÖ-Modell „Profi-Heer mit Miliz“
Das Bundesheer-Modell des Verteidigungsministeriums sieht, beginnend mit dem Jahr 2014, in einem 10-jährigen Umbauprozess vor, dass der Grundwehrdienst abgeschafft wird und das Bundesheer in eine Berufs- bzw. Freiwilligenarmee umgebaut wird. Dabei werden folgende Zahlen genannt: 8500 Berufssoldaten, 7000 Zeitsoldaten (Verpflichtung für 3, 6 oder 9 Jahre), 9300 Profi-Milizsoldaten (Prämie von 5000 Euro für ca 14 Tage im Jahr), 6500 Zivilbedienstete und 23500 beorderte Milizsoldaten.
Dies ergibt eine Gesamtmobilisierungsstärke von 55.000 Mann. Darabos argumentiert, dass 13.500 Personen in einem Katastrophenfall jederzeit innerhalb von 5 Tagen aufgeboten werden könnten. In diesem Kontingent sollen 1100 für Auslandseinsätze bereit stehen.
Im Unterschied zur ÖVP legte Darabos bereits Monate vor der Volksbefragung sein Konzept einer Freiwilligenarmee vor. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist aus pazifistischer Sicht der größte Mehrwert im Konzept, auf das sich die SPÖ geeinigt hat und das zur Entscheidung vorliegt. In diesem Punkt verdient es Unterstützung. Zugleich ist der Text der Volksbefragung so gehalten, dass im SPÖ-Modell bewusst auf einen direkten Hinweis auf die Wehrpflicht verzichtet wird. Dies dürfte propagandistisch motiviert sein: Gegen etwas zu sein, bringt aus dem massenpsychologischen Blickwinkel nicht unbedingt Stimmen. Wer vorgibt, für etwas zu sein, schafft sich mehr Sympathien. Hätte die SPÖ nur auf der Frage bestanden, wer gegen die Wehrpflicht ist, dann wäre diese Initiative von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen. Mit der Frage, ob jemand für das Berufsheer und ein Freiwilligensystem ist, schafft sich die SPÖ automatisch mehr Wohlwollen in der breiten Bevölkerung.
Die eindeutige Schwäche des SPÖ-Konzeptes ist und bleibt, dass die SPÖ weiterhin für Sicherheits- und Katastrophenaufgaben auf militärische Mittel setzen möchte. Positiv ist das zumindest verbale Festhalten an der österreichischen Neutralität, wobei diese gerade durch die bloße Existenz eines Heeres permanent gefährdet oder verletzt wird.
Negativ ist die kritiklose Erwähnung, auch für kommende Auslandseinsätze besser = professioneller gerüstet zu sein. Dabei wird in der Diktion der SPÖ auf den Begriff „Battle Groups“ verzichtet. Man will allerdings genauso wie im bisherigen Wehrpflichtsystem mit 1.100 Mann dafür gerade stehen. Es wäre jedoch Aufgabe von Parlament und Regierung letztlich zu entscheiden, wo und wie die Auslandskräfte des Bundesheeres einzusetzen sind. Österreich könnte wie bisher seine vorrangige Option bei friedenssichernden Missionen der Vereinten Nationen haben. Damit ist im SPÖ-Modell nicht automatisch die Bereitschaft gegeben, an Battle Group-Aktionen mitzumachen.
Mit dem Begriff „Profi-Miliz“ argumentiert die SPÖ, dass eine Einbindung des Heeres in die Bevölkerung gegeben sei. Außerdem wird die Profi-Miliz nicht für Auslandseinsätze vorgesehen. Dabei ist interessant, dass die Profi-Miliz mit 9.300 Soldaten höher ist als die geplante Zahl von Berufssoldaten. Damit wiederum ist der Milizgedanke im SPÖ-Modell prozentuell stärker als im ÖVP-Modell. Die Profi-Miliz ist im SP-Modell auch für den Katastrophenschutz vorgesehen. In diesem Bereich wurden unter Darabos bereits Vorarbeiten durch das Aufstellen einer „Versuchsmiliz“ gestartet.
8 System alt oder: Kritik am ÖVP-Modell „Wehrpflicht neu“ – die „Katz im Sack“-Politik der ÖVP
Die ÖVP/FPÖ und Wehrpflichtbefürworter, vor allem auch solche aus dem Bereich des Bundesheeres, wollen am bestehenden System festhalten: Wehrpflicht und Zivildienst sollen bleiben. Das heutige Bundesheer wird als Ausgangspunkt genommen. Dies bedeutet in Zahlen: 14.300 Berufs- und Zeitsoldaten, 8.400 Zivilbedienstete, 21.000 Milizsoldaten und 11.000 Grundwehrdiener aus jährlich 22.000 einzuberufenden jungen Männern.
Zusammen ergibt dies eine Gesamtmobilisierungsstärke von 55.000 Personen. Aufgrund der schwachen Geburtenjahrgänge wird allerdings die Zahl der Grundwehrdiener zurück gehen. Daher sollen verstärkt Zeitsoldaten gewonnen werden. Damit nähert sich auch das Wehrpflicht-Modell dem Proficharakter des Darabos-Modells an.
Mit werbepsychologisch geschickten Begriffen will die ÖVP ihr Bundesheer-Modell „verkaufen“. „Wehrpflicht neu“ – das klingt wie „Omo neu“, klingt gut, weil suggeriert wird, neu sei eben besser als alt. Vielleicht ist nur die Aufschrift auf der Verpackung neu, der Inhalt im wesentlichen aber gleich. Tatsächlich müsste genauer mit Blick auf die ÖVP-Position gesagt werden: „System alt“, „Wehrpflicht-alt“ bleibt, „Bundesheer-alt“ bleibt, eben alt. Und mit „alt“ kann nicht geworben werden.
Ebenso positiv will der Begriff „Österreich-Dienst“ klingen. Wer will schon nicht dagegen sein, dass junge Männer ihren Dienst für Österreich leisten. Fast alle, die abstimmen, wird es ohnehin nicht betreffen. Alle über 19 verordnen eben jenen, die noch künftig wehrpflichtig sind, einen Dienst – selbst muss man es ja nicht tun oder hat es getan, und es ist doch dann nur gerecht, wenn’s die anderen auch tun müssen. Ausgleichende Gerechtigkeit (?).
Mit ebenso positiven Argumenten wird nun geworben: Vor allem bräuchte man Grundwehrdiener für den Katastrophenschutz. Dabei kamen Grundwehrdiener kaum für solche Einsätze auf. Und was, wenn eine Krise wie damals in Jugoslawien sei?, fragt Landeshauptmann Platter schicksalsschwer nach. Der Tiroler Landeshauptmann lässt keine Gelegenheit aus, um für die Wehrpflicht mit dem Katastrophenargument zu werben.
Das nach Darstellung der ÖVP noch unfertige Konzept eines "Österreichdienstes" sieht für die Wehrpflicht in Zukunft drei Säulen vor: jeweils fünf Monate Wehrdienst oder Katastrophendienst plus einen Monat Milizübungen, sowie einen Zivildienst mit der Dauer von neun Monaten. Auch der Katastrophendienst bliebe damit im Bereich des Militärischen. So würde in den ersten 7 Wochen eine gemeinsame Ausbildung stattfinden. In den folgenden zwei Jahren müsste bis zu einem Monat Milizübungen besucht werden – vorzugsweise an Wochenenden. Durchschnittlich würde dies rund 6000 Präsenz- und Katastrophendiener geben, das heißt rund 3000 für jede Seite. Die Katastrophenhilfssoldaten hätten eine rund dreimonatige Ausbildung und Einsatzkapazität.
