Samstag, 23. Juni 2012

Weltblick mit Bangen


23. Juni 2012
Weltblick mit Bangen und leisem Hoffen
Wieder starben in den letzten Tagen weit mehr als 100 Menschen im Bürgerkrieg in Syrien, ein Krieg, den viele Staaten mit zu verantworten haben. Russland, das bis zum heutigen Tag dem syrischen Regime aus strategischen Gründen Kriegsmaterial geliefert hatte; die „Freunde Syriens“ – gemeint sind die USA, Saudi Arabien, Katar, Frankreich und die Türkei – die ebenfalls aus strategischen Eigeninteressen die Rebellenseite militärisch und finanziell für einen blutigen Krieg aufmunitioniert haben und weiterhin militärische Hilfestellungen geben. Der Krieg wird genährt, Menschen verhungern. Das offizielle Österreich schaut zu. Die Massen Europas lenken sich von den Grauslichkeiten des Alltags durch die Fußball-EM ab. Die Staatschefs der hoch verschuldeten Staaten Europas, Merkel, Monti, Hollande & Co, setzen weiterhin auf Strategien, die zur Krise geführt haben und den globalen Ökokollaps herbeiwirtschaften. Staatsanleihen werden genommen und die Geldhaie streifen die fetten Zinsen ein, darunter vor allem die Profiteure des militärisch-industriellen Komplexes und der Ölmultis. Wir einzelnen tragen zu all dem bei mit unserem ölhungrigen Lebensstil, immer dann, wenn unsere Autos mit Ölprodukten gefüttert werden. Rio+20 scheitert und wenn Rio+40 sein wird, würde bei gleich bleibender Entwicklung die Weltbevölkerung bei 9 Milliarden angekommen, der Globus um weitere 2 Grad aufgeheizt, Hunderttausende Kubikmeter arktisches Eis geschmolzen und Pazifikinsel verschwunden sein. Die ausgebreiteten Arme von Christo Redentor über der Megacity von Rio greifen ins Leere, wenn es den Menschen nicht gelingt, den Klimawandel zu stoppen, Tropenwälder zu retten und einen nachhaltigen Lebensstil zu wagen.
            SchülerInnen eines Gymnasiums machten mit einem politischen Flashmob in Innsbruck darauf aufmerksam, dass alle 12 Sekunden ein Kind verhungert. Einige wenige von Hunderttausenden planen einen Sommerurlaub ohne Auto und Flugzeug. Widerstandsfähige Pflanzen durchbrechen den Asphalt.


Samstag, 16. Juni 2012

Herz-Jesu und Politik


„Auf zum Schwur Tirolerland, heb zum Himmel ...“ –
Politische Gedanken zum Herz-Jesu-Sonntag 2012

von Klaus Heidegger

Was hat das Herz Jesu mit Politik zu tun? Oder umgekehrt gefragt: Was hat Politik mit dem Herzen Jesu zu tun?

Das Herz Jesu schlägt für die Politik.

In unserem Land drängt sich ein historischer Einstieg in die Betrachtung der Herz-Jesu-Verehrung auf. Franzosenkriege und Herz-Jesu-Verehrung erscheinen als untrennbares Paar. Vor dem geistigen Auge erscheint Andreas Hofer, der mit dem Schwur auf das Herz Jesu seine Männer in die Schlachten kommandierte. Seither lässt sich Herz-Jesu-Verehrung von Schützentum und antiaufklärerischen Politikinhalten nicht mehr trennen. Aus heutiger Sicht kann Hofer, Speckbacher, Haspinger & Co ein Missbrauch der Herz-Jesu-Verehrung und des Religiösen für militärisches Abenteurertum vorgehalten werden. Eine kritische Geschichtsbetrachtung ist in einem Land notwendig, wo Andreas Hofer quasi zum Volksheiligen erwählt wurde. Also eine Entpolitisierung der Herz-Jesu-Andacht?
            Nein: Die bewusste und explizite Verbindung von Politik mit religiösen Ideen und Praktiken ist notwendig. Geschieht diese Verbindung nicht, dann verkommt Religion allzu leicht zu einem Opium des Volkes, zu einer schöngeistigen Idee ohne weltgestaltende Kraft. Geschieht diese Verbindung nicht ausdrücklich, dann können religiös-kirchliche Kräfte zwar beteuern, doch nicht politisch sein zu wollen, in Wirklichkeit aber durch eine nach außen deklarierte Antipolitik eine Stütze der herrschenden politischen Verhältnisse darstellen. Religion hat mit Politik zu tun. Insbesondere sind daher auch religiöse Praktiken politische Artikulationen und Quellen politischer Schöpfungskraft. Dies gilt genauso für die Herz-Jesu-Verehrung.