Allerdings wurde dieses Modell vor der Volksbefragung von der ÖVP kaum mehr in Spiel gebracht. Die vorherrschende Sprachregelung lautete: Die ÖVP werde erst nach der Volksbefragung ihr Modell präsentieren. Damit spielt die ÖVP letztlich mit der Bevölkerung „Katz im Sack“.
9 Ist der Zivildienst ein Erfolgsmodell? oder: bezahlte Fachkräfte statt Zwangsverpflichtete
Die Befürworter einer Fortführung des Zivildienstes lassen sich unterteilen in drei Argumentationstypen.
Erstens jene, für die der Zivildienst eine gesellschaftlich unverzichtbare Einrichtung geworden ist. Weil man diese Dienste nicht gefährden möchte, will man auch an der Wehrpflicht festhalten. Auf dieser Linie argumentieren beispielsweise Vertreter der Kirche. So meinte Bischof Manfred Scheuer, es sei in keiner Weise beantwortet, „wie es etwa mit sozialen Diensten weitergehe, die von Zivildienern getragen werden. Und das ist schon ein großes Risiko.“ Indirekt könnte daraus ein Festhalten am Zivildienst heraus gelesen werden, selbst wenn Bischof Scheuer kein Ja oder Nein auf die direkte Frage stellte, wie er zur Abschaffung der Wehrpflicht stehe. Die diplomatische Anwort des Pax-Christi-Bischofs lautete: „Ich werde mich jetzt weder mit Ja noch mit Nein äußern. In politischen Fragengibt es einen legitimen kirchlichen Pluralismus.“
Aus drei unterschiedlichen Motiven halten manche an der Institution Zivildienst und damit an der Wehrpflicht fest.Option 2 bedeutet die Fortführung des Zivildienstes. Damit wird von den Wehrpflichtbefürwortern bewusst geworben, da der Zivildienst in der breiten Bevölkerung inzwischen ein positives Image hat. Der Zivildienst wird instrumentalisiert, um die Wehrpflicht zu erhalten. Dieser Verdacht drängt sich vor allem deswegen auf, weil gerade von jener Seite nun Zivildiener hochgelobt werden, die jene ehemals noch als „Drückeberger“ gescholten hatten.
Im Kontext der Wehrpflicht ist der Zivildienst als Ersatzdienst konstruiert. Als „Normalzustand“ wird aus rechtlicher Perspektive der Wehrdienst gesehen, wogegen Zivildienst als „Ersatz“ bzw. „Ausnahme“ gilt, woraus folgt: Wehrpflichtige sollen von einem Zivildienst abspenstig gemacht werden. Die Schikane besteht gegenwärtig darin, dass Zivildiener eine 50% längere Dienstdauer haben als Grundwehrdiener.
Rund ein Drittel der österreichischen Wehrpflichtigen leistete mit Herbst 2012 den neunmonatigen Zivildienst als Wehrersatzdienst. Das bedeutet, dass rund 9600 Zivildiener im Einsatz sind – auf das Jahr verteilt sind es rund 13.500. Die Hälfte davon ist bei Rettungsorganisationen eingesetzt. Um diesen Dienst zu erhalten, befürworten viele – insbesondere Rettungsorganisationen – die Fortsetzung des Wehrpflichtsystems, was sich auch in der Fragestellung von ÖVP/FPÖ ausdrücklich findet. Es ist allerdings ein falscher Ansatzpunkt, wenn über die Schiene Zivildienst eine sicherheitspolitische Entscheidung getroffen werden soll. Welche Art von Sicherheitssystem Österreich braucht, kann nicht abhängig sein von der Frage, ob wir einen Zivildienst brauchen oder nicht. Unabhängig von der sicherheitspolitischen Diskussion können wir argumentieren, dass die herkömmliche Form des Zivildienstes nicht notwendig ist für ein funktionierendes Gesundheits- und Sozialsystem in Österreich. Es gibt viele Argumente, die für einen Ersatz des Zivildienstes im Falle des Wegfalls von der Wehrpflicht sprechen.
Viele Befürworter eines Wehrpflicht-Zivildienstmodells sind nicht bereit, für ein ausreichendes Sozialsystem zu sorgen und wollen lieber zwangsverpflichtete 18-Jährige als fair bezahlte und gut ausgebildete Fachkräfte. Dies passt zu einer Entwicklung, in der unbezahlte Praktika und Schnupperlehren enorm zugenommen haben, anstatt klare arbeitsrechtliche Verhältnisse einzufordern. Nicht richtig wäre es, wenn Trägerorganisationen und Zivildiensteinrichtungen die Institution Zivildienst für ihre Eigeninteressen benützen würden.
10 Die echte Alternative: Freiwilligendienste und bezahlte Sozialdienste fördern und sichern
Wehrpflicht ist Zwang. Junge Männer werden vom Staat gezwungen, in einer wichtigen Phase ihres Lebens – dann, wenn es um eine Berufs- bzw. Studienentscheidung geht – ein Jahr auszusetzen. Tatsächlich handelt es sich meist um ein Jahr und nicht um die 6 Monate Grundwehrdienst oder 9 Monate Zivildienst, da ein schräges Einsteigen in ein Studium kaum möglich ist. Wer beispielsweise nach der Matura am 1. 10. einrücken würde, verliert ein ganzes Studienjahr, auch wenn der Grundwehrdienst nur 6 Monate dauert. Noch größere Verzögerungen könnte es beim neunmonatigen Zivildienst ergeben, wenn beispielsweise bei einer Einrichtung der Dienst im März beginnen würde. Wenn Dienste freiwillig gewählt werden, sei es im Rahmen eines bezahlten Sozialjahres, eines Freiwilligendienstes oder einer ehrenamtlichen Tätigkeit, so kann dies entsprechend der Lebens- und Berufsplanung selbst am besten eingeteilt werden.
Ein Großteil von wichtigen und unentbehrlichen Aufgaben, die gegenwärtig von den Zivildienstleistenden erbracht werden, könnten durch ein finanziell und sozial abgesichertes System von Sozialdiensten und Freiwilligendiensten abgedeckt werden. Solche Dienste wären – im Gegensatz zum Zivildienst – weder an ein bestimmtes Geschlecht gebunden noch an eine bestimmte Altersstufe. Für junge Menschen könnten solche Dienste auch eine wichtige Erprobungsphase für eine künftige Berufsentscheidung sein. Negative Begleiterscheinungen, die auch mit dem Zivildienst verknüpft sind, würden entfallen. Dazu zählt beispielsweise die Tatsache, dass in manchen Bereichen Zivildiener als Billigstarbeitskräfte eingesetzt werden, wo es an notwendigen Fachkräften fehlt
Grundsätzlich ist es wichtig, zwischen verschiedenen Arten von Diensten zu unterscheiden, die in einer Phase nach dem Zivildienst angeboten werden und auch teilweise die Tätigkeiten von Zivildienstleistenden ersetzen werden.
a) Freiwilligendienste, die wie bisher beispielsweise im Rahmen des Freiwilligen Sozialjahres geleistet wurden, die sozialrechtlich abgesichert sind und auch kostendeckend für den Freiwilligen geleistet werden, jedoch nicht in Form eines bezahlten Quasi-Dienstverhältnisses. Solche Volontariate, die dem Charakter der Ehrenamtlichkeit entsprechen, sollten gefördert und ausgebaut werden und sind sicherlich gerade in einer Post-Zivildienst-Zeit umso wichtiger. Die Bereitschaft von jungen Menschen für solche Dienste ist jedenfalls gegeben. Die Motivation, um einen solchen Dienst zu leisten, ist nicht Eigennutz oder um etwas zu verdienen, sondern verknüpft mit altruistischen Zielsetzungen. Allerdings werden diese Freiwilligendienste nur einen kleineren Teil der bisherigen Zivildienste ersetzen, sollte dieser abgeschafft bzw. ausgesetzt werden.
b) Bezahlte Sozialdienste, wie sie im Modell des Sozialministeriums ausgearbeitet wurden, werden hauptsächlich die gegenwärtigen Zivildienst-Arbeiten ersetzen. Diese Dienste wären offen für alle Männer und Frauen ab 18 bis zur Pension, würde mit 1.386 Euro brutto Pauschale 14x kollektivvertraglich entlohnt werden. Pro Jahr sollen 8000 Sozialjahr-Arbeitsplätze geschaffen werden - gegenüber derzeit 9644 Zivildienern (auf Volljahresbeschäftigung hochgerechnet, ansonsten 13.500 Zivildiener). Die Differenz ist also geringfügig. Das Sozialjahr könnte auch z.B. auf die Berufsausbildung angerechnet werden oder für Aufnahmeprüfungen an Unis oder Fachhochschulen sowie beim Einstieg in den öffentlichen Dienst als Bonus verwendet werden. Die Finanzierung solcher Dienste könnte zum großen Teil aus dem gegenwärtigen Etat für den Zivildienst umgeschichtet werden, für den derzeit jährlich 142 Millionen Euro vorgesehen sind. Allerdings müssen laut Hundstorfer zu diesem Betrag noch 66 Millionen Euro hinzugerechnet werden, die durch den Entfall von Steuerleistungen dem Budget entgehen würden. Für das Hundstorfer-Modell wären 211 Millionen Euro aus dem Budget zu zahlen. Laut dieser Rechnung wäre das Sozialjahr-Modell von Hundstorfer also nicht teurer als das alte Zivildienstmodell und würde zudem mehr Effizienz bedeuten. Weiters rechnet Hundstorfer vor, dass diese bezahlten Sozialdienste ohnehin aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge auch unter Wehrpflichtbedingungen teilweise eingeführt werden müssten.
c) Mehr reguläre Arbeitsverhältnisse im Sozial- und Gesundheitsbereich bzw. im Feld der Friedensforschung und der Ausbildung von Friedensfachkräften sind ein dritter Bereich, um Tätigkeiten von Zivildiener zu ersetzen. Ein Teil von Diensten, die gegenwärtig von Zivildienern erledigt werden, könnte durch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im Sozial- und Gesundheitsbereich substituiert werden, was eine Professionalisierung dieser Dienstleistungen bewirken würde zugunsten von jenen Menschen, die dieser Dienste bedürfen. Zwangsdienste wären hingegen auch im Widerspruch zum Grundrecht der Freiheit von Zwangsarbeit.
Das Modell „Bundesfreiwilligendienste“ in Deutschland zeigt, dass sich dort seit Aussetzung der Wehrpflicht wesentlich mehr Menschen zu den neuen Freiwilligendiensten meldeten, als Plätze vorhanden sind. Dies gilt auch für Freiwilligenmeldungen für die Bundeswehr. In Österreich haben zahlreiche Organisationen viele Erfahrungen mit Freiwilligendiensten, die weiter entwickelt und aus den frei werdenden finanziellen Mittel des gegenwärtigen Militär- und Zivildienstetats gut finanziert werden könnten. Dabei ist es allerdings notwendig, dass zwischen Ehrenamt, „echten“ Freiwilligendiensten und bezahlten Sozialdiensten kein Konkurrenzverhältnis entsteht bzw. dass jene Vielzahl an ehrenamtlichen Tätigkeiten nicht durch bezahlte Dienste zurückgedrängt würden.
Von ÖVP-Seite wurde das Hundstorfer-Modell völlig abgelehnt. Es sei ein „Schlag ins Gesicht der Ehrenamtlichen“ , meinte der ÖVP-Generalsekretär. Das Grüne Modell „Freiwilliger Zivildienst“ entspricht in den Grundzügen dem Konzept von Sozialminister Hundstorfer. Von Seiten des Österreichischen Roten Kreuzes wurde befürchtet, dass mit Wegfall des Zivildienstes eine wichtige Rekrutierungsmöglichkeit für künftige Freiwillige wegfallen würde. Dagegen kann aber argumentiert werden, dass genauso Menschen, die das Freiwillige Sozialjahr gemacht hatten, sich für ein weiteres ehrenamtliches Engagement entscheiden könnten.
Gegenüber den SPÖ-Modellen gilt es jedoch festzuhalten: Ein Junktim von Freiwilligendiensten und Berufsarmee muss nicht sein. Im Gegenteil: Freiwilligkeit und beispielsweise Soziales Jahr wären genauso denkbar ohne freiwillige Militärdienste und Berufssoldaten.
Zugleich könnte durch gesetzliche und finanzielle Maßnahmen in vielen Bereichen die Freiwilligendienste – wie Gedenk-, Auslands- oder Friedensdienste – gefördert werden. Die finanziell einfachste Lösung zur Förderung der Freiwilligenarbeit wäre die Schaffung eines erwerbsunabhängigen Grundeinkommens, wie es beispielsweise die Katholische Sozialakademie Österreichs seit vielen Jahren fordert.
11 Der Katastrophenschmäh oder: Katastrophendienste neu und besser organisieren
Wehrpflichtbefürworter argumentieren, man bräuchte ein starkes Heer, um in Katastrophenfällen genügend Männer zu haben. Ohne Wehrpflichtheer, so die Angstmache, würden im Ernstfall – bei Überschwemmungen, Vermurungen, Lawinenunglücken etc. – zu wenig Einsatzkräfte vorhanden sein.
Dagegen gilt:
a) Das Aufgabengebiet Katastrophenschutz zählt nicht zum Kernbereich des Militärischen. Eine Armee ist keine freiwillige Feuerwehr. Katastrophenschutz kann von zivilen Einrichtungen – beispielsweise den Feuerwehren – besser und kostengünstiger organisiert werden. So hat Österreich 340.000 Personen im Feuerwehrverband. Motto: Für das Sandsäcke-Tragen braucht es keine Ausbildung mit der Waffe, für den Hochwasserschutz sind Panzer ungeeignet.
b) Aus demokratiepolitischer Sicht ist es zugleich bedenklich, wenn der Aufgabenbereich Katastrophenschutz ganz zentral zum Aufgabenprofil des Militärs gerechnet wird. Selbst in Österreich ist laut herrschendem Recht das Militär für Katastrophenhilfe lediglich auf Antrag des Innenministeriums bzw. des Bundeskanzleramtes für Assistenzleistungen berechtigt. Insofern wäre es sinnvoller, den Bereich Katastrophenschutz ganz im Innenministerium und/oder Bundeskanzleramt anzusiedeln und ihm dafür entsprechende Mittel und Infrastruktur – aus den Mitteln des Militärs – zur Verfügung zu stellen.
c) Ein Blick zurück entlarvt die Propaganda, man bräuchte unbedingt ein Heer für Katastrophenfälle: Die Zahlen, die das Verteidigungsressort zu den vergangenen fünf Jahren vorgelegt hat, relativieren jedenfalls Befürchtungen dieser Art. Demnach waren in diesem Zeitraum nämlich nur 1400 Grundwehrdiener tatsächlich in einem Katastropheneinsatz, was etwa 6,3 Prozent entspricht. Oder anders ausgedrückt: 93,7 Prozent der Rekruten bekamen während ihres Wehrdienstes keine Katastrophe aus der Nähe zu sehen. In 90% der Fälle rückt in Österreich – obwohl es eine Wehrpflichtarmee gibt und propagandistisch genützt werden könnte – bei Katastrophenfällen nur die Feuerwehr aus.
d) Bei der Konversion des Heeres können militärisches Personal und Infrastruktur teilweise für Aufgaben im Bereich des Katastrophenschutzes genützt werden.
e) Ein wesentlicher Teil der Unwetterkatastrophen ist bedingt von den klimatischen Veränderungen. Gerade militärische Apparate haben aber einen riesigen ökologischen Fußabdruck. Militärabschaffung fällt daher in den Bereich der Katastrophenprävention.
f) Die Befürworter einer Freiwilligenarmee argumentieren mit pragmatischen Argumenten ganz auf der Linie des bisherigen Konzeptes militärischer Katastrophenbewähltigung – nur mit dem Unterschied, dass es dafür keine Wehrpflichtigen bräuchte: Auch die künftige Freiwilligenarmee würde den Katastrophenschutz übernehmen, wenngleich wesentlich effizienter.12.500 Mann würden laut Darabos-BMLV-Modell weiterhin für den Katastrophenschutz zur Verfügung stehen. Vertreter ziviler Katastropheneinrichtungen werden diesen Beitrag als durchaus ausreichend.