Herz Jesu als Ausdruck der Menschlichkeit und Leiblichkeit Gottes
Die Wurzeln der Herz-Jesu-Verehrung reichen in die Ursprünge der Christenheit zurück. Das Herz Jesu war Symbol dafür, dass Christus wahrer Mensch geworden ist. Ein Gott mit Haut und Haaren. Ein Gott zum Angreifen. Keine bloße Scheingestalt. Keine pure Idee. Keine blutleere Abstraktion. Nein, ein Gott mit menschlichen Zügen in der Gestalt des Menschen Jesus von Nazaret. Besonders der Evangelist Markus schildert dessen zutiefst menschlich-leiblichen Gefühle: Jesus hatte Hunger und Durst - er war daher ein Gott, der voll an seinem eigenen Körper die Notlage seiner Landsleute erspüren musste. Jesus konnte so müde sein, dass er selbst bei schwerem Seegang im Boot einschlief. Jesus war furchtbar wütend, als er die Händler aus dem Tempel schmiss und er schwitzte Blut - Ausdruck seiner Angst vor der kommenden Marter. Jesus weinte, als er das Unglück Jerusalems herankommen sah. Das Herz Jesus fasst all diese leiblichen Gefühle und Regungen zusammen. Ein theologischer Stehsatz lautet ungefähr so: Weil Gott ganzer Mensch wird, ist der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit zu Gottes Ebenbild gemacht. Der Mensch mit Leib und Seele ist wertvoll - und als Zentrum des Leibes gilt das Herz. Wer dies ernst nimmt, ahnt die Konsequenzen.
            Wenn die körperliche Integrität jedes Menschen geachtet würde, dann müsste es jedem Christenmenschen weh tun, wenn Flüchtlinge an den EU-Grenzmauern scheitern. Fast zeitgleich mit dem Herz-Jesu-Fest wird der Internationale Tag des Flüchtlings am 20. Juni gefeiert. Wenn die ganze Menschlichkeit der Schubhäftlinge geachtet würde, dann würde Aufruhr in diesem Land entstehen – anders als der Aufruhr zwar unter Andreas Hofer. Christlichkeit hat sich daher zu materialisieren in materielle Hilfe, sei es auf der Ebene der Caritas oder auf der Ebene der Sozialpolitik. Konkret: Ich komme von einer Herz-Jesu-Andacht ohne Umschweife zum Engagement für sozialpolitische Anliegen. Wenn ein ausländischer Arbeiter sich um wenig Geld krank rackern muss, wenn besonders Kinder als eine Folge der unverantwortlichen Zerstörung der Schöpfung sich vor Sonnenstrahlen schützen müssen, oder gar wenn irgendwo in einem der vielen kriegerischen Konflikte die Leiber und Herzen geschändet werden, dann blutet auch heute noch das Herz Jesu. So führt eine recht verstandene Herz-Jesu-Verehrung nicht vom Menschen weg, sondern zum Menschen hin. Somit gilt: Die Verehrung des Herzens Jesu kann dazu beitragen, die materielle Seite des Menschlichen ernst und wichtig zu nehmen.

Herz Jesu als Zeichen unbedingter Liebe
Es ist überflüssig festzuhalten, dass das Herz DAS Symbol für Liebe ist. Doch geht es nicht um irgendeine Liebe. Sie hat eine possessive Zuordnung. Es ist die Liebe Jesu, um die es sich dreht. Das Herz Jesu andächtig verehren heißt dann auch, sich auf die Dimension der Liebe Jesu einzulassen. Die ist mehr als ein zärtliches Gefühl jenen gegenüber, die mir sympathisch sind. Sie umfasst auch jene in ganz besonderer Weise, die eigentlich meine "Feinde" sind, die mir gegenüber negativ gesinnt sind. Das christliche Reizwort lautet "FEINDESLIEBE". So könnte eine andächtige Verehrung des Herzens Jesu bewirken, dass ich mich von seiner Feindesliebe anstecken lasse. Sie ist eine gewaltfreie Liebe, die Eisberge voller Hass und Entzweiung zum Schmelzen bringen könnte, die Spiralen der Gewalt jäh unterbrechen und Auswege der Entfeindung anbieten könnte. Mit Blick auf das Herz Jesu öffnen sich die Geschichten dieses galiläischen Wanderpredigers. Immer wieder geht Jesus offensiv gerade auf jene zu, die quer zu den Interessen seines Volkes und der religiösen Tradition leben: Er lässt sich vom Zöllner Zachäus einladen; er ist bei einem römischen Hauptmann, dem Kommandanten einer Armee, die mit brutalsten Mitteln das jüdische Volk unterjochte. Hinter den Rollen und Funktionen sah Jesus aber stets das Herz und erkannte das sehnsüchtig suchende Herz des Zachäus und den Hauptmann in seinem Leiden um seine Tochter.

Herz Jesu als notwendige Zentrierung
Zählt in der vorherrschenden Leistungsgesellschaft das Herz? Unser Leben ist primär bestimmt von einer kapitalorientierten Ökonomie, einem Verdrängungswettbewerb. Ideologisch vordefinierte Schönheit, Stärke, Wissen, Macht, Reichtum, Erfolg sind die dominierenden Parameter, um soziale Anerkennung zu bekommen. Wer hingegen herzorientiert statt leistungsorientiert lebt, für den oder die tun sich andere Dimensionen auf. Da sind wir dann in der Welt der jesuanischen Gleichnisse, beim barm-HERZ-igen Samariter zum Beispiel, der nicht wie der fromme Priester und pflichtgetreue Tempeldiener die Not seines Mitmenschen übersah. Da sind wir in der Welt des barm-HERZ-igen Vaters, der seinem Sohn die Fehltritte nicht moralisierend vorhält oder bei den Arbeitern im Weinberg, die nicht nach berechenbarer Leistung entlohnt werden. Eine Herzorientierung öffnet uns vor allem aber die Welt der Frauen um Jesus: Die Welt einer Mirjam von Magdala, die um ihren geliebten Herrn weinen konnte und in ihrer übergroßen Verzweiflung den Auferstandenen erspürte. Wir sind bei Maria von Betanien, die ihr Herz mit Jesus teilte. Wenn wir nun herzorientiert leben, dann blicken wir zuerst auf das Herz eines Menschen statt auf seine akademischen Grade und Titel. Das Herz wird wichtiger als die dicke Brieftasche und der angesehene Beruf. Die Schönheiten der Behinderten werden mit Blick auf deren Herz erschlossen. Es geschieht eine Umwertung. Von "Umkehr" sprach der Mann, dessen Herz wir verehren.
            Wer heute mit Kindern zu tun hat, wer sich auf deren Erfahrungswelt einlässt, der oder die weiß, was Herzorientierung bedeutet. Kinder werten andere Menschen primär nach deren Herzensqualität. Ein Kind öffnet sich nicht einem Erwachsenen, weil diese Person etwa viel weiß, viel besitzt, mit besonderen Leistungen aufwerten kann. Die HERZ-lichkeit ist das, was in den Begegnungen von Kindern mit Erwachsenen zählt. Jesus hat daher bewusst ein Kind in die Mitte gestellt, das Kindsein zum Maß-Stab des Christlichseins genommen.