12 Sicherheitslage erfordert neue Wege: Wehrpflichtabschaffung aus sicherheitspolitischen Erwägungen
Eine neue Sicherheitsstrategie soll die noch gültige Verteidigungsdoktrin aus dem Jahr 2001 ersetzen. Sie liegt vor, wurde jedoch noch nicht vom Parlament beschlossen. Ein Kernsatz lautet, dass sich „... die aktuellen und absehbaren Rahmenbedingungen für die Sicherheit Österreichs und der Europäischen Union ... grundlegend von jenen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ unterscheiden. Wichtigster Unterschied zu früher: „Konventionelle Angriffe auf Österreich sind bis auf Weiteres unwahrscheinlich ...“ Hingegen gebe es globale „Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen“, von denen Österreich und die EU betroffen seien. Genannt werden u.a. instabile Regionen und Staaten, verwundbares Nuklearmaterial, Menschen- und Drogenhandel, Naturkatastrophen und die Gefährdung der Umwelt, der Nahrungs-, Wasser- und Energieversorgung; relevante Infrastruktur muss vor Angriffen aus dem Internet oder terroristischen Anschlägen geschützt werden.
Im Wesentlichen sind es also zwei sich gegenseitig bestärkende sicherheitspolitische Parameter, die eine Abkehr von einer Wehrpflichtarmee und eine Hinwendung zu professionellen Armeen begünstigen:
a) Österreich habe nicht länger eine militärische Invasion bzw. den Durchmarsch fremder Truppen zu fürchten, wie dies in früheren Landesverteidigungsplänen bestimmend war.
b) Die neuen Aufgabenfelder verlangen eine stärkere internationale Zusammenarbeit auf höchstem professionellen Niveau. Österreich könnte in dieser Arbeitsteilung nicht durch Masse punkten, sondern durch Spezialisierung und „smart defense“.
Jene, die vor einem sicherheitspolitischen Vakuum warnen, wenn das heimische Militär schrumpft und nicht jeder Mann gelernt hat, wie „Mann“ eine Waffe bedient, sollten von den tatsächlichen Bedrohungsbildern ausgehen, wie sie in den jüngsten sicherheitspolitischen Schubladenpapieren der Parteien genannt wurden.
Die SPÖ antwortet mit Blick auf diese Entwicklungen mit dem Hinweis, dass es für diese Bedrohungsbilder keine Wehrpflicht mehr brauchen würde sondern ein professionelles Heer mit ausgeprägten Milizkomponenten. Heinz Gärtner folgert daraus: „Keines dieser Probleme kann mit traditionellen Massenarmeen gelöst werden.“
Die ÖVP hält hingegen ungeachtet solcher Rahmenbedingungen am Konzept der Wehrpflicht fest. Es wären allerdings auch nicht-militärischen Antworten auf diese Bedrohungsbilder möglich.
Das Bedrohungsbild Terrorismus erfordert zunächst eine präventive Außenpolitik, die dem Terror keinen Nährboden mehr liefert, und bedeutet in der Abwehr vor allem Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit. Was von Offiziersseite als neues Aufgabenfeld gesehen und als „Heimatschutz“ bezeichnet wird – beispielsweise Schutz vor terroristischen Anschlägen – muss als Aufgabenfeld der Polizei definiert werden.
Cyberwar-Attacken können nicht mit militärischen Systemen abgewehrt werden, sondern verlangen die Expertise von zivilen Fachleuten im IT-Bereich und vor allem eine Umkehr von der massiven Tendenz, sich mehr und mehr von den modernen Technologien abhängig zu machen.
Das Bedrohungsbild Angriff auf sensible wirtschaftliche Einrichtungen, wie Energieversorgungszentren, sollte dazu führen, eine dezentrale und möglichst autarke Wirtschaftsweise zu fördern, die auch den Cyberwar-Attacken und terroristischen Angriffen weniger Angriffsflächen bietet.
Bleibt noch die Frage, wie künftige Staatsbesuche ablaufen werden. Eine militärische Ehrenformation wird nicht mehr abgeschritten werden, was jedoch zugleich eine wichtige politische Signalwirkung haben könnte. Vielleicht werden Abordnungen von Kindern mit Friedenssymbolen die Staatsgäste empfangen.
Gegenüber den vom Staat kolportierten Bedrohungsszenarien gilt es aber vor allem festzuhalten: Die Bedrohungen und Risiken unserer Zeit liegen in den Folgen von Klimawandel, sozialer Ungerechtigkeit und in der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Angesichts solcher Bedrohungen sind militärische Maßnahmen kontraproduktiv.
Die von SPÖ-Seite in Option 1 geplante Umstellung auf eine Freiwilligenarmee geschieht jedenfalls nicht, wie Wehrpflichtbefürworter – auch aus friedensbewegter Seite – behaupten, um effizienter für neue militärische Aufgabenfelder wie Out-of-Area-Missionen gerüstet zu sein. In dieser Argumentation wird die Ursache mit der Wirkung vertauscht. Die Ursache für diese Umstellung erfolgt unabhängig vom Wehrsystem und liegt in den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen verbunden mit neuen Kriegstechnologien. Die Zeit der Massenarmeen für eine Raumverteidigung, wie sie bis zum Ende des Kalten Krieges die österreichische Verteidigungsdoktrinen bestimmte, ist längst überfällig.
13 Militärfreiheit und Neutralität vertragen sich, Kriegsfähigkeit und Neutralität widersprechen sich
Gegner des SPÖ-Modells und Befürworter der Wehrpflicht argumentieren, dass die Abschaffung der Wehrpflicht verbunden mit der Art und Weise, wie im SPÖ-Modell eine Profi-Armee vorgesehen ist, eine NATO-Integration vorantreiben würde und die österreichische Neutralität noch mehr gefährden würde. Dabei wird daraufhin gewiesen, dass die meisten EU-Länder mit Berufsheer bzw. ohne Wehrpflicht auch NATO-Mitglieder seien. Michael Spindelegger argumentierte weiters, dass ein kleineres Heer nicht mehr alle Aufgaben selbst wahrnehmen könne. Daher müsse die Sicherheitspolitik arbeitsteilig gemeinsam mit anderen Staaten – eben in einem militärischen Paktsystem – erledigt werden.
Dagegen gilt erstens, dass es auch EU-Staaten ohne Wehrpflicht gibt, die bündnisfrei oder neutral sind. Dazu zählen Schweden und Irland. Andererseits gibt es Wehrpflichtstaaten wie Griechenland, die Türkei, Estland, Norwegen und Dänemark, die Mitglieder des NATO-Paktes sind. Das heißt: Es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Wehrpflicht und einer Zugehörigkeit zur NATO. Prinzipiell ist das Wehrsystem unabhängig von Bündnismitgliedschaft und Neutralität.
Zweitens ist eine schleichende NATO-Integration in den vergangenen Jahrzehnten auch unter Wehrpflichtbedingungen geschehen. Von Beginn an hat das Österreichische Bundesheer neutralitätswidrige Aktionen gesetzt – erinnert sei an die Zeit des Kalten Krieges, wo Österreich für die NATO-Spionageabwehr mit der Goldhaube wichtige Dienstleistungen erfüllte. Heute zeigt es sich, dass mit oder ohne Wehrpflicht das Bundesheer umorientiert wird auf eine Kompatibilität mit der im Aufbau befindlichen EU-Armee. Damit werden die Kernelemente der völkerrechtlichen Neutralität unterlaufen.
Ohne eigene Armee könnte sich Österreich andererseits gar nicht kriegerisch an fremden Kriegen beteiligen. Daraus folgt: Nicht eine unbewaffnete Neutralität ist völkerrechtswidrig, sondern die faktische Umsetzung der österreichischen Militärpolitik. Es gilt die Formel: Je weniger Militär, desto weniger Neutralitätsgefährdung!
Auch der Blick in die Schweiz kann in diesem Fall nützlich sein. Die größte antimilitaristische und pazifistisch orientierte Organisation in der Schweiz, die GSOA, tritt für die Abschaffung der Wehrpflicht ein, wissend, dass damit unter den realen Bedingungen eine Freiwilligenarmee kommen würde.
14 Bedeutet die Berufsarmee Kampfeinsätze im Ausland ? oder: Wehrpflicht ist keine Garantie gegen Kampfeinsätze des österreichischen Militärs im Ausland
Zu den wichtigsten Argumenten, warum sich friedensbewegte Menschen gegen die BMLV-Darabos-Variante stellen und lieber für die Beibehaltung der Wehrpflicht stimmen oder zumindest für ein Ungültig-Wählen auftreten, zählt die These, dass mit einer reinen Berufsarmee österreichische Kampfeinsätze im Rahmen der EU oder mit NATO-Anbindung leichter möglich seien.
Zunächst muss bei diesem Argument klar unterschieden werden, auf welche Art und Weise österreichische Soldaten im Ausland tätig sind oder tätig sein sollten. Peacekeeping-Einsätze unter dem Mandat der Vereinten Nationen sind anders zu bewerten als Battle Group-Einsätze im Rahmen der EU oder in Anbindung an die NATO.
Im Herbst 2012 waren rund 1200 österreichische Soldaten in ausländischen Missionen tätig, darunter 494 Soldaten im Rahmen der NATO-geführten internationalen Schutztruppe Kfor und 310 Soldaten bei der Bosnien-Friedensmission Eufor-Althea. In Afghanistan waren 3 Österreicher als Stabsoffiziere tätig. Mit oder ohne Wehrpflicht sind solche Auslandseinsätze möglich. In einer Freiwilligenarmee sind keine anderen Formen von Einsätzen geplant, als sie bisher von einer Wehrpflichtarmee durchgeführt werden.
Es bleibt eine Unterstellung, dass das Modell Darabos mehr Möglichkeiten böte für Kampfeinsätze als eine Wehrpflichtarmee. Aussagen des Leiters des „Komitees für eine Ende der Wehrpflicht“, des Großindustriellen Hannes Androsch, der die Aufgaben einer Berufsarmee beschrieb, „in Zusammenarbeit mit der NATO einsatzbereit zu sein“, um „die Rohstoff- und Energiequellen zu verteidigen“, könnten freilich diese These stützen, wenn sie als repräsentativ für das neue Modell der Freiwilligenarmee gewertet werden würden.
Wer sich heute unter den Bedingungen der Wehrpflichtarmee für Auslandseinsätze meldet, macht dies jetzt schon freiwillig bzw. auf einer professionellen Basis. In dieser Hinsicht gibt es daher keine gravierenden Unterschiede zwischen einer Wehrpflicht- und einer Freiwilligenarmee. Grundwehrdiener sind aus mehreren Gründen ungeeignet für Auslandseinsätze. Auch unter den Bedingungen einer Wehrpflichtarmee wären lediglich Profis für Auslandseinsätze vorgesehen.
Gegner der Wehrpflichtabschaffung warnen jedoch, dass eine Freiwilligenarmee die Ausrichtung auf eine Interventionsfähigkeit im Sinne von Peace-Enforcement-Einsätzen beschleunigen würde. Vor allem linke Friedensgruppen argumentieren, dass durch das Festhalten an der Wehrpflicht die Anpassung des heimischen Heeres an die EU-Verteidigungsarchitektur auf dem Weg von Battlegroups verhindert werden könnte. Doch schon unter den real-existierenden Bedingungen der Wehrpflichtarmee geschieht der Umbau der Streitkräfte auf Interventionsfähigkeit. Ob Berufs- oder Zeitsoldaten oder freiwillig Verlängerte ... die Verpflichtung für Auslandseinsätze ist auch jetzt schon gegeben.
Wenn Grundwehrdiener für Katastropheneinsätze oder militärische Sicherung im Inland dienen müssen, dann kann ein Berufsheeranteil der Wehrpflichtarmee auch leichter für Auslandsmissionen abkommandiert werden. Tatsächlich warnte der leidenschaftliche Wehrpflichtbefürworter Generalstabschef Entacher mit dem Argument, dass eine Berufsarmee „die außenpolitischen Möglichkeiten“ einschränken würde.
Der Aufbau einer schlagkräftigen EU-Armee für Interventionseinsätze geht ungebrochen voran. Dies geschah in den vergangenen Jahren jedoch unabhängig von der Frage ob Wehrpflicht- oder Berufsheersystem. Das bisherige Wehrpflichtsystem hat nicht verhindert, dass sich die österreichische Armee mehr und mehr unter Verletzung von neutralitätsrechtlichen Bestimmungen auf internationale Kriegseinsätze hin orientiert hat. Mit oder ohne Wehrpflicht hat sich die Bundesregierung zur Beteiligung an den EU-Battle Groups entschieden und wurde zuvor das nötige Bundesverfassungsgesetz geschaffen. Die immerwährende Neutralität Österreichs mit ihren drei Grundpfeilern – Nichtbeteiligung an Kriegen, militärische Bündnisfreiheit und Verbot der Stationierung fremder Truppen auf heimischem Territorium – könnte am verlässlichsten ohne eigenes Militär realisiert werden.
15 Wehrpflicht schützt nicht vor einem demokratiegefährdenden Missbrauch des Militärs und bedeutet keine Zivilisierung der Gesellschaft
Stimmt die These, dass eine Freiwilligenarmee „leichter“ für „partikulare Interessen“ instrumentalisiert werden könnte als eine Wehrpflichtigenarmee? Stimmt es, dass durch Wehrpflichtige das Militär „gezähmt“ würde? Unermüdlich wird dieses Argument wiederholt – meist mit Blick auf die Situation in Österreich 1934. Damals haben Berufssoldaten auf Arbeiter geschossen. Dieses Ereignis ging als Trauma in die Geschichte der sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegungen in Österreich ein. Gerade für sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Friedensbewegte folgt daraus ein Festhalten an der Wehrpflicht und einer „Volksbewaffnung“. Im Nachhinein kann jedoch auch gefragt werden: Hätte eine Wehrpflicht diese Aktion der Berufsarmee im Jahr 1934 verhindern können? Es bleibt jedenfalls eine Behauptung, sicherlich aber kein Beweis dafür, dass mit Wehrpflicht ein Schutz vor Militärmissbrauch gegeben sei. Weiters wird dadurch weder mitbedacht, dass die Hauptschuld bei der Regierung Dollfuß gesehen werden muss und dass anfangs der Polizei und der Gendarmerie der Befehl für den Angriff gegeben wurde, der von der Heimwehr unterstützt wurde.