Das Herz des biblischen Jesu
Und wie kommen wir zu dieser Achtung des Menschlich-Leiblichen, dieser Feindesliebe und Herzorientierung. Von "Imitatio Dei", "Nachahmung Gottes", sprachen christliche Theologen und Theologinnen. "Nachfolge" nannte es Jesus in der religiösen Sprache seines Volkes. Wenn ich nun den biblischen Jesus und den historischen Jesus von Nazaret als Maßstab nehme, dann kann die Herz-Jesu-Verehrung zu einer befreienden Praxis verhelfen. Sie dient dann nicht der Konservierung bestehender ungerechter Verhältnisse, sondern revolutioniert uns zum Aufbruch in das Reich Gottes. Die negative Verquickung von Herz-Jesu-Verehrung mit der Stützung der politisch-klerikal-militärisch-wirtschaftlichen Elite von Tirol wird nicht dadurch durchbrochen, dass wir diesen Kult entpolitisieren. Das Leitbild sollte hingegen lauten: Re-politisieren wir die Herz-Jesu-Verehrung im Sinne der befreiungstheologischen Impulse und aus einer vorrangigen Option für die Verarmten hier und in der Dritten Welt. Wenn uns dies nicht gelingt, dann vergessen wir lieber auf die Herz-Jesu-Symbolik. Wenn wir sie nicht befreien können von dem Missbrauch für kriegerische Zwecke, beginnend mit Andreas Hofer und dem Kriegsjahr 1796, dann überlassen wir das Gebet zur Herz-Jesu-Bundeserneuerung jenen, die mit einer Politik des Weiter-so nicht bereit für grundlegende Veränderungen orientiert am Maßstab des Herzens sind.

Herz-Jesu-Verehrung als Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Gewalt
Herz-Jesu-Bergfeuer brennen zu Beginn des Herz-Jesu-Sonntags. Ein typisches Bild für Tirol. Zeichen der Verbundenheit mit Christus sind die Feuer, die da an einem Frühsommerwochenende von Berggipfeln und Bergkämmen ins Tal zu den Menschen herunter funkeln. 1796 gab es keine modernen Kommunikationsmittel. Die Feuer waren Signalfeuer für den Landsturm. Mit Bergfeuern machen heute Umweltschutzgruppen auf die drohende Zerstörung des Alpenraumes aufmerksam. Warnfeuer. Es sind vor allem die Kinder, die heute angesichts der Zerstörung der Umwelt kaum mehr verkraftbaren Schädigungen ausgesetzt sind. Sinnbild unserer Zeit sind Ozonwarnungen zur Sommerzeit und Hinweise, Kleinkinder zu bestimmten Zeiten an bestimmten Tagen nicht dem Sonnenlicht auszusetzen. All dies wissend, werden von den Mächtigen im Land nach wie vor Autobahnspuren dazu gebaut, wird der Verkehrsfluss erleichtert statt rigoros eingedämmt. Herz-Jesu-Andachten sollten sich heute um diese Wirklichkeiten nicht herumdrücken. In diesem Sinn soll gelten: Auch Herz-Jesu-Feuer sind zu Warnfeuer geworden.

Aufruf zur Herz-Jesu-Bundeserneuerung
Eine "Herz-Jesu-Bundeserneuerung" tut daher not. Als politisch bewusste Menschen können wir das alte Herz-Jesu-Gebet sprechen. Wenn wir um den Segen für unsere Familien und unser Land beten, dann auch darum, dass sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene ohne provinzielle Repressionen, ohne krankmachende Regelungen und leistungsorientierte Vorgaben frei entfalten können. Daher brauchen wir Kindergärten, Schulen und Spielplätze, wo die Bedürfnisse der Kleinen unserer Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Wenn wir um Stärke zum Guten beten, dann auch darum, dass wir Kraft zum Widerstand haben gegenüber dem, was uns kaputtmacht. Die Transitlawine nur als ein Beispiel. Wenn wir um Hilfe zum Dienst in Gerechtigkeit und Frieden bitten, dann kann schon die Tat beginnen, zum Beispiel der Einsatz für gewaltfreie Friedensdienste. Wenn, wie es schließlich im Herz-Jesu-Gebet heißt, unser Land nach dem Willen des Herzens Jesu gestaltet sein soll, dann wird der ganze Veränderungsbedarf der politischen Wirklichkeiten greif- und fühlbar. Dann sehen wir auch die Zigtausenden kleinen und großen Wirklichkeiten, die heute schon, zumindest ansatzweise, dem Willen Jesu konkrete Gestalt geben. Wer sich dem Herzen Jesu anvertraut, wird nicht zur Waffen greifen, sondern die Hand zur Versöhnung reichen. "Darum bitten wir dich um der Liebe deines Herzens willen."

Montag, 11. Juni 2012

Keine Militärintervention in Syrien!


Verantwortung zur nichtmilitärischen Intervention in Syrien:
Keine Militärintervention in Syrien – Ja zum Kofi-Annan-Plan

„Responsibility to Protect“ (R2P) heißt auf weltpolitischer Ebene jene Formel, mit der die internationale Gemeinschaft, autorisiert durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates, in einem Staat intervenieren könnte, um den Schutz von Menschen und Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die von massiven Menschenrechtsverletzungen oder Gewalttaten betroffen sind. Diese Formel wird mit Blick auf die Lage in Syrien von Politikern und Diplomaten in den westlichen Staaten immer wieder in Erwägung gezogen – und wären da nicht Russland und China, die als permanente Sicherheitsratsmitglieder mit einem Veto eine entsprechende Resolution verhindern können, wäre eine R2P-Resolution zur Intervention in Syrien wahrscheinlich längst beschlossen worden. Die Art und Weise, wie vor mehr als einem Jahr die Resolution 1973 zur Errichtung einer Flugverbotszone gegenüber Libyen von Frankreich, den USA und weiteren Staaten in der „Koalition der Willigen“ interpretiert worden war und zum massiven Krieg gegen Gaddafi umfunktioniert wurde, lässt jedoch Vorsicht gegenüber dem UN-Konzept von R2P aufkommen. Wieder könnte es benützt werden, um diesmal einen Krieg gegen Bashar al-Assad und seine Armee zu führen.
            Die Vereinten Nationen und der Sicherheitsrat könnten jedoch auch anders: Kofi Annan versucht es mit der Umsetzung des Friedensplans in Syrien. Unbewaffnete Beobachtermissionen wurden entsandt und der UN-Sondergesandte bemüht sich, dass alle Konfliktparteien zu Gesprächen an einem Tisch versammelt werden. So könnten Kampfhandlungen beendet und Wege zu einem Frieden geöffnet werden. All diese Maßnahmen zählen auch zu jenem umfassenden Konzept, in dem sich R2P befindet. Internationale Schutzverantwortung ist so viel mehr als militärische Intervention. Eine solche, so die Vereinten Nationen in ihren Grundsatztexten, könnte nur als allerletztes Mittel ergriffen werden, nur wenn es Aussicht auf Erfolg gäbe, nur wenn eine Verhältnismäßigkeit der Mittel garantiert werden könnte, nur wenn die Betroffenen vor Ort dies repräsentativ verlangen würden und nur wenn dies vom Sicherheitsrat als Artikel VII-Maßnahme der UN-Charta beschlossen würde. Mit Blick auf solche Vorgaben ist es naheliegend, zum Schluss zu kommen, dass weder gegenwärtig noch zukünftig internationale Militärmaßnahmen gegenüber Syrien legitimiert werden könnten.
Der bewaffnete Kampf oppositioneller Gruppierungen trägt Mitschuld an den Massakern und verhindert eine friedliche Lösung. Es zeigt sich, dass gerade in den Städten und Ortschaften, in denen die militanten Widerstandsgruppen operieren – wie den Städten Homs, Mazraat und Hous – sich die meisten Opfer befinden und die größten Menschenrechtsverletzungen geschehen. Gewaltsam-militärischer Widerstand führt zur Aufschaukelung der Gewalt. Terroristische Gruppen nützen dies aus, um Chaos zu erzeugen und so den geistigen Boden für eine militärische Intervention von außen zu bereiten. Daher ist eine der ersten Forderungen an die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Nachbarstaaten Syriens, Waffenlieferungen an die bewaffneten Verbände, beispielsweise an die so genannte „Freie Syrische Armee“, zu unterbinden. Dies könnte durch strenge Grenzkontrollen gelingen. Gerade das Gegenteil geschieht jedoch. Islamistische Gruppierungen aus anderen Ländern geben islamistischen Kräften in Syrien militärische und waffentechnologische Unterstützung, um ihre eigenen Interessen durchzubringen. Dies passiert insbesondere über die Schabiha-Milizen, die die Vorherrschaft einer extrem-sunnitischen Richtung im arabischen Raum anstreben und daher die alawitische Glaubensrichtung bekämpfen. Die US-Regierung könnte hier beispielsweise Druck auf Saudi-Arabien und andere Golfstaaten wie Katar ausüben, die in erster Linie den sunnitischen Verbänden in Syrien Zugänge zu Waffen und Finanzhilfen geben.