Der wiederholte Hinweis auf dieses Ereignis macht die These, dass mit Wehrpflicht eine Demokratiegefährdung durch das Militär oder dessen Einsatz gegen eigene Bevölkerungsteile verhindert werden könnte, nicht richtiger. Eine Gegenthese zeigt der Blick auf die Wehrpflicht-Landkarte. Beispiel Türkei: Zweifelsohne ein Land mit einer starken Wehrpflichtkomponente. Zugleich ist die Türkei jener Staat, wo in jüngster Zeit besonders häufig militärische Staatsstreiche stattgefunden hatten. Die Wehrpflicht hat wohl nicht dazu beigetragen, dass in Militärgefängnissen weniger gefoltert worden ist. Amnesty international und andere Menschenrechtsgruppen haben in den vergangenen Jahrzehnten bis zum heutigen Tag junge Männer in Schutz genommen, die in der Türkei Opfer der Wehrpflicht geworden sind. Wer war in den kurdischen Gebieten im Einsatz? Wehrpflichtige haben nicht verhindert, dass kurdische Dörfer niedergebrannt worden sind. An den Vergewaltigungen waren auch Wehrpflichtige beteiligt. Es wäre ein nationalistischer Chauvinismus, wenn behauptet würde, dass dies eben die Türkei ist und dass wir ÖsterreicherInnen so anders seien, so etwas nicht täten. Es liegt nicht an der Nationalität. Es liegt auch in militaristischem Denken – und in vielen Fällen sind es Berufssoldaten, die gerade wegen ihrer Professionalität im Umgang mit Gewaltsituationen einen „kühleren Kopf“ bewahren als In-den- Krieg-Gezwungene.
Nirgendwo lässt sich eine pazifizierende Wirkung einer Wehrpflichtarmee behaupten. Das Argument, dass durch die wehrpflichtbedingte Verankerung eines Heeres in einer Bevölkerung weniger leicht eine Armee missbräuchlich zum Einsatz käme, stimmt einfach nicht mit Blick auf vergangene oder gegenwärtige Kriegssituationen. Dem Argument, dass Profi-Soldaten „skrupelloser“ wären als Wehrpflichtige und Milizionäre, muss mit Blick auf die vielen Kriege in Geschichte und Gegenwart widersprochen werden. Die „Professionalität“ von Soldaten zeigt sich vielmehr immer wieder darin, dass sie in kriegerischen Extremsituationen nicht so leicht einem nationalistischen Blutrausch unterliegen.
Weiters zeigen Studien, dass es nicht stimmt, dass eine Berufsarmee zum Auffangbecken von gesellschaftlichen Losertypen werden könnte. Eine Organisation, die nicht automatisch auf Zwangsverpflichtete zurück greifen kann, wird sich außerdem mehr bemühen, dass Arbeits- und Umweltbedingungen für die Beschäftigten stimmen.
16 Die „g‘sunde Watschn“ – Männer kriegen, keine Kinder oder: Wehrpflicht ist keine Schule einer friedlichen Nation
Wehrpflichtbefürworter aus unterschiedlichsten Zugängen eint das Argument, dass die verpflichtende militärische Grundausbildung unverzichtbare pädagogische Funktionen böte. Die Argumentation reicht von „da lernen die Jungen endlich Ordnung zu halten“ über „aus den Weicheiern sollen richtige Männer werden“. Die Jugendlichen könnten beim Bundesheer (endlich) wichtige Werte wie Disziplin oder Kameradschaft lernen. Der Grundwehrdienst würde auch zur Integration beitragen, da hier junge Männer aus unterschiedlichen ethnischen Herkünften zusammen kämen. Tatsächlich jedoch sollte die gesellschaftspolitisch so notwendige Aufgabe der Integration nicht so sehr auf die grundwehrdienliche Zeit abgeschoben werden. Multikulturelles Zusammenleben auf nachhaltige Weise ist Sache des Gemeinwesens, vom Kindergarten über die verschiedenen schulischen Ausbildungswesens. Eine Reform der Schule, die weniger zur Selektion führt, kann hier so viel besser wirken als jedes Kasernenleben. Integration geschieht beispielsweise in den Sportvereinen – und hier beginnend vom Kindesalter und nicht beschränkt auf eine sechsmonatige Rekrutenzeit.
Als Lehrer versuche ich meinen Schülern und Schülerinnen zu vermitteln, dass der Gewalt ohne Gewalt begegnet werden kann. Werte wie Freiheit, Selbstbestimmung oder Individualität stehen ganz oben auf meiner pädagogischen Skala. Ich möchte vor allem, dass die Burschen lernen, sanft zu sein, ihre Verletzlichkeiten anzunehmen und nicht nur Stärke zeigen müssen. Wenn einer meiner Schüler nach der Matura zum Grundwehrdienst kommt, welche Werte wird er dann vermittelt bekommen?
Die Zwangsrekrutierung dient primär dazu, dass möglichst viele männliche Bürger auf eine bestimmte Art und Weise der gewaltsamen Konfliktlösung indoktriniert werden. Als oberstes Ziel wird im Soldatenhandbuch 2011 für die Ausbildung die „Feldverwendungsfähigkeit“ des Rekruten genannt. Das Tötungstabu muss gebrochen werden, wenn 18-Jährige zu Beginn der Grundausbildung lernen, auf Pappkameraden zu schießen. Ist es sinnvoll, die gesamte männliche Jugend zunächst zu trainieren, im Ernstfall doch Gewalt anzuwenden?
Welches Gesellschaftsmodell steckt weiters hinter einer militärischen „Erziehung“? Nach wie vor gilt als Leitbild die Unterordnung unter eine Befehlskette. Befehlsverweigerung ist strafbar. Wehrpflichtige werden gezwungen, das Kriegshandwerk zu erlernen. Dieser Zwang ist mit einer freiheitlichen Gesellschaft nicht vereinbar.
Weiters ist zu bedenken, wo das Erlernen grundlegender Werte und demokratischer Grundhaltungen wirklich erfolgen soll. Hier sind die primären Erziehungseinrichtungen das Familienhaus und die Schule oder der Lehrplatz.
Aus einer Genderperspektive gilt es, das Argument der Erziehungsfunktion auf folgende Weise zu hinterfragen: Sind Frauen prinzipiell weniger „erzogen“, weil sie nicht durch die Schule des Bundesheeres gegangen sind? Haben Untaugliche eine schlechtere Erziehung usw. Fakt ist allerdings, dass gerade „sanfte“ Burschen nicht den Weg zum Bundesheer wählen, sondern lieber Zivildienst leisten. Umgekehrt muss daher gefragt werden: Werden nicht harte Durchsetzungsstrategien gerade im Grundwehrdienst gefördert?
Auffallend ist in der Frage der Wehrpflicht der implizite Zusammenhang zwischen einer Konstruktion einer gewissen Art von „Männlichkeit“ und dem Wehrpflichtsystem. Die Genderfrage muss auch in Bezug auf die Wehrpflicht gestellt werden. Warum beispielsweise gilt in Österreich Wehrpflicht nicht für Frauen? Das Militär ist und bleibt ein patriarchales Herrschaftsinstrument. Es hat wesentlich Anteil daran, dass Frauen bestimmte Rollen in der Gesellschaft zugewiesen werden. Die Wehrpflicht führt dazu, dass die männliche Jugend auf eine Form von Männlichkeit hingebogen wird, in der es gilt, sich mit Gewalt durchzusetzen. Männlichkeit wird in der Institution Wehrpflicht mit Gewaltgebot verknüpft, während Weiblichkeit mit Gewaltverbot in Verbindung gebracht wird, weswegen sie ausdrücklich von der Wehrpflicht ausgenommen werden. Der Grundwehrdienst kann als bewusst männliche Initiationsphase gesehen werden. Im Hintergrund wirkt immer noch die „Born to kill“-Ideologie im Stil von „Full Metal Jacket“. Aus den “Ladies” müssen Männer werden, deswegen ab mit längeren Haaren, neue Kleider, neues Bett, neue Umgebung, neue Vorgesetzte. Männliche Identität wird mit Sturmgewehr verbunden. Sie ist die „Braut“ des Soldaten. Ein billiges Poster einer nackten Frau pickt an der Innenseite des Spinds. Der Krieg ist männlich. Frauen sind zu beschützen oder sind Opfer.
17 Die Kostenfrage und die Notwendigkeit der Umverteilung oder: Friedensdividende
Gegner des Darabos-Modells argumentieren, das eine Freiwilligenarmee wesentlich kostspieliger sei als ein System auf der Basis der Wehrpflicht. Dagegen sprechen jedoch etliche Argumente.
a) Für die nächsten Fiskaljahre gibt es die gesetzliche Vorgabe, Reformen nur so weit vom Gesamtbudget her zu planen, als sie kostenneutral sind. Laut budgetären Vorgaben dürfte eine Abkehr von der Wehrpflichtarmee keinesfalls teurer kommen.
b) Diese Gefahr besteht aus mehreren Gründen nicht. Durch den Wegfall des Wehrpflichtsystems werden Mittel und finanzielle Ressourcen frei, die jetzt durch die Ausbildung der Grundwehrdiener gebunden sind.
c) In 21 von 27 EU-Staaten wurde von der Wehrpflicht auf ein Berufsheer umgestellt. Nirgendwo führte dies zu einer Erhöhung des Wehretats.
d) Aus antimilitaristischer Sicht gilt vor allem das Argument, dass es besser ist, die Aufgaben des Militärs einzuschränken, statt sie auszuweiten.
e) 0,27% des BNE beträgt derzeit die Entwicklungshilfe des österreichischen Staates. 0,7% müssten es sein. Die direkte Entwicklungshilfe beträgt derzeit 90 Millionen Euro und soll noch bis 2014 auf 60 Millionen gekürzt werden. Sieben Mal mehr, nämlich an die 450 Millionen Euro, kostet den Staat Österreich derzeit das Wehrpflichtsystem mit Ausbildung, Verpflegung und Entgang von Sozialleistungen.
Angesichts des Hungers in der Welt ist es ein Skandal, dass unvergleichlich mehr für Rüstung und Militär als für den Kampf gegen Hunger und Krankheiten und fehlende Bildungsmöglichkeiten ausgegeben wird. Abschaffung des Militärs würde Phantasien und Geld für wirklich friedensfördernde Investitionen frei machen.
18 Auch keine Berufsarmee – weder auf Basis des Wehrpflichtsystems noch einer Freiwilligenarmee
Die oben angeführten Argumente gegen ein Wehrpflichtsystem und damit gegen eine Wehrpflichtarmee treffen im Wesentlichen auch auf eine Berufsarmee zu. Im Kern ist schon das real existierende Bundesheer eine Profiarmee mit rund 16.000 Berufssoldaten, um das sich wie ein schützender Speckgürtel zunächst die freiwillig Verlängerten und außen die Wehrpflichtigen angelagert haben. In der militärischen Hierarchie entscheidend ist der Berufskader. Wenn also die ÖVP und mit ihr die Wehrpflicht-Zivildienst-Befürworter gegen ein Berufsheer votieren, dann betrifft dies auch ihren eigenen innersten Kern – womit die ÖVP/FPÖ-Argumentation in sich unglaubwürdig ist.
Wer die demokratiepolitisch gefährliche Seite einer Berufsarmee anspricht, darf nicht übersehen, welche Macht auch das heimische Militär in unserer Gesellschaft hat – und wie es bereits jetzt schon missbräuchlich verwendet werden könnte. Was wäre beispielsweise, wenn rechtsnationalistische Kräfte wirklich in Regierungsfunktionen kämen? Ist es nur Zufall, dass die FPÖ an vorderster Front der Wehrpflichtverteidiger steht? Das Militär ist zunächst und per Verfassung ein Instrument des Staates. Regierung und Parlament entscheiden über den Einsatz der Armee. In einem wirklich demokratischen und liberalen Staat muss daher die Bevölkerung eine Armee nicht fürchten. Das Problem ist jedoch ein Staat, der repressiv gegen die Bevölkerung oder Bevölkerungsteile ist. In diesem demokratiepolitischen Grundsatz liegt auch der Schlüssel. Entscheidend ist die Frage nach den politischen Machtverhältnissen in einem Land und nicht jene des Wehrsystems.
Wer zu Recht die höchst bedenklichen Einsatzpläne einer Berufsarmee kritisiert – wie Angriffskriege aus wirtschaftlichen Interessen – muss zugleich wahrnehmen, dass bereits die gegenwärtige Wehrpflichtarmee auf diese Angriffsszenarien geschult wird. Solche Einsätze werden allerdings mit einem Wehrpflichtsystem noch leichter möglich sein, weil dann können die militärischen Amateure an der Heimatfront tätig sein – vom Objektschutz bis zum Katastrophenschutz –, während die Profis in fernen Ländern kämpfen können.
Als weiteres Argument gegen ein „Berufsheer“ führen Wehrpflichtbefürworter gerne an, dass etliche „verkrachte Existenzen“ oder zwielichtige, gewaltbereite Menschen sich für einen Dienst in der Armee bewerben würden. Dies geschieht mit dem Unterton: Vernünftige Menschen würden doch nicht zur Armee gehen. Zum einen ist dies eine Beleidigung gegen die Berufssoldaten, die jetzt schon ihren soldatischen Dienst leisten oder freiwillig verlängern. Vor allem aber kann dagegen gehalten werden: Jederzeit hat eine Armee die Möglichkeit – wie schon jetzt – genaue psychologische Tests durchzuführen, um herauszufinden, wie geeignet jemand für einen soldatischen Dienst wirklich ist.
19 Ohne Wehrpflicht – ein Staat mit neuen Möglichkeiten
Die Befreiung vom Kriegsdienstzwang wird eine Politik beenden, in der versucht wurde, alle jungen Männer auf gewalttätige Konfliktlösungsmuster festzulegen. Die Wehrpflichtabschaffung kann dazu beitragen, dass in allen Bereichen – privat wie öffentlich – nicht mehr auf die Karte der Gewalt gesetzt wird und gewaltfreie Konfliktstrategien eingeübt werden. Wenn es keine Wehrpflicht mehr gibt, können jene nichtmilitärischen Konzepte und Ideen mehr Platz bekommen, die durch eine Fixierung auf gewaltsame Modelle in den Hintergrund gerückt wurden. Die „Denkfaulheit“ könnte durchbrochen werden und würde neue Wege aufzeigen, wie Frieden und Sicherheit auf nationaler und internationaler Ebene geschaffen werden. Es ist eine Zukunft, in der Männer und Frauen ausgebildet werden, Kriegsursachen zu beseitigen, und trainiert werden, wie im „Ernstfall“ ohne Waffengewalt Verteidigung geschehen kann, wie Feinde zu Freunden werden können, wie Versöhnung geschehen kann. Es ist eine Zukunft mit einer Fülle an freiwilligen Diensten, die staatlicherseits gefördert und teilweise finanziert werden – gerade auch um Lücken zu füllen, die durch den Wegfall der Zivildiener entstehen. Der Verzicht auf militärische Verteidigung schafft eine Friedensdividende, finanzielle Mittel, die so dringend gebraucht werden für gewaltfreie Konzepte und für ökologische und soziale Maßnahmen. Die anzustrebende Alternative zur Abschaffung der Wehrpflicht ist weder eine Berufsarmee mit Freiwilligenkomponenten noch die Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht, sondern die Vision des schrittweisen Umbaus der Wehrpflichtarmee auf nichtmilitärische Aufgabenfelder und die Etablierung eines ausreichend finanzierten Freiwilligensystems. Insofern könnte der Staat Österreich ein Modell realisieren, das einzigartig auf dieser Welt wäre und als Modell für eine vollständige Entmilitarisierung dienen könnte. Kleine Länder wie Österreich haben größere Chancen für die konkrete Vision eines armeefreien und dennoch und gerade deswegen ausreichend gesicherten Landes. Ein armeefreies Land ist kein wehrloses Land, sondern baut seine Sicherheit präventiv auf Konfliktvermeidung und seine Verteidigung auf dem Instrumentarium der gewaltfreien Konflikttransformation, nichtmilitärischer Gewaltintervention und Gewaltabwehr auf. Die Bereitschaft dazu steigt, je weniger auf die vermeintliche und täuschende Sicherheit der militärischen Systeme mit ihrem demokratiefeindlichen Potenzial und ressourcenintensiven Apparat gesetzt wird. Dann werden die Menschen auch erkennen, wo die wirklichen Gefahren für die Welt und die Gesellschaft liegen, weil sie nicht mehr den Staub von Panzerkolonnen in den Augen und das Gedröhne der Kampfjets in den Ohren haben. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es jedoch auf demokratischem Wege Änderungen. Die regierende Politik wird erst zu fundamentalen Änderungen bereit sein, wenn die Pazifisten und Pazifistinnen in diesem Land eine kritische Masse erreicht haben.