Die jüngsten Massaker in syrischen Ortschaften werden genützt als Vorwand oder Anlass, um eine militärische Intervention durch die „Freunde Syriens“ zu rechtfertigen. Ähnliches geschah 1999 nach dem Massaker in Racak, dem die NATO-Intervention in Jugoslawien folgte, sowie dem Massaker in Ost-Bengasi, das als Anlass zum Krieg gegen Libyen genommen wurde. Längst schon ist erwiesen, dass auch die Rebellenseite nicht vor grausamen Hinrichtungen zurückschreckt. So sollen bei dem Massaker in Houla am 25. Mai nicht, wie dies von den westlichen Medien als Propaganda gegen Assad verwendet wurde, sunnitische Zivilisten ermordet worden sein, sondern fast ausschließlich Angehörige von Alawiten, also Gefolgsleuten des Regimes von Assad. Wem dient es, dass jedes Massaker sofort in die Verantwortung von Assad und seinen Truppen gelegt wird? Warum geschah das jüngste Massaker gerade am Vorabend des Tages, an dem im UN-Sicherheitsrat der Annan-Bericht zur Diskussion stand?
Die Bilanz des 10-jährigen Krieges in Afghanistan zeigt, dass mit Waffengewalt – auch wenn sie mit höchstem Aufwand geschieht – eine bürgerkriegsähnliche Situation von außen nicht bewältigt werden kann. Daher gilt es alle nur denkbaren nicht-militärischen und politischen Maßnahmen zu ergreifen, um das Blutvergießen in Syrien zu stoppen. Das bedeutet beispielsweise ein deutliches Aufstocken der Beobachtermission (UNSMIS) auf bis zu 2000 Personen. Diese ist bis jetzt nicht gescheitert, weil sie vom Ansatz her falsch wäre, sondern weil sie mit zu wenig Aufwand ausgestattet wurde. Die Staaten dieser Welt hätten genügend Fachkräfte zur Verfügung, um eine solche Aufgabe zu bewältigen. So könnten wirklich an allen Orten des Landes unabhängige Beobachter eine Konfliktverminderung erreichen und würden auch zu einer objektiven Einschätzung der Lage beitragen, was zudem einer oftmals einseitigen Berichterstattung entgegen laufen würde. Genauso wenig ist der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan, der vom UN-Sicherheitsrat in den Resolutionen 2042 und 2043 angenommen worden ist, weder gescheitert noch hinfällig, sondern wurde bislang von beiden Seiten torpediert. Es gilt daher weiterhin, von allen Seiten eine Umsetzung dieses Plans zu verlangen, wie dies von UN-Generalsekretär Ban-Ki-Moon oder Ländern wie Indien, Brasilien und Südafrika gefordert wird. Begrüßenswert ist auch die Idee einer UN-Syrien-Konferenz.
Mehr als 10.000 Tote in Syrien seit Beginn des Aufstands vor 15 Monaten, einige Zehntausend Flüchtlinge und Vertriebene: Es ist bereits viel zu viel Blut geflossen und Zerstörung geschehen. Daher braucht es mehr Mut und Phantasie seitens der internationalen Gemeinschaft, um dem Töten und Sterben ein Ende zu bereiten. Militärische Mittel – von welcher Seite auch immer – sind jedoch stets Öl ins Feuer der Vernichtung. Hunderttausende Tote und Verletzte der Kriege gegen den Irak und Libyen zeigen: Nie wieder Krieg!

Dr. Klaus Heidegger,
Arbeitsgruppe Pazifismus und Antimilitarismus von Pax Christi Österreich
(11. Juni 2012)