20 Bürgerinitiative als echte Alternative
Die vom Internationalen Versöhnungsbund Österreichischer Zweig und Arge Wehrdienstverweigerung gestartete Bürgerinitiative ist für Pazifistinnen und Kritiker eines militärischen Systems eine wichtige Ergänzung. Damit wird die Vorstellung für ein Österreich ohne jedes Heer auf öffentliche Weise hörbar. Freilich löst sie nicht das Dilemma des 20. Jänner, für eines der Modelle votieren zu müssen, das weniger militärisch aber doch militärisch orientiert ist. Im Sinn des Erfinders des Friedensnobelpreises, Alfred Nobel, verdient jener den höchsten Friedenspreis, der am meisten auf die „Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere hingewirkt hat“. Jene Option verdient den Vorzug, die am meisten diesem Ziel entspricht.
Kompromiss-Varianten für eine Zukunft ohne Wehrpflicht und einer minimalen Heeresvariante wären ebenfalls denkbar und durchführbar. Dies könnte bedeuten, dass das heimische Militär ausschließlich für friedenserhaltende Missionen im Rahmen von UN-Blauhelmen tätig ist – so ein Vorschlag der Grünen – oder ein Heer, das sich ausschließlich als Sanitätskorps organisiert, um im Auftrag der Vereinten in Kriegs- oder Katastrophensituationen für Verwundete und Vertriebene da zu sein.
21 Für das kleinere Übel bei der Volksbefragung = Freiwilligenarmee/Freiwilligensystem
Am 20. Jänner 2013 haben wir nur die Wahl, zwischen „Berufsheer“ (Freiwilligenarmee) / Freiwilligensystem einerseits oder Wehrpflicht / Bundesheer / Zwangszivildienst andererseits. Damit wird nochmals mehr suggeriert, es gäbe keine weiteren Möglichkeiten und das kollektive Denken wird auf diese Wahlmöglichkeiten hin reduziert. Dennoch: In dieser Situation gilt es, sich für das kleinere Übel zu entscheiden und für die Abschaffung der Wehrpflicht / Berufsheer-Variante das Kreuzerl zu machen. Diese Option bedeutet vor allem ein Nein zur Wehrpflicht, in zweiter Linie ist es aber auch ein Nein zu einem starken Heer mit einem größeren Berufsheeranteil als im SPÖ-Modell – das heißt ein Ja zu weniger Militär. Aus parteipolitischer Sicht ist es ein Nein zu einer schwarz-blauen Regierung. Jene, die für die Abschaffung der Wehrpflicht eintreten, haben es wesentlich schwerer. Die kollektive Bereitschaft, sich auf ein neues Modell einzulassen, ist gerade in Zeiten der Krise wesentlich geringer als das Sich-Klammern an alten Modellen. Jede Stimme für die Abschaffung der Wehrpflicht zählt, da ein knapper Ausgang zu erwarten ist.
Die Katholische Aktion Oberösterreich ruft tendenziell dazu auf, im Zweifelsfall „weiß“ bzw. „ungültig zu wählen. Für die Sache der Wehrpflichtabschaffung ist dies ein verkehrter Schritt. Ein weiße Stimme ist gleich einer ungültigen Stimme ist gleich einer nicht-abgegebenen Stimme. Eine ungültige Stimme ist zugleich eine verlorene Stimme. Sie zählt nicht. Es zählt nicht, dass die Fortführung der Wehrpflicht zur Disposition steht. Es zählt nicht die Möglichkeit, durch das Instrumentarium der direkten Demokratie eine wehrpolitische Weichenstellung zu setzen. Mir erscheint dies verantwortungslos. Alle Umfragen prognostizieren eine Mehrheit für die Wehrpflicht. Eine ungültige Stimme kommt in diesem Fall dieser Mehrheit zugute. Eine ungültige Stimme wird also dazu beitragen, dass die Wehrpflicht weiterhin bestehen bleibt. In dieser politischen Logik setzt das Führungsgremium der Katholischen Aktion Oberösterreich ein Zeichen, das implizit in doppelter Weise die Wehrpflichtseite stärkt. Es scheint, dass die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Soldaten doch stärker ist als die Positionierung der Katholischen Jugend Österreichs, die für die Abschaffung der Wehrpflicht ist und im Zusammenhang mit der Volksbefragung vom Wunsch der „Entmilitarisierung“ spricht. Bei so gut wie jeder Wahl steht die Bevölkerung vor Kompromissformulierungen. Es gilt dann, dem guten alten Prinzip katholischer Moraltheologie zu folgen, und das „kleinere Übel“ zu wählen und nicht weiß zu wählen. Nach der Wehrpflichtabschaffung gilt es dafür um so mehr, die antimilitaristischen und pazifistischen Möglichkeiten verstärkt einzubringen.
Jemandem, der für die Abschaffung der Wehrpflicht ist, und deswegen am 20.1.2013 für die Abschaffung ebendieser stimmen wird, sofort zu unterstellen, er sei für ein Berufsheer, bedeutet für mich mangelndes Einfühlungsvermögen. Es mag paradox klingen, weil auf der "Verpackung“ der Wehrpflichtabschaffung unglücklicherweise Berufsheer steht, wobei damit weniger Berufsheer gemeint ist als im zweiten Modell! Ich bin dankbar für die vielen Friedensfreunde um mich herum, die dieses Paradox sehr wohl verstehen, die erkennen: Wehrpflichtabschaffung bedeutet, einen Schritt in Richtung weniger Militär zu setzen. Paradoxien lassen sich mit gutem Willen verstehen. Auch ein Albert Einstein war als Pazifist gegen Wehrpflicht - war er deswegen für ein Berufsheer? Auch Tolstoi war gegen Wehrpflicht - war er deswegen für ein Berufsheer? So sind heute Wehrpflichtgegner noch lange nicht für ein Berufsheer, wenn sie die Chance am 20. Jänner nützen, um endlich diese Generalmilitarisierung der Gesellschaft loswerden zu können. Ich empfinde es als Killerargument, all jenen vorzuwerfen, sie seien für ein Berufsheer oder gar fanatische Berufsheerfans, die aus pazifistischen und antimilitaristischen Gründen (sic!) für die Abschaffung der Wehrpflicht und gegen die Beibehaltung stimmen werden. Österreich könnte das erste Land in der Geschichte sein, in dem das Volk direkt sich gegen die Institution Wehrpflicht ausspricht. Das ist auch schon etwas, ...
Impressum und für den Inhalt verantwortlich.
Dr. Klaus Heidegger MAS, klaus.heidegger@aon.at, Bachgasse 10, 6067 Absam
Druck: STUDIA Innsbruck, Dezember 2012
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